Die List der Grafentochter -  Isabel Voss

Die List der Grafentochter (eBook)

Historischer Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
382 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-5592-4 (ISBN)
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Eine junge Frau kämpft um Freiheit und Selbstbestimmung

Thüringen, 785. Wie es die Tradition vorsieht, dient Gunhild ihrem Vater, dem Grafen Hardrad, als rechte Hand und Schildmaid. Ihr Stammesgebiet ist Teil des fränkischen Reichs unter Karl dem Großen, und Vater und Tochter sind treue Gefolgsleute Karls, der als Garant für Frieden und Wohlstand gilt. Nur eines ist ihnen ein Dorn im Auge: König Karl verlangt, dass Gunhild einen fränkischen Grafen heiratet. Aus Sicht der Thüringer darf allein der Vater entscheiden, mit wem seine Tochter eine Verbindung eingeht. Doch König Karl lässt die widerspenstige Gunhild kurzerhand entführen. Kann sie sich befreien und ihr Recht durchsetzen?

Recht und Aufstand, Liebe und Verrat - ein spannender Roman aus der Zeit Karls des Großen




<p><strong>Isabel Voss</strong> interessiert sich für Rätsel der Geschichte, seit sie als Teenager <i><b>EIN TROPFEN ZEIT</b></i> von Daphne du Maurier las. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Journalistin und Übersetzerin, bevor sie ihren ersten Roman schrieb. Voss reist gern und fühlt sich überall in der Welt zuhause, deshalb sind auch ihre Bücher an mehr als einem Schauplatz angesiedelt.</p>

1


Anfang Dezember 785,
Erphesburg,  Grafensitz der  Hardrader


Der eiskalte Nordwind pfiff durch das Fenster. Obwohl Gunhild es mit zwei Lagen Schweinsblase abgedichtet hatte, fror sie wie schon lange nicht mehr. Das mochte auch daran liegen, dass sie schlecht geschlafen hatte. Heute wäre sie am liebsten liegen geblieben, aber es half nichts. Die Pflicht rief.

Sie nahm eine dicke Wolldecke und stieß Warmunt an, der nur unwillig brummte. Eine Öllampe spendete schwaches Licht, aber es genügte, um seine trotzige Reaktion zu sehen: Mit einer schnellen Bewegung zog er sich das Fell über den Kopf.

Es war so kalt geworden, dass Gunhild angeordnet hatte, alle sollten im Rittersaal schlafen, damit sie Holz sparen konnten. Üblicherweise stand ihr und ihren Brüdern ein eigener Raum zu, ebenso wie ihren Eltern, die im obersten Stockwerk des Burgfrieds ihre Schlafkammer hatten. Sie war nicht besonders groß, aber es passte ein Bett hinein, und es war Platz für zwei Truhen, in denen Mutter und Vater ihre Gewänder aufbewahren konnten. Daneben gab es die Schreibstube, vollgestopft mit Pergamentrollen, und die Kammer für sie und ihre Brüder, in der zwei Betten standen. Gunhild schlief in dem einen, ihre Brüder in dem anderen.

»Du nichtsnutziges Wiesel, steh auf und hilf mir.« Immer musste Gunhild Warmunt an der Hand nehmen oder besser gesagt ihm in den Allerwertesten treten. Das kostete eine Menge Kraft, die sie lieber für andere Dinge eingesetzt hätte. Wann würde das endlich aufhören?

Warmunt brummte wie ein junger Bär. »Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nur eine Frau. Du musst mir gehorchen. Ich bin ein Mann.«

Gunhild seufzte. Es würde nie aufhören. Warmunt würde niemals akzeptieren, dass sie die Herrin auf der Burg war, wenn Vater und Mutter auf Reisen waren. Noch schlimmer würde es werden, sobald er von Vater zum Mann erklärt wurde. Ab da würde er sich überhaupt nichts mehr sagen lassen, von niemandem. Bis dahin würde noch einiges Wasser den Erphes hinunterfließen, und Gunhild wäre dann schon längst verheiratet und hätte damit nichts mehr zu tun. Aber vorläufig kostete es sie einiges an Nerven.

