Traumazentrierte Psychotherapie mit EMDR -  Eva Münker-Kramer

Traumazentrierte Psychotherapie mit EMDR (eBook)

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2024 | 1. Auflage
219 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61913-9 (ISBN)
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Beinahe täglich erfahren wir von kriegerischen Auseinandersetzungen in Krisengebieten der Welt, Flugzeugabstürzen, Zugunglücken oder Naturkatastrophen. Solche Ereignisse können bei den beteiligten Opfern schwere Traumatisierungen auslösen und die Menschen regelrecht aus der Bahn werfen. Die von Francine Shapiro entwickelte Traumatherapiemethode Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) nimmt sich genau dieser Patient:innen an. Eingängig und anschaulich erläutert die Autorin die Entstehung, Hintergründe und therapeutischen Abläufe von EMDR. Das Buch führt in diesen evidenzbasierten Therapieansatz grundlegend ein und ist daher auch für Berufseinsteiger:nnen geeignet.

Mag. Eva Münker-Kramer, Klinische Psychologin, Wirtschaftspsychologin, Notfallpsychologin und Psychotherapeutin, hat sich ca. im Jahr 2000 auf EMDR und Traumatherapie spezialisiert. Sie ist seit 1996 in eigener Praxis in Krems / Donau tätig und leitet das EMDR Institut Austria (www.emdr-institut.at).

3 Theorie

EMDR war viele Jahre hauptsächlich in der ursprünglichen Verwendung als eine Methode der Wahl für Folgestörungen nach psychischen Traumatisierungen bekannt. Darauf bauen auch die zentralen Behandlungskonzepte dieses Ansatzes auf. Demzufolge beschäftigt sich dieses Kapitel mit theoretischem Hintergrundwissen aus dem Bereich der Psychotraumatologie. Dies soll das Verständnis des AIP-Modells, der dem EMDR direkt zugrunde liegenden Theorie, vorbereiten und erleichtern.

3.1 Die Begriffe

Einleitend werden die wichtigsten Begriffe und neurobiologischen Grundfakten hergeleitet und erläutert, die in der Arbeit mit Traumafolgestörungen in Diagnostik, und Behandlung relevant sind.

Psychologie als die „Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen“ liefert in diesem Kontext einige Theoriekonzepte, auf denen konkrete diagnostische und therapeutische Überlegungen fußen. Die Klarheit der Begrifflichkeiten ist in der Psychotraumatologie und Psychotraumatherapie besonders relevant. Die Erklärungen an die Betroffenen und die Klärungen mit den Betroffenen zu ihrem speziellen Erleben und Verhalten in angemessener Sprache sind bei allen Arten von möglichen psychischen Traumatisierungen und ihren Folgereaktionen ein wesentlicher Teil jeder Beratung, Behandlung und Psychotherapie.

Dieses Vorgehen, Psychoedukation genannt, ist die erste wesentliche Intervention und ein Instrument der Wiederermächtigung, der Fähigkeit, Dinge wieder (mehr) selbst in die Hand zu nehmen. Hierbei werden die Patienten unterstützt, ihre Reaktionen einzuordnen und den Zusammenhang zwischen ihnen und den äußeren (zur Traumatisierung führenden Umständen) zu verstehen. Dies entlastet die Patienten deutlich. Mehr dazu findet sich auch zu Beginn des Kapitels 4 unter dem Aspekt „Haltung in der Psychotherapie von Traumafolgestörungen“.

Die psychisch-mentalen Konnotationen (das, was die Patienten aus dem eigenen Verhalten und Erleben heraus interpretieren und als subjektive Wahrheit nehmen) beeinflussen direkt ihr Erleben und Verhalten und somit auch ihre Prognose: So kann z. B. ein subjektives Schuldgefühl, eine Fehlinterpretation und ein nicht gewohntes Erleben von Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit zur Selbstabwertung führen und krankheitsbestimmend werden.

Ein Beispiel: Ein Lokführer gibt sich nach einem Unfall mit einem Selbstmörder irrationalerweise die Schuld für den Tod des Betroffenen. Außerdem interpretiert er sein massives intrusives Erleben (Bilder vom Aufprall, Geruch nach dem Aussteigen aus der Lok in unmittelbarer Nähe des Toten) fälschlicherweise als Halluzinationen und sein Hyperarousal als etwas, das er nicht in den Griff bekommen kann.

Dies lässt ihn sich selbst als „Versager“ sehen, der in psychiatrische Behandlung „eingeliefert gehört“. Dies führt zum Erleben mangelnder Handlungsfähigkeit und zu Selbstabwertung. Mit in angemessener Sprache erläuterten wissenschaftlichen Erklärungen zu den Hintergründen der erlebten Phänomene, eben Psychoedukation, kann sich diese falsche Attribution lösen. Das Lösen solcher blockierender Zuschreibungen ist auch in der kognitiven Therapie Wirkmechanismus Nr. 1 – eine veränderte Sicht auf das eigene Erleben und Verhalten soll Entspannung und Erleichterung bringen.

Neben diesem als Einstieg erwähnten wichtigen Prinzip, das Symptome für den Patienten übersetzt, finden sich in den folgenden Kapiteln mehrere Beispiele zentraler Begriffe, bei denen die sprachliche Unterscheidung inhaltlich sehr relevant ist, die aber im Alltag oder im Fachjargon teilweise uneindeutig benutzt werden:

Stressfaktor / Stressor ((Umwelt-)Reize) als Auslöser versus Stressreaktion als potenzielles Ergebnis im Organismus,

„potenziell traumatisierendes Ereignis“ als Bezeichnung für das Ereignis an sich versus Psychotrauma / Trauma als Endergebnis der Interaktion zwischen dem Ereignis und dem, was sich für die betroffene Person subjektiv daraus ergibt; nicht jedes potenziell traumatisierende Ereignis muss für die Person zu einem Trauma werden,

Trauma als körperliche Verletzung versus Psychotrauma als seelische Verletzung,

Traumatologie, Traumatherapie (Bereich der Chirurgie, medizinische Behandlung der körperlichen Verletzung) versus Psychotraumatologie, Psychotraumatherapie (Erforschung der Ursachen seelischer Verletzungen und Psychotherapie der seelischen Verletzungen).

