Im Namen des Fortschritts (eBook)
320 Seiten
Scorpio Verlag
978-3-95803-587-4 (ISBN)
Wilfried Nelles, Dr. phil., M.A., leitet gemeinsam mit seinem Sohn Malte das »Nelles Institut für Phänomenologische Psychologie und Lebensintegration« in Marmagen, Eifel. Seit 30 Jahren arbeitet er als praktischer Psychologie und hat in dieser Zeit eine Vielzahl von Fachbüchern geschrieben.
Wilfried Nelles, Dr. phil., M.A., leitet gemeinsam mit seinem Sohn Malte das »Nelles Institut für Phänomenologische Psychologie und Lebensintegration« in Marmagen, Eifel. Seit 30 Jahren arbeitet er als praktischer Psychologie und hat in dieser Zeit eine Vielzahl von Fachbüchern geschrieben.
DAS LEBEN, DIE WELT UND DER MENSCH
Weisheit besteht in nichts als diesem:
Wahr reden, wahr handeln,
der Natur der Dinge folgen.
HERAKLIT
Und dies Geheimnis redete das Leben selber zu mir:
»Siehe«, sprach es, »ich bin das, was sich immer selber überwinden muss.«
FRIEDRICH NIETZSCHE, ALSO SPRACH ZARATHUSTRA
In unseren besten Augenblicken,
wenn vor lauter Gelingen auch das energischste Tun im Lassen aufgeht
und die Rhythmik des Lebendigen spontan uns trägt,
kann sich der Mut plötzlich melden wie eine euphorische Klarheit oder ein wunderbar in sich gelassener Ernst.
Er weckt in uns die Gegenwart.
(…)
Im Lichte solcher Geistesgegenwart ist der Bann der Wiederholungen gebrochen.
Jede bewusste Sekunde tilgt das hoffnungslose Gewesene und wird zur ersten einer anderen Geschichte.
PETER SLOTERDIJK, KRITIK DER ZYNISCHEN VERNUNFT, S. 953.
Was ist Leben?
Was ist das Leben? Woher kommt es, wohin geht es? Ich werde dieser Frage in mehreren Kapiteln dieses Buches nachgehen und sie aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, ich deute es hier nur an. Mein Vater war Malermeister. Einer Hebamme, die ein neues Haus gebaut hatte, hat er in großen alten Buchstaben einen Spruch auf die Fassade gemalt: »Vom Herzen kommt, zum Herzen geht das Leben.« Ich fand das immer arg kitschig und habe mich zeitweise ein bisschen geschämt, dass mein Vater dies dorthin gemalt hatte. Heute sehe ich das anders. Vielleicht stimmt der Satz. Vielleicht ist die Liebe die Urenergie der Welt und des Lebens, ist es, um die Frage von Goethes Faust zu beantworten, die Liebe, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Damit meine ich natürlich nicht die persönliche Liebe, kein menschliches Gefühl, sondern Liebe als eine universelle Kraft. Die persönliche Liebe ist nur ein kleiner Ausdruck, eine erste Erfahrung dieser Kraft. Das ist zwar wissenschaftlich nicht nachweisbar, weil man Liebe nicht messen kann und weil sie etwas Unberechenbares ist (und sich somit sowohl der Physik als auch der Mathematik sowie jeder Art von Kontrolle entzieht), aber die Erklärungen, die uns die Physiker zu bieten haben, sind letztendlich auch nichts anderes als unbewiesene Hypothesen. Zumindest würde die Annahme, dass die Liebe die Quelle des Daseins ist, uns ein anderes, besseres Leben ermöglichen als die Hypothesen der Physik, die von Urknall, Entropie, schwarzen Löchern, Quarks oder Quantenfeldern reden, ohne wirklich zu wissen, was das alles sein soll, und die unsere Existenz als etwas Zufälliges in der Kälte und Leere des Alls betrachten, als das Resutat eines Zusammentreffens bestimmter chemischer Elemente – und die auch die Liebe als eine chemische Reaktion ansehen, die in unserem Gehirn stattfindet. Inzwischen sprechen sogar Psychologen solchen Unsinn nach.
