Eva (eBook)
768 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-23759-2 (ISBN)
AUF DER SHORTLIST ZUM »WISSENSCHAFTSBUCH DES JAHRES« 2025:
Ein völlig neuer Blick auf den Ursprung der Menschheit, der unser Denken über den weiblichen Körper grundlegend verändern wird: »EVA überrascht, klärt auf und macht Mut.« - Bonnie Garmus, Bestsellerautorin von »Eine Frage der Chemie«
Warum menstruieren Frauen? Sind sie immer das schwächere Geschlecht? Ist Sexismus nützlich für die Evolution? Und wie haben Ammen die Zivilisation vorangetrieben? Viel zu lange hat sich die Wissenschaft fast ausschließlich auf den männlichen Körper konzentriert. Erst in den vergangenen 15 Jahren haben Forscher verschiedener Fachbereiche neue spannende Entdeckungen dazu gemacht, wie sich der weibliche Körper in den letzten 200 Millionen Jahren entwickelt hat, wie er funktioniert und was es wirklich bedeutet, biologisch eine Frau zu sein. Auf der Basis dieser Erkenntnisse unternimmt die Forscherin und Journalistin Cat Bohannon eine Neubeschreibung der Geschichte des Frauseins. Akribisch recherchiert und lebendig erzählt zeichnet sie den Entwicklungsverlauf des weiblichen Körpers nach und rückt dabei unser Wissen über die Evolution und darüber, warum der Homo sapiens eine so erfolgreiche und dominante Spezies geworden ist, in ein ganz neues Licht. »Eva« knüpft dort an, wo Hararis »Sapiens« aufgehört hat. Das Buch ist nicht nur eine tiefgreifende Revision der Menschheitsgeschichte, sondern auch ein dringend notwendiges Korrektiv für eine Welt, die bis vor kurzem vor allem den Mann im Blick hatte.
Cat Bohannon hat über die Evolution des Denkens und Geschichtenerzählens promoviert und arbeitet heute als Forscherin und Autorin. Ihre Essays und Gedichte erschienen unter anderem in Scientific American, Mind, Science Magazine sowie in literarischen Zeitschriften. »Eva« ist ihr erstes Buch, das sofort ein New-York-Times-Besteller wurde, auf zahlreichen Listen als bestes Sachbuch des Jahres 2023 und auf der Longlist des Women's Prize for Nonfiction 2024 stand. Bohannon lebt mit ihrer Familie in Seattle.
Einleitung
So war es. Wir erkannten einander und empfingen einander in einer Dunkelheit, die ich in Erinnerung habe wie in Licht getaucht. Dies also will ich Leben nennen.[1]
Adrienne Rich, »Ursprünge und Geschichte des Bewusstseins«
Elizabeth Shaw hat ein Problem. Regisseur Ridley Scott hat ihr einen fiesen, krakenähnlichen Alien eingepflanzt. An Bord des Raumschiffs Prometheus setzt sie nun alles daran, den ungebetenen Gast wieder loszuwerden, ohne dabei zu verbluten. Sie schleppt sich zu einer futuristischen Operationseinheit und verlangt nach einem Kaiserschnitt. »Fehler«, meldet der Computer. »Dieser Medpod ist für männliche Patienten kalibriert.«
»Scheiße«, zischte eine Frau hinter mir. »Wer macht so was?«
Es folgt eine schauerliche Szene[2], in der Laser, Heftklammern und Tentakel vorkommen. Als ich 2012 in einem New Yorker Kinosaal saß und mir obiges Prequel zu Alien anschaute, dachte ich tatsächlich: Ja, wer macht so was? Wer schickt eine Abertrillionen teure Expedition ins All und vergisst, dass die Ausrüstung auch für Frauen funktionieren muss?
