Deutsch als Predigtsprache des Islam (eBook)

Eine semantische und pragmatische Studie

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
319 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-106289-1 (ISBN)

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Deutsch als Predigtsprache des Islam - Fatemeh Taheri
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Wie wird heute das Deutsche im islamreligiösen Kontext verwendet? Diese empirische Studie wählt unter allen Bereichen der mündlichen Kommunikation der Imame in Deutschland die Predigt aus. Dabei fragt sie über die Teilnehmenden an dieser religiösen Praxis, über die soziologischen Gesichtspunkte dieser Kommunikationssituation sowie über die Predigtsprache selbst. Der Gegenstand umfasst ein Korpus aus Predigten von sechs schiitischen deutschsprachigen Predigern, welches zunächst pragmatisch diskutiert und (fach)sprachlich profiliert wird. Die religionssensiblen Einheiten im Predigtkorpus gestalten dann sog. (graphische) Wortfelddarstellungen, wobei die hierarchischen Relationen wie auch assoziative Zusammenhänge Berücksichtigung finden und der semantischen Offenheit bzw. Vielfalt dieser Felder gerecht werden. Vier (einander teils überschneidende) Themenfelder 'Gott und Schöpfung', 'Schrift und Rechtsfindung', 'Propheten und Imame' sowie 'Glaubenspraxis und Rituale' werden voneinander unterschieden. Durch diese Arbeit wird eine umfassende Aufarbeitung der Textsorte Predigt im Islam deutscher Sprache vorgelegt und dabei einen wichtigen Beitrag zu deren besseren Verständnis in der Wissenschaft wie in der Öffentlichkeit geleistet.



Fatemeh Taheri, Technische Universität Berlin

1 Einleitung


1.1 Thematik


In Abgrenzung zur Alltagssprache entwickeln sich Fachsprachen mit ihrem jeweils anwachsenden Wortschatz. Sie dienen dazu, die Erkenntnisse aus unterschiedlichen Lebens- und Fachbereichen der eigenen Sprachgemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. In der globalisierten Kommunikationswelt lassen sich die Erkenntnisse kaum mehr einer einzigen Ursprungskultur bzw. Originalsprache zuschreiben. Vor dem Hintergrund dieser sprach- und fachbezogenen Grenzüberschreitung gibt es ein gutes Beispiel mit einer sich immer mehr ausbreitenden Dimension: das Beispiel der islamischen Predigten in deutscher Sprache. Es ist noch nicht lange her, dass der Islam hierzulande „Deutsch spricht“. Steht einem dabei als Allererstes die islamische Predigt als einer typischen religionssprachlichen Kommunikationsform vor Augen, so lässt sich dies ebenso auch durch diese Arbeit belegen und ist im Folgenden insbesondere als erste Entsprechung des personifiziert deutschsprechenden Islam zu verstehen.

Wenn von der religiösen Sprache im kommunikativen Kontext der muslimischen Gemeinden Deutschlands gesprochen wird, können sich die Sprechende auf fachtheologische Expert✶innen beziehen oder demgegenüber auch auf die in Deutschland sozialisierten Bürger✶innen muslimischen Glaubens als Fachlaien. Diese Unterscheidung ändert indes kaum etwas an der Feststellung, dass die bundesweit noch minderheitlich in manchen muslimischen Gemeinden deutschsprachig stattfindenden islamischen Predigten in ihrer aktuellen Verfassung durch gewisse sprachliche Charakteristika gekennzeichnet sind.

Zahlreiche Predigtstellen, bspw. über die Bedingungen der rituellen Reinheit (ṭahāra), weichen ganz offensichtlich von der deutschen Alltagssprache ab, jedoch an anderen Stellen nur ganz gering. Dies variiert je nachdem, unter welchen zeitlichen, räumlichen oder gesellschaftlichen Kommunikationsbedingungen ein bestimmter gegenwärtiger deutscher Sprachgebrauch stattfindet. Inwiefern darin Wörter oder Wortgruppen anderer Sprachen häufig oder selten auftreten, ist wiederum eine Frage, die mit multilateralen Faktorenkomplexen zusammenhängt. Diese Mehrsprachigkeit war ja lange Zeit überhaupt nicht gegeben, da das islamische Predigtgeschehen in Deutschland mehrere Jahrzehnte einsprachig stattfand und auf die Nationalsprachen der jeweiligen Länder mit muslimischer Mehrheit (Türkei, Iran usw.) beschränkt war.

