Leichte Sprache (eBook)
176 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-76272-2 (ISBN)
|29|2 Porträt Leichte(re) Sprache
Was unterscheidet einfache von Leichter Sprache? Wie kann Leichte Sprache als gesprochene Sprache genutzt werden, wie ist sie entstanden und wie sieht die heutige Lage, auch rechtlich, aus? Diesen Fragen gehen wir in diesem Kapitel nach.
2.1 Einfache Sprache und Leichte Sprache
Übung 4: Schwer verständliche Sprache
- a)
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Übersetzen Sie die obenstehenden Sätze in eine verständliche Sprache. Verstehen Sie den Inhalt?
- b)
-
Wie würden Sie sich fühlen und was würde es für Sie bedeuten, wenn im Alltag die meisten schriftlichen Informationen so daherkämen?
Bei den drei Beispielen handelt sich um übertrieben komplizierte Sätze, wie wir sie im Alltag (hoffentlich) kaum antreffen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass für Personen, die über eine geringe Literalität verfügen, die meisten in Standard- oder Fachsprache verfassten Informationen genauso schwierig zu verstehen sein dürften, wie diese Beispielsätze für Sie waren.
Was die obigen Sätze einfach ausgedrückt bedeuten, finden Sie am Ende des Buches im Kapitel „Lösungen“.
|30|Übung 5: Sprache verständlicher machen
Woran liegt es, dass die Sätze aus Übung 4 so schwer verständlich sind?
Was könnte Ihnen helfen, die Aussagen besser zu verstehen?
1.
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Gratuliere! Sie haben im Kern verstanden, welches die wesentlichen Punkte Leichter(er) Sprache sind. In Kapitel 7 werde ich die 20 wichtigsten Prinzipien zur Leichten Sprache erläutern. Vergleichen Sie Ihre Antworten später mit den Prinzipien.
Leichte Sprache: Regeln und Richtlinien
Leichte Sprache versucht, die deutsche Sprache so weit wie möglich zu vereinfachen. Dazu folgt sie bestimmten Regeln, wie zum Beispiel der Verwendung kurzer Sätze, einer möglichst einfachen Grammatik und bekannter Wörter, vieler Erklärungen und Aktiv- anstatt Passivformulierungen. Zudem wird auf Abkürzungen verzichtet. Aber nicht nur die Sprache und Formulierung an sich, sondern auch der Text mit Inhalt und Aufbau sowie die Gestaltung sind wichtige Faktoren. Bei der Gestaltung wird zum Beispiel auf eine leicht lesbare Schrift geachtet. Entscheidend sind hierfür die Schriftgröße und Schriftart, aber auch der Kontrast von Schrift und Hintergrund. Nach Möglichkeit werden Abbildungen genutzt, um den Inhalt zu verdeutlichen.
|31|Dadurch verlängert sich ein Text in Leichter Sprache in der Regel im Vergleich zum Ursprungstext um ca. das Dreifache. Da wir es hier mit einer Zielgruppe zu tun haben, die lange Texte abschrecken, ist schon aus diesem Grund eine Eins-zu-eins-Übersetzung meist wenig sinnvoll. Hinzu kommt, dass dies die Lesenden vor die Herausforderung stellt, zwischen der Kernbotschaft und den Nebeninformationen zu unterscheiden und die wichtigen Informationen selbst herauszufiltern. Je nach Zusammensetzung der Zielgruppe ist das eine Überforderung. Vielfach werden deshalb Nebeninformationen bei der Erstellung eines Textes in Leichter Sprache weggelassen.
Neben diesen inhaltlichen Veränderungen muss häufig auch der Aufbau verändert und in eine lineare Reihenfolge gebracht werden. Denn Texte ab Leseniveau B2 springen häufiger zwischen verschiedenen Zeitpunkten hin und her und sind nicht immer in dem Maße stringent aufgebaut, wie es für Texte in Leichter Sprache notwendig ist. Dafür werden neue einfache Erklärungen ergänzt und Beispiele angefügt.
