Die Mumie im Alten Ägypten (eBook)
215 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-0729-9 (ISBN)
Dr. Michael E. Habicht, studierte Klassische Archäologie und Ägyptologie den Universitäten Zürich und Basel. Er hat sich auf das Neue Reich, die Königsgräber und Unterweltsbücher, sowie auf die Zeit von Echnaton, Nofretete und Tutanchamun spezialisiert. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zum Alten Ägypten, Mumien und Paläopathologie publiziert (Lancet, PLoS One, Circulation Research). Er ist Senior Research Fellow an der Flinders University, Adelaide (Australien) und wissenschaftlicher Experte am FAPAB Research Center in Avola (Italien).
Kha und Merit (18. Dynastie)
Das vollkommen ungestörte Grab von Kha und Merit wurde am 15. Februar 1906 vom italienischen Ägyptologen Ernesto Schiaparelli (1856-1928) entdeckt. Das Grab TT 8 in Deir el-Medina wurde von antiken Grabräubern nie gefunden, weil die oberirdische Kultkapelle und der Schacht zum Grab räumlich getrennt waren und oberflächlich schon nach kurzer Zeit keine Spuren vom eigentlichen Grabeingang mehr sichtbar waren. Dank seiner unerwarteten Lage, etwa 25 Meter nördlich der Familiengrabkapelle (Koordinaten apr. 25,7°N 32,6°E), war das Grab von Kha und Merit, das am besten erhaltene nicht-königliche Grab aus dem Neuen Reich, das nie geschändet worden war. Zusammen mit den großen hölzernen Sarkophagen, die die Mumien des Architekten und seiner Frau Merit enthielten, wurden über 500 Gegenstände aus dem Grab geborgen, welche die beiden als Jenseitsausstattung mitgenommen hatten. Der Fund ist für die Archäologie ein Glücksfall, erlaubt er doch, eine authentische und bis ins Detail vollständige Grabausstattung zu studieren. Der Fund gelangte zudem komplett in das Ägyptische Museum in Turin.
Die Mumie von Kha trägt die Inventarnummer Turin N 13015 (Suppl. 8431), die Mumie der Merit N 13016 (Suppl. 8471). Frühere Untersuchungen deuteten darauf hin, dass weder Kha noch Merit der klassischen künstlichen Mumifizierung der 18. Dynastie unterzogen worden waren, wie sie bei königlichen Mumien dieser Zeit üblich war. Die präsentierten Befunde führten zu einer Reihe von Spekulationen, darunter die Vermutung, dass beide Leichen, obwohl sie mit schönem Schmuck geschmückt waren, einer schlampigen Mumifizierung unterzogen worden waren (Martina et al. 2005). Einzelne Wissenschaftler gingen soweit, zu behaupten, sie seien überhaupt nicht mumifiziert, sondern nur eingewickelt worden (Meskell 1998; Meskell 1999). Ehe wir diesen Unsinn widerlegen, wollen wir einen Blick auf die Biographie des Ehepaares werfen.
Man nimmt an, dass Kha ursprünglich ein Mann aus bescheidenen Verhältnissen war, der vermutlich eine erfolgreiche Karriere als Architekt aufgrund seiner Verdienste machte. Er stieg bis zum Direktor der königlichen Bauarbeiten in Deir el-Medina auf, wo er den Bau der königlichen Gräber überwachte. Er diente während der Herrschaft von drei Königen der 18. Dynastie: Amenhotep II. (1424-1398 v. Chr.), Thutmosis IV. (1398-1388 v. Chr.) und Amenhotep III. (1388-1348 v. Chr.) und starb während der Regierungszeit des letztgenannten Pharaos. Aus dem Stil der in der Grabkammer gefundenen Grabbeigaben geht hervor, dass der Tod von Kha einige Jahre vor dem von Yuya und Thuyu - den Eltern von Königin Teje, der Gemahlin von König Amenhotep III. - lag, deren geplündertes Grab (KV 46) von Quibell am 5. Februar 1905 im Tal der Könige entdeckt wurde. Basierend auf den Gegenständen, die in ihrem Grab gefunden wurden - 500 Objekte, darunter 5 verschachtelte Särge, von denen einige vergoldet waren, komplette Garnituren von Leinenkleidung und monogrammierter Unterwäsche, eine Vielzahl von Nahrungsmitteln und zwei der frühesten bekannten Exemplare des Totenbuchs, komplett mit Vignetten, kann man davon ausgehen, dass Kha und Merit ein wohlhabendes Paar waren. Sie hatten drei bekannte Kinder: zwei Söhne, Amenemopet, Nakhteftaneb und eine Tochter, Merit II. Amenemopet folgte der Karriere seines Vaters, während über Nakhteftaneb nichts bekannt ist. Merit II. wurde eine Sängerin des Amun. Sie alle überlebten ihre Mutter Merit (Curto, Delorenzi, and Spagnotto 1980, 152).
