Philosophische Schriften. Band 4 (eBook)
324 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-3611-1 (ISBN)
Aristoteles wird 384 v. Chr. in Stagira (Thrakien) geboren und tritt mit 17 Jahren in die Akademie Platons in Athen ein. In den 20 Jahren, die er an der Seite Platons bleibt, entwickelt er immer stärker eigenständige Positionen, die von denen seines Lehrmeisters abweichen. Es folgt eine Zeit der Trennung von der Akademie, in der Aristoteles eine Familie gründet und für 8 Jahre der Erzieher des jungen Alexander des Großen wird. Nach dessen Thronbesteigung kehrt Aristoteles nach Athen zurück und gründet seine eigene Schule, das Lykeion. Dort hält er Vorlesungen und verfaßt die zahlreich überlieferten Manuskripte. Nach Alexanders Tod, erheben sich die Athener gegen die Makedonische Herrschaft, und Aristoteles flieht vor einer Anklage wegen Hochverrats nach Chalkis. Dort stirbt er ein Jahr später im Alter von 62 Jahren. Die Schriften des neben Sokrates und Platon berühmtesten antiken Philosophen zeigen die Entwicklung eines Konzepts von Einzelwissenschaften als eigenständige Disziplinen. Die Frage nach der Grundlage allen Seins ist in der 'Ersten Philosophie', d.h. der Metaphysik jedoch allen anderen Wissenschaften vorgeordnet. Die Rezeption und Wirkung seiner Schriften reicht von der islamischen Welt der Spätantike bis zur einer Wiederbelebung seit dem europäischen Mittelalter. Aristoteles' Lehre, daß die Form eines Gegenstands das organisierende Prinzip seiner Materie sei, kann als Vorläufer einer Theorie des genetischen Codes gelesen werden.
Band 4 der Philosophischen Schriften
Politik
Buch I - 9
Buch II - 39
Buch III - 89
Buch IV - 139
Buch V - 187
Buch VI - 241
Buch VII - 263
Buch VIII - 307
Zu diesem Band - 325
BUCH II
Kapitel 1. Wir haben uns die Aufgabe gestellt zu untersuchen, welche unter allen Formen staatlicher Gemeinschaft die beste für Leute ist, die, so weit wie möglich, ihren Wünschen entsprechend ihr Leben führen können. Für ein solches Vorhaben müssen wir auch die anderen Verfassungen einer Prüfung unterziehen, sowohl Verfassungen, die in einigen Staaten in Kraft sind, welche wegen ihrer trefflichen gesetzlichen Ordnung in gutem Rufe stehen, als auch andere Verfassungen, die von gewissen Männern entworfen wurden und als vorbildlich gelten. Wir tun dies in folgender Absicht: einmal soll das Richtige und Nützliche erkannt werden, und außerdem soll nicht der Eindruck entstehen, als sei die Suche nach etwas Neuem neben den bestehenden der Zeitvertreib von Leuten, die um jeden Preis etwas spitzfindig ersinnen wollen; es soll vielmehr deutlich werden, daß wir uns diese Untersuchung deswegen vorgenommen haben, weil die Verfassungen, die jetzt vorliegen, unzulänglich sind.
Wir müssen zu allererst den Ausgangspunkt wählen, der naturgemäß Ausgangspunkt einer solchen Betrachtung ist: zwangsläufig (kann es nur drei Möglichkeiten geben): entweder (1) haben alle Bürger an allen Dingen teil oder (2) an nichts oder (3) zwar an einigen Dingen, an anderen jedoch nicht. Daß sie jedoch an nichts teilhaben (2), ist offensichtlich ausgeschlossen. Denn die Bürgerschaft ist eine Gemeinschaft der Teilhabe, und zuallererst müssen (die Bürger) das Staatsgebiet teilen; zu einem einzigen Staat gehört ja auch nur [1261a] ein einziges Staatsgebiet, die Bürger sind aber Teilhaber an dem einen Staat (und daher auch an seinem Gebiet). Ist es nun besser, daß (die Bürger) des Staates, der richtig regiert werden soll, alle Dinge, die man gemeinsam haben kann, auch tatsächlich gemeinsam besitzen (1), oder ist es besser, einige Dinge gemeinsam zu haben, andere jedoch nicht (3)? Denn es besteht sicherlich die Möglichkeit (1), daß die Bürger miteinander auch Kinder, Frauen und Besitz gemeinsam haben wie in der Politeia Platons; denn dort fordert Sokrates, daß auch Kinder, Frauen und Besitz allen gemeinsam gehören müssen. Soll dies nun besser so, wie es jetzt üblich ist (3), geregelt sein oder nach dem in (Platons) Politeia niedergelegten Gesetz?
