Geschichtskultur - Public History - Angewandte Geschichte (eBook)

Geschichte in der Gesellschaft: Medien, Praxen, Funktionen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
512 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-5464-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichtskultur - Public History - Angewandte Geschichte -
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Mit Geschichte kommt man nicht nur in der Schule oder an der Universität in Berührung. Auch in außerakademischen Bereichen wird Geschichte produziert, verbreitet und genutzt. Vertreter*innen aus Wissenschaft und Praxis stellen in gemeinsam verfassten Beiträgen verschiedene Formen und Funktionen des Geschichte-Betreibens vor, zeigen Ähnlichkeiten, Überschneidungen sowie Unterschiede zwischen ihnen auf und erörtern ihre Bedeutung für gesellschaftliche Verständigungs- und (nicht nur schulische) Lernprozesse. So entstand ein systematischer, praxisnaher Überblick, der sowohl für die Wissenschaft als auch für den Unterricht zahlreiche Anregungen liefert.

Einführung
Warum ein neues Handbuch zu Geschichtskultur – Public History – Angewandter Geschichte?9
Felix Hinz / Andreas Körber
I. Einzelanalysen
Historische Romane37
Felix Hinz / Tanja Kinkel
Geschichtsmagazine57
Stefan Bergmann / Manuel Köster
Historische Kinder- und Jugendliteratur75
Christopher Wosnitza
Geschichtsschulbücher97
Roland Bernhard / Markus Brogl
Historisierende Musik 113
Konstantin Voigt / Vladimir Ivanoff
Comics138
Oliver Näpel / Thomas Dahms (Mitarb.)
Living History167
Björn Onken / Michael Striewe
Stadtführungen in historischer Gewandung184
Barbara Hanke / Nicola Aly
Spielfilme197
Helene Albers / Kai Wessel
TV-Dokumentationen220
Stefan Benz / Stefan Mausbach
Gesellschaftsspiele238
Daniel Bernsen / Till Meyer
Digitale Spiele261
Jörg Friedrich / Carl Heinze / Daniel Milch
Spielzeug282
Christoph Kühberger
Touristisch aufbereitete historische Stätten und (Re-)Konstruktionen304
Josef Memminger / Ruth Sandner
Geschichtsmuseen und Dokumentationszentren326
Julia Kruse / Hannes Liebrandt
Gedenkstätten344
Holger Thünemann / Oliver von Wrochem
Geschichtsvereine359
Manfred Treml / Ernst Schütz
Geschichtswerkstätten375
Bernhard Schoßig / Maximilian Strnad
Außerschulische Jugendbildung392
Oliver Plessow / Konstantin Dittrich
Geschichtsagenturen411
Andreas Körber / Dirk Reder
II. Zwischenbilanzen: Vergleichende Analysen
Geschichte als politisches Argument425
Cord Arendes
Geschichte als moralisches Lehrstück437
Anabelle Thurn
Geschichte als religiöse Beglaubigung461
Wolfgang Hasberg
Geschichte als sozialer Fluchtort485
Béatrice Ziegler
Die Antike in der Geschichtskultur – altehrwürdig, veraltet, exotisch und unterhaltsam 497
Björn Onken
Das Mittelalter – ein „erkalteter Erinnerungsort“ der vormodernen europäischen Geschichte513
Thomas Martin Buck
Die Frühe Neuzeit in der Geschichtskultur – eine Epoche der Aufbruchsstimmung532
Christine Pflüger
Neuzeit und Zeitgeschichte – die Zeit des „heißen Erinnerns“543
Markus Furrer
III. Auswertung
Zusammenfassende Reflexionen557
Felix Hinz / Andreas Körber
Anhang
Literatur- und Linkverzeichnis593
Sachregister599
Personenregister623
Ortsregister631
Werk-, Event- und Institutionenregister633

