Proust (eBook)

Aufsätze und Notizen | Das Dokument einer bedeutenden literarischen Wahlverwandtschaft

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
350 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77385-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Proust - Roland Barthes
Systemvoraussetzungen
23,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Spricht Barthes von Proust, spricht er meistens von sich selbst. Barthes hat nicht das eine, große Proust-Werk geschrieben, aber sich immer wieder mit seinem Alter Ego auseinandergesetzt. Dieser Band versammelt die wichtigsten Texte von Roland Barthes über Marcel Proust: Zeitschriftenbeiträge, Vorlesungen und Vorlesungsnotizen und eine Auswahl aus Barthes' fast 3000 hinterlassenen Karteikarten zu Proust. Barthes legt Spuren, öffnet Ausblicke, macht, in der Trauer über den Tod seiner Mutter, Pläne, eine ihrem Andenken gewidmete Recherche, seine eigene »Vita nova«, zu schreiben - was womöglich nur sein früher Tod im März 1980 verhindert hat. Hier erstmals zugänglich gemacht ist ebenfalls die Transkription einer Radiosendung von France Culture aus den 70er Jahren, Spaziergänge mit Roland Barthes auf den Spuren von Marcel Proust in Paris.

»Ich begreife, daß das Werk von Proust, zumindest für mich, das Referenzwerk ist, die allgemeine Mathesis, das Mandala der gesamten literarischen Kosmogonie, wie es die Briefe der Mme de Sévigné für die Großmutter des Erzählers, die Ritterromane für Don Quijote waren.« (Roland Barthes)

Das Dokument einer bedeutenden literarischen Wahlverwandtschaft, ebenso erhellend für das Werk Prousts wie für das von Roland Barthes.



<p>Roland Barthes wurde am 12. November 1915 in Cherbourg geboren und starb am 26. M&auml;rz 1980 in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Er studierte klassische Literatur an der Sorbonne und war danach als Lehrer, Bibliothekar und Lektor in Ungarn, Rum&auml;nien und &Auml;gypten t&auml;tig. Ab 1960 unterrichtete er an der &Eacute;cole Pratique des Hautes &Eacute;tudes in Paris. 1976 wurde er auf Vorschlag Michel Foucaults ans Coll&egrave;ge de France auf den eigens geschaffenen Lehrstuhl &raquo;f&uuml;r literarische Zeichensysteme&laquo; berufen. In <em>Essais critiques</em> besch&auml;ftigt sich Barthes mit dem avantgardistischen Theater. Pr&auml;gend f&uuml;r ihn waren unter anderem Brecht, Gide, Marx, de Saussure sowie Jacques Lacan. Zudem war Barthes ein musikbegeisterter Mensch, vor allem als Pianist und Komponist.</p>

Vorbemerkung des Herausgebers


Auf einer undatierten, gleichwohl auf die späten siebziger Jahre datierbaren Karteikarte bemerkt Roland Barthes über sein Verhältnis zu Proust und sein Motiv, sich (in einer Vorlesung am Collège de France und in einem unvollendet gebliebenen Vorwort) erneut in dessen Werk zu vertiefen:

»[…] eine Rechnung begleichen – oder einfach eine ›Schuld‹, eine Verpflichtung, ein ›Agendum‹ gegenüber einem Werk, über das ich kaum je geschrieben habe, das ich jedoch vielleicht am häufigsten gelesen und wiedergelesen habe – ohne freilich schwören zu können, daß dies in extenso geschah, denn immer habe ich längere Passagen übersprungen.«

Und in der Tat ist es erstaunlich: Barthes hat zu Lebzeiten nur wenig über Proust veröffentlicht. Einen Artikel in La Quinzaine littéraire über das zweibändige biographische Werk von George D. Painter (März 1966); einen Artikel über »Proust et les noms« [»Proust und die Namen«] in einem Sammelband zu Ehren Roman Jakobsons (1967, wiederaufgenommen in Nouveaux essais critiques 1972); »Une idée de recherche« [»Eine Forschungsidee«], erschienen 1971 in der Zeitschrift Paragone; ein Vortrag am Collège de France (»Longtemps je me suis couché de bonne heure« [»Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen«]) im Oktober 1978, als Broschüre für einen kleinen Adressatenkreis gedruckt; und einen Artikel in Le Magazine littéraire im Januar 1979 über das berühmte Rätsel des »Ça prend« [»Das kommt in Gang«]. Ergiebige Texte, jedesmal voller Ideen und anregender Fragen, doch alles in allem nicht viel mehr als vierzig Seiten: also ein Nichts, gemessen an Barthes’ gewaltigem Beitrag zur Erneuerung der Proust-Lektüre und zur Einschreibung Prousts in die Moderne.

