Containment in Führung & Organisation, Beratung & Coaching -

Containment in Führung & Organisation, Beratung & Coaching (eBook)

Halt geben und Halt erfahren
eBook Download: EPUB
2022 | 2. Auflage
228 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-9952-4 (ISBN)
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Wer schonmal im Hochseilgarten war, weiß wie wichtig die Sicherung ist, auch wenn sie nicht zum Einsatz kommt. Selbst wenn der Parcours ohne tatsächlichen Gebrauch überwunden werden kann, erfüllt die Sicherung eine wichtige Funktion, um diesen zu bewältigen. Sie hilft, die Angst aushaltbar zu machen und sich dem Parcours mutig stellen zu können. Ähnlich trägt es sich bei allen Formen von Entwicklungsprozessen - auch in Organisationen - zu. Es bedarf Halt gebenden Beziehungen - nach Wilfred Bion: Containment. Das vorliegende Buch bietet eine umfassende Betrachtung des Themas und beleuchtet dabei die wissenschaftliche Verortung, sowie dessen Bedeutung als Initialzündung für die psychische Entwicklung des Menschen. Das Thema Angst ist häufig ein Tabuthema in Organisationen. Dem wird eine weitere Perspektive von Angst als Entwicklungskatalysator gegenübergestellt. Der verwandte Begriff der negativen Kapazität wird vorgestellt und abgegrenzt. Die Bedeutung von Containment wird speziell im Hinblick auf die Praxis von Führung, Coaching und Beratung betrachtet. Der Band schließt mit einem Artikel zur Bedeutung und Veränderung von Haltungen und Einstellungen für Beziehungen ab.

4.1. Die archaische Welt des Säuglings und dessen ungefilterte Wahrnehmungen und Empfindungen (rohe Wahrnehmungen)


Abbildung 2: Auf den Säugling treffende ungefilterte Wahrnehmungen (Quelle: eigene Darstellung)

Säuglinge erleben ihre Wahrnehmung unstrukturiert und ungefiltert und sind diesen vollkommen ausgeliefert. Bspw. sehen Säuglinge im Gegensatz zu Erwachsenen noch „Doppelbilder“, da die einströmenden Wahrnehmungen nicht automatisch und in wenigen Bruchteilen von Sekunden vom Gehirn „verrechnet“ und zu einem ganzheitlichen Bild inkl. Tiefenwahrnehmung und der Wahrnehmung einzelner Gegenstände verarbeitet werden können. Dies und auch die Selektion der wahrgenommenen Aspekte, die in wenigen Bruchteilen von Sekunden abläuft und (vorwiegend) unbewusst geschieht, sind Aspekte, die erlernt werden und später nahezu automatisch und aufwandslos ablaufen. Dies wird quasi erst erlernt. In Bezug auf die Darstellungen aus dem Artikel „Die Entwicklung und Strukturierung des Selbst und was das für den Umgang mit Angst und Widerständen bedeutet“ bestehen zwischen den zahlreichen „Punkten“ die wahrgenommen werden noch keine Verbindungen. Einzelne Aspekte werden wahrgenommen, können jedoch nicht in einen bedeutsamen, logischen oder zeitlichen Zusammenhang gebracht werden. Es existiert noch keine emergente Struktur, anhand derer Wahrnehmungen und angeborene Primäraffekte angegliedert und verstanden werden können. Fonagy et al. sprechen in diesem Zusammenhang von „primary awareness“ (vgl. Fonagy et al. 2004). Auch können Säuglinge, im Sinne Piagets, sich selbst nicht klar von der Umwelt unterscheiden. „Wenn wir zum Ausgangspunkt des Denkens zurückkehren, stoßen wir auf ein protoplasmatisches Bewusstsein, das keinen Unterschied zwischen dem Ich und den Dingen macht“ (Piaget 1978, S. 271).