Wissen und Bewusstsein
Wir glauben heute, viel, wenn nicht fast alles, zu wissen oder wissen zu müssen. Ich habe gelesen, dass sich das Wissen der Wissenschaft ungefähr alle acht Jahre verdoppelt. Ich stelle das mal plastisch dar: Wenn das Wissen der Wissenschaft bei meiner Geburt den Faktor 1000 hatte, dann bedeutet diese Verdopplung alle acht Jahre, dass es jetzt – ich bin 74 Jahre – bei 320.000 liegen würde. Die Wissenschaft hat also 320 mal mehr Wissen angehäuft, als ihr (und damit uns allen, der Menschheit) im Jahr 1948 zur Verfügung stand. Ist die Menschheit nun 320 mal klüger als damals? Bei jemandem, der acht Jahre vor mir geboren ist, ist die Zahl doppelt so hoch, wir müssten also 640 mal klüger sein als zu Beginn des 2. Weltkrieges. Wenn man auf die Welt, auf die Politik und auf das tatsächliche Leben schaut und sich dabei einen klaren, nicht von der vermeintlich so großartigen Wissenschaft vernebelten Blick bewahrt, kann man nur mit dem Kopf schütteln. Intelligenter sind wir sicherlich nicht geworden. Alles, was uns die Wissenschaft gebracht hat, ist ein bequemeres Leben, das sich aber ob unserer nach wie vor großen, wenn nicht noch gewachsenen Dummheit jederzeit ins Gegenteil verkehren kann.
Zurück zu meinen Eingangsfragen – die Fortsetzung zum Thema Wissenschaft folgt im nächsten Kapitel. Wir haben keine Ahnung, wir wissen nicht, woher wir kommen (woher das Leben kommt), wohin wir gehen (was der Tod bedeutet), und auch nicht, was das Leben überhaupt ist. Nur eines wissen wir: dass wir leben. Dass wir dies wissen, ist durchaus erstaunlich, denn der Mensch ist das einzige Lebewesen, das um seine Existenz weiß; das weiß, dass es geboren wurde, das weiß, dass es lebt, das weiß, dass es stirbt. Dieses Wissen unterscheidet uns vom Tier – wir sind uns unserer Existenz bewusst. Dieses Bewusstsein – dass wir uns unserer Existenz und ihrer Bedingungen bewusst sind – macht uns als Menschen aus und macht uns einzigartig unter allen Lebewesen.
»Einzigartig« heißt nicht »besser« – ich bin nicht besser als eine Katze –, es heißt »anders«. Aber wir sind nicht nur in der Weise anders, wie ein Hund ein anderes Tier ist als ein Hirsch oder ein Vogel, sondern es heißt auch »höher« – unser Bewusstsein ist höher als das von Tieren. Es ist kein Zufall, dass Hunde des Menschen Haustiere sind oder dass Menschen Experimente mit Affen machen und nicht umgekehrt. Es ist eine Folge unseres Bewusstseins. Wir haben ein höheres, weil umfassenderes Bewusstsein als ein Tier. Anders als beim Tier umfasst das menschliche Bewusstsein nämlich auch ihn selbst, wir können uns selbst sehen und auch uns selbst erkennen, und damit können wir grundsätzlich auch erkennen, was Leben ist. Wir haben nämlich, anders als ein Tier, einen inneren, geistigen Abstand von uns selbst und damit auch vom Leben. Wenn ich sage »wir haben«, heißt das nicht, dass alle Menschen diesen Abstand tatsächlich haben. Sie können ihn jedoch haben, er liegt, anders als beim Tier, im Bereich der menschlichen Möglichkeit.