Kapitel 2. Daß die Frauen allen gemeinsam gehören, bringt aber schon sonst viele Mißstände mit sich, und der Zweck, um dessentwillen Sokrates eine solche Gesetzgebung für notwendig erklärt, folgt offensichtlich nicht aus den zur Begründung angeführten Argumenten. Und was den Zweck selber angeht, der nach seiner Auffassung dem Staat gesetzt sein muß, so stellt er, wie er jetzt formuliert ist, im Staat überhaupt eine Unmöglichkeit dar, wie man ihn aber genauer bestimmen sollte, [a15] wurde von ihm nicht erklärt – ich meine seine Auffassung, es sei das Beste, daß der ganze Staat in größtmöglichem Maße eine Einheit ist, denn dies nimmt Sokrates zur Grundlage. Offensichtlich wird aber ein Staat, wenn er fortschreitend mehr und mehr zu einer Einheit wird, aufhören, ein Staat zu sein; denn ein Staat ist seinem Wesen nach eine zahlenmäßige Vielheit, und wenn er in stärkerem Maße eins wird, dann wird aus dem Staat ein Haushalt und aus dem Haushalt ein Einzelmensch; denn »eins zu sein« dürften wir eher dem Haushalt als dem Staat zusprechen und dem Einzelnen wieder eher als dem Haushalt. Aber selbst wenn jemand in der Lage sein sollte, diese Einheit herzustellen, sollte er sie nicht verwirklichen, denn er wird den Staat zerstören.
Ein Staat setzt sich aber nicht nur aus einer größeren Anzahl von Menschen zusammen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind, denn ein Staat entsteht nicht aus Gleichen. Grundsätzlich unterscheidet sich nämlich ein Waffenbündnis von einem Staat: der Nutzen eines Waffenbündnisses beruht allein auf der zahlenmäßigen Stärke, auch wenn (die Mitglieder) von gleicher Art sind – denn ein Waffenbündnis dient seiner Natur nach der militärischen Hilfeleistung, (es wirkt) wie ein zusätzliches Gewicht, das (die Waagschale) zum Sinken bringt. In dieser (Differenz von Einheit unter wesensmäßig Verschiedenen und zahlenmäßiger Addition Gleicher) besteht auch der Unterschied zwischen einem Staat und einem Volksstamm, sofern die große Zahl (seiner Mitglieder) nicht vereinzelt über Dörfer zerstreut wohnt, sondern wie die Arkader organisiert ist.
Diejenigen, aus denen eine Einheit gebildet werden soll, sind dagegen wesensmäßig verschieden. Deswegen erhält die Gleichheit des Empfangens gegenseitiger Leistungen die Staaten, wie in den ethischen Erörterungen zuvor dargelegt wurde. Ja selbst auch unter Freien und Gleichen muß diese (Gleichheit) hergestellt werden; denn alle können nicht zur gleichen Zeit ein Staatsamt bekleiden, sondern entweder nur für ein Jahr oder nach einer anderen zeitlichen Regelung. Auf diese Weise läßt sich auch erreichen, daß alle (Bürger) Herrschaft ausüben, so wie wenn Schuster und Zimmerleute (ihre Berufe) vertauschten und es nicht (so wäre, daß) die gleichen immer entweder Schuster oder Zimmerleute sind. Da aber gerade nach diesem Prinzip auch die politische Gemeinschaft besser geordnet ist, ist es offensichtlich vorzuziehen, daß die gleichen Leute immer die Herrschaft innehaben – sofern dies möglich ist; wenn aber in einer bestimmten Bevölkerung dies nicht möglich ist, weil alle in ihrer Natur gleich sind, und wenn es [1261b] (bei ihnen) zugleich auch ein Gebot der Gerechtigkeit ist, daß alle an der Ausübung von Herrschaft beteiligt sind – einerlei ob dies eine Tätigkeit von hohem oder geringem Rang ist – da versucht die Regelung, daß die Gleichen sich im Wechsel (die Herrschaft) überlassen † und doch von Anfang an gleich sind †, dies nachzuvollziehen; denn im Wechsel herrschen die einen und werden die anderen beherrscht, so als ob sie Menschen anderer Art geworden wären. Dieser (Ausgleich von Aufgaben) findet auch statt, wenn sie ein Amt bekleiden: denn die einen übernehmen dieses, die anderen jenes Amt.
