Philosophie in Afrika (eBook)

Herausforderungen einer globalen Philosophiegeschichte

(Autor)

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2023 | 1., Originalausgabe
685 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77446-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Philosophie in Afrika - Anke Graneß
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Wie können wir die Philosophie dekolonisieren? Einen wichtigen Beitrag zu diesem Projekt kann ihre Geschichtsschreibung leisten, und gerade der Blick auf Afrika bietet Ansätze für eine Transformation in globaler Perspektive. Die Auseinandersetzung mit dem Kontinent - vom alten Ägypten über Westafrika bis zur afrikanischen Diaspora - wirft nämlich grundlegende Fragen zum Umgang mit Denktraditionen oraler Gesellschaften sowie mit alternativen Quellen und philosophischen Praktiken auf. Ebenso stellen sich ethische Fragen nach der Rolle von Religion, Rassismus und Sklaverei in der Philosophie oder der Deutung und Aneignung von intellektuellem Erbe. Anhand der Philosophiegeschichte Afrikas entwirft Anke Graneß in ihrem großen Buch die Grundlinien einer neuen Philosophiegeschichtsschreibung.



Anke Graneß ist Privatdozentin für Philosophie und Geschäftsführerin des Reinhart-Koselleck-Projekts der DFG »Geschichte der Philosophie in globaler Perspektive« an der Universität Hildesheim.

9Einleitung


Afrika wird in diesem Buch als Paradigma herangezogen, um die bisher überwiegend eurozentrische Philosophiegeschichtsschreibung unter den Bedingungen des 21.Jahrhunderts zu überdenken, zu kritisieren und zu kontextualisieren. Dass dafür auf die spezifische Problemlage und auf ausgewählte Beispiele eines Kontinents zurückgegriffen wird, der in der Philosophie der Gegenwart kaum eine Rolle spielt und in der Philosophiegeschichtsschreibung der letzten 200 Jahre keine Beachtung fand, mag verwundern. Afrika eröffnet jedoch als Forschungsfeld auf einer philosophiehistorischen Metaebene grundlegende methodische Fragen und Probleme, denen sich eine Philosophiegeschichtsschreibung in globaler Perspektive heute stellen muss, so die Hauptthese der vorliegenden Arbeit.

Es handelt sich dabei um methodische Probleme, die bisher wenig reflektiert wurden, die für eine Philosophiegeschichtsschreibung, die den Anforderungen einer postkolonialen und zunehmend globalisierten Welt gerecht werden will, jedoch von zentraler Bedeutung sind. Neuere Ansätze regionaler (zum Beispiel afrikanischer, chinesischer oder indischer) ebenso wie globaler Philosophiegeschichtsschreibung diskutieren methodische Probleme kaum. Die Mehrzahl dieser selbstverständlich sehr wichtigen historiographischen Arbeiten, die zu einem Zuwachs an Wissen über die Geschichten philosophischer Traditionen in verschiedenen Regionen der Welt wesentlich beigetragen haben, folgt den Denklinien der europäischen Philosophiegeschichtsschreibung und bereichert diese um Erzählungen aus anderen Regionen.[1]  So orientieren sich auch die meisten Arbeiten afrikanischer Kolleg:innen 10am europäischen Modell der Philosophiegeschichtsschreibung und seinen Methoden. Eine Auseinandersetzung mit regional spezifischen Herausforderungen findet dabei ebenso wenig statt wie mit alternativen Varianten der Philosophiegeschichtsschreibung aus anderen Regionen der Welt. Die zentrale Referenz ist und bleibt Europa, das damit jenseits der im Einzelnen unterschiedlichen Ansätze in seiner leitenden Rolle für die Geschichte der Philosophie letztlich bestätigt wird. Demgegenüber müsste grundlegend die Frage gestellt werden, ob das bisher vorherrschende – in weiten Teilen eurozentrische – Narrativ der Philosophiegeschichtsschreibung einfach um Traditionen aus anderen Regionen zu erweitern ist oder ob eine Philosophiegeschichtsschreibung in globaler Perspektive beziehungsweise zu außereuropäischen Regionen nicht anderer Methoden und Begrifflichkeiten bedarf sowie andere Quellen und Ausdrucksformen philosophischen Wissens aufgreifen muss.

Mit dem Aufzeigen der spezifischen Herausforderungen, die sich im Hinblick auf Afrika stellen, und anhand der Erörterung ausgewählter Fallbeispiele aus afrikanischen Philosophietraditionen argumentiere ich in diesem Buch dafür, grundsätzliche Überlegungen zur Veränderung der Disziplin der Philosophiegeschichtsschreibung anzustellen. Mechanismen, die zum Ausschluss außereuropäischer Philosophietraditionen aus der Geschichtsschreibung der Philosophie allererst geführt haben, können nur auf diese Weise aufgedeckt, analysiert und überwunden werden. Nicht zuletzt muss diskutiert werden, ob und inwieweit diese Ausschlüsse strukturell bedingt und tief in die Disziplin, ihre Institutionen und ihre Methoden eingeschrieben sind. Denn dies würde eine grundlegende Transformation der Philosophiegeschichtsschreibung erforderlich machen, die weit über ein additives Hinzufügen bisher vernachlässigter Traditionen hinausgeht. Die komplexen Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer Philosophiegeschichtsschreibung für Afrika stellen, verweisen auf grundsätzlichere Probleme mit überregionaler und letztlich globaler Bedeutung, die dazu auffordern, die Philosophie und ihre Geschichtsschreibung in ihrer Gesamtheit neu zu betrachten.

