Die Deutschen und ihre Antike (eBook)

Eine wechselvolle Beziehung
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
496 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12093-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Deutschen und ihre Antike -  Stefan Rebenich
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200 Jahre Antikensehnsucht und Geschichte der Altertumswissenschaft Zugänglich und spannend erzählt Stefan Rebenich pointiert die Entwicklung der deutschen Althistorie, die Weltruhm erlangte, aber auch politisch missbraucht wurde. Anhand zentraler Diskurse und wichtiger Institutionen würdigt er kritisch grandiose Leistungen wie Verfehlungen bedeutender Historiker. Ein einzigartiges Buch über die besondere Beziehung der Deutschen zur Antike. Seit mehr als 200 Jahren hat das griechisch-römische Altertum die deutsche Nationalkultur und unsere kollektive Identität mitgeprägt. Stefan Rebenich, einer der führenden deutschen Alt- und Wissenschaftshistoriker, bietet eine ebenso konzise wie glänzend geschriebene Darstellung der wechselvollen und oft kontroversen Geschichte seiner Disziplin. Dabei schildert er nicht nur die politischen und wissenschaftlichen Biographien einzelner herausragender Historiker (u. a. Mommsen, Wilamowitz, Harnack), sondern er berücksichtigt auch bedeutende Wissenschaftsinstitutionen und legt die zeitbedingten Faktoren der historischen Forschung offen. Souverän behandelt er Kontroversen und Themen, die die Entwicklung des Faches bestimmten, und zeigt schonungslos anhand ausgewählter, wenig bekannter Quellen die ideologische Vereinnahmung der Alten Geschichte und die Anpassung ihrer Vertreter im Nationalsozialismus. Was also bleibt und wo stehen wir nach dem Bedeutungsverlust der Antike als Leitbild, fragt der Autor mit einer aktuellen Wendung: Noch heute ist die Beschäftigung mit der Fremdheit der Antike eine intellektuelle emanzipatorische Übung, uns selbst in Frage zu stellen und uns selbst zu finden.

Stefan Rebenich, geboren 1961, studierte von 1980 bis 1985 Klassische Philologie und Geschichte an der Universität Mannheim sowie Alte Geschichte an der Universität Oxford. 2003 wurde Rebenich Professor für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld. 2005 wechselte er auf einen Lehrstuhl für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike bis in das 20. Jahrhundert an die Universität Bern. Er schreibt für die NZZ, SZ und FAZ.

Stefan Rebenich, geboren 1961, studierte von 1980 bis 1985 Klassische Philologie und Geschichte an der Universität Mannheim sowie Alte Geschichte an der Universität Oxford. 2003 wurde Rebenich Professor für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld. 2005 wechselte er auf einen Lehrstuhl für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike bis in das 20. Jahrhundert an die Universität Bern. Er schreibt für die NZZ, SZ und FAZ.

Zur Einleitung


1. Gegenstand und Erkenntnisinteresse


Jacob Burckhardt zeigte sich beeindruckt von dem dorischen Tempel, der den Umschlag dieses Buches ziert. Allerdings missfiel dem Basler Historiker, wie er 1877 notierte, der »infame Treppenaufgang«, der viel zu groß geraten sei und den man auf die Rückseite hätte verlegen müssen. Jetzt könne man nur noch »an den Treppenmauern Efeu pflanzen«.[1] Noch sarkastischer hatte mehr als drei Jahrzehnte früher Heinrich Heine über das riesige Monument geurteilt: Er nannte es schlicht »eine marmorne Schädelstätte«, erbaut von einem »Affen« allein »für deutsche Helden«.[2]

