Seneca - Epistulae morales ad Lucilium - Liber XIV Epistulae LXXXIX - XCII -  Michael Weischede

Seneca - Epistulae morales ad Lucilium - Liber XIV Epistulae LXXXIX - XCII (eBook)

Latein/Deutsch
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2023 | 1. Auflage
104 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7455-1 (ISBN)
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In den 60er-Jahren des ersten Jahrhunderts n. Chr. hat der römische Politiker und Philosoph Lucius Annaeus Seneca (Seneca der Jüngere) eine Sammlung von 124 Briefen verfasst, in denen er seinem Freund Lucilius Einblicke in seine persönliche Ausdeutung der stoischen Philosophie gewährt. Dabei geht die heute geläufige Einteilung der Briefe in 20 Bücher bereits auf die Antike zurück. Der vorliegende Band beinhaltet die Briefe 89-92 aus Buch 14 in deutscher Übersetzung sowie den lateinischen Originaltext.

Der Autor Michael Weischede hat Geschichte an der Ruhruniversität in Bochum studiert und arbeitet zurzeit als freier Schriftsteller in Dortmund.

Liber XIV – Epistula XC


Seneca Lucilio suo Salutem,

(1) Quis dubitare, mi Lucili, potest quin deorum inmortalium munus sit quod vivimus, philosophiae quod bene vivimus? Itaque tanto plus huic nos debere quam dis quanto maius beneficium est bona vita quam vita pro certo haberetur, nisi ipsam philosophiam di tribuissent; cuius scientiam nulli dederunt, facultatem omnibus.

(2) Nam si hanc quoque bonum vulgare fecissent et prudentes nasceremur, sapientia quod in se optimum habet perdidisset, inter fortuita non esse. Nunc enim hoc in illa pretiosum atque magnificum est, quod non obvenit, quod illam sibi quisque debet, quod non ab alio petitur. Quid haberes quod in philosophia suspiceres si beneficiaria res esset?

(3) Huius opus unum est de divinis humanisque verum invenire; ab hac numquam recedit religio, pietas, iustitia et omnis alius comitatus virtutum consertarum et inter se cohaerentium. Haec docuit colere divina, humana diligere, et penes deos imperium esse, inter homines consortium. Quod aliquamdiu inviolatum mansit, antequam societatem avaritia distraxit et paupertatis causa etiam iis quos fecit locupletissimos fuit; desierunt enim omnia possidere, dum volunt propria.

Buch 14 – Brief 90


Seneca grüßt seinen Lucilius,

(1) Wer kann bezweifeln, mein Lucilius, dass es ein Geschenk der unsterblichen Götter ist, dass wir leben, eines der Philosophie, dass wir tugendhaft leben? Es würde daher für gewiss gehalten, dass wir dieser in dem Maße, in dem das sittlich gute Leben eine größere Vergünstigung ist als das [bloße] Leben mehr verpflichtet sind als den Göttern, wenn die Götter nicht auch die Philosophie gewährt hätten; deren Einsicht haben sie keinem dargereicht, die Fähigkeit dazu allen.

(2) Denn hätten sie diese zu einem für jeden zu habendes Gut gemacht, und wären wir schon einsichtsfähig geboren worden, hätte die Weisheit verloren, was sie als Bestes in sich trägt: nicht unter die zufälligen Güter zu fallen. Es ist ja nun aber dieses wertvoll und bedeutend an ihr, dass sie einem nicht zufällt, dass jeder sie sich selbst verdankt, dass sie nicht von einem anderen erbeten wird. Wie könntest du erlangen, was du an der Philosophie bewunderst, wenn es etwas wäre, das als Wohltat anzusehen ist?

