Subtile Signale in Texten -  Jens Korbus

Subtile Signale in Texten (eBook)

Ein Beitrag zur Theorie, Philosophie und Psychoanalyse der Textwissenschaft

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 2. Auflage
156 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-1424-4 (ISBN)
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Jens Korbus weist mit Hilfe der Kommunikationswissenschaften, der Semiotik, der Textphilosophie und der Psychoanalyse nach, dass die großartigen Axiome Paul Watzlawicks Grundlage für wissenschaftliche Interpretationen bilden können. Er stellt besonders dar, was in einem Text alles subtiles Signal (Konsenssignal) sein kann. Aus der Sprachphilosophie und der Psychoanalyse kommt die Erkenntnis, dass es mathematisch-eindeutige Interpretation nicht gibt. Er belegt alle seine Aussagen mit Beispielen und Beispielinterpretationen. Ein Buch für Lehrer, Professoren und Studenten.

Jens Korbus studierte Germanistik und Philosophie in Bonn und Düsseldorf. Mitarbeit an der Uni Düsseldorf und am Heine-Institut. Gymnasiallehrer und Mentor in der Referendarausbildung. 1988 erster Preisträger beim Fachinger Kulturpreis für seinen "Brief an Goethe". Er ist mit ungefähr 40 literarischen Veröffentlichungen hervorgetreten. Davon 8 Erzählungen über Goethe, sein Umfeld und Motive aus seinem Werk.

2 Ästhetische Mittel als Ausdrucksform
der Beziehungsbotschaft

2.1 Die „semiotische Brücke“ zwischen der Botschaft der Axiome und der ästhetischen Botschaft


Blicken wir noch einmal zu Watzlawicks Axiomen zurück, so erinnern wir uns, dass das Wesen seines Ansatzes in der Teilung des Kommunikationsstromes in die digital übermittelte Inhaltsbotschaft und die analoge Beziehungsbotschaft bestand.

Watzlawick zeigte im Theorieteil durch seine Beispiele und durch die paradigmatische Analyse eines Theaterstückes, dass die Axiomatik geeignet ist, die Kommunikation zwischen Menschen (lebenden oder erdachten) zu interpretieren.

Erkenntnistheoretisch bedeutet die Analyse mit Hilfe der Axiome, dass man sie als eine Art „Werkzeug“ auf die Kommunikation zwischen den „Figuren“ in einem erdichteten Text ebenso anwenden kann wie auf das innere Gespräch zwischen Autor und Leser. Für die erste Form der Analyse geben Watzlawicks Interpretationen genügend Beispiele mit z.T. erstaunlichen Ergebnissen (s. auch Anhang).

Was aber geschieht, wenn ich die zur Analyse alltagssprachlicher Dialoge so brauchbaren Axiome auf die Einwegkommunikation zwischen dem Schöpfer des Kunstwerks (Autor) und dem Leser anwende?

Was ist nun „analog“, was „digital“? Welches ist die Inhalts-, welches die Beziehungsbotschaft? Gibt es Symmetrie oder Komplementarität zwischen Autor und Leser? Sollte es möglich sein, Interpunktionsraster zu erkennen, die der Autor in der Beziehung zwischen sich und seinen Lesern aufbaut? Wenn ja, wie?

Wird die Kommunikation zwischen dem Autor und seinem Leser „schwerer“ oder „leichter“ zu analysieren sein? Da Kommunikationsketten (von Diskussionsveranstaltungen mit Autoren abgesehen) nicht vorkommen, der Interpretierende es also mit Einwegkommunikation zu tun hat, dürfte die Analyse eher „leichter“ zu handhaben sein, da ja (zumindest offensichtlich auftretende) Interdependenzuntersuchungen komplizierter Natur wegfallen.

Es geht zunächst darum, den Axiomen (vor allem dem Inhalts-Digital- und dem Beziehungs- und Analog-Axiom) ihre literarischen Analogien und Entsprechungen zur Seite zu stellen.