Objekt des Spottes ist eines der bekanntesten nationalen Denkmäler Deutschlands aus dem 19. Jahrhundert: die Walhalla bei Regensburg.[3] Ihr Architekt Leo von Klenze hatte 1836 die »Ansicht der Walhalla« mit Öl auf Leinwand festgehalten. 1807 vom damaligen bayerischen Kronprinzen Ludwig geplant, konnte nach endlosen Diskussionen mit dem Bau erst im Jahr 1830 begonnen werden. Finanziert wurde das Projekt aus dem Privatvermögen Ludwigs, der seit 1825 auf dem bayerischen Thron saß. 1842 weihte man mit großem Pomp den »Ehrentempel für die großen Männer der Nation« ein,[4] die im Inneren durch 96 Büsten und 64 Gedenktafeln gegenwärtig waren. Der germanische Name, der sich von der »Halle der Gefallenen« in der nordischen Mythologie ableitete, stammte von dem Schweizer Johannes von Müller, der für die Erinnerung an den Rütlischwur gesorgt hatte und selbst durch eine Büste verewigt wurde. Ohnehin bestimmte in diesem gesamtdeutschen Denkmal die Zugehörigkeit zur deutschen Kulturnation über die Aufnahme in den hehren Kreis, und so wurden außer Eidgenossen wie Nikolaus von der Flüe und Aegidius Tschudi auch Wilhelm von Oranien und Katharina II. berücksichtigt. Nur Luthers Büste, die bereits früh angefertigt worden war, fehlte zunächst; der reformatorische »Dickkopf«, wie Heine lästerte, passte dem katholischen Monarchen nicht. Erst Ende der vierziger Jahre, als die konfessionellen Spannungen nachließen, fand er Einlass in die Ruhmeshalle.

Von Anfang an prominent vertreten waren die bekannten Gestalten der germanischen Frühzeit; ob cheruskischer, markomannischer, gotischer, vandalischer oder fränkischer Herkunft, sie alle wurden kurzerhand zu Deutschen erklärt. Natürlich begann die Reihe mit Arminius alias Hermann, dessen Sieg über die Römer im Teutoburger Wald aus dem Jahr 9 n. Chr. auf einem äußeren Relief an einer Giebelwand dargestellt war. Deutschlands Kampf um Freiheit, so lautete das historische Narrativ, nahm seinen Anfang in den germanischen Wäldern. Auf dem gegenüberliegenden Giebel ist denn auch die Siegesfeier in den Befreiungskriegen gegen Napoleon zu sehen. Wulfila, Alarich und Athaulf sind ebenso präsent wie Geiserich, Chlodwig und Theoderich der Große. Nicht nur Heerführer und Politiker, sondern auch Dichter und Denker, Bischöfe und Heilige haben Aufnahme gefunden. Auch einiger Frauen, die deutsche Kultur stifteten und sich durch christliche Tugenden auszeichneten, wurde gedacht; so sind im Inneren Tafeln für Hrotsvit von Gandersheim, Hildegard von Bingen und Elisabeth von Thüringen angebracht.

Platziert wurde das Denkmal auf einer natürlichen Anhöhe in einer romantischen Landschaft. Auf dem Gemälde sind die Donau und Ausläufer des Waldes sowie die neugotische Salvatorkirche und die Ruine der Burg Donaustauf zu erkennen. Der deutsche Gedenkort liegt außerhalb des städtischen Getriebes des nahen Regensburg und grenzt sich scharf ab von urbanen Erinnerungsstätten wie dem Pantheon in Rom oder in Paris. Ein vergleichbares politisches Zentrum hatte Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht. Also verlegte Ludwig das nationale Heiligtum in die freie Natur.

Für das Monument ist jedoch keine deutsche Formensprache verwendet. Stattdessen wird die griechische Tempelarchitektur aktualisiert: Die Ruhmeshalle erhebt sich im strengen dorischen Stil und erinnert den Betrachter an den Parthenon auf der Athener Akropolis. Die mächtige Substruktion zeigt zudem Anklänge an ägyptische und vorderorientalische Bauten. Der bayerische König war ein begeisterter Philhellene, der sein Königreich »Baiern« mit Hilfe des griechischen Buchstabens Ypsilon in das Königreich »Bayern« verwandelte. Seine Stararchitekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner beauftragte er, die Residenzstadt München im Geiste des Klassizismus umzugestalten. Die Ästhetik des griechischen Tempelbaus war im bayerischen Königreich omnipräsent und bildete einen integralen Bestandteil der monarchischen Repräsentation. Die Monumentalarchitektur bei Donaustauf erinnerte an die Größe und Schönheit der griechischen Vergangenheit, die ihre Fortsetzung in deutschen Landen fand. Zugleich nobilitierte der Rekurs auf klassisch-antike Formen die geehrten Deutschen. Denn »mit der griechischen Form« wurde »an die ideale Ausprägung der Humanität erinnert«: Die Nation stand »in einer unlösbaren Beziehung zum klassischen Ideal des Griechentums«; »die Synthese von Nationalität und universaler Humanität«, welche die Griechen repräsentierten, war »hier noch ungebrochen wirklich.«[5]