Manche werden sich auch daran erinnern, wie gebannt sie die drei Sendungen von Jean Montalbetti auf France Culture im Rahmen der Reihe »Ein Mensch, eine Stadt« (1978) verfolgt haben: Gewiß, die besuchten Orte waren zumeist enttäuschend, doch gerade diese Enttäuschung wußte Barthes zu nutzen, um eine Vorstellung zu vermitteln von der ganzen Spannweite der Recherche und der Verwandlungen, die sich darin vollziehen.

Dabei ist Roland Barthes noch sehr jung (17 Jahre), als er Proust entdeckt. Er berichtet darüber einem Schulfreund, Philippe Rebeyrol, in einem Brief vom 30. August 1932:

»Ein Schriftsteller schließlich, über den ich mit Dir sprechen muß, ist Marcel Proust: damit kein Zweifel aufkommt, sage ich Dir zuerst, daß er mir gefällt. Viele Leute finden ihn langweilig, weil seine Sätze sehr lang sind: Proust ist im Grunde ein Prosadichter, das heißt, bei einer einfachen prosaischen Handlung analysiert er sämtliche Empfindungen, sämtliche Erinnerungen, die diese Handlung in ihm weckt, wie wenn ein Beobachter die Kreise untersuchte, die nacheinander, einer aus dem anderen, entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft: er unternimmt diese Analyse mit viel Empfindung, Trauer, manchmal Witz: es gibt Beschreibungen des Lebens in der Provinz (in Du côté de chez Swann) – ich versichere es Dir, ich, der ich dort bin –, die erschütternd wahr sind. Dieser ganze Teil seines Werkes ist sehr interessant und hat mich sehr berührt. Weniger gemocht habe ich den zweiten Band [es handelt sich um Un amour de Swann], der die eigentliche Handlung enthält, für die ich mich ein wenig zu jung halte.«[1] 

Im Januar 1953, dem Erscheinungsjahr seines ersten Buches Le Degré zéro de l’écriture [Am Nullpunkt der Literatur], schreibt Barthes in L’Observateur:

»Das Werk von Proust ist progressiv in dem Maße, wie dieser Autor, wenn er Individuen schildert, es verstanden hat, ohne irgendeinen ideellen Rückgriff das Verhalten einer ganzen sozialen Gruppe vor Augen zu führen. Indem sie gleichzeitig den historischen und den überhistorischen Menschen herausarbeitet, trägt die linke Literatur bei zu einer soziologischen Klärung der verschiedenen Momente einer Gesamtgeschichte der Menschen.«

Später, im April 1963, schreibt Barthes in seinem Tagebuch, er »tauche in Proust ein«. Ende Januar 1965 berichtet er, wiederum in seinem Tagebuch, von »Notizen zu Proust«, und Anfang 1966 ist von einem »Seminar über Proust« die Rede. Ende 1969 kommt er darauf zurück, macht sich Notizen, und im Januar 1970 findet man den Vermerk: »Vorbereitung Vorlesung Proust«. Roland Barthes verbringt zu dieser Zeit ein Jahr in Marokko, in Rabat, um dort zu unterrichten, und widmet Proust einen Teil seines Lehrprogramms. Der vorliegende Band enthält das hektographierte, zu diesem Anlaß an die Studenten verteilte Dokument, in dem hinter deutlich pädagogischen Bemühungen um historische Vergegenwärtigung und Kontextualisierung die großen Linien seines Gedankengangs erkennbar sind: À la Recherche du temps perdu als Roman des Schreibens und das Verhältnis zwischen Held und Erzähler, zwischen Leben und Werk.