Abgesehen von fehlenden Bedeutungen zwischen wahrgenommenen Aspekten sind Säuglinge außerdem zunächst nicht dazu in der Lage Wahrnehmungen zu selektieren, so wie Kinder oder Erwachsene ihre Aufmerksamkeit bewusst fokussieren oder Geräusche unbewusst filtern. Ferner können sie ihre Emotionen nicht eigenständig strukturieren und regulieren und benötigen hierfür vorerst einen intersubjektiven Lernprozess. Die Fähigkeiten und Wahrnehmungssinne von Säuglingen prägen sich erst langsam aus, wie bspw. die Fähigkeit zu sehen. Würde der Säugling von Beginn an so weit sehen können wie im Alter von acht, würde er vermutlich von den Eindrücken überwältigt. Häufig lässt sich beobachten, dass Kleinkinder oder Babys in einem Augenblick strahlend lachen und dann im nächsten Moment so sehr weinen, dass sie sich schütteln. Für Erwachsene ist es kaum noch vorstellbar, wie belastend so ein Wechselbad sein muss. Säuglinge sind von ihren Emotionen vollständig ergriffen und können diese gleichzeitig noch keinen mentalen Zuständen zuordnen. Säuglinge erleben also ihre Wahrnehmungen Emotionen in erster Linie vollkommen roh (vgl. Diem-Wille 2012, S. 31), urzuständlich, ganzheitlich und direkt auf körperlicher Ebene (u.a. Blutdruck, Puls, Zittern, Weinen, Anspannung und Entspannung) wodurch diese eine überwältigende und unerträgliche Qualität (sowohl positiv, als auch negativ) erlangen können. Malatesta und Haviland sprechen in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit der „Desomatisierung“ von Affekten (Malatesta & Haviland 1985). Der Begriff lässt als Interpretation zu, dass damit eine Abspaltung von Empfindungen gemeint ist. Jedoch ist damit und im Rahmen von affektiven Lernprozessen generell die „sinnvolle“ Strukturierung von Wahrnehmungen und Affekten gemeint. Die zunächst ausschließliche Körperlichkeit der Empfindungen wird in innere Repräsentanzen transformiert und mit Kognitionen verbunden, so dass diese in ihrer ungeheuerlichen Intensität nachlassen und dafür immer differenzierter werden, wodurch wiederum die Autonomie bei der Vermittlung zwischen Selbst und Umwelt erhöht wird.

Gleichzeitig führen diese mentalen Ereignisse von Säuglingen unweigerlich zu einem affektiven Ausdruck und werden damit unausweichlich nach Außen adressiert (vgl. Holodynski & Friedlmeyer 2006, S. 2), wodurch Affekte an sich eine relationale Qualität in sich tragen. Aus diesen Wahrnehmungen und Empfindungen entstehen nach dem Einwirken auf den Säugling dann „Beta-Elemente“ bzw. nicht denk- und integrierbare Wahrnehmungsfragmente.

4.2. Nicht denk- und integrierbare Wahrnehmungsfragmente


Abbildung 3: Wahrgenommene Denkfragmente können nicht in die bisherigen inneren Repräsentationen integriert werden (Quelle: eigene Darstellung)

„Beta-Elemente sind unverdaute Fakten“ (Bion 1992, S. 52). Es handelt sich dabei um unverstandene, unbewusste und unverdaute Sinneseindrücke und damit verbundene Affekte. Beta-Elemente sind nicht integrierbare mentale Zustände bzw. Denkobjekte. Sie können genauso, wie verdaute Wahrnehmungen und Affekte, gespeichert werden – sie sind jedoch nicht „für das Denken verfügbar“ (Bion 1990a, S. 53). Sie sind Fragmente, die noch nicht in einen sinnvollen Bezug zu den bisherigen bestehenden inneren Repräsentationen gebracht werden können und daher nicht verstehbar und aversiv sind (vgl. Rüth 2005, S. 74).

Von Objekten werden, durch diese Wahrnehmungsbruchstücke, lediglich zahlreiche, ungeordnete Fragmente eines Objektes wahrgenommen und diese werden polar als positive oder negative Empfindungen aufgefasst.