Die Mumien von Kha und Merit sind noch immer eingewickelt und werden es auch immer bleiben, sofern nicht konservatorisch zwingende Gründe eine Auswicklung bedürften. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen daher ausschließlich auf radiologischen Untersuchungen. Erstmals wurden sie 1966 geröntgt (Delorenzi and Grilletto 1989, 32–33, figs XV & 34–35, XVI; Curto and Mancini 1968), und 2001 mit Multidetector Computed Tomography (MDTC) untersucht (Martina et al. 2005; Cesarini et al. 2009). Die CT-Scanbilder blieben aber nur rudimentär publiziert und ein Streit zwischen dem Museum und den Forschern über die Nutzungsrechte führte dazu, dass diese Daten der Forschung nicht zur Verfügung stehen. Daher wurde 2014 eine neue Untersuchung mit portablem, digitalem Röntgengerät durchgeführt. Diese Daten sind 2015 in einem Open-Access Journal publiziert worden und die Daten dürfen von jedermann frei genützt werden (Bianucci et al. 2015). Die früheren Untersuchungen hatten fälschlicherweise postuliert, die beiden Mumien hätten ein abgekürztes Schnellmumifizierungsverfahren durchlaufen, da alle inneren Organe und das Gehirn bei beiden noch in situ im Körper sind. Besonders die Gehirne von Kha und Merit sind gut erhalten.
Kha wurde in Rückenlage mit seitlich ausgestreckten Armen und flach über das Schambein gelegten Händen einbalsamiert (Martina et al. 2005). Berechnungen zur Körpergröße gehen davon aus, dass Kha zu Lebzeiten mit 171-172 cm recht groß gewachsen war. Martina et al. beschrieben Kha als einen möglicherweise fetten und kranken Mann von ca. 60 Jahren, der von diffuser Atherosklerose und Cholezystitis betroffen war (Martina et al. 2005; Cesarini et al. 2009). Die Erhaltung des Skeletts ist von allen Untersuchungen als exzellent eingestuft worden. Zu schlechten Zähnen kamen bei Kha auch intravitale Fraktur von L1 und schwere Arthritis auf Höhe der Wirbelsäule und der Kniegelenke (Martina et al. 2005). Bezüglich der Bestattungsart weisen frühere Berichte darauf hin, dass bei Kha weder das Gehirn, noch die Organe ausgeweidet worden war. Obwohl behauptet wurde, dass sein Leichnam schlecht mumifiziert war, wurde die Erhaltung der inneren Organe - einschließlich des Gehirns - als optimal bezeichnet (Martina et al. 2005). Auch die Augäpfel sind, obschon geschrumpft, erhalten, ebenso der Sehnerv und die Augenmuskeln.
Bei Merit liegt derselbe Grundbefund vor, wird aber diagnostisch erschwert durch die Tatsache, dass die Rückenwirbel auseinandergefallen und verdreht sind und die Rippen in den Bauchraum herabgefallen sind. Dies ist höchstwahrscheinlich die Folge des Transportes von Ägypten nach Turin. Der Thorax ist eingedrückt, die Rippen abgebrochen, das rechte Handgelenk ausgekugelt, auch die Pelvis ist auseinandergebrochen. Ein schwerer, tödlicher Unfall kann ausgeschlossen werden, da die Muskeln das Verdrehen der Wirbel zwischen T10/11 bis L4/5 um rund 45° verunmöglicht hätten. Daher sind diese massiven Schäden lange nach ihrem Tod entstanden. Dennoch ist Merit überraschend vor ihrem, etliche Jahre älteren, Ehemann verstorben, denn das Sargensemble ihres Mannes musste für sie verwendet werden und Kha ließ sich ein neues Set für sich selber anfertigen.