Fragen wir deshalb, was eine ästhetische Botschaft überhaupt ist. Bei der Frage, in welchen Wissenschaftsbereichen wir nach möglichen Antworten zu suchen haben, bietet sich die Semiotik als Wissenschaft von allen Zeichen an. Gleich zu Beginn seiner „Einführung in die Semiotik“ identifiziert Umberto Eco die ästhetische Botschaft folgendermaßen:

„Die Botschaft hat eine ästhetische Funktion, wenn sie sich als zweideutig strukturiert darstellt und wenn sie als auf sich selbst beziehend (autoreflexiv) erscheint, d.h. wenn sie die Aufmerksamkeit des Empfängers vor allem auf die eigene Form lenken will.“18

Auch Umberto Eco nimmt also die erkenntnistheoretische Trennung in zwei Botschaftsteile vor. Eine Botschaft, die sich „auf sich selbst“ bezieht, muss aus mindestens zwei Teilbotschaften bestehen: in der Literaturanalyse aus der inhaltlichen und der formalen Botschaft. Sowohl die Semiotik, die Textwissenschaft als auch die Watzlawicksche Axiomatik arbeiten mit dem erkenntnistheoretischen Modell der Doppelbotschaft. Es liegt daher nicht fern, in der „formalen“ Seite des Botschaftszweiges den Beziehungsaspekt zu erkennen. Dieser bezieht sich sowohl auf den Empfänger als auch „auf sich selbst“; denn die Beziehungsebene qualifiziert ja die Inhaltsebene. Der „Inhaltsseite“ der ästhetischen Botschaft, den „Nur-Informationen“, entspricht der Inhaltsaspekt Watzlawicks. Dem „Stil“, der Art und Weise also, wie diese Informationen dargereicht werden, entsprechen die Erscheinungsformen des Ästhetischen. Ecos folgende Erläuterungen zur „zweideutigen Botschaft“ zeigen diesen Sachverhalt noch einmal deutlich auf:

„Eine völlig zweideutige Botschaft erscheint als äußerst informativ, weil sie mich auf zahlreiche interpretative Wahlen einstellt, aber sie kann an das Geräusch angrenzen, d.h. sie kann sich auf bloßes Geräusch reduzieren. Eine produktive Ambiguität ist die, welche meine Aufmerksamkeit erregt und mich zu einer Interpretationsanstrengung anspornt, mich aber dann Decodierungserleichterungen finden lässt, ja mich in dieser scheinbaren Unordnung als Nicht-Offensichtlichkeit eine viel besser abgemessen Ordnung finden lässt, als es die Ordnung ist, die in redundanten Botschaften herrscht.“19

Die Korrespondenzen zwischen Watzlawicks Beziehungsbotschaft und der ästhetischen Botschaft verdeutlicht noch einmal die folgende bildliche Zusammenschau:

Aufbauend auf dem erkenntnistheoretischen Modell der Doppelbotschaft wird es möglich, die ästhetische Botschaft innerhalb eines „Rahmens“ von Semiotik und Kommunikationswissenschaften anschaulich zu machen.

Aufgabe des Interpreten ist es nun, den inhaltlichen Aussagen die ästhetischanalogen Merkmale der Beziehungsbotschaft zur Seite zu stellen, etwa die rhythmische Unterstreichung einer eintönigen Bahnfahrt durch ein ebenso eintöniges Versmaß.20

Eine interpretatorisch „produktive Ambiguität“ im Sinne Ecos läge dann vor, wenn die Aufmerksamkeit des Lesers zwischen den Inhalten („dem Gesagten“) und den zusätzlichen „Hilfen“ durch die ästhetischen Mittel der Beziehungsbotschaft fruchtbar hin und her oszillierte. Dass man sich diese literarisch-ästhetischen Hilfen der Beziehungsbotschaft anders vorstellen muss als diejenigen in nicht literarischen zwischenmenschlichen Kommunikationsketten, leuchtet ein. Ein Verfasser nur-schriftlicher Botschaften muss ja die Interdependenzen, Annahmen und Überlagerungen in der Kommunikation zwischen sich und dem Leser „sicherer“ voraus berechnen als in einem Sprechakt; denn es bestehen in der literarischen Kommunikation kaum Rückfragemöglichkeiten.

