Die Poesie des Unendlichen

Dichtungen und Texte des Universalgeistes der Frühromantik

(Autor)

Gabriele Rommel (Herausgeber)

Buch | Softcover
272 Seiten
2022
marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
978-3-7374-1185-1 (ISBN)
20,00 inkl. MwSt
Novalis' Liebe zu Büchern und die Idee, einen Roman zu schreiben, der einmal eine ganze Bibliothek füllen würde, trieben ihn bei der Suche nach einer zeitgemäßen poetischen Sprache an. Schiller verehrte er dabei als Dichter und Lehrer, in Goethe feierte er das moderne Ideal einer Einheit von Forscher und Dichter - Poesie und Wissenschaft sollten einander inspirieren und bereichern.
Was schon seine Zeitgenossen und Freunde an ihm bewunderten, lässt Novalis' Werk auch heute noch herausstehen: die Universalität und Ernsthaftigkeit seiner Arbeit in allen Gebieten und die ungewöhnlich schnelle und intensive Durchdringung neuer Ideenwelten.
Die für diesen Band getroffene Auswahl aus poetischen und Studientexten führt den Leser auf die Spuren dieser besonderen Poesie. - Thomas Mann, Ernst Bloch, Käte Hamburger erkannten in ihm einen bereits bedeutenden, visionären und universellen Dichter und Denker am Beginn der Moderne, dessen Werk die europäische Literatur seit dem 19. Jh. beeinflusst. Heute wird er weltweit gelesen und übersetzt.

NOVALIS, Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg (1772–1801), studierte Philosophie in Jena und Leipzig, Rechtswissenschaft in Wittenberg, dann Geologie im sächsischen Freiberg. Exzellent qualifiziert war er als Jurist, Bergingenieur und Verfahrenstechniker bei den sächsischen Salinen tätig. Als Autor trat er zuerst 1798 mit der Fragmentsammlung Blüthenstaub hervor. In einem sorgfältig strukturierten enzyklopädischen Netzwerk wuchs neben der Arbeit an seinen Romanen der methodologische Entwurf zu einer Enzyklopädistik, für die er einen sehr modernen Begriff des Wissens entwirft.

Dr. phil. habil. Gabriele Rommel (*1953) ist Germanistin mit Forschungsschwerpunkt Novalis und Romantik, Mitherausgeberin der historisch-kritischen Ausgabe der Schriften Friedrich von Hardenbergs. Von 1992 bis 2019 war sie Direktorin der Forschungsstätte für Frühromantik und des Novalis-Museums, von 2001 bis 2019 stellvertretende Vorsitzende der Stiftung »Wege wagen mit Novalis«. Sie ist Gründungsmitglied und seit 1992 Mitglied des Präsidiums der ING und außerdem seit 2005 Mitglied des Vorstandes des Arbeitskreises selbstständiger Kulturinstitute der BRD (AsKI).

Einleitung
Die Fragmentsammlung Blüthenstaub
Die Lehrlinge zu Sais
Die Hymnen an die Nacht
Aus Heinrich von Ofterdingen
Teplitzer Fragmente
Über Goethe
Studien zur bildenden Kunst
Aus dem Allgemeinen Brouillon, Materialien zu einer Enzyklopädistik

Novalis
Die Lehrlinge zu Sais
1798-1799
1. Der Lehrling

Mannigfache Wege gehen die Menschen. Wer sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche Figuren entstehen sehn; Figuren, die zu jener großen Chiffernschrift zu gehören scheinen, die man überall, auf Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Kristallen und in Steinbildungen, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Äußern der Gebirge, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen, in den Lichtern des Himmels, auf berührten und gestrichenen Scheiben von Pech und Glas, in den Feilspänen um den Magnet her, und sonderbaren Konjunkturen des Zufalls, erblickt. In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben, allein die Ahndung will sich selbst in keine feste Formen fügen, und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen. Ein Alkahest scheint über die Sinne der Menschen ausgegossen zu sein. Nur augenblicklich scheinen ihre Wünsche, ihre Gedanken sich zu verdichten. So entstehen ihre Ahndungen, aber nach kurzen Zeiten schwimmt alles wieder, wie vorher, vor ihren Blicken.