Leider macht die moderne Medizin oft genau das. Antidepressiva werden in Standarddosen an Männer wie Frauen verabreicht, obgleich es deutliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Geschlechter darauf unterschiedlich reagieren.[3] Auch Schmerzmittel werden ohne Blick auf das Geschlecht verschrieben, trotz übereinstimmender Belege, dass Frauen auf manche der Medikamente weniger gut ansprechen.[4] Frauen haben ein größeres Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben[5], obgleich sie ein geringeres Risiko haben, einen solchen zu erleiden – die Symptome sind bei den Geschlechtern unterschiedlich, und so werden sie von den betroffenen Frauen wie von den behandelnden Ärzten[6] oft nicht rechtzeitig erkannt. Narkosemittel[7], Alzheimermedikamente[8] und selbst die öffentliche Gesundheitsbildung[9] haben das große Manko, dass sie fälschlicherweise davon ausgehen, die Körper von Frauen seien vielleicht etwas molliger und weicher, aber abgesehen von ein paar entscheidenden Dingen untenherum würden sie sich nicht von Männerkörpern unterscheiden.[10]
Und natürlich berücksichtigen nahezu alle Studien, denen diese Einschätzung zugrunde liegt, ausschließlich Cis-Personen – in der Welt der Forschung gibt es kaum Aufmerksamkeit dafür, was in den Körpern von Menschen geschieht, denen bei Geburt das eine oder andere Geschlecht zugewiesen wird, die sich später aber anders identifizieren. Zum Teil liegt das an dem gewaltigen Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht – das tief mit unserer körperlichen Entwicklung verwoben ist, und zwar von den Zellorganellen bis hin zu den äußeren Körpermerkmalen, und sich über Milliarden Jahre der Evolution herausgebildet hat – und der fluiden, kognitiven Geschlechtsidentität, die höchstens einige Hunderttausend Jahre alt ist.*
Doch das ist nicht alles. Im Kern geht es darum, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem biologisch weiblichen Körper bis vor erschreckend kurzer Zeit weit hinter der Erforschung des männlichen Körpers zurückgeblieben ist. Dabei ist es nicht nur so, dass Ärzte und Wissenschaftler sich nicht die Mühe machen, nach geschlechtsspezifischen Daten zu suchen. Vielmehr gab es diese Daten bis vor Kurzem einfach nicht. Von den ab 1996 bis 2006 in der wissenschaftlichen Zeitschrift Pain veröffentlichten Tierstudien bezogen sich 79 Prozent ausschließlich auf männliche Versuchsobjekte.[11] Vor den 1990er-Jahren zeigten die Erhebungen sogar ein noch deutlicheres Ungleichgewicht. Und das ist keinesfalls die Ausnahme, denn Dutzende Zeitschriften berichten dasselbe. Der Grund für diesen blinden Fleck in Bezug auf den weiblichen Körper – ob wir nun von grundlegender Biologie oder von personalisierter Medizin sprechen – ist nicht allein Sexismus. Es handelt sich um ein intellektuelles Problem, das zu einem gesellschaftlichen Problem wurde: Lange Zeit haben wir den geschlechtlichen Körper und seine Erforschung vollkommen falsch aufgefasst.
In den Biowissenschaften gibt es immer noch so etwas wie die »männliche Norm«**. Von der Maus bis zum Menschen ist es der männliche Körper, der im Labor untersucht wird.[12] Wenn es nicht gerade um Eierstöcke, die Gebärmutter, Östrogene oder Brüste geht, kommen Mädchen und Frauen einfach nicht vor. Denken Sie einmal nach, wann Sie das letzte Mal von einer medizinischen Studie gehört haben, die neue Erkenntnisse zum Thema Fettleibigkeit, Schmerztoleranz, Gedächtnisleistung oder das Altern liefert: Es ist mehr als wahrscheinlich, dass diese Studie keine weiblichen Versuchsobjekte einbe zogen hat. Und das gilt nicht nur für Mäuse, sondern auch für Hunde, Schweine, Affen und allzu oft auch für Menschen. Wird ein neues Medikament für klinische Studien, also die Testung am Menschen, freigegeben, wurde seine Wirkung davor womöglich überhaupt nicht an weiblichen Tieren erforscht. Wenn wir also sehen, wie Elizabeth Shaw den misogynen Sci-Fi-Medpod anschreit, sollten wir nicht nur Schrecken und Mitleid und Fassungslosigkeit empfinden. Wir können uns auch bestätigt fühlen.
Doch warum ist das bis heute so? Sollten Wissenschaft und Forschung nicht objektiv sein? Geschlechterneutral? Der empirischen Methode verpflichtet?
