Innere Bilder in der Verhaltenstherapie (Leben Lernen, Bd. 336) (eBook)
224 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11953-4 (ISBN)
Erika Güroff, Diplom-Psychologin, ist Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapeutin, Lehrtherapeutin und Supervisorin; Dozentin bei der AVM (Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation) in München; ehemals Mitglied des Leitungsteams der AVM-Ambulanz in München.
Erika Güroff, Diplom-Psychologin, ist Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapeutin, Lehrtherapeutin und Supervisorin; Dozentin bei der AVM (Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation) in München; ehemals Mitglied des Leitungsteams der AVM-Ambulanz in München.
Einleitung
Eine meiner Patentöchter, eine junge Studentin der Medizin und der Philosophie, war kürzlich (Herbst 2021) in Paris, um den von Christo und Jeanne-Claude verhüllten Arc de Triomphe zu sehen. Sie berichtete mir ganz ergriffen: »Der steht auf einem zentralen Platz und viele Straßen und Wege führen auf ihn sternförmig zu. Alles ist sichtbar, nur das Zentrum, um das es geht, ist verhüllt und verschleiert. Das hat mich ganz bewegt, weil es vielleicht immer so ist: Das Wesentliche ist unsichtbar.« Sie wird künftig, wenn sie einmal mit dem abstrakten Begriff des Wesentlichen zu tun hat, möglicherweise den verhüllten Arc de Triomphe als inneres Bild dazu sehen.
Dies ist ein sehr schönes, aus dem Leben gegriffenes Beispiel dafür, worum es mir in diesem Buch geht, nämlich die »inneren Bilder« und die verhaltenstherapeutische Arbeit mit ihnen.
Unter »inneren Bildern« verstehe ich vor allem konkrete visuelle Vorstellungen eines Menschen. Der Begriff kann sich jedoch auch auf alle Wahrnehmungsmodalitäten beziehen: Sie können visueller, akustischer, olfaktorischer, haptischer, kinästhetischer und geschmacklicher Natur sein. Für dieses erweiterte Verständnis wird in der englischsprachigen Literatur der Begriff des mentalen Prozesses verwendet. Gerne wird hier das beeindruckende Beispiel eines Bisses in eine Zitrone aufgeführt: Wenn ich Sie bitte, sich vorzustellen, Sie würden in eine Zitrone beißen, sehen Sie sie vielleicht vor sich, spüren sie in der Hand, riechen sie und vor allem: nehmen wahrscheinlich im Mund die Reaktion auf die Säure wahr, die Ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt; möglicherweise spüren Sie ein Frösteln, eine Gänsehaut. Und die Zitrone ist nicht real vorhanden, sondern nur in Ihrer Vorstellung!
In den Erörterungen und Darstellungen in diesem Buch sind noch folgende Begriffe aus der inneren Bilderwelt von Bedeutung: Imagination, Einbildungskraft, Phantasie, bildhaft anschauliches Vorstellen.
Sie bezeichnen die Fähigkeit, innere Bilder in der Vorstellung zu entwickeln, sie mit allen Sinnen innerlich wahrzunehmen, sie in vielerlei Hinsicht zu gestalten, zum Beispiel durch Phantasiereisen oder geführte Imagination. Diese werden im praktischen Teil ausführlich beschrieben.
Die bisher erwähnten Begriffe beziehen sich auf das Individuum, auf individuelle personale Prozesse. Wir kennen aber auch kollektive, im allgemeinen Sprachgebrauch vorzufindende Bildrepräsentationen. Diese werden unter dem Sammelbegriff »Sprachbilder« zusammengefasst. Ein Sprachbild ist ein rhetorisches Stilmittel, welches darauf abzielt, ein Bild im Kopf des Gegenübers zu erzeugen. Mit anderen Worten: Das Gesagte wird bildlich ausgedrückt. Unsere Sprache verfügt über eine große Zahl an solchen bildlichen Ausdrücken, die wir alle beim Sprechen mehr oder weniger unbewusst gebrauchen (»Heute lacht die Sonne«). Sprachbilder finden sich u. a. als Metapher, Allegorie, Symbol, Synästhesie. Im Folgenden werden diese Begriffe jeweils kurz erklärt.
Eine Metapher ist ein sprachlicher Ausdruck, der aus seinem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen und als Bild verwendet wird. Zwei Begriffe, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, werden miteinander verknüpft und haben Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gehalten. Klassische Beispiele sind: die grüne Lunge einer Stadt, der Fels in der Brandung, jemandem das Wasser reichen können.
Eine Allegorie ist eine bildhafte Personifikation für einen Begriff: Justitia mit den verbundenen Augen und der Waage steht für die Gerechtigkeit.
Ein Symbol ist ein einzelnes, allgemeingültiges Zeichen, das für einen abstrakten Begriff steht. Es ist ein allgemein bekanntes Sinnbild für etwas, das immer mit diesem verbunden wird: Das Hufeisen steht für Glück, ebenso das vierblättrige Kleeblatt, die schwarze Katze für Unglück.
Die Synästhesie bezeichnet die Verbindung von Wahrnehmungseindrücken aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten: Es gibt Menschen, die Töne als Farben sehen, die Farben hören und dergleichen.Als sprachliches Stilmittel findet sie sich besonders in der Romantik. Ein Beispiel ist Brentanos »Abendständchen«, welches mit den Worten »Durch die Nacht, die mich umfangen, blickt zu mir der Töne Licht« endet.