In diesem Buch werden vorrangig die semantisch richtigen Begriffe „Psychotrauma, Psychotraumatherapie, Psychotherapie Traumatisierter, traumazentrierte Psychotherapie“ alternierend anstatt der inhaltlich falschen, aber eingebürgerten Begriffe „Trauma“ und „Traumatherapie“ verwendet.

Lediglich in der Beschreibung des Grundkonzeptes wird „traumatischer Stress“ als Begriff beibehalten, weil er sich als terminus technicus etabliert hat. Zudem war das Konzept zunächst historisch im Jahr 1981 – zum Zeitpunkt der WHO-Anerkennung der PTBS als „Mutter der Diagnosen“ – im Kontext toxischen Stresses medizinnahe.

Diese Überlegungen sind in der Psychotraumatologie und Psychotraumatherapie keine akademischen Diskussionen, sondern die Unterscheidungen fließen ein in Diagnostik, in die therapeutische Haltung den psychisch traumatisierten Patienten gegenüber sowie in die Behandlung.

3.2 Traumatischer Stress

3.2.1 Ursprünge und erste Vorläufer

Erstmals erwähnt wurde eine Reflexreaktion auf Gefahr um 1930 von Walter B. Cannon als biologisch sinnvolle Anpassungsreaktion im Sinne des „Kampf-Flucht-Reflexes“ durch die Aktivierung des sympatho-adrenalen Systems. Cannon war ein US-amerikanischer Physiologe (1871–1945) und beschrieb dies als Notfallreaktion. Er hatte bei verschiedenen Säugetieren beobachtet, dass in als Gefahr wahrgenommenen Situationen abrupt und unmittelbar das Herz kräftiger und schneller schlug, die Pulsfrequenz zunahm und die peripheren Muskeln besser durchblutet wurden, um Kampf und/oder Flucht sofort in Gang setzen zu können. Dies ermöglicht die Auflösung der gefährlichen Situation (Cannon 1932).

Dies ist die Basis des später beschriebenen Leitsymptoms „Hyperarousal“ in posttraumatischen Störungen – nach Situationen, durch die der Körper in der grundsätzlich sinnvollen Stressreaktion „stecken bleibt“, weil aus verschiedenen Gründen keine Auflösung der Situation stattfindet (Fischer / Riedesser 2023, Besser 2013, Huber 2020, Sachsse 2003).

Auch ohne „Gefahr für Leib und Leben“ kennen wir diese Reaktion im Sinne einer gesunden Reaktion auf Herausforderungen verschiedener Art: vor Prüfungen, beim Sprint zur Straßenbahn, vor aufregenden Gesprächen usw.

Hier ist sie als gesunde Eustress-Reaktion zu verstehen. Diesen Begriff führte Hans Selye (1902–1982), ein österreichisch-ungarisch-kanadischer Psychologe, nach seinen 1950 begonnenen Forschungen (Selye 1950, Szabo et al. 2012) um 1970 im Unterschied zur gesundheitsschädlichen Distress-Reaktion ein.

Er unterschied auch als Erster zwischen „Stressoren“ – verschiedenen belastenden Faktoren, die auf den Organismus einwirken – und der „Stressreaktion“ – dem, was diese hervorrufen können.

Diese Unterscheidung ist für das Verständnis und die Behandlung von Psychotrauma sehr wesentlich, einerseits im Sinne der Psychoedukation, aber auch zur sogenannten „Triggeridentifikation“ – der Frage, der sich Therapeut und Patient in der traumaspezifischen Anamnese genau widmen: „Was genau führt wann warum zu meiner/dieser Reaktion“?

Die Überlegungen stehen durchaus in der Tradition eines weiteren Stressforschers, Richard Lazarus (1922–2002). Er betonte den Zusammenhang zwischen dem Stressreiz an sich und der subjektiven kognitiven Bewertung und beschrieb Mitte der 1970er Jahre die „transaktionale Stresstheorie“ (Lazarus / Folkman 1984, Fischer / Riedesser 2023).

Die Diskrepanz zwischen real Erlebtem und der möglicherweise differierenden, aber stärkeren subjektiven Bewertung und daraus folgenden Reaktion ist auch in der modernen Behandlung von Psychotraumafolgestörungen ein zentrales Anliegen (s. auch zentrale Definition Fischer / Riedesser 2023, Kap. 3.2.2): Was führt jenseits des ersten Reflexes aufgrund der subjektiven und individuellen Reaktion und Interpretation des Individuums und seiner Bewältigungsmechanismen zu welcher kognitiv-emotional-körperlichen Reaktion? So ist es ein Unterschied, ob jemand, der gerade einen Selbstverteidigungskurs gemacht hat, überfallen wird, sich wehren kann und dies als Erfahrung von Wehrhaftigkeit und kleine Heldentat einordnet und konnotiert, oder ob jemand hilflos zusammengeschlagen wurde und ein Maximum an Ausgeliefertsein erlebte.

Belastung kann sogar durch die...

Erscheint lt. Verlag 8.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
ISBN-10 3-497-61913-2 / 3497619132
ISBN-13 978-3-497-61913-9 / 9783497619139
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