Um den Gebrauch des Deutschen im Kontext des Islam in Deutschland dreht sich mittlerweile die bundesweite Integrationsdebatte. Zu Beginn wurde ihr u. a. im Jahr 2006 auf der Deutschen Islamkonferenz (DIK) Aufmerksamkeit zuteil. Im Anschluss sind unter dem eingeführten Begriff Imamausbildung etliche Ausbildungskurse für religiöses Personal in den muslimischen Gemeinden Deutschlands (oft mit staatlicher Förderung) initiiert worden. Während Berichten zufolge im Jahr 2006 fast 90 Prozent der in Deutschland lebenden Imame aus dem Ausland stammten und ihre theologische Ausbildung nicht hierzulande erhalten haben (s. Busch und Goltz 2011), setzte sich die Bundesregierung im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz immer mehr für die Sprachausbildung der Imame ein. Wenn nicht früher, so doch spätestens innerhalb des ersten Jahrzehntes des 21. Jahrhunderts, bestand parallel zu dieser staatlichen Forderung ein generell steigendes Interesse der Imame selbst – sowohl quantitativ (verbreitet unter mehreren Gemeinden) als auch qualitativ (hinsichtlich der Verbesserung sprachlicher Kompetenzen) – adäquat in deutscher Sprache mit den Gemeindemitgliedern kommunizieren zu können. Dieses Interesse hat seinen Ursprung u. a. im demographischen Wandel. Die Kommunikationspartner✶innen der Imame sind überwiegend Moscheebesuchende bzw. Predigtzuhörende, die zunehmend Deutsch als Erstsprache sprechen (s. Ceylan 2010, Kamp 2006: 44).

Bereits in diesem ersten Teil der Einleitung ist eine Bemerkung über den genderspezifischen Sprachgebrauch in dieser Arbeit angebracht. Über die Eindeutschung des fremdsprachlichen Begriffs Imam und dessen Gebrauch in deutschsprachigen Texten hinaus ist nunmehr zwar auch die weibliche Form Imamin weithin geläufig.1 Die Wortbildung des Kompositums „Imamausbildung“ etabliert sich indessen in der noch ungegenderten Form, sodass die gendergerechte Imam✶inausbildung noch keinen Weg in die einschlägige Kommunikation gefunden hat.

Es lässt sich eine steigende Frauenquote in der Mitgestaltung von und Teilnahme an den Ausbildungsprogrammen für religiöses Personal in den Moscheen Deutschlands beobachten, was das zukünftige Panorama erheblich beeinflussen wird. Eine der ersten Motivationen für die Abfassung der vorliegenden Arbeit ist die nachdrückliche Frauenförderung im Bereich Ausbildung des religiösen Personals in den muslimischen Gemeinden Deutschlands. Ferner soll der an den Ergebnissen der Arbeit anschließende Didaktisierungsprozess insbesondere (angehende) Imaminnen und Predigerinnen als Lerngruppe in den Fokus der fachsprachsensiblen Sprachausbildung nehmen. Allerdings wird am Ausgangspunkt und während der vorliegenden Untersuchung die aktuelle Lage der Predigtpraxis beschrieben und nicht vorgeschrieben. Ungegenderte Wörter wie Prediger und Imam werden also deshalb in der vorliegenden Untersuchung verwendet, da das für die vorliegende Arbeit untersuchte religiöse Personal in den islamischen Zentren Deutschlands ausschließlich männlich ist.

1.2 Problematik, Aktualität und Relevanz


Die DIK erklärte am 10. November 2020 die Imamausbildung in deutscher Sprache zu ihrem Kernthema und forderte mehr Angebote der Imamausbildung in Deutschland und in deutscher Sprache (vgl. URL1). Diese gesellschaftlich-politische Mediendebatte wird nicht nur häufig unter dem Stichwort Sprachausbildung behandelt, sondern ein Überblick über die Ausbildungsinhalte für Imame bzw. über deren variierenden Unterrichtssprachen (vgl. URL2) bestätigt auch Folgendes: Die Initiierenden der Imamausbildungsprogramme scheinen von der Mehrsprachigkeit der islamischen Kommunikation in Deutschland und von den damit einhergehenden Bedürfnissen überzeugt zu sein.