Danach ist nun offensichtlich hierüber Klarheit erreicht: einerseits kann ein Staat seiner Natur nicht in dem Sinne eine Einheit sein, wie manche Leute behaupten; und andererseits zerstört das, was als größtes Gut für die Staaten hingestellt wird, die Staaten, während doch das, was als (wirkliches) Gut einer Sache anzusehen ist, dieser dauerhaften Bestand verleiht.
Auch auf andere Weise wird deutlich, daß dieses Streben, einen Staat allzusehr zu einer Einheit zusammenzuschließen, nicht vorteilhaft ist. Denn ein Haushalt besitzt mehr Autarkie als ein Einzelner und ein Staat mehr als ein Haushalt, und erst dann kann man von der Existenz eines Staates sprechen, wenn die Bevölkerung eine Gemeinschaft bildet, die die Bedingung der Autarkie erfüllt. Wenn nun das, was größere Autarkie besitzt, den Vorzug verdient, dann ist auch der Zustand mit geringerer [b15] Einheit dem mit größerer Einheit vorzuziehen.
Kapitel 3. Jedoch selbst wenn es das höchste Gut wäre, daß die Gemeinschaft möglichst »eins« ist, so scheint doch auch dies nicht in logischer Argumentation (aus der Bedingung) »wenn alle zugleich ›mein eigen – nicht mein eigen‹ sagen« – nach Sokrates’ Auffassung ist dies ein Indiz für die vollständige Einheit des Staates – abgeleitet zu werden. Das Wort alle wird aber hierbei in zweifacher Bedeutung gebraucht. Wenn alle im Sinne von jeder Einzelne verwandt ist, dann dürfte wohl eher das eintreten, was Sokrates bewirken will: jeder Einzelne wird nämlich das gleiche Kind seinen Sohn und die gleiche Person seine Frau nennen und sinngemäß entsprechend beim Besitz und bei den Wechselfällen des Lebens. Nun werden aber Leute, die Frauen und Kinder gemeinsam haben, sich nicht in diesem Sinne ausdrücken, sondern sie werden zwar als Gesamtheit (diese Personen »ihr eigen« nennen), aber nicht jeder Einzelne von ihnen; genauso werden zwar alle zusammen den Besitz (als ihren eigenen bezeichnen), aber nicht jeder Einzelne als seinen eigenen. Offensichtlich ist doch hier die Bezeichnung alle eine Irreführung – denn »alle« und »beides« wie »ungerade« und »gerade« ermöglichen wegen ihrer Doppelbedeutung auch in Disputationen die eristischen Trugschlüsse. Daraus folgt: wenn alle das gleiche (als ihr eigen) bezeichnen, so ist das zwar in dem einen Sinne eine ansprechende Regelung, enthält aber eine Unmöglichkeit, und in dem anderen Sinne bewirkt es keine Eintracht.
Außerdem bringt die (dort) empfohlene Maßnahme noch einen weiteren Nachteil mit sich: denn Gegenstände, die die größte Zahl von Menschen gemeinsam besitzt, erfahren die geringste Pflege und Sorgfalt. Man kümmert sich ja am ehesten um persönliches Eigentum, um das der Allgemeinheit dagegen weniger oder nur in dem Maße, wie es jeden persönlich angeht. Denn – von anderen Gesichtspunkten abgesehen – (wo Besitz allen gemeinsam gehört), ist man eher nachlässig, weil man sich damit beruhigen kann, daß ein anderer da ist, der sich darum kümmern kann – so erledigt manchmal eine große Zahl von Dienern die Dienstaufgaben des Gesindes schlechter als eine kleinere. (Bei Platon) hat nun zwar jeder Bürger tausend Söhne, aber natürlich nicht persönlich jeder einzelne Bürger, sondern jeder beliebige (junge Mann), den man gerade herausgreift, kann ebensogut von jedem beliebigen [1262a] Vater abstammen; daher werden alle diese (Väter ihre Söhne) in gleicher Weise vernachlässigen. Außerdem kann jeder seinen Mitbürger, dem es gut oder schlecht geht, nur in dem Bruchteil »mein eigen« nennen, in dem er selber zur Gesamtzahl der Bürger steht: so sagt er »mein eigen« oder »der Sohn von jenem da«, und mit dieser Feststellung...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2019 |
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Reihe/Serie | Philosophische Bibliothek | Philosophische Bibliothek |
Übersetzer | Eckart Schütrumpf |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Geschichte der Philosophie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie Altertum / Antike | |
Schlagworte | Antike Philosophie • Aristoteles • Politische Philosophie |
ISBN-10 | 3-7873-3611-7 / 3787336117 |
ISBN-13 | 978-3-7873-3611-1 / 9783787336111 |
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Größe: 853 KB
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