Menschen in ihren politischen Anzügen -  Ulrich Sollmann

Menschen in ihren politischen Anzügen (eBook)

Im TV-Duell und auch sonst wo
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2024 | 1. Auflage
172 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-8098-0 (ISBN)
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Politiker sind jetzt mehr im Rampenlicht als je zuvor. Die Politik dreht sich immer mehr um die Personen hinter den Entscheidungen. Das führt dazu, dass Politik immer mehr zu einem Spektakel in den Medien wird. Wenn ein Politiker häufig im Fernsehen, in Zeitungen und vor allem im Internet zu sehen ist, bekommt er mehr Aufmerksamkeit. In diesem Buch geht es darum, wie man Politiker auf eine neue Weise betrachten und verstehen kann. Es zeigt, wie man typische Verhaltensmuster und Wirkungen in der politischen Kommunikation erkennen kann, wie zum Beispiel Körpersprache, Emotionen, Macht oder auch Stress. Es behandelt auch Themen wie Politiker-Bashing, populistische Methoden und sogar physische Gewalt.

Ulrich Sollmann, Sozialpsychologe, Coach und Politikberater, Publizist und Blogger (www.carl-auer.de/magazin/koerper )

III. PERSONIFIZIERUNG IN DER POLTIK


Ein Blick zurück in die Zeit der ersten TV-Duelle im deutschen Fernsehen: Bis Ende der 1990er Jahre bestimmten vornehmlich die Ideen die Politik, heute sind es die Personen, so damals der Psychologie-Professor Siegfried Frey. Heute hat jede Politik ihr „Gesicht“, nämlich das desjenigen Politikers, der sie vertritt. Nachrichten über Politiker wirken als Video-Clip wie ein außerordentlich überzeugendes “visuelles Zitat“. Diese virtuellen Zitate bringen völlig neue Kriterien der Politik-Beurteilung ins Spiel. Dem Fernsehzuschauer werden die Nuancen von Aussehen, Mimik und Gestik zugänglich, „an der sich die soziale Wahrnehmung orientiert“.

Wahlkampf und Politik haben sich zu einem Medienspektakel gewandelt.

Die Politiker selbst inszenieren sich als Medienereignis. Politik wird zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie und schon im September 1998 wurde klar, dass erstmals das Fernsehen in Deutschland die Wahl gewonnen hatte. Die sonst so vertrauten, rituellen Wortgefechte der Politiker waren „stink langweilig“ geworden (FAZ). Daher kaum noch „ernst genommen“. Die Wahlwerbung der Parteien fand “zwischen Müsli und Zahncreme“ (Die Zeit) statt. Auch wenn die politischen Parteien um jeden Preis auffallen wollten, fanden sie immer weniger Aufmerksamkeit. Dies resultiert weniger aus den fehlenden, klaren politischen Aussagen der Partei, als aus eben dieser Personifizierung der Politik.

Spätestens die Clinton-Affäre hat damals demonstriert, „wie künftig mit komplexer Politik umgegangen wird“ (taz). Wird man in Zukunft nur noch darüber lesen, wie die Politiker leben? Wie sie mit wem Sex haben? Und dann bis ins kleinste Detail?

Die ständig mit Werbespots bediente Spaß- und Erlebnisgesellschaft hat den Individualismus zum Fetisch erhoben. „Wählen gehen“ wird zu einem Lifestyle-Phänomen unter vielen. Politik zur Personality-Show. Politische Kompetenz zum Image von politischer Kompetenz. Dieses wird, medial inszeniert, zum Erfolgsfaktor Nr. 1. So hat es beispielsweise die Berlusconi-Firma Fininvest mit ihren privaten Fernsehsendern 1994 in nur knapp 2 Monaten geschafft, einen für den Wahlausgang entscheidenden Wählerzuwachs von 12% zu erreichen. Mediale inszenierte politische Wahlkämpfe werden heute in den Meinungsarenen wie X (ehemals Twitter), Instagram, TikTok u.a. gefochten. Immer schneller, immer lauter und immer brutaler.

Medienpräsenz ist zur Erfolgsbedingung für Politiker geworden. Wie steht es aber um das schwierige Verhältnis von Medien und Politikern? Wie wirken Politiker erfolgreich als medial inszenierte Figuren? Wie gestaltet sich das Zusammenspiel von Medienmaske und Persönlichkeit des Politikers?

Personifizierung in der Politik beschränkt sich inzwischen nicht mehr nur auf die Wirkung eines einzelnen Politikers in der Öffentlichkeit. Parteien bauen „Frontmänner und Frontfrauen“ auf, im Bemühen als Partei ein „Gesicht zu bekommen“. Talkmaster unterhalten sich seit einigen Wochen verstärkt zu Anfang mit einem einzelnen Politiker, um dann die Gesprächsrunde für andere Gäste zu öffnen. Diese beziehen sich dann primär auf den zuvor vorgestellten Politiker.

Personifizierung in der Politik beeinflusst inzwischen nicht nur die Inhalte, sondern auch die Struktur von neuen Medienformaten.

Nicht nur das: Es gibt in Deutschland seit kurzem die erste Partei, die als Namenspartei in den Ring der Wahlarena steigt. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine Markenpartei. Alles dreht sich um Sahra Wagenknecht. Das Bündnis Sahra Wagenknecht verzichtet in ihrem Namen bewusst auf die Bezugnahme auf seine politische Ausrichtung. Das Bündnis Sahra Wagenknecht macht nur vage deutlich, für welche Wählergruppen sie eintritt. Stattdessen schart man sich um eine einzige Person, die Namensgeberin des Bündnisses ist. Nicht die politische Überzeugung oder entsprechende Programme sind relevant. Alles dreht sich um eine einzige Person. Sie wird gewählt. Sie gibt die Richtung vor. Sie lädt ein zur persönlichen Identifikation. Diese scheint dann wichtiger zu sein als die vom Bündnis vertretene politische Position.