I. Einzelanalysen

Historische Romane

Felix Hinz / Tanja Kinkel

1. Allgemeine Charakterisierung

Der Begriff ‚Roman‘ geht auf die in Frankreich seit dem 12. Jahrhundert geläufige Bezeichnung romanz zurück, mit der solche Prosatexte benannt wurden, die nicht in der wissenschaftlichen lingua latina, sondern in der volkssprachlichen lingua romana verfasst waren. Über die Abgrenzung von Lyrik und wissenschaftlichen Traktaten hinaus lässt sich die schillernde und äußerst wandlungsfähige Gattung allenfalls über den Umfang näher fassen: Während ein literarischer Prosatext vornehmlich fiktionalen Gehalts mit weniger als ca. 100 Seiten als Kurzgeschichte oder Novelle gilt, ist jeder andere Roman. Als ‚historische Romane‘ werden solche bezeichnet, in deren Handlung empirisch belegte Gestalten oder Vorfälle maßgeblich eingebunden werden, oder die – und sei es für ein frei erfundenes Geschehen und/oder Charaktere ohne historisches Vorbild – zumindest eine Kulisse entfalten, die auf die angenommene Leserschaft historisch authentisch wirken soll.1 Da sich jedoch die Gattung Roman durch ein „immer für Erweiterungen offenes Spektrum typologischer Unterscheidungen“2 auszeichnet, ist sie formal wie inhaltlich besonders schwer zu klassifizieren. Nicht nur fällt die klare Abtrennung ‚historischer Romane‘ etwa zu ‚Zeitromanen‘ oder zu ‚biografischen Romanen‘ wie z. B. Erich Maria Remarques „Im Westen Nichts Neues“ (1929) schwer, sondern zunehmend auch zu ‚Fantasy-Romanen‘: Einerseits bedienen sich die erfolgreichsten Fantasy-Geschichten nachweislich in der Historie (wie aktuell u. a. bei George R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ zu beobachten)3, andererseits verlangt das Lesepublikum in historischen Romanen zunehmend auch Fantasy-Elemente wie Drachen oder Hexen4 – und damit eher Kombinationsformen beider Genres.

Die Gattung des ‚historischen Romans‘ ging aus literarischen Prosaformen hervor, die unterschiedlichen Geschichtsbildern, –interessen und -darstellungskonventionen folgten. Prosatexte, die man nach obiger Definition als Roman bezeichnen könnte, entstanden (neben interessanten Parallelentwicklungen bspw. in Indien) bereits in der europäischen Antike wie z. B. Apuleius von Madauras (ca. 123 – nach 170) „Elf Bücher Metamorphosen“ oder „Der goldene Esel“.5 Da Romane jedoch Lesefähigkeit voraussetzen, wandte sich die Gattung zunächst nur an die Bildungseliten, die bis in die Frühe Neuzeit hinein nur einen sehr geringen Prozentsatz der Gesellschaften ausmachten. Dabei verfolgten ihre Autor*innen nicht selten dezidiert pädagogische Ziele, beispielsweise wenn ihre Romane die Funktion eines Fürstenspiegels erfüllen sollten.6

Während der Barockzeit7 entstand eine literarische Prosa, die sich nun bereits an ein lesekundiges Massenpublikum richten konnte, und, ermöglicht durch preiswerte industrielle Drucktechniken, einen Boom erlebte. Bereits zu den frühesten Gegenständen belletristischer Romane zählten – nicht zuletzt aufgrund des europäischen Kollektiverlebnisses von Napoleons Aufstieg und Fall – historische Stoffe. Als erster Vertreter des modernen historischen Romans gilt Walter Scott mit seinem „Waverley or T’is sixty years since“ (1814). Sein umfangreiches Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und entfaltete zweifellos eine große Wirkmacht.8 Für den deutschsprachigen Raum wäre jedoch früher schon beispielsweise Christiane Benedikte Naubert (1752–1819) zu nennen, die ebenfalls über 50 (oft historische) Romane verfasste, die teilweise bereits als Bestseller anzusprechen sind und auch ins Französische und Englische übersetzt wurden.

Nach der Reichsgründung 1871 erfuhren historische Romane in Deutschland eine Hochzeit. Doch auch die nationalsozialistische Führung bediente sich ihrer erfolgreich, um ihre völkische Ideologie zu propagieren.9 Gleichzeitig wandten sich Autor*innen des Exils wie auch des sogenannten „inneren Exils“ dem Genre zu, um sich auf literarisch oft hohem Niveau mit der nationalsozialistischen Gegenwart auseinander zu setzen. Reinhold Schneiders Roman „Las Casas vor Karl V.“, der 1938 erschien und (gefolgt von einem Schreibverbot für den Autor 1941) nach seiner ersten Auflage vom NS-Regime verboten wurde, darf als eine der bemerkenswertesten Auseinandersetzungen eines*r deutschsprachigen Autors*in mit dem Nationalsozialismus mittels des historischen Romans gelten. Er nutzt das brutale Vorgehen der spanischen Conquistadoren in Amerika als Grundlage für ein leidenschaftliches Plädoyer gegen „das etwaige Recht eines Volkes, ein anderes zu beherrschen“,10 und setzt sich mit den Konsequenzen der Schuld auseinander, die eine Nation auf sich lädt, wenn sie gleichwohl die Mittel des Eroberungskriegs und Völkermords anwendet.11

In der Wahrnehmung der Nachkriegszeit dominierte indessen der ungleich wirkungsvollere Missbrauch des historischen Romans durch die Nationalsozialist*innen, sodass das Genre zunächst desavouiert schien. Erst nachdem neue Arten des Schreibens gefunden wurden (z. B. Alexander Kluge, „Schlachtbeschreibung“ 1964), haben historische Romane, wenngleich ihre einstige gesellschaftliche Bedeutung nicht mehr erreicht wurde, wieder einen exponierten Platz innerhalb der deutschsprachigen Geschichtskultur einnehmen können.

