Hagakure - Das geheime Wissen der Samurai (eBook)
384 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-27894-6 (ISBN)
Tsunetomo Yamamoto (1659-1719) lebte als Samurai im Gefolge des Saga-Clans im nordwestlichen Kyushu. Nach dem Tod seines Fürsten im Jahre 1700 und nachdem ihm von diesem der rituelle Selbstmord verboten worden war, zog sich Tsunetomo als Einsiedler von der Welt zurück. Aus den Aufzeichnungen der Gespräche mit seinem Freund und Schüler Tashiro Tsuramoto entstanden die elf Bücher Hagakure.
Geplaudere mitten
in der Nacht19
Unser erstes Treffen fand am fünften Tag des dritten Monats im siebten Jahr von Hoei statt [= 1710].20
Wie weit entfernt von der elenden Welt
sind die Kirschbäume der Berge? (Komaru)21
Endlich trafen wir uns unter den weißen Wolken
und es blühten die Kirschbäume.22 (Kisui)23
Sämtliche Gefolgsleute des Nabeshima-Clans müssen mit dem überlieferten Wissen und den Gepflogenheiten [= Kokugaku] des Reichs vertraut sein.24 Bedauerlicherweise hat man derartiges Wissen in jüngerer Vergangenheit vernachlässigt. Warum diese Kenntnisse notwendig sind? Sie helfen, die Ursprünge des Nabeshima-Clans zu verstehen und zu ermessen, welch große Opfer die Vorväter des Reichs erbracht und welche Großzügigkeit sie an den Tag gelegt haben, um den fortdauernden Wohlstand des Reichs zu gewährleisten. Dankbarkeit gebührt Fürst Gochu25 für sein Mitgefühl und seinen Heldenmut sowie Fürst Riso26 für seine gütigen Taten und seinen Glauben. Dank ihnen sicherte die Macht Fürst Takanobus27 und Fürst Nippos28 die Langlebigkeit des Clans und einen langanhaltenden ehrenvollen Ruf, der in der Welt seinesgleichen sucht.
Es ist unverständlich, wie die heutigen Krieger vergessen konnten, wie umwälzend diese historischen Ereignisse waren, und wie sie stattdessen Fürsten verehren, die nicht zur Familie gehören.29 Sakyamuni, Konfuzius, Kusunoki Masanari und Takeda Shingen gehörten niemals der Ryuzoji-Nabeshima-Bruderschaft an und sind nicht vereinbar mit den Gepflogenheiten unseres Reichs. In Zeiten des Friedens wie auch des Kriegs ist es für Männer jedweden Status wichtig, die Ahnen unseres eigenen Clans zu ehren und ihren Lehren zu folgen. Schüler einer Schule oder Tradition verehren den Meister ihres Stils.30 Doch die Gefolgsmänner des Nabeshima-Clans müssen nichts studieren, was außerhalb des Reichs liegt. Erst wenn sie sich mit dem überlieferten Wissen unseres eigenen Fürstentums vertraut gemacht haben, ist es zulässig, andere Dinge zu lernen. Ein Gefolgsmann benötigt nichts weiter als umfassende Kenntnisse des Nabeshima-Clans und seiner Art.
Was geschieht, wenn ein Krieger eines anderen Clans Fragen zu den Ursprüngen der Häuser Ryuzoji und Nabeshima stellt und wie es kommt, dass letztgenannte Familie das Reich regiert? Oder: »Ich habe gehört, die Ryuzoji-Nabeshima-Clans sind die kühnsten in ganz Kyushu. Welche heroischen Taten haben eure Krieger vollbracht?« Verfügt der Nabeshima-Gefolgsmann dann nicht über Wissen, was die Geschichte, die Gebräuche und die Traditionen seines Reichs anbelangt, wird er diese Fragen nicht beantworten können. Ein Gefolgsmann hat im Grunde nur eine einzige Aufgabe: Er muss mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie die ihm übertragenen Aufgaben erfüllen. Und dennoch legen viele Abneigung gegen ihre Pflichten an den Tag und blicken neiderfüllt auf die Aufgaben anderer, was Vernachlässigung von beträchtlichem Ausmaß nach sich zieht. Fürst Nippo und Fürst Taisei-in [= Nabeshima Katsushige] gaben ein wunderbares Beispiel dafür, wie man getreulich seine Pflichten erfüllt. Auch ihre Vasallen kamen ihren Aufgaben mit großer Hingabe nach. Höhere Ränge suchten zweckmäßige Männer als Gefolgsleute, niedere Ränge strebten danach, von Nutzen sein zu können.