Andere populistische Parteien leben von ihren jeweiligen Frontfiguren, in der Hoffnung, dass diese die Wähler für sich faszinieren und „einnehmen“ können. Und doch tritt Trump z.B. als Republikaner auf und will mithilfe der Republikaner gewählt werden.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht steht für sich selbst nämlich für Sarah Wagenknecht. Daher verwundert das Bemühen des Bündnisses nicht, streng auf die Aufnahme neuer Mitglieder zu achten. Man beschränkt nicht nur die Zahl der Mitglieder, sondern wählt Interessenten gezielt und sorgsam aus. Es ist zu vermuten, dass Mitglieder zu Sahra Wagenknecht „passen müssen“. Trägt dies Verhalten eventuell, so könnte man sich fragen, fast schon prinzipiell absolutistische Züge?

Bilder statt Worte

Ein Blick zurück. Besonders das Fernsehen hat einen neuen Typus des Berufspolitikers geboren, nämlich den „professionellen Polit-Entertainer und Showman“ (FR). Der frühere US-Präsident und ehemalige Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan war der erste Politiker, der das Präsidentenamt als Kinofilm inszenierte. Reagan wurde ein vollendeter Darsteller eines Präsidenten, so der Reagan-Biograph Lou Cannon, der seine Darstellungskunst zeigen wollte und “gute Laune statt Politik verkaufte“. Ganz im Sinne Reagens („wenn man sein Publikum mag, will man es auch glücklich machen“) fingen die Medien nach der Reagan-Ära an, mit der Politik genauso zu verfahren, wie mit jeder konventionellen Unterhaltungsform. John F. Kennedy Jr., Sohn des verstorbenen Präsidenten, reihte schließlich Politik in das populär-kulturelle Leben ein, neben Sport, Musik und Kunst. Er gründete das politische Magazin “George“, das Politik explizit als Politainment begreift.

Die Geschichte der TV-Duelle in der Politik begann in den USA während der Präsidentschaftswahlen 1960 zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon. Das erste TV-Duell fand am 26. September 1960 statt und wurde landesweit ausgestrahlt. Es war ein wegweisender Moment, der die Bedeutung des Fernsehens als politisches Kommunikationsmedium unterstrich.

Kennedy und Nixon trafen sich in einem Studio in Chicago und debattierten über verschiedene Themen, darunter Außenpolitik, Wirtschaft und innere Angelegenheiten. Kennedy erschien jugendlich, charismatisch und selbstbewusst, während Nixon nach einer Krankheit blass und erschöpft wirkte. Das Fernsehpublikum neigte dazu, Kennedy als den Sieger zu betrachten, während diejenigen, die das Duell im Radio hörten, dazu neigten, Nixon als den Gewinner zu sehen. Dies unterstrich die Macht der visuellen Darstellung in TV-Duellen und deren potenziellen Einfluss auf die öffentliche Meinung.

Seitdem sind TV-Duelle zu einem festen Bestandteil vieler politischer Kampagnen auf der ganzen Welt geworden, darunter Präsidentschaftsdebatten, Kandidatenforen und Debatten zwischen Spitzenkandidaten für verschiedene Ämter. Sie bieten den Wählern die Möglichkeit, die Kandidaten direkt miteinander zu vergleichen und ihre Standpunkte zu wichtigen Themen zu hören. Die Geschichte der TV-Duelle in der Politik ist also ein besonderes, inzwischen unverzichtbares Kapitel in der Entwicklung moderner politischer Kommunikation.

Das erste TV-Duell zeigte die Bedeutung der visuellen Darstellung für die öffentliche Wahrnehmung. Die visuelle Diskrepanz zwischen der Wirkung von Kennedy und Nixon wurde zu einem wichtigen Faktor für die Zuschauer, die den Sieger des Duells bestimmten. Die Medien spielten eine entscheidende Rolle bei der Berichterstattung über das TV-Duell und seiner Auswirkungen auf die Wahlen. Kennedy wurde oft als Sieger des Duells dargestellt, und dies trug zu seinem Image als dynamischer und überzeugender Führer bei. Nixon hingegen musste sich mit Kritik an seiner Präsentation im Fernsehen auseinandersetzen. Das erste TV-Duell von 1960 hatte weitreichende Auswirkungen auf die politische Landschaft. Es unterstrich die Bedeutung des Fernsehens als politisches Kommunikationsmedium und zwang Kandidaten, ihre visuelle Präsentation zu berücksichtigen. Zukünftige TV-Duelle wurden zu einem festen Bestandteil vieler politischer Kampagnen auf der ganzen Welt, wobei Kandidaten sorgfältig die Art und Weise berücksichtigten, wie sie im Fernsehen wahrgenommen wurden.

Die Prominenzierungsforschung bescheinigt schon seit mehr als 30 Jahren demjenigen ein Höchstmaß an Bekanntheitsgrad und Prominenz, der kontinuierlich vor allem mit seinem Bild in den Medien erscheint. Es spielt dabei weniger eine Rolle, um was es dabei geht. “Den kenn ich doch“, empfindet der Medienkonsument aufgrund einer geheimnisvollen Teilidentifikation.

Im Wahlkampf 1998 setzten daher die Parteien erstmals in großem Umfang auf Aktionen und Inszenierungen, die „auf das Fernsehbild und nicht auf das Straßenbild“ abzielten. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder entwickelte 1998 durch die Darstellung...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
ISBN-10 3-7597-8098-9 / 3759780989
ISBN-13 978-3-7597-8098-0 / 9783759780980
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