Von weitem hört ich sagen: die Unverständlichkeit sei Folge nur des Unverstandes; dieser suche, was er habe, und also niemals weiter finden könne. Man verstehe die Sprache nicht, weil sich die Sprache selber nicht verstehe, nicht verstehen wolle; die echte Sanskrit spräche, um zu sprechen, weil Sprechen ihre Lust und ihr Wesen sei.

Nicht lange darauf sprach einer: »Keiner Erklärung bedarf die heilige Schrift. Wer wahrhaft spricht, ist des ewigen Lebens voll, und wunderbar verwandt mit echten Geheimnissen dünkt uns seine Schrift, denn sie ist ein Akkord aus des Weltalls Symphonie.«

Von unserm Lehrer sprach gewiß die Stimme, denn er versteht die Züge zu versammeln, die überall zerstreut sind. Ein eignes Licht entzündet sich in seinen Blicken, wenn vor uns nun die hohe Rune liegt, und er in unsern Augen späht, ob auch in uns aufgegangen ist das Gestirn, das die Figur sichtbar und verständlich macht. Sieht er uns traurig, daß die Nacht nicht weicht, so tröstet er uns, und verheißt dem emsigen, treuen Seher künftiges Glück. Oft hat er uns erzählt, wie ihm als Kind der Trieb die Sinne zu üben, zu beschäftigen und zu erfüllen, keine Ruhe ließ. Den Sternen sah er zu und ahmte ihre Züge, ihre Stellungen im Sande nach. Ins Luftmeer sah er ohne Rast, und ward nicht müde seine Klarheit, seine Bewegungen, seine Wolken, seine Lichter zu betrachten. Er sammelte sich Steine, Blumen, Käfer aller Art, und legte sie auf mannigfache Weise sich in Reihen. Auf Menschen und auf Tiere gab er acht, am Strand des Meeres saß er, suchte Muscheln. Auf sein Gemüt und seine Gedanken lauschte er sorgsam. Er wußte nicht, wohin ihn seine Sehnsucht trieb. Wie er größer ward, strich er umher, besah sich andre Länder, andre Meere, neue Lüfte, fremde Sterne, unbekannte Pflanzen, Tiere, Menschen, stieg in Höhlen, sah wie in Bänken und in bunten Schichten der Erde Bau vollführt war, und drückte Ton in sonderbare Felsenbilder. Nun fand er überall Bekanntes wieder, nur wunderlich gemischt, gepaart, und also ordneten sich selbst in ihm oft seltsame Dinge. Er merkte bald auf die Verbindungen in allem, auf Begegnungen, Zusammentreffungen. Nun sah er bald nichts mehr allein. - In große bunte Bilder drängten sich die Wahrnehmungen seiner Sinne: er hörte, sah, tastete und dachte zugleich. Er freute sich, Fremdlinge zusammenzubringen. Bald waren ihm die Sterne Menschen, bald die Menschen Sterne, die Steine Tiere, die Wolken Pflanzen, er spielte mit den Kräften und Erscheinungen, er wußte wo und wie er dies und jenes finden, und erscheinen lassen konnte, und griff so selbst in den Saiten nach Tönen und Gängen umher.

Was nun seitdem aus ihm geworden ist, tut er nicht kund. Er sagt uns, daß wir selbst, von ihm und eigner Lust geführt, entdecken würden, was mit ihm vorgegangen sei. Mehrere von uns sind von ihm gewichen. Sie kehrten zu ihren Eltern zurück und lernten

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Autor:innenreihe
Verlagsort Wiesbaden
Sprache deutsch
Maße 125 x 200 mm
Gewicht 335 g
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte 17.05.1772 • 17.05.2022 • 250. Geburtstag 2022 • Blaue Blume • Brentano • Des Knaben Wunderhorn • Eichendorff • Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg • Günderrode • Jubiläum • Novalis-Gesellschaft • Ofterdingen • Romantik • Romantikmuseum • Universalpoesie
ISBN-10 3-7374-1185-9 / 3737411859
ISBN-13 978-3-7374-1185-1 / 9783737411851
Zustand Neuware
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