Ein zweiter Fokus dieser Arbeit liegt auf einer weiteren zentralen Herausforderung der Philosophiegeschichtsschreibung im 21.Jahrhundert, nämlich der Integration von Philosophinnen, deren Wirken bislang in europäischen ebenso wie außereuropäischen Zusam11menhängen marginalisiert bleibt. Die Bearbeitung eines auf diese Weise intersektionell konzipierten Forschungsfeldes ermöglicht die Herausarbeitung von Exklusions- und Inklusionsmechanismen, die jenseits ihrer jeweiligen Spezifik zahlreiche Ähnlichkeiten und Überschneidungen aufweisen und sich oft wechselseitig verstärken. Diese Ausrichtung ermöglicht es, die Philosophiegeschichtsschreibung als im eigentlichen Sinne globale Herausforderung zu begreifen, die mehr als eine geographische und quantitative Ausweitung ihres Gegenstandsbereichs erfordert. Denn die verschränkte Analyse von »blinden Flecken« in der Philosophiegeschichte ist am besten geeignet, den Blick für Engführungen und Irreführungen in den vorherrschenden Narrativen zu schärfen, um so mögliche Ansätze für ihre Überwindung zu konzipieren.

1. Die Herausforderungen der Gegenwart


Erzählungen der Philosophiegeschichte haben einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und das Verständnis von Philosophie, auf die Art und Weise wie sie betrieben wird, auf die akademische Institutionalisierung als Disziplin und schließlich auch darauf, welche philosophischen Werke und Autor:innen früherer Jahrhunderte gelesen werden. Mit dem Sammeln von Biographien, Werken, Konzepten und Theorien, dem Ordnen, Kommentieren und Interpretieren des gesammelten Materials trägt Philosophiegeschichtsschreibung maßgeblich zur Formierung unseres Verständnisses von Philosophie und der Entstehung eines wirkmächtigen Kanons philosophischer Werke bei. Damit beeinflussen die Erzählungen der Vergangenheit des philosophischen Denkens die philosophische Arbeit der Gegenwart und der Zukunft in entscheidendem Maße. Es ist somit von grundlegender Bedeutung, einen kritischen Blick auf die bisherige Philosophiegeschichtsschreibung zu werfen, gegenwärtige philosophiegeschichtliche Arbeiten zu prüfen und über zukünftige Methoden und Wege nachzudenken. Eine kontinuierliche Selbstvergewisserung über Grundsätze und Methoden, aber auch deren kritische Prüfung sollten Bestandteil jeder guten wissenschaftlichen Praxis sein. Für die Philosophiegeschichte hat dies heute jedoch eine besondere Dringlichkeit aufgrund der Tatsache, dass die Philosophie als Disziplin – später als 12andere geisteswissenschaftliche Disziplinen – gerade erst anfängt, sich den Herausforderungen einer zunehmend globalisierten Welt und der damit verbundenen umfangreichen und schwierigen Aufgabe einer Dekolonisierung zu stellen.[2] 

Kolonialismus, rassistische sowie patriarchale Strukturen haben bis heute Auswirkungen auf unser Denken. Auch die Philosophie und ihre Geschichtsschreibung blieben davon nicht unberührt, sondern haben sich zum Teil instrumentalisieren lassen für das koloniale und neokoloniale Abenteuer Europas: Das Absprechen der Fähigkeit zu Vernunft, Logik und abstraktem Denken, wenn nicht gar zu Moral und der Fähigkeit zur Bildung komplexer politischer Gemeinwesen war Teil der Legitimationsstrategie der Kolonisierung im Sinne eine Zivilisierung und Erziehung ›unterentwickelter‹ Völker und Regionen der Welt, die erst durch die Intervention Europas mit Bildung, Aufklärung und eben auch Philosophie in Berührung gekommen seien. Dabei kann die Konstruktion einer überlegenen europäischen oder ›westlichen‹ Philosophietradition zwar harmlos idealistisch formuliert werden, sie geht aber letztlich auch mit rassistischen oder nationalistischen Ressentiments einher, wie der Annahme einer Unmündigkeit anderer Völker, auf denen letztlich auch die Vorstellung von der zivilisatorischen Mission Europas, von der «Bürde des weißen Mannes«,[3]  das heißt der Umdeutung des Kolonialismus zu einem humanitären Akt, beruht. So sind es unter anderem auch philosophische Theorien, die Kolonialismus und Neokolonialismus ideologisch und politisch möglich gemacht und legitimiert haben. Unter diesem Aspekt sind Fragen nach dem Anfang von Philosophie und Wissenschaft und die Rekonstruktion philosophischer Traditionen in den verschiedenen Regionen der Welt durchaus politisch aufgeladen. Eine Auseinandersetzung mit der tief verwurzelten Hegemoniestruktur einer bestimmten, heute vorherrschenden...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Ägypten • aktuelles Buch • bücher neuerscheinungen • Dekolonialisierung • Globalgeschichte • Neuerscheinungen • neues Buch • STW 2390 • STW2390 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2390
ISBN-10 3-518-77446-8 / 3518774468
ISBN-13 978-3-518-77446-5 / 9783518774465
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