Die patriotische Erinnerungskultur, die auf die großen Gestalten des Vaterlandes fokussiert war, bediente sich eines antiken Tempels, um mitten im christlichen Abendland ein säkulares Heiligtum zu schaffen, das den Kampf für die nationale, nicht die bürgerliche Freiheit für die Zeitgenossen und die folgenden Generationen rühmte. Unterschiedliche welthistorische Räume und Zeitschichten sind in diesem Heiligtum an der Donau miteinander verbunden. Frohen Mutes blickte man in die Zukunft, in der Deutschland als eine Nation hervortreten sollte, deren Fundamente die eigene Kultur, Humanität und Geschichte bildeten. Auch in Donaustauf wurde die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen »zum Grundraster, das die wachsende Einheit der Weltgeschichte seit dem 18. Jahrhundert fortschrittlich auslegte«.[6]

Voller Optimismus vertraute man auf einzelne Individuen, deren zeitloses Andenken in Stein gemeißelt war. Ihre jeweiligen Botschaften zu entschlüsseln, war nicht jedem gegeben. Es bedurfte einer umfassenden literarischen und historischen Bildung, um die vielfältigen Anspielungen und Assoziationen verstehen zu können. Nicht das Volk wurde hier angesprochen, sondern die gebildete Schicht der deutschen Nation, die auf dem Gymnasium die alten Sprachen lernte und sich den Griechen geistesverwandt fühlte. Die Nation ist hier als Kulturgemeinschaft imaginiert. Die politische Einheit des »großen Vaterlandes« Deutschland, dem Ludwig die Walhalla vererbte, lag noch in weiter Ferne. Es mag ebendiese Bestimmung als kulturelles Nationaldenkmal sein, die es ermöglicht hat, dass auch später noch neue Büsten aufgestellt wurden, darunter Sophie Scholl, Edith Stein und Käthe Kollwitz. Selbst Heinrich Heine hat 2010 seinen Frieden mit dem Pantheon des deutschen Geisteslebens geschlossen.

Die Walhalla steht beispielhaft für das Thema dieses Buches: die Aneignung und Anverwandlung des antiken Erbes in Deutschland seit etwa 1800. Dies ist in der Tat ein weites Feld, da das Erbe des Altertums in unterschiedlicher Weise in Literatur und Musik, in Bildung und Wissenschaft, in Kunst und Architektur, in Theater und Film, ja selbst im Landschaftsgarten und in der Gebrauchskeramik gegenwärtig war – und noch immer ist.[7] Kaum mehr zu überschauen ist die einschlägige Literatur zur ubiquitären Rezeption der Antike. Um die Rekonstruktion der produktiven »Transformationen der Antike« hat sich ein interdisziplinärer Sonderforschungsbereich bemüht, der von 2005 bis 2016 an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelt war.[8] Statt von statischen Prozessen der Auf- und Übernahme auszugehen, hat das Projekt richtungweisend das dynamische Konzept der Transformation entwickelt, das von wechselseitigen Wirkungen ausgeht. Zum einen entsteht die Antike in den uns greifbaren, mannigfaltigen Zeugnissen und Gegenständen der Rezeption immer wieder neu und auf unterschiedliche Art, wird verändert und verändert sich, wird uneinheitlicher, differenzierter und bunter. Zum anderen konstituieren und konstruieren sich die Gesellschaften durch...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2021
Zusatzinfo mit zahlreichen Abbildungen
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Schlagworte Adolf von Harnack • Antike • Antike-Begeisterung • Antikes Griechenland • Archäologen • Archäologie • Architektur • Ästhetik • Eduard Schwartz • Epigraphik • Friedrich Althoff • Geschichte • Hermann Diels • Historiker • Historismus • Johann Gustav Droysen • Johann Joachim Winckelmann • Klassische Philologie • Kunstgeschichte • Nationalsozialismus • Römisches Reich • Skulpturen • Stefan George • Theodor Mommsen • Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff • Wilhelm von Humboldt • Wissenschaft im Dritten Reich
ISBN-10 3-608-12093-9 / 3608120939
ISBN-13 978-3-608-12093-6 / 9783608120936
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