Auch Merit hat die Hände auf dem Schoss, beinahe gekreuzt. Bei der Rekonstruktion ihrer Körpergröße gehen die Studien weit auseinander von 148 cm (Martina et al. 2005) bis 160 cm (Delorenzi and Grilletto 1989). Aufgrund der weitgehend erhaltenen Zähne wird ein Sterbealter von 25 bis 30 Jahre für Merit angenommen. In ihrem Fall scheinen die Augäpfel herausgenommen worden zu sein, denn man brachte künstliche Augen aus einem röntgendichten Material ein. In ihrem Fall ist das Skelett schlecht erhalten, die Knochen sind zwar noch da, aber aus dem anatomischen Verbund gefallen, besonders im Thoraxbereich. Die Studie von 2015 nahm ein Sterbealter von 25-35 Jahren an, da keine Degenerationen an den Knochen festgestellt wurden. Zudem wurde die Tibia radiologisch gemessen. Im Röntgenbild misst sie 42,5 cm. Weil das Röntgenbild aufgrund der Strahlungsquelle die auf eine Empfängerplatte projiziert es zur Vergrößerung des Bildes kommt muss dieses Resultat korrigiert werden. Der Korrekturfaktor beträgt 1:1,15, was zu einer korrekten Länge der Tibia von c. 37 cm führt. Wendet man die zuverlässige Formel von Pearson an, dann war Merit etwa 162 cm groß.
Interessant ist auch der radiologische Befund, dass sich zwischen den Beinen große Mengen an Kleidergewebe befindet. Es ist davon auszugehen, dass Merit und Kha nicht nur reich geschmückt, sondern auch voll bekleidet wurden, ehe man die Mumien einwickelte.
In der Untersuchung von 2015 wurde auch eine biochemische Analyse (GC/MS) vom Leinen der äußeren Binden von Kha untersucht. Steven Buckley, der weltweit führende Experte in dieser Disziplin stellte fest, dass die Textilien mit einem speziellen Rezept aus Tier- und Pflanzenfett mit einer Beimischung aus aromatischen Pflanzen und Nadelbaumharz behandelt wurden. Bienenwachs und das später so typische Bitumen wurden nicht nachgewiesen. Die Mischung hat eine antibakterielle und antiinsektizide Wirkung. All dies sind Hinweise, dass es sich bei der Mumifizierungsmethode von Kha und Merit um eine unüblich wirkende, aber sehr teure Mumifizierung gehandelt haben musste. Auch der reiche Schmuck spricht gegen eine schäbige Mumifizierung wie ältere Studien vermuteten. Lynn Meskell behauptete sogar, die beiden seien überhaupt nicht künstlich mumifiziert worden, sondern einfach in Leinen gewickelt worden (Meskell 1998; Meskell 1999). Die „Theorie” wurde argumentativ untermauert mit dem Fehlen einer Kanopischen Ausrüstung obschon das Grab absolut intakt war. In Deir el-Medine, wo die beiden gelebt haben, ist erst ab der Ramessidenzeit der Gebrauch von Kanopen sicher nachweisbar. Die teuren Materialien und die gute Erhaltung beider Mumien spricht für eine teure, sorgfältige Mumifizierung, insbesondere das Pistazienharz, welches aus dem Ausland importiert wurde spricht für eine Elitebestattung.
Bereits in der radiologischen Untersuchung von 1966 waren zahlreiche, oft sehr große Schmuckstücke bei Kha und Merit als weiße Umrisse erkennbar. Details über den Schmuck konnte man damals nicht erkennen. Mit dem CT-Scan und auch der neuen,...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2022 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Archäologie |
ISBN-10 | 3-7562-0729-3 / 3756207293 |
ISBN-13 | 978-3-7562-0729-9 / 9783756207299 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 40,5 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich