Geist & Leben 4/2023 (eBook)

Zeitschrift für christliche Spiritualität
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
116 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06612-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geist & Leben 4/2023 -  Christoph Benke
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GuL 96 (2023), Heft 4 Oktober-Dezember 2023 n. 509 Notiz Klaus Vechtel SJ Berufung und ignatianische Exerzitien [333-334] Nachfolge Albert Raffelt Blaise Pascal über die Bekehrung [336-345] Michael Höffner 'Halten Sie Ihr Herz in der Weite'. Franz von Sales - Gestalt an einer Zeitenwende [346-353] Rob Faesen SJ Im Vorfeld der Exerzitien. Petrus Canisius, Laurentius Surius und der 'Taulerus' [354-360] Thomas Neulinger SJ Gottes Handeln, Wissen und Wesen. Eine Anmerkung zum ignatianischen 'Gott finden in allen Dingen' [361-364] Nachfolge | Kirche Veronika Hoffmann Zeugnis des Glaubens. Authentisch und unmittelbar? [365-372] Dietmar Schon OP Neue Impulse orthodoxer Sozialethik [373-381] Gregor Taxacher Rettung als Fiktion. Zur narrativen Soteriologie von Heiligenlegenden [382-390] Nachfolge | Junge Theologie Simone Oelke Ökumene der Begegnung. Am Beispiel der Benediktinerabtei Niederaltaich [391-397] Reflexion Markus Knapp Wissenschaft und Glaube gehören zusammen. Vor 400 Jahren wurde Blaise Pascal geboren [398-404] Ingrid Fischer 'Die Welt heiligen'. Notizen zum Verständnis von Konsekration [405 -412] Martin Rötting Spiritualität als Navigation (I). Religionswissenschaft und geistliche Begleitung [413-419] Lektüre Christiane Wüste Der Gott der Gerechtigkeit. Jesajas Adventsbotschaft für heute [420-427] Pierre Bühler Etty Hillesum anders wahrnehmen. Was verändert die neue deutsche Gesamtausgabe? [428-435] Buchbesprechungen [436-440]

Christoph Benke, geb. 1956, Dr. theol., Priester der Erzdiözese Wien, in der Studentenseelsorge tätig.

Christoph Benke, geb. 1956, Dr. theol., Priester der Erzdiözese Wien, in der Studentenseelsorge tätig.

Nachfolge


Michael Höffner | Münster

geb. 1971, Dr. theol. habil, Professor für Theologie der Spiritualität am CTS Berlin; Domkapitular am Paulus-Dom Münster

hoeffner@bistum-muenster.de

„Halten Sie Ihr Herz in der Weite“


Franz von Sales – Gestalt an einer Zeitenwende

In den letzten Monaten war verschiedentlich von einer „Zeitenwende“ die Rede: zunächst politisch, als im Frühjahr 2022 der Ukrainekrieg ausbrach, dann auch kirchlich im Zusammenhang mit all dem Wandel, den wir momentan durchleben und -leiden. Mitten darin begehen wir das Jubiläumsjahr einer Gestalt, die ebenfalls in einer solchen Zeitenwende angesiedelt ist: Franz von Sales. Wir befinden uns gerade in seinem 400. Todesjahr: Am 28. Dezember 1622 ist er gestorben, am 24. Januar 1623 wurde er in seinem Bischofsexil Annecy beigesetzt.1

Seismograph an einer Zeitenwende


Als Franz von Sales 1602 Bischof von Genf wurde, waren die französischen Religionskriege gerade erst vier Jahre befriedet. Eine Expertin dieser Epoche meinte einmal: Diese acht französischen Religionskriege zwischen 1562 bis 1598 wirkten wie Vulkanausbrüche.2 Sie hinterließen in Frankreich verbrannte Erde, in vielerlei Hinsicht, nicht zuletzt spirituell. Die Kirche wurde in ihrem Anspruch, verbindlich das Leben zu rahmen und zu deuten, massiv geschwächt. Das Klima war immer noch so aufgeheizt, dass Franz seine Bischofsstadt, das calvinistische Genf, nur ein einziges Mal betreten bzw. durchqueren konnte, und das nur inkognito. Er lebte also im Exil, bis zu seinem Tod.