Aufgrund dieses Abstandes können wir uns selbst und damit auch die Welt und das Leben wahrnehmen und erkennen. Man muss dazu nur still, aufmerksam und aufnahmebereit sein und das Leben selbst sprechen lassen. Denn die Selbsterkenntnis geschieht nicht, wie in der Wissenschaft, durch die Analyse eines einem selbst äußerlichen Objektes, das wir mit unserem Geist zu durchdringen suchen, sondern dadurch, dass man wahrnimmt, was in einem selbst und um einen herum geschieht, und sich davon berühren und durchdringen lässt. Die Quelle dieser Wahrnehmung ist nicht der Verstand, sondern das Bewusstsein, genauer: nicht das denkende, sondern das wahrnehmende Bewusstsein. Von dort, von dieser Quelle aus, können wir unsere Umwelt als Welt erkennen und auch uns selbst, unseren Körper, unsere Gefühle und unsere Gedanken wahrnehmen. Ein Tier kann dies alles nicht – es lebt in seiner Welt, ohne dies zu wissen, spürt seinen Körper, ohne zu wissen, was das ist, es fühlt und kann sogar gewisse geistige Operationen vornehmen, aber es ist sich dessen nicht bewusst.
Wenn wir von Bewusstsein sprechen, müssen wir drei Ebenen unterscheiden. Die erste ist die Ebene des Bewusstseins an sich, des Geistes, der alles umfasst. Heute bezweifeln die meisten, dass es so etwas überhaupt gibt, man kann es nämlich nicht messen und nicht finden. Das liegt aber im Begriff des Geistes (des Bewusstseins), er hat nämlich keine Form. Reiner Geist und reines Bewusstsein sind formlos und daher weder messbar noch in einem wissenschaftlichen Sinne beweisbar. Wer jedoch die Existenz von Geist bezweifelt, kann nicht erklären, wieso es beim Menschen Geist und Bewusstsein gibt. Dass es dies gibt, dürfte jedoch nicht bezweifelbar sein, sonst könnte ich nicht schreiben und Sie nicht lesen und verstehen, was ich schreibe. Die zweite Ebene von Bewusstsein ist die (ausschließlich) menschliche Fähigkeit, sich selbst – und damit auch die Welt – wahrzunehmen. Dieses Bewusstsein ist ohne Inhalt, es ist schlicht die Fähigkeit der bewussten geistigen Wahrnehmung. Es gibt in uns eine innere Instanz, die einfach bewusst ist, einfach wahrnimmt, was ist. Der beste Begriff dafür ist Gewahrsein. Es ist die Anwesenheit des allgemeinen Bewusstseins (des Geistes) im Menschen oder, vom Menschen aus gesehen, unsere Verbindung mit dem Geist. Daher ist Gewahrsein oder Bewusstheit, ebenso wie dieser Geist, reine Präsenz – still, unbewegt, ohne Form und ohne Inhalt. Dieser Geist und das ihm eigene Bewusstsein ist etwas Eigenständiges. Es kann nicht, wie Marx es formuliert hat und heute fast die gesamte westliche intellektuelle und kulturelle »Elite« glaubt, ein »Epiphänomen der Materie« sein. Wenn es so wäre, könnten wir uns unmöglich selbst erkennen – Materie kann keine Materie erkennen und auch keinen Geist hervorbringen.
Die dritte Ebene ist die des konkreten Bewusstseins mit bestimmten Inhalten. In diesem Bewusstsein unterscheiden sich alle Menschen, jeder hat ein anderes Bewusstsein, also mein Bewusstsein und dein Bewusstsein, das Bewusstsein eines Kindes und das eines Erwachsenen, das eines Afrikaners und eines Chinesen. Dieser...
Erscheint lt. Verlag | 7.8.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Aufstellungsarbeit • Bewusstsein • Böse • Erinnern • Frieden • Gender • GUT • Krieg • Kultur • Lebensintegrationsprozess • Moderne • Natur • Phänomenologie • Philosophie • Psychologie • Religion • Seele • Transhumanismus • Vergessen • Werte • Wissenschaft • Zeitgeist |
ISBN-10 | 3-95803-587-6 / 3958035876 |
ISBN-13 | 978-3-95803-587-4 / 9783958035874 |
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