Etymologie der geografischen Beinamen -  Manfred Schmidt

Etymologie der geografischen Beinamen (eBook)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-5869-2 (ISBN)
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Nomen est omen. Der Name ist ein Zeichen. Aber nicht nur Namen versenden eine Botschaft, auch Beinamen liefern uns so manche interessante Information. Der Eingang zur Hölle, Der Fluss, der rückwärts fließt, Die Spukinsel, Der blutige Nasenrücken, Die windige Stadt, Der Menschenfresser. Geografische Beinamen sind beschreibende Bezeichnungen von geografischen Objekten. Sie verraten unter anderem viel über deren physische Eigenschaften, über die lokale Kultur, die Architektur und über ihre Geschichte. Aber es ist nicht immer die Geschichte, die der Leser erwartet. Die vorliegende Arbeit ist eine Quelle für alle, die sich für die Herkunft der geografischen Beinamen interessieren. Aha-Erlebnisse sind garantiert.

Einführung

Was sind Beinamen?

Ein Beiname ist ein Ersatz für den Eigennamen einer Person, der ihrem Vor- oder Nachnamen hinzufügt wird. Er wird häufig verwendet, um ihre psychischen oder moralischen Besonderheiten hervorzuheben. Ein Beiname kann Zuneigung, eine Form der Zärtlichkeit und manchmal auch Belustigung ausdrücken, er kann aber auch zur Verunglimpfung des Charakters verwendet werden. Als Konzept unterscheidet es sich sowohl vom Pseudonym und Künstlername als auch von einem Titel, obwohl es bei diesen Konzepten Überschneidungen geben kann.

Neben den Beinamen für Einzelpersonen gibt es auch solche für Personengruppen. Ein Beispiel hierfür wäre die Koblenzer Figur Schängel. Sie geht zurück auf die Zeit der französischen Besatzung (1794–1814). Viele Franzosen schlugen seinerzeit hier Wurzeln, heirateten und bekamen mit deutschen Frauen Kinder. Der gängigste Jungenname war damals Hans oder Johann, was dem französischen Jean entspricht. Da die Koblenzer den Vornamen Jean nicht aussprechen konnten, sagten sie »Schang«. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus Schang »Schängel«, eigentlich eine Verkleinerungsform mit der Bedeutung Hänschen. Zuerst galt dies als Schimpfwort, ähnlich dem deutschen Bastard (Synonym für ein uneheliches Kind). Heute jedoch wird Schängel als Ehrenname verstanden, und jeder in Koblenz Geborene kann von sich behaupten, ein Schängel zu sein.

Ursprünglich meist höchst abfällig gemeint waren Ortsnecknamen. Später, im 20. Jahrhundert, wurden sie häufig von den Verspotteten selbst aufgegriffen und mit Stolz als Teil ihrer Identität betrachtet. So wurden die Bewohner der Stadt Crailsheim als Horaffen verspottet. Diesem Necknamen liegt eine Stadtsage zugrunde: Die Crailsheimer hatten eine für die damalige Zeit eine nicht untypische, aber nickelige Eigenschaft, den Durchreisenden Zölle aufzubrummen. Vor allen die Salzsiedler aus Schwäbisch Hall waren über die hohen Mautgebühren derart erbost, dass sie gemeinsam mit ihren Verbündeten die freie Reichsstadt Crailsheim durch eine Belagerung aushungern wollten. Nach einer siebenmonatigen Einkesselung im Winter 1379/1380 gingen den Crailsheimern die Luft, beziehungsweise die Vorräte aus. Diese bedrohliche Situation erforderte jetzt einen tiefen Griff in die Trickkiste.

Die Frauen buken mit dem letzten Mehlvorrat die traditionellen Hefehörnchen, Horaffen genannt und warfen sie den Belagerern über die Stadtmauer. Dann stieg die Bürgermeisterin, von Natur aus mit einer überaus stattlichen Hinter(n)seite beglückt, auf die Stadtmauer und präsentierte den Belagerern ihr gesichtsähnlich bemaltes, blankes, ausladendes Hinterteil.

