Apokalypse -

Apokalypse (eBook)

Theologisch-praktische Quartalschrift 2/2024
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
112 Seiten
Verlag Friedrich Pustet
978-3-7917-6252-4 (ISBN)
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Angesichts von Krisen, Bedrohungen und Ängsten gewinnen apokalyptische Vorstellungen gleichermaßen in religiösen wie in säkularen Kontexten an Popularität. Auch den politischen und gesellschaftlichen Diskurs prägt zunehmend ein apokalyptischer Ton, der zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung changiert. Heft 2/2024 Apokalypse enthüllt Narrative von der Antike bis zur Gegenwart und deckt ihre polarisierenden und inspirierenden Potenziale auf.

Theresia Heimerl

Der Trost der Apokalypse


Apokalypse als „gelehrte, geglaubte und gelebte“ Endzeiterwartung verbunden mit der Hoffnung auf eine neue, bessere Welt ist so alt wie das Christentum selbst. Mit der Johannesoffenbarung steht eine erste apokalyptische Deutung der Welt zur Verfügung, die im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich aufgegriffen wurde. Wie die Vorstellung des Weltuntergangs seit dem frühen Mittelalter immer wieder neu in die gesellschaftliche Wirklichkeit der jeweiligen Epochen hinein aktualisiert wird und welche Veränderungen zu beobachten sind, führt uns die Autorin vor Augen. (Redaktion)

„Die Wege des Antichrist sind langwierig und verschlungen. Er kommt, wenn wir ihn am wenigsten erwarten – nicht, weil die Berechnungen falsch wären, die der Apostel uns nahelegt, sondern weil wir nicht gelernt haben, sie zu deuten.“1 So lässt Umberto Eco den blinden Bibliothekar Jorge von Burgos in seinem Roman „Der Name der Rose“ sagen. Zu diesem Zeitpunkt, dem frühen 14. Jahrhundert, in dem die Handlung situiert ist, hat das Christentum bereits mehr als 1000 Jahre an gelehrter, geglaubter und gelebter Endzeiterwartung hinter sich – und noch viele Interpretationen der Apokalypse in den folgenden Jahrhunderten vor sich.

Der vorliegende Beitrag will die Entwicklung dieses Konglomerats an Vorstellungen vom Ende der bestehenden und Anbruch einer neuen Welt auf der Basis der biblischen Apokalypse des Johannes in ihren zentralen Momenten seit dem Ende des Frühmittelalters nachzeichnen. Als Basis hierfür dient der Klassiker „Die Sehnsucht nach dem Millennium“2 von Norman Cohn, der bereits 1957 beinahe hellsichtig den Zusammenhang von Weltuntergangsimaginationen und gesellschaftlichen Utopien sowie deren dystopische Verwirklichungsversuche vom 10. bis zum 17. Jahrhundert nachzeichnete. Als grundlegendes Deutungsparadigma möchte ich wiederum auf Umberto Eco und seine erstmals 1964 erschienen Überlegungen mit dem Titel „Apokalyptiker und Integrierte“3 zurückgreifen, da mir diese – zumal in Verbindung mit Cohn – am besten die Denkfigur der Apokalyptik in der longue durée jenseits einer rein religiösen Interpretation zu fassen scheinen. Das Ziel des Beitrags ist in diesem Sinn einerseits, einen Überblick der Entwicklung apokalyptischer Weltdeutung seit dem ausgehenden Frühmittelalter zu geben, und andererseits, das ihr zugrundeliegende Denkmuster in seiner Kontinuität, aber auch seinen Veränderungen sichtbar zu machen.

1. Trost und Schrecken der Apokalypse nach Umberto Eco


„Im Grunde genommen tröstet der Apokalyptiker den Leser; er läßt ihn, vor dem Hintergrund der drohenden Katastrophe, die Existenz einer Gemeinschaft von ‚Übermenschen‘ erahnen, die sich über die Banalität und den ‚Durchschnitt‘ zu erheben vermögen (und sei es auch nur durch Ablehnung) […] die einzigen, die verstanden haben und gerettet sind, die einzigen, die nicht Masse sind.“4

Eco zeigt hier einen Zugang zum Thema Apokalyptik auf, der Theologinnen und Theologen verstören mag, bei einer strukturellen Betrachtung der christlichen Apokalyptik aber schwer zu leugnen ist: Bereits die Offenbarung des Johannes lebt ja nicht davon, Schrecken um des Schreckens willen in grellen Farben auszumalen, sondern davon, dass die Leser diese Schrecken anders als ihre Umwelt nicht nur im Vorhinein wissen und dementsprechend bei ihrem Eintreffen in eine große Weltdeutung einordnen können. Die Faszination der Offenbarung des Johannes und ihrer Interpretationen liegt weit über das Mittelalter hinaus darin, dass die Wissenden nach all diesen Schrecken eine neue, bessere Welt nach ihren Vorstellungen vorfinden werden. Dieses Deutungsmuster findet sich bis in die säkularen Filmapokalypsen Hollywoods immer wieder und widerspricht damit der heute wohl gängigen Deutung von „Apokalypse“: Es geht jenen, die das Eintreffen apokalyptischer Ereignisse verkünden, nicht um abgrundtiefe, panische Angst vor dem Ende der Welt, sondern darum, durch diese Ereignisse hindurch in eine neue Welt, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schreiten – die sie ganz nach ihren Vorstellungen einer vollkommenen Welt gestalten können und in der sie leben und herrschen werden, während ihre Feinde vernichtet sind. Apokalypse ist eine Form von Elitenbildung, auch wenn dies auf den ersten Blick den von Norman Cohn für das Mittelalter und die frühe Neuzeit beschriebenen sozialrevolutionären, ja beinahe protokommunistischen Bewegungen zuwiderzulaufen scheint. Die „Sehnsucht nach dem Millennium“ jener Bewegungen ist im Mittelalter die Sehnsucht einer selbsternannten Elite, die sich als unterdrückte Minderheit parallel zu den Christen in der Johannesoffenbarung versteht. Sie und nur sie wird nach dem Umsturz der herrschenden Verhältnisse und dessen Chaos als einzige einen Plan für die Errichtung des neuen Jerusalems haben – manchmal sogar im wörtlichen Sinn wie Johann (Jan) von Leiden. Dieses Paradigma, das uns weit weg und versunken in den Wirren dunkler Zeiten scheint, findet seine Fortsetzungen in religiösen wie säkularen Formen bis ins 21. Jahrhundert.