»Ein Mann? Träum weiter.«

Warmunt war dreizehn, und eigentlich hätte er, so wie ihr Bruder Giselher es tat, viel mehr mit anpacken müssen. Gunhild missbilligte, dass Mutter ihn so verhätschelte und Vater das meistens durchgehen ließ. Seit dem späten Herbst hatte sich Warmunt gedrückt, wo es nur ging. Doch wenn der Winter vor der Tür stand, bedurfte es jeder Hand, die der hohen wie der niederen Leute, damit niemand hungern musste. Immerhin hatte Warmunt bei der Getreideernte helfen müssen, doch als es darum ging, Fisch zu salzen und zu trocknen, hatte er allerlei Ausreden erfunden. Die beste war gewesen, dass er von dem Salz einen Ausschlag bekäme, dazu hatte er seine roten Arme gezeigt. Doch ihr war klar, dass er sich Brennnesseln auf die Haut geschlagen hatte. Mutter hatte ihn daraufhin vom Einsalzen befreit, und Gunhild war keine Petze, auch wenn sie sich über Warmunt schwarz geärgert hatte. Aber wenn sie das Sagen hatte, kam er nicht so leicht davon.

Warmunt rührte sich nicht.

»Du kleine Kröte! Wenn du jetzt nicht sofort aufstehst und mithilfst, wirst du heute nichts zu essen bekommen, und du wirst mit den Knechten das Eis im Graben aufhacken und Wasser tragen, bis dir die Nase abfällt.«

Giselher, der ein Jahr älter war als Warmunt, sprang auf. Die beiden waren grundverschieden, nicht nur vom Wesen her. Warmunt hatte die zierliche Figur und das weiche Gesicht seiner Mutter geerbt, Giselher war stämmig wie sein Vater, hatte den Brustkorb eines Schmiedes und ebenso starke Muskeln. Dafür musste er nicht viel trainieren. Sie kamen wie von selbst, etwas, um das ihn Warmunt natürlich beneidete, der sich zweimal so viel in Kampftechniken üben musste wie sein Bruder, um auch nur annähernd so stark zu sein. Dafür konnte er viel schneller laufen als Giselher, und so glichen sich Stärken und Schwächen aus.

Gunhild selbst hatte von beiden etwas: Sie war schlank und hochgewachsen, ihre Haare waren lang und blond, sie war nicht zierlich, aber auch nicht stämmig wie eine Bauersfrau. Sie fühlte sich wohl in ihrem Körper, den Gott ihr verliehen hatte, und wenn sie ihren Eltern Glauben schenkte, dann hatte der Herr nicht mit seinen Zuwendungen gespart und ihr ein engelsgleiches Gesicht mitgegeben.

»Ich helfe dir gerne, Schwester, wirklich«, sagte Giselher jetzt und schaute sie flehend an.

Hier und da murrte jemand, dass man doch Ruhe geben sollte, es sei mitten in der Nacht. Gunhild konnte niemandes Gesicht sehen, denn alle hatten den Kopf unter den Decken und Fellen verborgen. Aber sie kannte ihre Stimmen. Es war Dado, der Hauptmann der Wache, der sich beschwerte, weil ihm nicht bewusst war, dass der Tag schon angebrochen war.

Ein Tag, auf den sich Gunhild seit Langem gefreut hatte, denn heute, so hatte es ein Bote vor einer Woche verkündet, würden Vater und Mutter zurückkehren von ihrem Besuch bei hohen Adligen, mit denen sie wichtige Dinge zu besprechen hatten. Zum Beispiel, dass Vater seit Monaten bei König Karl vorzusprechen versuchte, um ihn der Treue der Thüringer zu versichern und ihn zu bitten, deren althergebrachte Stammesrechte nicht noch weiter einzuschränken. Dass sie seit Generationen jedes Jahr fünfhundert Schweine als Tribut zahlen mussten, war Demütigung und Prüfung genug. Dass aber jetzt irgendwelche Beamte ohne edle Abstammung über die Thüringer herrschen sollten, das ging zu weit. Einige Fürsten murrten bereits, sprachen von Aufstand.

Für Vater kam das nicht infrage. Er würde im Frühling nach Aquis reisen und die Königspfalz nicht eher verlassen, bis Karl ihn angehört hatte. Die Sache war so wichtig, dass sie zu den adligen Herren aufgebrochen waren, obwohl eine Reise mitten im Winter nicht ungefährlich war. Zwar drohten keine Überfälle, denn kaum jemand hatte Lust, bei dieser Kälte zu kämpfen, und einem gut bewaffneten Zug von Edlen ging man sowieso lieber aus dem Weg. Aber wurde man von einem Schneesturm überrascht, konnte man sich verirren und wenn der Sturm länger andauerte, erfrieren. Im Frühling, wenn der Schnee schmolz, kamen immer wieder Leichen ans Tageslicht, steif gefroren, sogar Reiter, die auf ihren toten Pferden saßen. Einen von ihnen hatte Gunhild gesehen, und noch heute lief es ihr eiskalt über den Rücken, wenn sie daran dachte. Nicht so sehr wegen des Toten an sich, sondern weil er nicht ins Himmelreich eingelassen würde, da sein Kopf fehlte. Den mussten Tiere verschleppt haben, denn er war nirgends zu finden gewesen. Vater hatte ihn dennoch begraben lassen und seine Seele der Gnade Gottes anvertraut.

