Leichte Sprache, Einfache Sprache, verständliche Sprache (eBook)

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2023 | 1. Auflage
297 Seiten
Narr Francke Attempto (Verlag)
978-3-8233-0488-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Leichte Sprache, Einfache Sprache, verständliche Sprache -  Bettina M. Bock,  Sandra Pappert
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Während sich 'Leichte' und 'Einfache Sprache' in der Praxis zunehmend etabliert haben, steht die empirische Erforschung noch immer am Anfang. Das Studienbuch beleuchtet aus der Perspektive unterschiedlicher linguistischer Teildisziplinen den aktuellen Forschungsstand sowie empirische Forschungszugänge. Neben psycho- und textlinguistischen Grundlagen werden auch korpuslinguistische sowie diskurs- und soziolinguistische Zugänge thematisiert. So entsteht erstmals ein multiperspektivischer, empirisch basierter Überblick über Forschungsergebnisse und -zugänge zu diesem neuen Themenfeld, das sich aktuell in verschiedenen linguistischen Disziplinen etabliert. Das Buch bietet eine empirisch fundierte Einführung in Erkenntnisse zu sprachlicher Einfachheit auf Wort-, Satz- und Textebene sowie Untersuchungsergebnisse zum Lesen und Verstehen bei den wichtigsten Zielgruppen 'Leichter' und 'Einfacher Sprache'. Es führt außerdem mithilfe von Anwendungsbeispielen in empirische Forschungsmethoden ein und berücksichtigt dabei sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsansätze.

Prof. Dr. Bettina M. Bock ist Juniorprofessorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur II der Universität zu Köln. PD Dr. Sandra Pappert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Universität Heidelberg.

Prof. Dr. Bettina M. Bock ist Juniorprofessorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur II der Universität zu Köln. PD Dr. Sandra Pappert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Universität Heidelberg.

Zur Konzeption dieses Studienbuchs
Übersicht über die Kapitel

1 Leichte Sprache? Einfache Sprache? Verständliche Sprache?
1.1 Erster Zugang zum Gegenstandsbereich
1.2 Verständliche Sprache als "Dach"
1.3 Leichte Sprache
1.4 Einfache Sprache

2 Grundlagen
2.1 Lesen und Verstehen - psycholinguistische Perspektiven
2.2 (Text-)Linguistische Perspektiven auf Verstehen und Verständlichkeit
2.3 Komplexität als Gegenstand der Linguistik (Mathilde Hennig)
2.4 Über Verständlichkeit hinaus I - Angemessenheit
2.5 Über Verständlichkeit hinaus II - diskurs- und soziolinguistische Perspektiven

3 Leicht, einfach, verständlich - Forschungsstand
3.1 Wort (Cordula Meißner)
3.2 Satz (Mathilde Hennig)
3.3 Text
3.4 Multimodalität: Typografie und Bild

4 Adressatenkreise
4.1 Menschen mit sog. geistiger Behinderung
4.2 DaF- und DaZ-Lernende (Pirkko Friederike Dresing)
4.3 Gering literalisierte Erwachsene

5 Empirische Zugänge zu Verstehen und Verständlichkeit
5.1 Überblick und Grundbegriffe
5.2 Korpusmethoden (Cordula Meißner / Bettina M. Bock)
5.3 Quantitative Zugänge zum Leseverstehen
5.4 Qualitative Zugänge zum Leseverstehen
5.5 Partizipatives Forschen
5.6 Forschungsethik

6 Desiderate

Literatur und digitale Ressourcen

1.4 Einfache Sprache


Was ‚ist‘ Einfache Sprache – im Vergleich zu Leichter Sprache und auch zu anderen Etiketten, die es im Praxisfeld gibt? Wir folgen in diesem Kapitel dem in Forschung und Praxis verbreiteten Ansatz, Leichte und Einfache Sprache zueinander in ein Verhältnis zu setzen und sie dadurch genauer zu beschreiben. Als das Gemeinsame aller erwähnten Labels sehen wir, wie bereits eingangs erwähnt, das besondere Bemühen um (Text-)Verständlichkeit an.

In der jüngeren Zeit hat sich nicht nur in der Forschung der Blick auf Leichte und Einfache Sprache diversifiziert. Auch in der Praxis haben sich die Ansätze ausdifferenziert. Es gibt mittlerweile unterschiedliche Anbieter. Nicht alle, die sich der Leichte-Sprache-Praxis zuordnen lassen, nutzen aber das Etikett Leichte Sprache, und nicht alle setzen auf feste Regeln und eine rigide Umsetzungspraxis. Neben Leichte Sprache werden Texte mit ähnlichen Merkmalen auch unter Bezeichnungen wie leicht lesbar, Leicht Lesen, leicht gesagt u.ä. veröffentlicht; Karin Luttermann hat die Bezeichnung klare Sprache für eine linguistisch fundierte Form Leichter Sprache vorgeschlagen (Luttermann 2017). Auch Texte mit dem Etikett Einfache Sprache erinnern aber teilweise stark an Regeln und Prinzipien Leichter Sprache (siehe Beispiel (4) in Abschnitt 1.1). Wie geht man vor diesem Hintergrund also an eine Abgrenzung heran?