Dazu gesellen sich andere Herausforderungen: Da ist der aufkeimende Humanismus, den Franz vor allem während seiner Studienjahre in Italien kennengelernt hatte. Mit den Namen Galilei und Newton verbinden sich neue naturwissenschaftliche Entdeckungen, die die Welt entzauberten. Menschen waren mit einem Mal nicht mehr selbstverständlich eingebettet in einen göttlichen Kosmos.

Manchmal gelten die Mystiker als überwertig innenorientiert, daher eher als weltfremd und wenig zeitsensibel. Zumindest bei den Großen unter ihnen war das anders: Sie waren äußerst aufmerksam für ihre Epoche. Jemand meinte einmal: „Die Mystiker erleben […] auf ihre Weise den Umbruch […] der Christenheit.“3 Sie nehmen seismographisch die Beben wahr, wie etwa die Entzauberung der Welt, und versuchen für ihre Epoche einen Stil des Christseins zu schaffen, der darauf eingeht. Das gilt auch für Franz von Sales. Er wagte sich vor, eine Mystik des Alltags zu entwickeln.

Franz von Sales hat seine enge Vertraute Johanna-Franziska von Chantal einmal in einem Brief ermuntert: „Halten Sie Ihr Herz in der Weite!“ (Brief vom 20.01.1607; DA 5, 136).4 Dieses Wort könnte ein Schlüssel für sein eigenes Leben sein. Franz von Sales hat das selbst zu beherzigen versucht: Sein Herz mitten in dieser Krisen- und Umbruchszeit nicht eng werden zu lassen, sondern in der Weite zu halten. Wie er das versucht hat, zeigt der vorliegende Beitrag in fünf Schritten auf.

Eine empfindliche Welt mit Handschuhen anfassen


Eines ist für die salesianische Alltagsmystik grundlegend: der Realität des Lebens, wie sie sich zeigt, nicht auszuweichen und dafür beweglich zu sein. Franz wirbt darum, ihre Herausforderung mit weitem Herzen anzunehmen. Immer wieder spricht er von den „Forderungen der Stunde“. Das gilt für die kleinen Dinge des Alltags, aber auch für die Zeit, in die man gestellt ist.

Ein Beispiel: Etwa ein Jahr vor seinem Tod, um 1620/1621, wendet sich Franz sehr ermutigend an einen Priester seines Bistums. Der hatte die Absicht, Texte zu verfassen, die die aktuellen Fragen als unumgänglich anerkennen und aufgreifen. Franz’ Brief lässt durchblicken, wie sehr er selbst ein Gespür für die nervöse Stimmungslage seiner Zeit hat und wie wenig er mit Gewalt dagegen vorgehen will. Er schreibt: „Aber, mein Gott, ich muss Ihnen sagen, die Erkenntnis der Launen der Welt lässt mich leidenschaftlich wünschen, die göttliche Güte möge irgendeinen ihrer Diener anregen, nach dem Geschmack dieser […] Welt zu schreiben […]. Die Welt ist so empfindlich, dass man sie künftig nur mit parfümierten Handschuhen anzufassen wagen darf.“ (DA 8, 336) Franz hat also die klare Einsicht eines Wandels. Klar sieht er die Zumutung, danach zu suchen, wie man diesen Wandel nicht einfach nur erleidet oder sich dagegen sträubt, sondern wie man ihn fruchtbar gestalten kann. Entsprechend schreibt er im Vorwort des Theotimus: „Natürlich berücksichtigte ich die Geistesverfassung unserer Zeit. Ich musste es tun; es ist sehr wichtig zu wissen, in welcher Zeit man schreibt.“ (DA 3, 129)

Und das hat er wirklich getan: 1609 gab er die „Introduction à la vie dévote“ heraus, die sog. Philothea, und er traf „damit den Nerv der religiösen Bedürfnisse seiner Zeit […]. Franz sprach dem 17. Jahrhundert aus der Seele.“5 Bis dahin hatte man in Frankreich ausländische Mystik importiert und übersetzt, z. B. die Werke der Teresa von Ávila. Franz von Sales merkte, dass das nicht mehr reicht bzw. dass diese hohe Mystik popularisiert und elementarisiert werden muss. Er pflegte mit vielen Menschen briefliche Kontakte, vor allem mit Frauen, und er war in dieser Kommunikation hellhörig geworden für deren Bedürfnisse. Frauen wie Johanna-Franziska von Chantal und Luise de Charmoisy suchten danach, wie man mitten im Alltag geistlich unterwegs sein kann. Sie spürten, dass sie in all den Verunsicherungen als Einzelne neue Wege suchen mussten und einen Halt, der nicht allein von Institutionen abhängig war. Im Gespräch mit ihnen und für sie entwickelte Franz eine Laienspiritualität.