(3) Ihre eine Aufgabe ist es, zur Wahrheit über die göttlichen und menschlichen Dinge zu gelangen; es zieht sich niemals die Gottesfurcht von ihr zurück, das Pflichtgefühl, die Gerechtigkeit und das ganze übrige Geleit der miteinander verknüpften und eng zusammenhängenden Tugenden. Sie hat uns gelehrt, Göttliches in Ehren, Menschliches lieb und wert zu halten, und dass die Herrschaft bei den Göttern liegt, unter den Menschen eine Gemeinschaft existiert. Eine Zeit lang dauerte dies unbeschadet an, bevor die Habsucht die Gemeinschaft zerstört hat und sie sogar für jene, die sie ungeheuer reich gemacht hat, ein Grund der Armut geworden ist; indem sie eigenes Eigentum begehrten, gaben sie nämlich auf, alles zu besitzen.

(4) Sed primi mortalium quique ex his geniti naturam incorrupti sequebantur eundem habebant et ducem et legem, commissi melioris arbitrio; natura est enim potioribus deteriora summittere. Mutis quidem gregibus aut maxima corpora praesunt aut vehementissima: non praecedit armenta degener taurus, sed qui magnitudine ac toris ceteros mares vicit; elephantorum gregem excelsissimus ducit: inter homines pro maximo est optimum. Animo itaque rector eligebatur, ideoque summa felicitas erat gentium in quibus non poterat potentior esse nisi melior; tuto enim quantum vult potest qui se nisi quod debet non putat posse.

(5) Illo ergo saeculo quod aureum perhibent penes sapientes fuisse regnum Posidonius iudicat. Hi continebant manus et infirmiorem a validioribus tuebantur, suadebant dissuadebantque et utilia atque inutilia monstrabant; horum prudentia ne quid deesset suis providebat, fortitudo pericula arcebat, beneficentia augebat ornabatque subiectos. Officium erat imperare, non regnum. Nemo quantum posset adversus eos experiebatur per quos coeperat posse, nec erat cuiquam aut animus in iniuriam aut causa, cum bene imperanti bene pareretur, nihilque rex maius minari male parentibus posset quam ut abiret e regno.

(4) Aber die ersten Menschen und ihre Nachkommen hielten sich unbestechlich an die natürliche Ordnung; zugleich besaßen sie sowohl Führer als auch Gesetz, weil sie sich dem Urteil des Tüchtigeren angeschlossen haben; denn die natürliche Ordnung beruht darauf, dass sich die Schwächeren den Überlegeneren unterordnen. Jedenfalls stehen den Tierherden entweder die größten oder die stärksten Exemplare vor: den Rinderherden schreitet nicht ein gewöhnlicher Stier voran, sondern derjenige, der die übrigen Männchen durch Größe und Muskelmasse übertrifft; der am höchsten Aufragende führt die Herde der Elefanten an: unter den Menschen ist es anstatt des größten [Mannes] der sittlich beste. Ein Herrscher wurde infolgedessen nach seinem Charakter ausgewählt, und daher befanden sich diejenigen Völker in höchst glücklicher Lage, bei denen nur der Tüchtigere der Mächtigere sein konnte; mit Sicherheit vermag zu leisten, so viel er will, nur derjenige, der sich für mächtig zu sein hält, wozu er bestimmt ist.

(5) Poseidonios war deshalb der Meinung, dass in jenem Zeitalter, das man das goldene nennt, sich die Herrschaft im Besitz der Weisen befand. Sie verhinderten Gewalttaten und beschützten die Schwächeren vor den Stärkeren, sie haben angeraten und abgeraten und auf Nützliches sowie auf Überflüssiges hingewiesen; ihre Klugheit trug Sorge dafür, dass es ihnen an nichts fehlte, ihre Tapferkeit hielt Gefahren ab, ihre Wohltätigkeit stärkte und förderte die Untertanen. Pflichterfüllung war ihnen aufgetragen, nicht Herrschaft. Niemand hat, insoweit es möglich gewesen wäre, gegen diejenigen etwas unternommen, deren Hilfe ihm das [zu tun] erst ermöglicht hatte, und weder besaß einer die Neigung noch hatte er Grund zu einer Gewalttätigkeit, weil demjenigen, der gehörig herrschte, gehörig gedient wurde, und nichts Schlimmeres hätte der König den Vorfahren androhen können, als dass er von seiner Regentschaft zurücktritt.