Blickt man zunächst auf die Entstehungsgeschichte Einfacher Sprache fällt auf, dass diese weniger klar nachzuzeichnen ist als die Geschichte Leichter Sprache. Einflussreich bei der Verbreitung und Prägung des Phänomens in seiner heutigen Form war in jedem Fall die Münsteraner „Agentur Klar & Deutlich“ sowie der dazugehörige „Spaß am Lesen Verlag“, die sich auch früh um eine Abgrenzung vom Phänomen Leichte Sprache bemüht haben. Auch Literatur- und Schulbuchverlage, die vereinfachte Literatur publizieren, gehören zu den frühen Akteuren im Feld.

Als Zielgruppen Einfacher Sprache gelten typischerweise Menschen mit geringen Lesekompetenzen. Häufig wird auf die einflussreichen Hamburger leo.-Studien zu funktionalem Analphabetismus bzw. geringer Literalität verwiesen (Grotlüschen/Buddeberg 2020; Grotlüschen/Riekmann 2012). Die Zielgruppen­beschreibungen ähneln sich allerdings bei Leichter und Einfacher Sprache zunehmend, d. h. es werden – anders als noch vor einigen Jahren – oftmals keine Abgrenzungen mehr vorgenommen im Sinne von ‚Leichte Sprache richtet sich an Menschen mit Beeinträchtigung‘ vs. ‚Einfache Sprache richtet sich an gering Literalisierte und Deutschlernende‘. Damit wird sicherlich auch der Heterogenität der Personenkreise Rechnung getragen. Tendenziell scheint aber für Einfache Sprache eine breitere Adressatenschaft angenommen zu werden als für Leichte Sprache. Baumert (2018) stellt Einfache Sprache (bzw. einfache Sprache) in die Tradition von plain English und versteht sie eher unspezifisch als verständliche Sprache im Kontext von Experten-Laien-Kommunikation (vgl. ähnlich Wagner/Scharff 2014). Bei Leichter Sprache findet sich eine solche globale Einordnung, ganz ohne Zielgruppennennung – gleichwohl sie genauso denkbar wäre – eher nicht. Insgesamt gibt es zu Einfacher Sprache weniger Forschung als zu Leichter Sprache, was ihre präzise Beschreibung zusätzlich erschwert. Linguistische Erörterungen setzen sie – wie wir es hier auch tun – fast immer in Relation zu Leichter Sprache und teilweise weiteren Sprachvarianten.

In welchen Merkmalen sich Texte mit den verschiedenen Labels nun im Einzelnen ähneln und unterscheiden, hat man unter anderem korpuslinguistisch untersucht. Dabei werden große Sammlungen von Texten hinsichtlich verschiedener sprachlicher Merkmale ausgewertet (vgl. auch Kap. 5.2): Quantitativ-korpuslinguistische Analysen können beispielsweise Kennwerte zur verwendeten Lexik, zur Satzkomplexität und zur Satz- und Textlänge ermitteln, aus lexikalischen Merkmalen lassen sich auch Rückschlüsse auf dominante Themen ziehen; pragmatische und eine Reihe semantischer Merkmale, die typisch für Leichte- oder Einfache-Sprache-Texte sein könnten, müssen wiederum eher in qualitativen Analysen ermittelt werden.

Neben Studien mit sehr kleinen Korpora (Fuchs 2019; Jekat/Germann/Lintner/Soland 2017) hat Lange (2018) die bislang umfassendste Korpusstudie vorgelegt. Sie fragt nach typischen Eigenschaften von Texten in Leichter und in Einfacher Sprache. Analysegegenstand der Studie waren Texte, die sich den Etiketten Leichte Sprache, Einfache Sprache sowie Leicht Lesen zuordnen ließen (LeiSA-Korpus, zur Textauswahl und Zusammensetzung: Lange 2018). Wir greifen hier nur die Befunde zu Leichter und Einfacher Sprache auf.

Anhand des Korpus aus authentischen Leichte-Sprache-Texten wurde außerdem überprüft, in welchem Maße die postulierten Regeln in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden. Insgesamt zeigt die Untersuchung von Lange, dass die Regelwerke mehrheitlich befolgt werden. Im Falle einiger Regeln jedoch zeigen sich deutliche „Verstöße“ (z. B. beim Negationsverbot). Dies kann als Beleg dafür gedeutet werden, dass die Umsetzung Leichter Sprache bereits flexibler erfolgt als die Regelwerke es konzeptuell vorsehen. Lange weist jedoch auch darauf hin, dass die Vagheit vieler Regeln offenlässt, was genau eine „regelgetreue“ Umsetzung ist.