Gunhild hoffte, dass der Sturm, der in der letzten Woche übers Land gefegt war, Mutter und Vater verschont hatte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, welche Schwierigkeiten es geben würde, kehrten sie nicht wieder. Ganz abgesehen davon, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn ihre Eltern tot wären. Sie liebte sie von Herzen, so wie ihre Brüder, und konnte sich ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen.

Sie sah Giselher liebevoll an. »Ich weiß. Du wirst mir immer eine Stütze sein.«

Er strahlte sie an. Seine blauen Augen glitzerten. Warmunt hatte grüne Augen, und die goldenen Sprenkel darin glommen wie Feuer. Zuerst waren sie blau gewesen, wie bei Vater und Giselher, doch dann hatten sie diesen geheimnisvollen Ton angenommen. Da hatte Vater den kleinen Jungen zu einem Seher gebracht, der tief im Wald versteckt lebte, denn hätten die Franken ihn erwischt, er wäre auf der Stelle enthauptet worden. König Karl hatte strenge Regeln erlassen, eine davon hieß: »Wer die alten Götter verehrt oder den alten Kulten anhängt, der ist des Todes.« Doch Vater wollte sichergehen, dass Warmunt nicht von einem bösen Geist besessen war, wie es die Farbe seiner Augen nahelegte, sondern seinem Sohn ein besonderes Schicksal bestimmt war. Der Seher hatte die Runensteine geworfen, hatte den Jungen lange angesehen und ihm dann vorausgesagt, dass er eines Tages über Wohl und Wehe des Fränkischen Reiches entscheiden würde. Nachdenklich war Vater mit Warmunt zurückgekehrt, hatte ihm eingeschärft, niemandem von der Weissagung zu erzählen. Nur Gunhild, Giselher und Mutter hatte er eingeweiht. Und genau deshalb, wegen dieser Prophezeiung, ließen Vater und Mutter Warmunt fast alles durchgehen, vermutete Gunhild.

Hätte der Bischof davon erfahren, es wäre ihnen schlecht ergangen. Vielleicht hätte er sie nicht umgebracht, die Prophezeiung nur als Hexenglaube eingestuft, was ebenfalls einem Todesurteil nahegekommen wäre. Denn König Karl hatte verfügt, dass aller Hexenglaube unchristlich sei, und daher strikt untersagt, ihm nachzuhängen, und jeden, der es dennoch tat, exkommunizieren zu lassen.

Anfänglich hatte Warmunt die Voraussagung eher als Bürde denn als Geschenk empfunden, da ihm zum einen bewusst war, dass der Seher gegen die Gesetze verstieß. Zum anderen mied er selbst gerne jegliche Verantwortung, vor allem, wenn es um andere ging. Doch als er begriff, dass ihm eine besondere Behandlung zuteilwurde, dass er sich herausnehmen konnte, was andere, vor allem sein Bruder, nicht durften, war er immer aufsässiger geworden, besonders ihr gegenüber, denn sie war die Einzige, die ihn zur Arbeit anhielt und seine herausgehobene Stellung nicht anerkannte.

Giselher jedoch hatte sich Gedanken gemacht. »Wie soll Warmunt denn das Fränkische Reich retten?«, hatte er eines Tages gefragt. Es war einer der seltenen Augenblicke, in denen er seinen Bruder...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 8. Jahrhundert • 8. Jh • Alkuin • bewegend • Franken • Frühes Mittelalter • Frühmittelalter • historisch • Historische Romane • Intrige • Karl der Große • Karolinger • Lex Thuringorum • Rechtssicherheit • Sachsen • Sorben • spannend • Starke Frau • Territorialrecht • Thüringen • Verschwörung • Widukind
ISBN-10 3-7517-5592-6 / 3751755926
ISBN-13 978-3-7517-5592-4 / 9783751755924
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