Oft wird seine Spiritualität beschrieben als ein Stil, der durch agilité und vivacité spirituelle gekennzeichnet ist, eine „lebendige Beweglichkeit“. Diese Beweglichkeit betrifft zuerst eine Haltung, die das willkommen heißt, was einem im gegenwärtigen Augenblick zugemutet wird, und dies an dem geschichtlichen Ort, an den man gestellt ist – im Glauben, dass Gott genau dort begegnen will und nicht, indem man sich aus dieser Wirklichkeit hinausstiehlt.

Leben in der „Theosphäre“


Damit ist ein Schritt weiter in die Tiefe schon angedeutet. Franz geht es nicht nur darum, den Augenblick in einem Situationsgehorsam als gegeben anzunehmen, sondern wahrzunehmen, dass man mit diesem aktuellen Augenblick in der Gegenwart Gottes lebt wie in einer göttlichen Umhüllung. Etienne-Jean Lajeunie hat dafür den schönen Begriff „Theosphäre“6 geprägt. Es ist für Franz letztlich dieses Leben in der „Theosphäre“, das sein Herz in der Weite hält. Eine seiner Übungen lässt das schön erkennen; sie ist durch ihn übrigens zu einem festen Element in der Gebetspraxis der Neuzeit geworden. Franz regt vor Beginn der Meditation bzw. des inneren Gebets dazu an, sich bewusst in die Gegenwart Gottes zu versetzen. Wörtlich heißt es: „Beginne jedes Gebet, das innerliche wie das mündliche, damit, dich in Gottes Gegenwart zu versetzen. Daran halte dich ausnahmslos, du wirst bald sehen, wie nützlich dir dies sein wird.“ (DA 1, 72) Und dann fährt er fort: „Gott ist überall gegenwärtig. Jeder kennt diese Wahrheit, aber wie viele gibt es, die sie wirklich erfassen?“ Diese Theosphäre betrifft aber nicht nur die „Außenseite“ einer Situation. Mit der Einwohnung in dem, der sie wahrnimmt, hat sie auch eine „Innenseite“: „Das zweite Mittel, sich in seine heilige Gegenwart zu versetzen, ist der Gedanke, dass Gott sich nicht nur am gleichen Ort mit dir befindet, sondern noch auf besondere Weise in deinem Herzen, auf dem Grunde deiner Seele, die er durch seine göttliche Gegenwart belebt, gleichsam als Herz deines Herzens, als Seele deiner Seele.” (DA 1, 73)

Anfangs war von der entzauberten Welt die Rede, in der dieses Vertrauen auf einen von Gott durchdrungenen Alltag nicht mehr fraglos gegeben war. Es ginge also darum, sich mit dem bewussten Versetzen in Gottes Präsenz betend neu in diese Perspektive einzuüben.7

Niederschwellige Spiritualität – die Empfehlung der Stoßgebete


Franz selbst gibt eine Hilfe, die sehr leicht zu praktizieren ist. Als Meister einer gesunden und lebensnahen Spiritualität versucht er, Wege zu ebnen, wie mitten im Alltag mit all seinen Stressoren geistliches Leben möglich ist. Diese Niederschwelligkeit zeigt sich vor allem in der Bedeutung der Stoßgebete oder Herzensgebete oder der kurzen „geistlichen Einkehr“. Im Theotimus schreibt er (DA 4, 308): Diese „heiligen Übungen reißen unseren Geist fortwährend zu Gott empor, werfen ihn in die Gottheit hinein und führen ihm damit auch alle unsere Handlungen zu“. Mitten in einem manchmal engen Alltag schenken Stoßgebete also Weite. Sie sind für Franz kurze Zäsuren, kleine Seufzer im...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2023
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Ignatianisch • jesuitisch • Kontemplation • Mystik • Orden • Spiritualität
ISBN-10 3-429-06612-3 / 3429066123
ISBN-13 978-3-429-06612-3 / 9783429066123
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