Bei der Erstellung von Texten in Leichter Sprache kann der Begriff „Übersetzung“ deshalb irreführend sein, da sich darunter viele wie bei der Übersetzung von einer Sprache in die andere eine Wort-für-Wort- oder zumindest eine Satz-für-Satz-Übersetzung vorstellen. Diese Vorgehensweise ist bei der Erstellung von Texten in Leichter Sprache jedoch nur wenig sinnvoll.
Es lohnt sich, dies den Projektmitarbeitenden oder potenziellen Auftraggeber*innen von Anfang deutlich zu machen. Unausgesprochen wird vielfach erwartet, dass Aufbau, Inhalt und Gestaltung mehr oder weniger identisch sind wie beim Ausgangstext – nur eben in Leichter Sprache. Dass sich aber sowohl Aufbau, Inhalt als auch Gestaltung bei einer Übersetzung stark verändern, ist für viele überraschend und teils auch enttäuschend. Insbesondere dann, wenn sie den Ursprungstext selbst geschrieben haben und viel Zeit und Mühe in die Formulierungen, den Aufbau und die Gestaltung gesteckt haben.
Die Erstellung von Texten in Leichter Sprache ist also mehr als eine Übersetzung im herkömmlichen Sinne. Sie stellt deshalb auch andere Anforderungen an die übersetzende Person, ihre Kompetenzen und vor allem ihr Wissen. Denn Leichte Sprache ist konkreter und genauer als die Standardsprache. Während bei den meisten Texten in Standardsprache viele Inhalte implizit bleiben, werden die Inhalte in Leichter Sprache möglichst auf den Punkt gebracht. Das stellt hohe Anforderungen an die Fachlichkeit der Person, die den Text erstellt. Sie muss nämlich den gesamten Inhalt zu 100 Prozent erfassen und verstehen – und somit also auch zwischen den Zeilen lesen können, um auch jenen Text, der nicht ausdrücklich genannt wird, zu „sehen“. Auch wenn eine Person im Umgang mit den Regeln Leichter Sprache sehr versiert ist, wird es für sie deshalb kaum möglich sein, alle Fachtexte wie zum Beispiel juristische, medizinische oder agogische Texte in Leichte Sprache zu übertra|32|gen ohne einen entsprechenden Studienabschluss, eine entsprechende Ausbildung oder eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachexpert*innen.
Regelwerke und Labels
Regelwerke gibt es im deutschen Sprachraum verschiedene. Zu den bekanntesten, die auch öffentlich zugänglich ist, zählen: die europäischen Regeln von Inclusion Europe, die Regeln für Leichte Sprache vom Netzwerk Leichte Sprache, die Regeln der BITV 2.0 und das Regelbuch der Forschungsstelle Leichte Sprache (vgl. Kapitel 6.4). Einige Regelwerke sind aus den Erfahrungen der Praxis entstanden, andere wurden sprachwissenschaftlich entwickelt.
Insgesamt sind die Regeln der Regelwerke vergleichbar, zumindest in den auffälligen und charakteristischen Punkten. Einige Regeln tauchen nur in einem der Regelwerke auf. Was kein Wunder ist, wenn man die unterschiedliche Länge der Regelwerke bedenkt. Während beispielsweise die Regeln in der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (auch Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung genannt, abgekürzt BITV 2.0) sehr kurz sind und 13 Punkte umfassen, die sich auf einer knappen Seite darstellen lassen, erstrecken sich die linguistisch äußerst ausgefeilten Regeln der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim mit ihren Erklärungen auf über mehr als 200 Seiten.
Gewisse Regeln einiger Regelwerke widersprechen sich sogar. Zum Beispiel herrscht Uneinigkeit darüber, ob beim Gendern zuerst die weibliche oder zuerst die...
Erscheint lt. Verlag | 26.6.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-456-76272-0 / 3456762720 |
ISBN-13 | 978-3-456-76272-2 / 9783456762722 |
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