Hypnosystemische Therapie (Leben Lernen, Bd. 331) (eBook)
322 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11870-4 (ISBN)
Stefan Hammel ist ausgebildet als Systemischer Therapeut und Hypnotherapeut; er ist Leiter des »Instituts für Hypnosystemische Beratung« in Kaiserslautern (Pfalz) sowie Referent von hypno- und systemtherapeutischen Ausbildungsinstituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist zudem Autor des hypnosystemischen Blogs »HYPS« und Autor therapeutischer Medien (DVDs, CDs, Postkarten, Paartherapeutisches Spiel). Interviews mit Stefan Hammel über »Wenn Geschichten heilen« und »Vom Nutzen des Unnützen - was ist Utilisation?« finden Sie unter: www.stefanhammel.de
Stefan Hammel ist ausgebildet als Systemischer Therapeut und Hypnotherapeut; er ist Leiter des »Instituts für Hypnosystemische Beratung« in Kaiserslautern (Pfalz) sowie Referent von hypno- und systemtherapeutischen Ausbildungsinstituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist zudem Autor des hypnosystemischen Blogs »HYPS« und Autor therapeutischer Medien (DVDs, CDs, Postkarten, Paartherapeutisches Spiel). Interviews mit Stefan Hammel über »Wenn Geschichten heilen« und »Vom Nutzen des Unnützen - was ist Utilisation?« finden Sie unter: www.stefanhammel.de
Teil 1
Grundlagen
Zwei Annahmen liegen aller Therapie zu Grunde:
-
Alle Menschen sind gleich.
-
Alle Menschen sind verschieden.
Weil alle Menschen gleich sind, können wir kommunizieren.
Weil alle Menschen verschieden sind, müssen wir kommunizieren.
Um einander zu verstehen, müssen wir annehmen, dass der andere mit seinen Worten und seiner Körpersprache dasselbe meint, was andere und auch wir selbst meinten, wenn wir uns so ausdrückten.
Und um einander zu verstehen, dürfen wir auf keinen Fall annehmen, dass der andere mit seinen Worten und seiner Körpersprache dasselbe meint, was andere und auch wir selbst damit meinen würden. Denn eines ist gewiss: Er meint etwas anderes.3
»Wenn ich Ihnen eines sagen dürfte, was Ihnen viele Umwege im Leben ersparen kann, dann wäre es das: Jeder Mensch auf dieser Welt meint mit jedem Wort, was er sagt, etwas anderes.« Eine Krankenschwester und frühere Schülerin Milton Ericksons erzählte mir vor Jahren, dass der Meister ihr das mit auf den Weg gegeben habe.
»Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse«, sagt der kleine Prinz.4 Wenn wir eine gemeinsame Basis für unsere Kommunikation suchen, bietet das Achten auf die Physiologie mehr Orientierung als das Achten auf Worte. Die sichtbare und hörbare Körpersprache ist viel urtümlicher. Manches davon hat für die Kommunikation unter Menschen (und zum Teil mit Tieren) universale Geltung. Raum für Missverständnisse gibt es dennoch, denn unterschiedliche kulturelle Prägungen wirken auch hier.
Ein Kreislauf der Missverständnisse entsteht, wenn wir auf Annahme 1 zurückgreifen, wo Annahme 2 sich besser bewährt. Oft ist es besser, »du« und »ich« statt »wir« zu sagen. Ein Kreislauf von Entfremdung und Erniedrigung entsteht, wenn wir Grundsatz 2 anwenden, wo sich Grundsatz 1 besser bewähren würde.
Unterscheidungen von »wir« und »die anderen« trennen Männer von Frauen, Ureinwohner von Kolonisatoren, Erlöste von Ungläubigen, Erwachsene von Kindern, Wächter von Gefangenen und Behandler von Patienten auf eine Weise, die von stetiger Abwertung und Selbstabwertung begleitet ist. Es sind dieselben Unterscheidungen, die auch Mensch und Tier, Kultur und Natur trennen. Die Linien, an denen wir die Unterscheidung zwischen »wir« und »die anderen« vornehmen, sind überwiegend dieselben, mit denen wir zwischen »gut« und »böse«, »richtig« und »falsch«, »klug« und »dumm«, gesund« und »krank« trennen.
Wenn wir in Ressourcen denken, in Chancen, in Werten, deren Gegenteil nicht Unwerte, sondern andere Werte sind, dann ist es heilsam, Wirklichkeit gemeinsam zu konstruieren und sich einig zu werden: »Wer bin ich? Wer bist du? Wer sind wir? Wie ist die Welt, in der wir uns bewegen?« Hier kann das Leben als Nicht-Nullsummenspiel5 gelebt werden, also dem Modell »Freundschaft« oder »Kooperation« folgen, wie das Musikstück einer Band, das der Logik folgt: »Was gut ist für dich, ist auch gut für mich«. In solchen Kontexten ist das »Wir« heilsam. Wo verdeckte oder offene Nullsummenspiele, also Modelle von »Wettbewerb« oder »Krieg« überwiegen, hat das »Wir« toxische Qualitäten, und es ist besser, von »du« und »ich« zu sprechen.
Im ersten Fall tut es gut, die Wirklichkeit gemeinschaftlich zu konstruieren, auch wenn sie davon weder universal wahr noch wirklich wird. Im zweiten Fall ist es günstig, zwischen verschiedenen Wirklichkeiten zu unterscheiden und nicht auf der Konstruktion eines gemeinsamen Bildes der Wirklichkeit zu bestehen.