Während das Mittelalter als epochaler Schwerpunkt seit der Romantik stabil geblieben ist, spielte stets auch die jeweilige Zeitgeschichte eine große Rolle. Die Gründe hierfür liegen darin, dass das Publikum zwar durchaus historisch belehrt werden möchte, hierzu jedoch Anknüpfungspunkte an bereits Bekanntes vonnöten sind. Dieses findet sich einerseits in Ereignissen, die noch im kommunikativen Gedächtnis der Lebenden wirken, andererseits in solchen, die durch die bereits bestehende Geschichtskultur, d. h. nicht zuletzt durch andere historische Romane oder vor allem durch den schulischen Geschichtsunterricht, als bekannt vorausgesetzt werden. Derzeit sind die meisten Romanhandlungen in der Römischen Antike, im westeuropäischen Mittelalter sowie im 19. und 20. Jahrhundert der westlichen Welt angesiedelt.

Nicht selten wird Geschichte in den Romanen als Biografie oder als Ansammlung von Biografien (z. B. als Familiensaga) erzählt.12 Diese Narrationsform ist eingängig und lädt besonders zur Empathie ein. Religionen, Ideologien, Systeme, ökonomische, politische, räumliche und andere Strukturen und Entwicklungen geraten hingegen seltener in den Blick. Meist geht es um größere Konflikte, in denen Menschen zum Spielball mächtigerer Kräfte zu werden drohen und sich bewähren müssen.

2. Soziologisch: Charakterisierung von Akteur*innen und Adressat*innen

Auch im Hinblick auf die Frage nach der gesellschaftlichen Verortung von Schreibenden und Lesenden bieten (historische) Romane ein äußerst heterogenes Bild. Beginnen wir mit den Autor*innen: Während noch zu Nauberts Zeiten Schriftstellerinnen ihr Geschlecht hinter der Anonymität zu verstecken neigten, tendieren heute eher Männer dazu, sich ein weibliches Pseudonym zu geben. Vor allem seit der Etablierung von e-book-Formaten, in denen die Partizipations- und Publikationsschwelle deutlich abgesenkt wurde, finden sich zudem Autor*innen aus nahezu allen Bildungsschichten. Die allerwenigsten von ihnen können im deutschsprachigen Raum allerdings vom Schreiben historischer Romane leben.

Ähnlich vielfältig wie die Herkunft der Schreibenden sind auch ihre Qualitätsmaßstäbe und Ziele. Während der Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein darauf hinweist, dass jemand, der in der Geschichte sehr gut Bescheid weiß, noch lange nicht zwingend befähigt ist, eine gute Geschichte zu erzählen, und die Auffassung vertritt, dass sich im Roman das Historische dem Primat der Erzählung beugen müsse,13 legen andere Autor*innen wie Rebecca Gablé14 oder die Mitverfasserin dieses Beitrags größeren Wert auf historische Recherche und eine konkrete geschichtliche Belehrung in ihren Werken. Diese recht hohen Selbstansprüche, die zu bisweilen harscher gegenseitiger Kritik führen, gestalten die Zusammenarbeit von Autor*innen historischer Romane (ehemals Autor*innengruppe „Quo Vadis“, neuerdings „Homer“)15 komplizierter als bspw. zwischen solchen von Kriminalromanen (Autor*innengruppe „Das Syndikat“).16 Zu den Schwierigkeiten in der Gruppe „Quo Vadis“ äußerte Gründungsmitglied Titus Müller:

„Ich denke, bei Quo Vadis gab es zwei Probleme. Das erste hatte mit der Größe zu tun. So lange wir nur zwanzig, dreißig Autoren waren, fühlten wir uns wie in einem Boot, wir kannten uns persönlich und jeder gönnte dem anderen Erfolge. Später, bei über hundert Mitgliedern, störten Neid und Erwartungshaltung das Miteinander. Es kamen Fragen auf wie: Warum kriegt der eine bezahlte Lesung und ich nicht? […] Es war plötzlich schwer, Freiwillige zu finden für die Vorbereitung der Historica oder für Ämter im Verein, die Einsatz erforderten. Je mehr gemeckert...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2020
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Schlagworte assasins • Auschwitz • außerschulische Jugendbildung • Bergen Belsen • Birkenau • Dachau • digitale Spiele • Erinnerungskultur • Gedenkstätten • Geschichte • Geschichte als Schulfach • Geschichte im Fernsehen • Geschichte im Museum • Geschichtsfilme • Gesellschaftspiele Geschichte • Historiographie • historische Dokumentationen • Historische Filme • Historische Jugendliteratur • Historische Kinderliteratur • Historische Romane • Historische Stadtführung • Holocaust • Holocaust Mahnmal • Lehrbuch • Lernen • öffentliche Geschichte • Politische Bildung • Regionalgeschichte • schulische Geschichtsbildung • Shoa • Treblinka • Warschauer Ghetto
ISBN-10 3-8463-5464-3 / 3846354643
ISBN-13 978-3-8463-5464-3 / 9783846354643
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