Der kollektive Sprachgebrauch von Bildern spielt auch in diesem Buch eine wichtige Rolle. Jeder Mensch, der sich dieser allgemeinen Ausdrücke bedient, trägt nämlich zu jedem eine individuelle Repräsentation, ein eigenes konkretes Bild in sich. Und dieses Bild interessiert uns in der Therapie. Als Beispiel sei hier der bereits erwähnte, allgemein verwendete Ausdruck »Die Sonne lacht« erwähnt. Die eine Person sieht ein golden leuchtendes Gesicht am Himmel, das breit lacht. Die andere sieht die Sonne strahlend hell am Himmel und hört ein lautes fröhliches Lachen. Wieder ein anderer spürt die Hitze der Sonne auf der Haut und hört, wie sie kichert und lacht und mit Vergnügen ihre Strahlen ausschickt, um ihn zu streicheln. Und manch einer sieht die lachende Sonne über den Bergen, über dem Meer, über dem Dach seines Hauses.
Über das kollektive Bild hinaus kann in der therapeutischen Arbeit jede PatientIn SchöpferIn ihrer eigenen Sprachbilder, eigenen Metaphern, Allegorien, Symbole und Synästhesien sein: Ein inneres Bild der Mutter wird zum inneren Symbol für Liebe; ein Gespenst zur Allegorie für Angst und dergleichen.
Diese Schöpfungen können sehr kreativ sein und sich von der Realität weit entfernen, wie wir das auch aus Märchen und Sagen kennen: Tiere können sprechen, mystische Wesen, wie Geister, Gespenster und dergleichen, können vor dem geistigen Auge entstehen. Dies werde ich ausführlich im praktischen Teil an vielen Einzelbeispielen verdeutlichen.
Da uns in diesem Buch alle diese Bilderwelten nur als Ausprägung des inneren und individuellen Erlebens einer Person interessieren, werde ich bei den Darstellungen nicht mehr nach diesen einzelnen Unterarten differenzieren.
Innere Bilder jeglicher Art sind ein uralter Zugang der Menschheit, Phänomene fassbar und sichtbar (sic!) zu machen. So finden sich bereits aus der Altsteinzeit Figurinen von Frauen, wie die Venus von Willendorf, die als Allegorie für die nährende Mutter Erde verstanden werden können. Es wurden phantastische Bilder geschaffen von (Schutz-)Engeln, von merkwürdigen Mischwesen, wie dem Gott Pan, der Sphinx, dem Vogel Greif. Die Menschen im alten Ägypten haben das Himmelszelt als Göttin dargestellt, die sich über die Erdenscheibe beugt. In Malereien des Mittelalters finden sich versteckte Symbole wie die Lilie für die Unschuld, das Hündchen für die Treue. Dürer wählte als Bild für die Melancholie einen sinnierenden Engel, von geheimnisvollen Zeichen umgeben. Märchen und Sagen sind erfüllt von mystischen Metaphern und Symbolen, wie die sieben Zwerge bei Schneewittchen oder die 13 Feen bei Dornröschen.
Ganz prosaisch bedient sich auch die Werbung der Wirkung von inneren Bildern, bei denen zudem Stimmen, Töne und Melodien aktiviert werden, um die Wirkung zu verstärken. In den 90er Jahren bat eine Mineralölfirma ihre KundInnen, den Tiger in den Tank zu packen, wobei hier diese Aufforderung von einer festen, energetischen Männerstimme gesprochen wurde, die mit Lebenskraft und Entschlossenheit assoziiert wird. Autos werden mit halbnackten Frauen garniert, die per se da gar nichts verloren haben, aber suggerieren, dass der Käufer des Wagens eine solche Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit würde ergattern können bzw. durch den Erwerb der per Bild erotisierten Maschine selbst an erotischem Interesse gewänne.
Auch in der Psychotherapie wird die Imagination schon lange nutzbar gemacht: in der Traumdeutung der Psychoanalyse, im katathymen Bilderleben, in der Hypnotherapie, beim Focusing, in der Gestalttherapie und im NLP. In den letzten Jahrzehnten wurden ausgezeichnete Therapiekonzepte entwickelt, in denen die Imagination ein wichtiger Bestandteil ist: die DBT, die Schematherapie, viele emotionsfokussierte Therapieformen, ACT und die diversen Therapiekonzepte zur Behandlung der Traumafolgestörungen. Ein umfassender Überblick über die vielfältige Bedeutung und Verwendung von Imaginationen in der Psychotherapie sowie detaillierte Referenzen und...
Erscheint lt. Verlag | 24.9.2022 |
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Reihe/Serie | Leben lernen | Leben Lernen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Verhaltenstherapie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Arbeit mit Metaphern • Fantasiereisen • Imaginationstherapie • innere Bilder • Panikstörung • Psychoedukation • Selbstakzeptanz • Selbstheilungskräfte • Selbstwertproblem • soziale Ängste • Sprachbilder • Therapeutisches Gespräch • therapeutisches Ziel • Verhaltenstherapie |
ISBN-10 | 3-608-11953-1 / 3608119531 |
ISBN-13 | 978-3-608-11953-4 / 9783608119534 |
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