(6) Sed postquam subrepentibus vitiis in tyrannidem regna conversa sunt, opus esse legibus coepit, quas et ipsas inter initia tulere sapientes. Solon, qui Athenas aequo iure fundavit, inter septem fuit sapientia notos; Lycurgum si eadem aetas tulisset, sacro illi numero accessisset octavus. Zaleuci leges Charondaeque laudantur; hi non in foro nec in consultorum atrio, sed in Pythagorae tacito illo sanctoque secessu didicerunt iura quae florenti tunc Siciliae et per Italiam Graeciae ponerent.

(7) Hactenus Posidonio adsentior: artes quidem a philosophia inventas quibus in cotidiano vita utitur non concesserim, nec illi fabricae adseram gloriam. 'Illa', inquit, 'sparsos et aut casis tectos aut aliqua rupe suffossa aut exesae arboris trunco docuit tecta moliri.' Ego vero philosophiam iudico non magis excogitasse has machinationes tectorum supra tecta surgentium et urbium urbes prementium quam vivaria piscium in hoc clausa ut tempestatum periculum non adiret gula et quamvis acerrime pelago saeviente haberet luxuria portus suos in quibus distinctos piscium greges saginaret.

(6) Aber nachdem sich die Königsherrschaften aufgrund von sich einschleichenden Verfehlungen in Gewaltherrschaft gewandelt hatten, nahm die Notwendigkeit von Gesetzen ihren Anfang, und auch diese haben anfangs die Weisen eingebracht. Solon, der Athen auf Dauer die Rechtsgleichheit gesichert hatte, war einer der berühmten Sieben Weisen; wenn dieselbe Generation einen Lykurg hervorgebracht hätte, wäre er jener ehrwürdigen Schar als achter beigetreten. Man lobt die Gesetze des Zaleukos und des Charondas: [aber] nicht auf dem Forum und auch nicht im Atrium der Juristen, sondern in der stillen und ehrwürdigen Abgeschiedenheit der Schule des Pythagoras erforschten sie die Rechtsgrundsätze, die sie für das zu dem Zeitpunkt in Blüte stehende Sizilien und für die griechischen Kolonien rings um [Unter-]Italien aufstellen sollten.

(7) Bis hierher stimme ich Poseidonios zu: dass aber die Fertigkeiten, derer sich das alltägliche Leben bedient, von der Philosophie entdeckt worden sind, dem mag ich nicht beipflichten, und ich will ihr auch nicht den Ruhm des bereits erwähnten Handwerks zusprechen. „Diejenigen“, sagt er, „die verstreut lebten und entweder von einem Bretterverschlag oder einem untergrabenen Fels oder dem Stamm eines ausgehöhlten Baumes geschützt wurden, hat jene gelehrt, Häuser zu bauen.“ Ich bin jedoch der Meinung, dass die Philosophie diese Mechanismen der über Häuser emporsteigenden Häuser und der die [Alt-]Städte übertreffenden Stadterweiterungen ebenso wenig ersonnen hat, wie die Fischbecken, die deshalb [vom Meer] abgeschnitten wurden, damit die Genusssucht nicht die Gefahr von Stürmen auf sich nehmen musste und die Schwelgerei auch bei noch so heftig tobender See geeignete Zufluchtsorte besaß, an denen sie [nach Arten] getrennte Fischschwärme mästen konnte.

(8) Quid ais? Philosophia homines docuit habere clavem et...

Erscheint lt. Verlag 20.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
ISBN-10 3-7578-7455-2 / 3757874552
ISBN-13 978-3-7578-7455-1 / 9783757874551
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