Die List gelang ausgezeichnet: Aufgrund des scheinbaren Überflusses und der wohlgenährten Bürgermeistergattin beurteilten die Feinde, selbst schon in den letzten Zügen, ihre Belagerung als chancenlos und traten im Schweinsgalopp den Rückzug an. Aber nicht ohne die Crailsheimer voller Wut als Haaraffen oder Horaffen zu beschimpfen.

Unter anderem finden sich Beinamen zahlreich in der Literatur: Carl Zuckmayer: Der Seelenbräu oder Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Nicht selten trugen Schriftsteller selbst auch Beinamen wie Clemens Brentano (Lindwurm) oder Ernst Wiechert (Tränenaas) bzw. machten ihren Spitznamen zum Pseudonym wie Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen (Fallada).

Um die vielen Ottos, Friedrichs, Johanns, Wilhelms und die anderen Könige und Fürsten der Geschichte besser auseinander zu halten, wurden auch ihnen Beinamen verliehen. Kaiser Friedrich III., der wegen eines unheilbaren Krebsleidens im Jahr 1888 bereits nach 99-tägiger Regierungszeit starb, wurde Der 99-Tage-Kaiser genannt. Sein Sohn und Nachfolger Kaiser Wilhelm II. war wegen seiner vielen Reisen der Reisekaiser. Manche Herrscher sind um ihre Beinamen nicht zu beneiden: Albrecht (II.) der Entartete, Landgraf von Thüringen-Meißen, Karl der Böse, König von Navarra, Maria die Blutige, Königin von England, Vlad Dracul der Pfähler, rumänischer Fürst, Iwan der Schreckliche, Zar von Russland, Peter der Grausame, König von Kastilien. Dann gibt es auch noch kleine, große, dicke, dünne oder auch mittlere wie Karl der Dicke, fränkischer König, Friedrich der Fette, Markgraf von Brandenburg, Friedrich der Kleine, Markgraf von Meißen, Pippin der Kurze, fränkischer Hausmeier und König. Andere Beinamen verweisen auf körperliche oder geistige Gebrechen von Herrschern hin, wie Friedrich der Gebissene, Landgraf von Thüringen, Johanna die Wahnsinnige, Königin von Spanien, Karl der Kahle, karolingischer Kaiser.

Personenbezug ist aber kein unerlässliches Merkmal von Beinamen. Es gibt eine große Anzahl Beinamen von Sachen. Das Schifferklavier für ein Akkordeon, der Drahtesel für das Fahrrad oder das Pantoffelkino für das Fernsehen. Seit dem Beginn der Entwicklung des Automobils erhielten immer wieder bestimmte Automodelle aufgrund ihrer charakteristischen Eigenschaften Beinamen. Diese konnten, wie auch alle anderen Beinamen, schmeichelhaft, liebevoll, spöttisch oder abwertend gemeint sein. Beispiele wären hier der deutsche VW Käfer (KdF-Wagen) und die Ente (2CV) der französischen Firma Citroën. Oftmals sind diese Automobile unter ihrem Beinamen bekannter als unter der offiziellen Bezeichnung. So auch der Rennwagen Mercedes-Benz W 125, Silberpfeil genannt, aus den 1930er Jahren oder das Ford-T-Modell Tin Lizzie, die Blechliesel, das erste Volksauto und eines der meistgebauten Automobile.

Beinamen von Bauwerken verweisen häufig auf ihre äußere Form. Bekannte Beispiele hierfür sind der Lange Lulatsch für den Berliner Funkturm, der Lange Eugen, für das ehemalige Hochhaus der Bundestagsabgeordneten in Bonn oder die Auster für das Opernhaus von Sydney.