Ecos „Dekodierungserleichterungen“ sind dann alle analog-ästhetische Hilfen, die im Text „zusätzlich“ die Inhalte bestimmen (qualifizieren). Entdecke ich z. B. in Eichendorffs 5-hebig-jambischem Gedicht „Sehnsucht“, dass die Zeilen „Wo die Brunnen verschlafen rauschen“ zusätzlich durch einen Daktylus symbolisiert sind, so ist dieser (der Zeichenhäufung zuzurechnende) Daktylus eine

Dekodierungshilfe im Sinne Ecos, ein analoges (weil nicht-digitales) Mittel der Beziehungsbotschaft.

Der zweisenkige Daktylus sagt auf nicht-verbaler Ebene „noch einmal“, was inhaltlich nur „einmal“ gesagt werden kann. Es handelt sich also tatsächlich um eine Doppelbotschaft, ein Signalelement auf semantischen und erkenntnistheoretisch vollständig verschiedenen Ebenen.

Eine „abgemessene Ordnung“ im Ecoschen Sinne wäre ein Ordnungsmuster „zwischen“ den beiden Zweigen der Doppelbotschaft. Um diese Ordnung zu erkennen, soll der Leser oder Hörer jeder Information der Inhaltsseite eine entsprechende nicht-verbale, also analoge (ästhetische) Entsprechung auf der Beziehungsseite zuordnen. Eine solche Doppelung und Korrespondenz meint Eco:

„Die Laute scheinen bei einem onomatopoetischen Ausdruck den evozierten Sinn noch einmal auszudrücken; der physikalische Komplex der Signifikanten realisiert einen lautlichen und visuellen Rhythmus, der nicht willkürlich ist in Bezug auf die Bedeutungen.“ 21

Oder noch deutlicher:

„Wenn ich eine rhetorische Figur wie die Anapher gebrauche und zur Beschreibung eines militärischen Aufmarsches sage: ‚Arrivano i cavalieri, arraviano i fanti, arraviano le bandiere‘ (‚da kommen die Ritter, da kommen die Soldaten, da kommen die Fahnen‘), dann strukturiert sich das parallele Voranschreiten des Gedankens, das vom parallelen Voranschreiten der Signifikation wiedergegeben wird, homolog zum parallelen Voranschreiten der Männer, die ich im Vorbeimarschieren darstelle.“22

Wir sehen: Im Falle der Eichendorff-Zeile war Ecos „Dekodierungserleichterung“ eine Beziehung zwischen dem Inhalt und einer rhythmischen Hervorhebung. Im vorstehenden Zitat liegt eine Beziehung zwischen dem Inhalt und einer rhetorischen Anordnungsfigur vor. In einem anderen Falle könnte es eine Beziehung zwischen dem Inhalt und dessen „Filterung“ durch die Wahl einer geeigneten Erzählperspektive sein.

In seinem Gedicht „Bildzeitung“ 23 nennt Enzensberger Manipulationsmöglichkeiten nicht beim Namen, sondern symbolisiert sie analog durch eine „durchsichtige“ Form der Silbenvertauschung. Anstatt die Zielgruppe mit „Markenkleber“ (Rentner) und „Uhrenstecher“ (Arbeiter) anzureden, zeigt er die Manipulation durch die Silbenvertauschung „Markenstecher Uhrenkleber“ sowie „Manitypistin Stenoküre“. Um dem Leser die Erzeugung märchenhafter Erwartungen nahe zu legen, werden einzelne Zeilen aus dem Grimmschen Märchen von „Tischlein deck dich“ in das Gedicht montiert. Fast alle Formen von „Entitäten“ können zu einem...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-7526-1424-2 / 3752614242
ISBN-13 978-3-7526-1424-4 / 9783752614244
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