Diese Logik entspricht im Sinne der Transaktionsanalyse dem Konzept der Grandiosität (vgl. Schiff 1975, S. 18 f.) – also der Überbewertung oder Unterbewertung von wahrgenommenen Aspekten. Das gelungene Containing kann also die Fähigkeit, Dinge umfassend und differenziert betrachten zu können und überdies handlungsfähig zu sein, voranbringen und Ausblendungen vermindern.

Die beim Säugling zunächst polare Unterteilung dieser Wahrnehmungsfragmente lässt sich daraus erklären, dass Kinder in diesem Alter noch nicht dazu in der Lage sind ihre Wahrnehmungen und Empfindungen selbstständig aufzubereiten und zu regulieren. Hinzu kommt, dass Objekte ausschließlich im jeweiligen gegenwärtigen Augenblick wahrgenommen werden und nicht im Zeitverlauf eingebettet und in Beziehung zu anderen Wahrnehmungen betrachtet werden können. Dadurch werden diese noch einseitig, je nach Augenblick stark positiv oder negativ, wahrgenommen. Je besser Wahrnehmungen und Emotionen reguliert werden können, desto differenzierter und ganzheitlicher können Personen, Gegenstände und Situationen betrachtet, zueinander in Beziehung gesetzt und kontrastiert werden.

Abbildung 4: Verschiedene Wahrnehmungs- und Empfindungsfragmente können noch nicht integrativ miteinander verbunden gedacht werden (Quelle: eigene Darstellung)

In Bions Verständnis können Säuglinge unter drei Monaten lediglich zu Teilen von Personen (z.B. Haut, Stimme, Geruch), nicht aber zu Personen als Ganzes, Kontakt aufnehmen (vgl. Diem-Wille 2012, S. 31). Nach Klein entsprechen Wahrnehmungen nicht der tatsächlichen Realität, sondern sind durch Phantasien und Wünsche verfremdet (vgl. Diem-Wille 2012, S. 29, 31) (1. Säugling hat Hunger 2. Nahrungsaufnahme wird versagt 3. Mutterbrust wird als verfolgendes Beta-Element wahrgenommen – es entsteht als ein Wahrnehmungsfragment, dass mit einer Hassphantasie aufgeladen wird). Die positiven oder negativen Wahrnehmungen sind dichotom organisiert – es existiert noch kein Spektrum dazwischen. Die Denkfragmente werden als gut und befriedigend oder böse und verfolgend wahrgenommen, woraus sich bereits die Als-Ob-Modi von Bions Gruppenarten ableiten lassen: z.B. verhält sich eine Gruppe so „als-ob“ sie verfolgt wird. Auch können positive und negative Wahrnehmungen zu einer Sache nicht in Beziehung zueinander gesetzt werden (es existiert eine gute versorgende und eine schlechte versagende Mutterbrust).

Dinge werden daher nicht so abgespeichert, wie sie inklusive all ihrer Facetten sind, sondern fragmentiert und so wie sie im jeweiligen Augenblick wahrgenommen und empfunden werden. Die Wahrnehmungen und Empfindungen können zu diesem Zeitpunkt noch keinem komplexen, sondern lediglich einem sehr basal an der Umwelt strukturiertem kognitiven System zugeordnet werden.

Abbildung 5: Entwicklung der inneren Repräsentationen des Säuglings von der Bindungsperson (Quelle: eigene Darstellung)

Klein sprach in diesem Zusammenhang von einer inneren Matrix, die zunächst aus Liebes- und Hassphantasien bzgl. primären Bindungspersonen (bzw. nach Klein Primärobjekt) entsteht, auf der sich auch das weitere emotionale Erleben aufbaut. Der schweizer Psychiater Ciompi stellte eine Theorie der fraktalen Affektlogik auf, bei der Denken, Fühlen und Verhalten sich zu einem Strang verbinden und eine innere Matrix für weiteres Denken, Fühlen und Handeln bilden (vgl. Ciompi 2005). Dem geht also eine polare Grundstruktur voraus. Diese Polarität lässt sich auch in Rosas Verständnis finden...

Erscheint lt. Verlag 28.12.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Wirtschaft
ISBN-10 3-7568-9952-7 / 3756899527
ISBN-13 978-3-7568-9952-4 / 9783756899524
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