Einrichtungen wie Gefängnisse oder Anstalten hatten und haben ebenfalls Beinamen. Bekannte Beispiele sind Santa Fu für die Haftanstalt Am Hasenberge in Hamburg-Fuhlsbüttel und Bonnies Ranch für die ehemalige Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Wittenau.

Zahlreiche Beinamen finden sich auch im Sport. Hier sowohl bei den Sportlern als auch bei den Sportvereinen. Den besten Boxer aller Zeiten und Klassen, Walker Smith Jr., kennt wohl fast jeder Sportinteressierte unter dem Namen Sugar Ray Robinson. Ein Journalist, der den jungen Profi bei einem frühen Kampf sah, bezeichnete seinen Stil als sweet – im Sinne von: nicht schlecht! Aus dem süß wurde später Sugar. Einer der weltbesten Torhüter aller Zeiten, Lew Jaschin, wurde wegen seiner Flexibilität und akrobatischen Fähigkeiten Schwarze Spinne genannt. Oder, um beim Fußball zu bleiben, Franz Beckenbauer, der durch seinen Beinamen sogar zum Kaiser befördert wurde.

Der Beiname des spanischen Traditionsvereins Atlético Madrid heißt seit den 30er-Jahren auf Spanisch Colchoneros (= Matratzen), weil die rot-weiß gestreiften Trikots wie Matratzen aussahen. Der englische Profi-Fußballclub FC Arsenal wird Die Gunners (= Kanoniere) genannt, weil der Verein 1886 in Woolwich gegründet wurde, wo das Waffendepot der Navy beheimatet war. Die italienische Fußballmannschaft Juventus Turin hat den Beinamen Die Alte Dame. Aus Häme wurde der Verein Anfang der 50er so genannt, da sich die Trikots im Rücken durch den Wind aufblähten und ein Buckel (italienisch: Goeba) entstand, was im Dialekt des Piemonts gleichbedeutend mit alte Frau ist. Es ließen sich ohne Mühe weiter zahlreiche Lebensbereiche aufzählen, in denen wir auf Beinamen treffen.

Geografische Beinamen

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den geografischen Beinamen und deren Etymologie, also mit ihrer Herkunft, Geschichte und ihren Bedeutungen. Für viele geografische Merkmale wie Orte, Regionen, Gewässer, Berge, Inseln etc. existieren aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus Beinamen.

Vorweg – geografische Beinamen sind kein Machwerk unserer Zeit Schon die viel zitierten alten Griechen benutzten Beinamen für geografische Einrichtungen. Wahrscheinlich gab es in mykenischer Zeit vier Könige, die unter sich die Insel Kephallonia in vier Herrschaftsbereiche aufgeteilt hatten. Diese wurden von vier Stadtstaaten abgelöst. Noch Thukydides bezeichnet Kephallonia in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges als Tetrapolis, als Vier-Städte-Insel.

Geografische Beinamen sind zu unterscheiden von offiziell geführten Beinamen, wie die Lutherstädte Wittenberg, Eisleben, Mansfeld oder die Hansestädte Bremen, Hamburg, Lübeck und Rostock, die Mitglied der Hanse waren. Am bekanntesten ist die Auszeichnung durch ein vorangestelltes Bad, z. B. Bad Reichenhall, Bad Münstereifel und die Beinamen Bundeshauptstadt für die deutsche Hauptstadt Berlin, Landeshauptstadt für Hauptstädte eines Bundeslandes und Olympiastadt, nach Olympia.

Weithin akzeptiert sind auch Beinamen als offizieller Bestandteil des Namens, die die geografische Lage bezeichnen, um so eine Verwechselung mit gleich benannten Orten oder Städten zu vermeiden, z. B. Hessisch Oldendorf und Preußisch Oldendorf. Diese Beinamen kommen auch in offiziell abgekürzter Schreibweise...

Erscheint lt. Verlag 23.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-7583-5869-8 / 3758358698
ISBN-13 978-3-7583-5869-2 / 9783758358692
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