2. Apokalyptische Bewegungen im Mittelalter


Im frühen Mittelalter sind Überlegungen zum Anbruch der Schrecken aus der Johannesoffenbarung noch eine Sache für Gelehrte. Am bekanntesten ist der burgundische Mönch Adso von Montier-en-Der (um 910–992) mit seiner Schrift „Über Ursprung und Zeit des Antichristen“ („De ortu et tempore Antichristi“), in welcher er von der Ankunft des Antichristen sowie der dieser vorangehenden Ankunft eines Friedenskaisers schreibt. Die große Angst vor dem Ende der Welt mit dem Jahr 1000, wie sie eine Zeit lang von Historikern behauptet wurde, lässt sich als Massenphänomen jedoch nicht nachweisen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil der Bildungsgrad weiter Teile der Bevölkerung die Kenntnis der genauen Datierung von Christi Geburt noch gar nicht zuließ.5 Was sich aber bereits in der Theorie Adsos zeigt, ist die Tendenz, den biblischen Text mit einer halb politischen, halb mythischen Gestalt zu verbinden und damit das für apokalyptische Bewegungen bis in die Gegenwart oft prägende Element des messianischen Anführers einzuführen. Erste historisch greifbare Beispiele sind Tanchelm von Antwerpen († 1115) und der Bretone Éon (oder Eudes) de l’Étoile Mitte des 12. Jahrhunderts, die sich beide von kirchenkritischen Wanderpredigern zu einer Art wiedergekehrten Christus entwickelten und das mit ihnen anbrechende Ende der Welt verkündeten. Beider Auftreten ging mit sozialen Unruhen und Plünderungen durch ihre Anhängerschaft einher – und beide Männer fanden ein gewaltsames Ende.

Eine andere Dimension gewann die Angst vor dem Anbruch der Apokalypse erst ab dem 13. Jahrhundert. Die zunehmend instabilen politischen Verhältnisse, verbunden mit ökonomischen Verschlechterungen (Hungersnöten) und wiederkehrenden Pestwellen ab den späten 1340er Jahren, beflügelten das Gefühl, in einer Endzeit zu leben und die apokalyptischen Reiter bereits am Werk zu sehen. Ein ganz wesentliches Element bildeten darüber hinaus die ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts immer zahlreicher werdenden Bestrebungen nach intensiver individueller Frömmigkeit verbunden mit Kritik an einer Kirche, die genau dieses Bedürfnis nicht mehr zu bedienen wusste. Aus diesen Bestrebungen entspringen viele der Bewegungen, die Cohn für das Spätmittelalter behandelt. Ihre Protagonisten verstehen sich als Teil einer spirituellen Elite, die durch unterschiedliche Praktiken (Visionen, Unio-Erfahrungen, Geißelung) eine direkte Verbindung zu Gott hat, aus der auch das besondere Wissen um seine Pläne für den Fortgang der Welt abgeleitet wird. Erst ihre Interpretation macht aus gelehrten Spekulationen wie jener Adsos von Montier-en-Der, vor allem aber jener Joachim von Fiores (um 1135–1202), eine Handlungsanleitung, nach der konkrete Ereignisse der Gegenwart, etwa auch Naturerscheinungen oder Naturwunder, als Indizien der heilsgeschichtlichen Umbruchs- und Endzeit dechiffriert werden können. Die Kirchen- und Kleruskritik, die bereits zuvor in den Armutsbewegungen und bei ihren Vorläufern wie Arnold von Brescia (um 1090–1155) präsent ist, wird nun zentraler Teil einer apokalyptischen Weltdeutung: Das Ende der alten Welt und die in der Offenbarung beschriebenen Schrecken zeigen sich im moralischen Verfall der Kirche – oder mehr noch: als die Feindbilder des biblischen Textes werden nun zeitgenössische Gestalten identifiziert oder diese zumindest zu deren Wegbereitern gemacht. Diese Gleichsetzung der Kirche und ihrer höheren Weiheträger mit dem Antichrist und seinem Reich war „im späteren Mittelalter für alle eschatologisch Denkenden schon längst ein Gemeinplatz“6, der durch das „Avignoner Exil“ der Päpste ab 1309 zusätzlich genährt wurde und mit dem „Abendländischen Schisma“ (1378–1417) selbst einfachen Gläubigen nicht mehr erklärt zu werden...

Erscheint lt. Verlag 4.4.2024
Reihe/Serie Theologisch-praktische Quartalschrift
Verlagsort Regensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Hoffnung • Hoffnungslosigkeit • Krise • Theologie
ISBN-10 3-7917-6252-4 / 3791762524
ISBN-13 978-3-7917-6252-4 / 9783791762524
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