Deutschland in der Welt (eBook)

Gesellschaft, Kultur und Politik seit 1815

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
453 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44800-8 (ISBN)

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Deutschland in der Welt -  Thomas Adam
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Wie wirkte sich der Ausbruch des Vulkans Tambora, der 1815 im fernen Indonesien stattfand, auf die deutsche Geschichte aus? Warum hat sich die deutsche Tradition des Weihnachtsbaums im 19. Jahrhundert weltweit verbreitet? Wie gelangte das Fußballspiel in den 1870er Jahren aus Großbritannien an hiesige Gymnasien und wurde im 20. Jahrhundert zum Nationalsport der Deutschen? Kaum eine Entwicklung, die die moderne Gesellschaft in Deutschland formte, kann ausschließlich aus der deutschen Geschichte heraus erklärt werden. Thomas Adam schildert sie von 1815 bis zur Gegenwart erstmals aus einer konsequent globalgeschichtlichen Perspektive. Im Gegensatz zu anderen Überblicksdarstellungen, die sich auf den engen Raum des deutschen Nationalstaats und auf einen politikhistorischen Ansatz beschränken, bietet er eine lebendige Kultur- und Sozialgeschichte der Menschen, die in Deutschland gelebt und es geprägt haben, aber auch jener, die es verlassen haben. Historische Ereignisse und Entwicklungen, die man oft als »typisch deutsch« ansieht, erscheinen in diesem transnationalen Kontext in einem völlig neuen Licht.

Thomas Adam hat von 2001 bis 2020 an der University of Texas at Arlington transnationale und transatlantische Geschichte gelehrt. Seit August 2020 ist er Associate Professor am Department für Political Science der University of Arkansas und stellvertretender Direktor des International and Global Studies Programms am Fulbright College of Arts and Sciences seiner Universität.

Thomas Adam ist Associate Professor am Department für Political Science der University of Arkansas und dort stellvertretender Direktor des International and Global Studies Programms am Fulbright College of Arts and Sciences.

Einleitung


In den vergangenen zwei Jahrhunderten schufen sich jede deutsche Gesellschaft und jede Generation ihre eigene deutsche Geschichte, die ihren Bedürfnissen der Identitäts- und Sinnstiftung entsprach. Dadurch entstand eine Abfolge von deutschen Geschichten, die ihrem jeweiligen Publikum eine Interpretation anboten, in der vor allem die Besonderheiten der deutschen Gesellschaft hervorgehoben wurden. So galt am Ende des 19. Jahrhunderts in der kaiserlichen deutschen Gesellschaft etwa die Abwesenheit einer Revolution im Stil der Französischen Revolution nicht nur als eine besondere Charakteristik der deutschen Gesellschaft, sondern auch als eine Grundlage für deren Überlegenheit über andere westliche Gesellschaften wie etwa die französische und die englische Gesellschaft. Die deutsche Gesellschaft erschien als das Resultat eines evolutionären Prozesses, in dem der Fortschritt durch wohltätige Herrscher wie etwa den preußischen König Friedrich II. erreicht wurde. Diese Andersartigkeit der deutschen Geschichte wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der westdeutschen Gesellschaft dazu verwendet, den Niedergang der deutschen Geschichte im Nationalsozialismus zu erklären. Galt das Fehlen einer erfolgreichen bürgerlichen Revolution im 19. Jahrhundert einst als Vorteil, wurde das Ausbleiben dieser Revolution in der Bundesrepublik in den 1970er Jahren als strukturelle Ursache für die Entwicklung hin zum Nationalsozialismus erkannt.

Weder die erste noch die zweite Inkarnation des deutschen Sonderwegs beruhte aber auf systematischen Untersuchungen, die sozial-strukturelle Entwicklungen in der deutschen Gesellschaft mit sozial-strukturellen Entwicklungen in anderen westlichen Gesellschaften verglich und die gegenseitige Beeinflussung und Durchdringung sozialer und kultureller Strukturen der modernen Gesellschaften und Kulturen in westlichen Ländern untersuchte. Strukturen und Phänomene der modernen Gesellschaft und Kultur von der Infrastruktur der Großstädte bis hin zu sozialen Verhaltensweisen entwickelten sich aber nicht innerhalb abgeschlossener politischer Räume wie etwa des Nationalstaates, sondern durch umfassende Austauschprozesse zwischen Städten und Regionen sowie deren Bewohner. In diesen Austauschprozessen überwogen zudem die Aktivitäten individueller Bürger, die sich ohne staatliches Mandat als Kulturvermittler einsetzten, und von nicht-staatlichen Organisationen, die Ideen und Modelle sozialer und kultureller Organisation aufspürten, annahmen und umsetzten. Einer Geschichtsschreibung, die auf politisch legitimierte Akteure und staatliche Organisationen konzentriert ist, konnte es nicht gelingen, diese Aktivitäten, die die deutsche Gesellschaft nachhaltig prägten, zu erfassen. Daher blieben Darstellungen wie etwa Sebastian Conrads und Jürgen Osterhammels Das Kaiserreich transnational, die einem politikgeschichtlichen Ansatz verhaftet waren, und selbst Darstellungen wie Die Internationale der Rassisten von Stefan Kühl weit hinter ihrem Anspruch zurück, eine transnationale Perspektive auf Perioden und Aspekte der deutschen Geschichte zu liefern.