Ferner weisen so gut wie alle linguistischen Unterdisziplinen eigene Berührungspunkte mit dieser aus der Praxis stammenden Sprachproduktion auf: von der Semantik und Pragmatik des theologischen Wortschatzes, der Übersetzungswissenschaft bzw. Äquivalenzfindung im Bereich des islamisch-arabischen Kernwortschatzes, über Rhetorik bis hin zu den didaktischen Fächern Deutsch als Zweit-, Fremd-, Fach- und Berufssprache für Imame als bestehende Lerngruppe. Der Text dieser Arbeit kennzeichnet die verwendete Sprache in den Predigten nicht primär als Fachsprache oder in relativierter, Variationen signalisierender Form als (Fach-)Sprache, sondern es wird zunächst generell von Sprache gesprochen. Diese Frage wird jedoch explizit zur Diskussion gestellt (Kap. 5.4.5). Die Problemstellung der Arbeit ist im Großen und Ganzen an der Schnittstelle zwischen mindestens zwei Hauptdisziplinen – Sprache und Religion – zu verorten.

Der Eintritt der Imame in die Qualifizierungsprogramme resultiert nicht nur aus operationalisierenden Initiativen in den muslimischen Gemeinden Deutschlands oder aus den Ausbildungen in anderen Ländern, wie z. B. in der Türkei, in Marokko oder in Bosnien-Herzegowina. Darüber hinaus haben diejenigen Universitäten und Hochschulen, die Zentren für Islamische Theologie eingerichtet haben, ebenfalls die neue Lerngruppe, Imame oder Religionslehrende, ins Auge gefasst. An den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Frankfurt (mit der Universität Gießen), Münster, Osnabrück, Tübingen und Paderborn wird zurzeit das Fach „Islamische Theologie“ angeboten. Die meisten Zentren verstehen sich als Orte der Theologie, die aus diversen muslimischen Traditionen heraus arbeiten und über den Islam reflektieren (s. Engelhardt 2017). Das 2019 gegründete „Berliner Institut für Islamische Theologie“ an der Humboldt-Universität bezieht zum ersten Mal stärker die schiitische Theologie mit ein und wird, wie alle anderen genannten Zentren, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Häufig werden in den Diskussionen um die Ausbildung der Imame Analogien zur Ausbildung von Geistlichen anderer Religionen in Deutschland herangezogen. Neben den vergleichbaren Tätigkeitsfeldern dieses Personenkreises wird bspw. darauf hingewiesen, dass die evangelischen Pastor✶innen, katholische Priester sowie jüdische Rabbiner✶innen – ergänzend zu ihrem theologischen Studium – von ihren eigenen Glaubensgemeinschaften predigtsprachlich ausgebildet werden. Daraus solle dann vorbildlich hervorgehen, Imame ebenfalls innerhalb der eigenen Gemeindeinitiativen in Kooperation mit islamtheologischen Disziplinen der staatlichen Universitäten u. a. auch sprachlich auszubilden (vgl. bspw. URL3). Eine solche Analogie missachtet die lange etablierte Tradition der Predigtlehre (fachtheologisch bekannt als Homiletik) in der universitären praktischen Theologie des Christentums. Hingegen gibt es erst seit Kurzem die Subdisziplin Praktische Theologie innerhalb der universitär verankerten islamischen Theologie, sowohl an deutschen Universitäten (wie z. B. am BIT) als auch in den anderen muslimischen Ländern. Ohne die Einarbeitung der islamischen...

Erscheint lt. Verlag 8.5.2023
Reihe/Serie Deutsch als Fremd- und Fachsprache
Deutsch als Fremd- und Fachsprache
ISSN
ISSN
Zusatzinfo 5 b/w and 6 col. ill., 30 b/w tbl.
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Islam
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Sprachwissenschaft
Schlagworte Deutsch als Fremd- und Fachsprache • German as a Foreign Language • Islamic sermon • language education of Imams • Predigtsprache des Islam • Sprachausbildung von Imamen • Technical Terminology
ISBN-10 3-11-106289-9 / 3111062899
ISBN-13 978-3-11-106289-1 / 9783111062891
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