Aus systemischer und hypnosystemischer Sicht wird Wirklichkeit ohnehin nicht analysiert, sondern konstruiert. So sagt Paul Watzlawick, dass »die Wirklichkeit das ist, was wir Wirklichkeit nennen«.6 Was das für die Therapie bedeutet, erklärt er so:
Wenn wirklich zutrifft, dass unsere Wirklichkeit immer eine konstruierte ist … handelt [es] sich … darum, die eine Wirklichkeitskonstruktion, die leidschaffend ist und nicht mehr tragfähig sich erweist, durch eine andere, tragfähigere zu ersetzen, und das ist heute meine Idee von Psychotherapie.7
Entsprechend formulieren Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe: »Wirklichkeit besteht aus nichts anderem als Geschichten«,8 und an anderer Stelle:
Was wir als ›Wirklichkeit‹ bezeichnen, entsteht im Dialog, im Gespräch. Das, was wir für wirklich halten, haben wir in einem langen Prozess von Sozialisation und Versprachlichung als wirklich anzusehen gelernt. Systeme konstruieren gemeinsame Wirklichkeiten als Konsens darüber, wie die Dinge zu sehen sind. Die gemeinsame Sichtweise davon, was als »Wirklichkeiten« in einem System erlebt wird, ist sehr weitgehend bestimmend für Glück oder Unglück, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit.9
Derselben Tradition folgend sieht Gunther Schmidt die Aufgabe von Therapie darin,
so intensiv und systematisch als möglich Fokussierungshilfen anzubieten, um … [bereits gespeicherte und verfügbare] Potentiale wieder zu suchen …, zu finden und zu aktivieren und dann so nachhaltig als möglich in die gewünschten Lebenskontexte zu assoziieren.10
Die im Klienten bereits angelegten, aber für ihn zunächst nicht zugänglichen Potentiale wieder erreichbar zu machen, heißt, Wahlfreiheit zu ermöglichen. »Wahlfreiheit wieder zu erhöhen ist das zentrale Ziel aller hypnosystemischen Interventionen.«
Vermutlich unterscheidet schon Watzlawick – und mit Sicherheit Schmidt – nicht mehr streng zwischen einer Therapie des Körpers und der Psyche. Die Unterscheidung zwischen nicht-körperlichen psychischen und nicht-psychischen körperlichen Symptomen ergibt aus hypnotherapeutischer und systemischer Sicht auch wenig Sinn. Was als psychisch, körperlich, sozial, endogen oder exogen gedeutet wird, ist hypnosystemisch betrachtet eine Frage der Brille, die der Betrachter aufsetzt. Die Unterscheidungen sind eher Hinweise auf die Modelle im Manual des Behandlers, als dass sie das tatsächliche Leben und Leiden des Klienten beschreiben.
So sind auch Diagnosebegriffe und Beschreibungen sogenannter Pathologien mehr als Hinweise auf die Modelle der Behandler zu betrachten, denn als Beschreibungen dessen, was der Klient erlebt. Es ist nicht so, dass es keinen Bezug zwischen beidem gäbe. Nur ist eine Landkarte nicht die dargestellte Landschaft,11 ein Passfoto nicht die gezeigte Person und das Bild einer Sache nicht die abgebildete Sache.12 So ist ein »Krankheitsbild« auch nicht das, was in einem Klienten geschieht, sondern eine Konvention über das, was im Kopf des Therapeuten geschehen könnte, wenn er den Klienten sieht. Ebenso ist die Aussage, ob ein Leiden heilbar sei, keine Aussage über die Möglichkeiten des Klienten, sondern über die des Behandlers, genauer: über die Möglichkeiten, die dem Behandler bekannt sind. Entsprechend enthalten Prognosen keine Aussage über die Zukunft des Klienten, sondern über die Entwicklung bei einem Durchschnitt anderer Menschen, die unter bestimmten Gesichtspunkten als vergleichbar gelten.
Diagnosen und Prognosen können Orientierungen bieten, enthalten aber ein Risiko. Im Gehirn herrscht immer »Gegenwart«. Die Erwartungen eines Patienten über die ihm prognostizierte Zukunft werden daher in seinem Gehirn im Wesentlichen gleichbehandelt wie Erinnerungen, aktuelle Wahrnehmungen und Deutungen. Sie können bewirken, was sie behaupten. Nun kennt der Organismus auch keine Unterscheidung zwischen »körperlich« und »psychisch«.13 Die Regulation der unwillkürlichen Körperaktionen und Körperreaktionen hängt also auch davon ab, wie der Patient seine Prognose hört, versteht und verarbeitet. Viele systemische und hypnosystemische Therapeuten vermeiden daher Diagnosebegriffe. Krankheitskonzepte können aber auch gewürdigt werden, etwa mit Blick auf die Funktionen, die sie im System erfüllen:
›Krankheit‹ wird … nicht als ›wirklich wahres‹ Phänomen angesehen, sondern ebenfalls als Konstrukt, wenn auch ein oft sehr bedeutsames. Dabei kann gerade das Konstrukt ›Krankheit‹ ein eminent wichtiges Organisationselement eines Systems werden, deshalb sollte aus dieser...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2022 |
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Reihe/Serie | Hilfe aus eigener Kraft |
Leben lernen | |
Leben Lernen | Leben Lernen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Aufstellungsarbeit • Einführungsbuch • Heilrituale • Hypnotherapie • Milton Erickson • Systemische Beratung • Systemtherapie • Teilearbeit • Teiletherapie • Therapeutisches Modellieren • utilisation |
ISBN-10 | 3-608-11870-5 / 3608118705 |
ISBN-13 | 978-3-608-11870-4 / 9783608118704 |
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