Doch erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre rückt Proust mit einer gewissen Nachdrücklichkeit wieder ins Zentrum der geistigen Welt und der Beschäftigungen von Roland Barthes. 1977 verleiht die Trauer um seine Mutter der Recherche beinahe den Charakter eines Talismans. Barthes sieht in Proust ein Modell, eine Perspektive für die Änderung seines Lebens (und Schreibens), deren er so sehr bedarf. Denn Proust selbst hatte sein Schlüsselerlebnis (den berühmten Wechsel vom mondänen Leben zum zurückgezogenen Schreiben) im Anschluß an den Tod seiner Mutter gehabt, die 1905 starb – zumindest ist das die phantasmatische Sicht, die Barthes davon hat, auch wenn er sich über deren mythologischen Charakter klar ist. Und wenn er sich nach den Fragments d’un discours amoureux [Fragmente einer Sprache der Liebe] an einem Roman versuchte? Nun hat aber gerade Proust in gewisser Weise dieses Modell vollendet, und wie man weiß, war Barthes ein strikter Anhänger des Grundsatzes: modern sein heißt wissen, was schon gemacht worden ist (um es nicht noch einmal zu machen). Der radikal moderne Roman, der in seiner Epiphanie vielleicht nicht einmal von seinem Autor erwartet wurde, wird La chambre claire [Die helle Kammer] sein (geschrieben zwischen 15. April und 3. Juni 1979, erschienen im Februar 1980). Doch das Rätsel Proust dürfte all diese Jahre lang den Trauerprozeß genährt und vielleicht trotz allem, unterderhand, gefördert haben.

Während der Niederschrift von La chambre claire notiert Barthes auf einer Karteikarte:

»Affinität zwischen Proust und dem Photo: das Photo ist die verzweifelte Suche nach der Zeit des Einst: intensive Vergegenwärtigung, in der ich (das Subjekt) mich verliere.

Das wird sehr deutlich in der Ikonographie Prousts: sein Roman ist buchstäblich illustriert (von den Photographien seines Lebens).

Und auch ich – bescheiden, kann man doch auf der Stufe des Schreis nicht den Anspruch erheben, sich als Proust zu denken – versuche hier meine Suche nach der verlorenen Zeit zu schreiben, mit den Photos von Mam. Und die Taktlosigkeit ist dabei nicht größer, als wenn Proust von seiner Mutter und seiner Großmutter zu sprechen beginnt.«

An anderer Stelle ist zu lesen:

»Ich würde gern eines Tages dieses Vermögen des Romans entfalten – dieses Vermögen zur Liebe oder zur Verliebtheit (manche Mystiker unterschieden Agape nicht von Eros) –, sei es in einem Essay (ich habe von einer pathetischen Literaturgeschichte gesprochen), sei es in einem Roman, wobei ich bequemlichkeitshalber jede Form so nenne, die im Verhältnis zu meiner vergangenen Praxis, meinem vergangenen Diskurs, neu ist.«

Genau das wird La chambre claire sein. Die Dramaturgie des »Das ist es!« ist keine andere als die der unwillkürlichen Erinnerung, der Reminiszenz in der Recherche. Die...

Erscheint lt. Verlag 21.11.2022
Übersetzer Horst Brühmann
Sprache deutsch
Original-Titel Marcel Proust. Mélanges
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
Schlagworte aktuelles Buch • Alter Ego • Auf der Suche nach der verlorenen Zeit • Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • bücher neuerscheinungen • Combray • Fragmente einer Sprache der Liebe • France Culture • Frankreich • Karteikarten • Marcel Proust. Mélanges deutsch • Neuerscheinungen • neues Buch • Paris • Recherche • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • Semiologie • Semiotik • Strukturalismus • Transkription • Wahlverwandtschaft
ISBN-10 3-518-77385-2 / 3518773852
ISBN-13 978-3-518-77385-7 / 9783518773857
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 4,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Lektürewege in eine komplexe Prosa-Enzyklopädie

von Emmanuel Heman; Ralf Simon

eBook Download (2023)
Walter de Gruyter GmbH & Co.KG (Verlag)
109,95