Auf diese Weise stimmte der Wille von hohen wie niederen Männern überein und der Clan war stark.
Fürst Nippo ertrug unbeschreibliche Härten, häufig ließ er Blut und musste sich im Kampf beweisen. Bei vielen Gelegenheiten war er bereit, seinem Leben durch Seppuku ein Ende zu setzen. Doch entgegen der Erwartungen war er auch vom Glück gesegnet und es gelang ihm, sein Haus zusammenzuhalten. Ähnliches gilt für Fürst Taisei-in. Nachdem er beinahe Seppuku begangen hätte, regierte er später die Provinz (als erster Nabeshima-Daimyo). Er kämpfte nicht nur hart in zahlreichen Schlachten, er ertrug auch Qualen bei der Verwaltung des Clans, beim Schutz der Provinz und der Reichspolitik. Darüber hinaus war er von festem Glauben. Er sagte: »Ich würde gewiss bestraft, sollte ich es wagen, das Haus zu vernachlässigen, das Fürst Nippo wiederbelebt hat. Die Pflicht trägt mir auf, dafür zu sorgen, dass der Clan durch die Generationen hinweg in Frieden und Wohlstand leben kann. Der Frieden wird die Welt in einen ausgesprochen extravaganten Ort verwandeln. Die Menschen werden die Härten des Kriegs vergessen und ihre Ausgaben erhöhen, während sie nach einem Leben in Luxus streben. Indem sie über ihre Verhältnisse leben, werden Krieger hohen wie geringeren Ranges in schreckliche Armut stürzen und viel Schande in den Augen der Menschen innerhalb wie außerhalb des Reichs auf sich laden. Schließlich werden ihre Haushalte zusammenbrechen. Die Veteranen der Kriegerhäuser werden alle verscheiden und die jüngeren Samurai-Generationen lernen einzig die aktuellen Entwicklungen. Aus diesem Grund hoffe ich, dass künftige Generationen noch über das, was ich schreibe, schreiben werden. Werden meine Schriften beim Wechsel der Clan-Führung weitergegeben, wird der neue Führer, indem er dies liest, ein Gefühl für die Dinge entwickeln, die sich vor seiner Zeit zugetragen haben.« Aus diesem Grund umgab sich Fürst Nippo sein gesamtes Leben lang mit Papierschnipseln, auf denen er seine Gedanken festhielt.
Es gibt keinen Weg für uns, die Geheimnisse des Clans zu kennen. Die Reichsältesten sagen, die geheimen Militärtaktiken des Kachikuchi,31 die zum vollständigen Sieg führen, werden mündlich von einer Generation Nabeshima-Erben an die nächste weitergegeben, wenn die junge Generation die Macht übernimmt. Außerdem enthält die sichere Truhe des Hauses zwei Texte – Shichokakuchisho und Senkosani-ki.32 Diese beiden Militärtexte werden dem jeweils neuen Herrscher persönlich übergeben.