Als ich zum ersten Mal von der männlichen Norm erfuhr, fiel ich aus allen Wolken – nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich zu dieser Zeit als Doktorandin an der Columbia University arbeitete, wo ich mich mit der Entstehung von Narration und Kognition – einfach ausgedrückt: mit Gehirnen und Geschichten und ihrer 200 000 Jahre alten Vergangenheit – beschäftigte. Ich hatte an verschiedenen hochrangigen Instituten für Bildung und Wissenschaft gelehrt und geforscht. Daher nahm ich an, ich hätte einen ziemlich guten Überblick über die Situation von Frauen in der modernen Hochschulwelt. Ich hatte zwar ein paar grenzwertige Dinge beobachtet, persönlich aber hatte ich im Labor noch nie Sexismus erlebt. Die Vorstellung, dass sich ein Großteil der Biowissenschaften immer noch auf eine »männliche Norm« stützte, lag mir absolut fern. Ich bin Feministin, aber mein Feminismus war eher praktischer Natur: Allein, dass ich als Frau quantitative Forschung betrieb, genügte mir als revolutionärer Akt. Und ganz ehrlich, die Biologen, Neurowissenschaftler, Psychologen und Biophysiker, mit denen ich zu tun hatte – von den Leuten, mit denen ich zusammenarbeitete, bis zu den Leuten, mit denen ich ausging –, gehören zu den weltoffensten, liberalsten, aufgeräumtesten und intelligentesten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass diese gutherzigen Leute eine systemische Ungerechtigkeit am Leben hielten – noch dazu eine Ungerechtigkeit, die ihre eigene Wissenschaft und Forschung schädigt.
Aber es ist nicht allein ihre Schuld. Viele Forschende greifen aus rein praktischen Gründen auf männliche Versuchsobjekte zurück, denn die Auswirkungen der weiblichen Fruchtbarkeitszyklen sind insbesondere bei Säugetieren nur schwer zu kontrollieren. Der weibliche Körper wird in regelmäßigen Abständen von einem komplexen Hormongemisch überschwemmt, da erscheint der Einfluss der männlichen Sexualhormone nun mal stabiler. Ein gutes wissenschaftliches Experiment soll übersichtlich sein und so wenig Störfaktoren wie möglich aufweisen. Ein im Labor eines Nobelpreisträgers tätiger Postdoc sagte einmal zu mir, die Verwendung männlicher Probanden erleichtere es, »saubere Forschung« zu betreiben. Was heißen soll, dass man die Variablen leichter kontrollieren kann, wodurch die Daten mit weniger Aufwand interpretierbar sind und die Ergebnisse aussagekräftiger werden. Dies gilt insbesondere für die komplexen Systeme innerhalb der Verhaltensforschung, kann aber auch bei grundlegenden Dingen wie dem Stoffwechsel ein Problem darstellen. Die Einbeziehung des weiblichen Fortpflanzungszyklus gilt als kompliziert und teuer[13] – der Eierstock wird da zum »Störfaktor«. Wird also nicht ausdrücklich eine frauen- oder weibchenspezifische Frage erforscht, bleibt das weibliche Geschlecht außen vor. Denn dann laufen die Experimente schneller, die Arbeiten erscheinen früher, und es gibt mit größerer Wahrscheinlichkeit Fördergelder und eine Festanstellung.
Aber solche Entscheidungen zur »Vereinfachung« werden noch durch ein viel älteres Verständnis des geschlechtlichen Körpers veranlasst und verfestigt. Nun glauben zwar ernst zu nehmende Wissenschaftler nicht mehr, dass die Frau aus Adams Rippe entstanden ist, aber die Annahme, dass der geschlechtliche Körper allein über die Geschlechtsorgane definiert und das Frausein somit nur eine kleine Abwandlung einer platonischen Idee sei, erinnert doch ein bisschen an die alte Bibelgeschichte. Diese Geschichte ist eine Lüge. Wie wir zunehmend begriffen haben, sind weibliche Körper nicht einfach nur männliche Körper mit ein paar...
Erscheint lt. Verlag | 22.5.2024 |
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Übersetzer | Ursula Held, Sigrid Schmid, Rita Gravert, Christina Hackenberg |
Zusatzinfo | mit 23 S/W-Abb. |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Eve: How the Female Body Drove 200 Million Years of Human Evolution |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | 2024 • Biologie • Biologisches Geschlecht • Biowissenschaften • Brüste • Diskriminierung Frauen • eBooks • Eierstöcke • Evolution Mensch • Evolutionsbiologie • Feminismus • feministische Geschichte • Feministische Wissenschaft • Frauenforschung • Frauengesundheit • frauen kinder • Frauenkörper • Gebärmutter • gender bias • gendereridentität • gender essentialism • Gendermedizin • geschlechtlicher körper • männliche norm • Medizin • menopause • Mütter • mütterlicher körper • Neuerscheinung • Östrogen • Schwangerschaft • Vagina • weibliche körpermerkmale • weibliches Geschlecht • weibliches körperfett |
ISBN-10 | 3-641-23759-9 / 3641237599 |
ISBN-13 | 978-3-641-23759-2 / 9783641237592 |
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Größe: 18,3 MB
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