Beim Vergleich des Leichte-Sprache- und des Einfache-Sprache-Subkorpus ergaben sich u. a. folgende Unterschiede (siehe Tabelle 1): Die Leichte-Sprache-Texte waren im Vergleich zu den Einfache-Sprache-Texten durchschnittlich kürzer (Wortanzahl, Satzanzahl). Auch die Sätze waren kürzer, und der Wortschatz wies eine geringere Variation auf. Diese Werte kann man so interpretieren, dass die Leichte-Sprache-Texte an die Verarbeitung geringere Anforderungen stellen als die Einfache-Sprache-Texte, und in diesem Sinne weniger komplex sind. Die Texte beider Subkorpora waren zudem von einem hohen Anteil an Verben und damit von Verbalstil geprägt. Dies kann man allgemein als Bemühung um eine leicht verständliche Ausdrucksweise interpretieren, da Nominalstil tendenziell als schwerer verständlich gilt. Die Analyse von Wortschatz und häufigen Wortverbindungen ließ die Interpretation zu, dass in der Leichten Sprache vor allem Themen gewählt werden, die aus dem Umfeld eines spezifischen Personenkreises stammen, nämlich Menschen mit sog. geistiger Behinderung. Die thematische Ausrichtung von Einfache-Sprache-Texte ließen hingegen eine breitere Zielgruppenansprache erkennen (zum Aspekt dominanter Themen siehe auch Kap. 2.5.1).

 

Leichte-Sprache-
Subkorpus
(N = 404 Texte)

Einfache-Sprache-
Subkorpus
(N = 300 Texte)

Anzahl Wörter (Token)

639.826

779.278

Anzahl Wortformen (Types)

17.725

38.470

Type-Token-Ratio

0,028

0,049

Durchschnittliche Satzanzahl pro Text

171 (s = 300,5)

251 (s = 615,2)

Durchschnittliche Wortanzahl pro Text

1.596 (s = 2691,3)

2.851 (s = 7232,8)

Durchschnittliche Wortanzahl pro Satz

9,36 (s = 7,62)

11,34 (s = 20,47)

Ausgewählte Merkmale der Leichte-Sprache- und Einfache-Sprache-Subkorpora im Vergleich (nach Lange 2018)

Eine ganz andere Antwort auf dieselbe Frage – Worin liegen Unterschiede zwischen Leichter und Einfacher Sprache? – bringt die Untersuchung von Definitionen und Erklärungen der beiden Phänomene, wie sie von Anbietern und Institutionen im Praxisfeld formuliert werden. Hier untersucht man gewissermaßen das metasprachlich kommunizierte „Selbstverständnis“ der „Macher“ Leichter und Einfacher Sprache. Schon bei einer ersten Recherche fällt auf: Gerade die Labels Leichte und Einfache Sprache werden rhetorisch häufig in Opposition zueinander gebracht. Gleichzeitig scheint man aber auch Gemeinsamkeiten zu sehen, denn ansonsten entstünde kein Druck sich explizit und (er)klärend abzugrenzen.

Akteure aus beiden Feldern grenzen Leichte und Einfache Sprache teilweise mit großem Nachdruck voneinander ab. Wie zum Beispiel hier:

Achtung: Leichte Sprache und einfache Sprache sind nicht das Gleiche. Es gibt viele Unterschiede. (Netzwerk Leichte Sprache 2014).

Die Tatsache, dass überhaupt eine Abgrenzung thematisiert wird, kann man als ein Anzeichen semantischer Konkurrenz deuten: Akteure konkurrieren um die Deutungshoheit über bestimmte Bezeichnungen. Meist ist so etwas gefolgt von Begriffsbesetzungen, das heißt, Akteure versuchen, „die Bedeutung eines Begriffs […] im eigenen Sinne zu modellieren und diese Bedeutung möglichst kanonisch zu etablieren“ (Klein 2017: 777).

Ein Kriterium, das häufig angeführt wird, um Leichte und Einfache Sprache voneinander abzugrenzen, ist die Kodifizierung: Während Leichte Sprache über ausformulierte Regeln definiert wird, wird Einfache Sprache gerade darüber definiert, dass entsprechende Regelwerke fehlen (vgl. Netzwerk Leichte Sprache 2014). Das...

Erscheint lt. Verlag 30.1.2023
Reihe/Serie narr STUDIENBÜCHER
Verlagsort Tübingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Schlagworte barrierefreie Kommunikation • Barrierefreiheit • DaZ/DaF • DaZ-Lernende • Einfache Sprache • Einfachheit • empirische Sprachforschung • Inklusion • Korpuslinguistik • Leichte Sprache • Leseverstehen • Linguistik • Menschen mit geistiger Behinderung • Psycholinguistik • Soziolinguistik • textebene • Textverständlichkeit • Verständliche Sprache • Verständlichkeit
ISBN-10 3-8233-0488-7 / 3823304887
ISBN-13 978-3-8233-0488-3 / 9783823304883
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