Außerdem hat Fürst Nippo auf qualitativ hochwertigem Torinoko-Papier sehr ausführlich die Angelegenheiten des Hauses festgehalten sowie einen Überblick über all die unterschiedlichen Organisationen innerhalb des Reichs, die Protokolle für die Beziehungen zum Shogunat und sämtliche finanziellen Angelegenheiten.33
Dass der Wohlstand unseres Clans fortbesteht, verdanken wir der harten Arbeit von Fürst Nippo. Ihm sind wir zu ewigem Dank verpflichtet. Insofern hoffe ich bei allem gebührenden Respekt für die neuen Fürsten aus vollem Herzen, dass sie sich die Zeit nehmen, über das harte Los ihrer Vorgänger Fürst Nippo und Fürst Taisei-in nachzudenken, und zumindest Gebrauch von den überlieferten Schriften machen und ihren Inhalt verinnerlichen. Neue Fürsten werden von Geburt an von der Dienerschaft verhätschelt, insofern durchleben sie kaum Härten und kennen die Gebräuche und die Geschichte des Reichs nicht. Sie handeln einfach, wie es ihnen passt, und denken dabei wenig an die unglaubliche Verantwortung, die ein Fürst schultern muss. Viele neue Unternehmungen wurden in den vergangenen Jahren begonnen und die Verwaltung des Reichs ist ins Stocken geraten.
Gerissene Gefolgsleute, die wenig von der Welt kennen, bringen ihre oberflächlichen Weisheiten zur Anwendung und ersinnen neue Pläne in der Hoffnung, auf diese Weise das Wohlgefallen ihres Fürsten zu wecken. Sie verhalten sich arrogant, handeln nach ihrer Façon und werden auf diese Weise zum Quell endloser Probleme. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der Streit zwischen den drei Familienzweigen des Nabeshima-Clans,34 die Einführung der Rangstufe eines Chakuza (direkt unter den Haushofmeistern) mit der Aufgabe, die Verwaltung eines Reichs zu koordinieren; die Indienststellung Außenstehender; die Beförderung von Teakiyari [= Kriegern der Reserve] in das höhere Amt des Monokashira [= Hauptmanns einer Abteilung]; häufige personelle Wechsel innerhalb einer Kumi [= Militäreinheit]; der Wechsel von Anwesen; die Erhebung von Haushofmeistern in denselben Status wie Verwandtschaft des Fürsten [= Shinrui Dokaku]; der Abriss des Herrenhauses Koyoken; die Änderung der Reichsregeln [= Okitecho]; die Erstellung von Ranglisten für Tempel [für exklusive Audienzen beim Fürsten]; die Aufwendung beträchtlicher Mittel für den Bau des westlichen Herrenhauses [= Nishi Yashiki] durch Tsunashige; die Neuordnung der Ashigaru-Einheiten;35 die Aufteilung des Besitzes des Fürsten unter seinen Gefolgsleuten [nach seinem Tod]; der Abriss des westlichen Herrenhauses [durch Yoshishige] und so weiter. Wann immer ein neuer Fürst den Thron besteigt, ändert sich die Art und Weise, wie mit derartigen Dingen umgegangen wird. Zu Problemen kommt es, wenn die Herrscher der Verlockung erliegen, etwas Neues zu verfolgen.
Doch die Erlasse unserer Vorfahren sind stabil, das Fundament unseres Clans ist nicht im Mindesten instabil geworden. Ein gewisser Grad an schlechter Führung wird dem Clan nicht zusetzen, sofern sich alle Männer an die von Fürst Nippo und Fürst Taisei-in hinterlassenen Anweisungen halten. Diese Stabilität wird ein effektives Regieren des Reichs ermöglichen.
Nicht einer unserer früheren Fürsten war ein Tyrann oder dunklen Gemüts. Nicht einer unserer Fürsten wurde je...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2021 |
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Übersetzer | Matthias Schulz |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Hagakure: Secret Wisdom of the Samurai |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
Schlagworte | Buch der Fünf Ringe • Bushido • Die Kunst des Krieges • eBooks • Ehrenkodex • Fürst • Gehorsam • Hagakure • Japan • Management • Militär • Militarismus • Motivatioin • Philosophie • Samurai • Treue |
ISBN-10 | 3-641-27894-5 / 3641278945 |
ISBN-13 | 978-3-641-27894-6 / 9783641278946 |
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