Die transnationale Wende in der Geschichtsschreibung hat Historiker dazu ermuntert, die Produktion von Geschichtserzählungen – nationalen und regionalen – aus einer Perspektive anzugehen, in der die Rolle des Staates in den Hintergrund rückt, der Rahmen der Nation überwunden wird und in der nicht-staatliche Akteure in den Mittelpunkt der Darstellung rücken. Sie führt insgesamt dazu, dass grundlegende Aspekte der Erzählung der deutschen Geschichte neu gedacht werden müssen. Zuerst geht es darum, den Raum der deutschen Geschichte neu zu bestimmen. Traditionelle deutsche Geschichten des 19. Jahrhunderts haben zum Beispiel ihren Untersuchungs- und Darstellungsbereich zumeist auf den geographischen Raum beschränkt, der im Jahr 1871 das Deutsche Reich bildete. Damit wurde eine politische Ordnung – das Deutsche Kaiserreich – zum Erfahrungsraum der deutschen Nation. Nationalstaaten waren im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber in der Regel keine monolithischen Einheiten, in denen sich jeweils nur eine Nation aufhielt. Weder Deutschland noch Polen (nach 1919) war die Heimat aller Personen, die zu der jeweiligen nationalen Gruppe zählten. Und weder Deutschland noch Polen waren ausschließlich von Deutschen und Polen bewohnt. Alle europäischen Sprachgruppen, die sich auch als nationale Gruppen verstanden, formten im 19. und 20 Jahrhundert aufgrund ihres migratorischen Verhaltens globale Diasporen, die zum Beispiel Deutsche in Leipzig mit Deutschen in Philadelphia oder Rio Grande do Sul oder Polen in Warschau mit Polen im Ruhrgebiet oder in Chicago verbanden. Die deutschsprachige Diaspora umfasste deutschsprachige Siedler in dem geographischen Raum von der Wolga bis zum Pazifik und von der Ostsee bis zur Südspitze Südamerikas. Moderne Formen der Kommunikation wie etwa Briefe, deren Beförderung um die Welt durch globale Abkommen ermöglicht wurde, gaben dieser Diaspora im 19. Jahrhundert ein Netzwerk, durch das Informationen in alle Richtungen flossen. Sie beeinflussten die Formierung von Bildern über fremde und exotische Regionen und beförderten die Migration aus Zentraleuropa und Osteuropa nach Nord- und Südamerika.

Traditionelle, auf die Nationalgeschichte fokussierte Geschichten geben dieser deutschsprachigen Diaspora keinen Raum. Deutsche Geschichten ignorieren diese Migranten und Exilanten grundsätzlich, da sie nicht mehr in dem Raum der deutschen Nation leben. Und wiederum Nationalgeschichten der Empfängerländer wie etwa der USA, Kanada oder Brasilien ignorieren die deutschen Migranten und Exilanten sowie ihre Beiträge zur Ausgestaltung der amerikanischen, kanadischen oder brasilianischen Nationalidentität, weil sie durch die Historiker der betreffenden Länder nur als marginale Einwanderergruppen wahrgenommen wurden, deren Beitrag zur politischen Geschichte des jeweiligen Landes als zu vernachlässigen galt. Im Kontext der deutschen Migranten, die sich in den USA niederließen, etablierte sich zumindest eine deutsch-amerikanische Schule der Geschichtsschreibung, die, zwischen den Stühlen sitzend, freilich nur wenig von Historikern der deutschen Geschichte und Historikern der amerikanischen Geschichte wahrgenommen wird.

Die hier vorliegende deutsche Geschichte sucht diesem Dilemma in zweierlei Weise beizukommen: Zum einen legt sie den Raum der deutschen Geschichte nicht auf den deutschen Nationalstaat fest; zum anderen richtet sie den Fokus nicht nur auf staatliche Aktionen und Akteure, sondern weitet ihn auch auf nicht-staatliche Aktionen und Akteure aus. So wird nicht nur der Beitrag der deutschsprachigen Migranten des 19. Jahrhunderts zur Ausgestaltung der amerikanischen Gesellschaft, sondern auch derjenige der deutschen Exilanten herausgearbeitet, die sich in den 1930er Jahren nach der Flucht vor dem Nationalsozialismus vor allem in den USA niederließen und hier an der Entwicklung der modernen Filmindustrie und Architektur entscheidend beteiligt waren. Damit wird dieses Buch vor allem eine Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung innerhalb und außerhalb des deutschen Nationalstaates sein und nicht nur eine Geschichte des deutschen Staates bieten.

Deutsche und nicht-deutsche Migranten und Reisende, die sich zwischen verschiedenen modernen Nationalstaaten hin und her bewegten, nutzten ihre Reisen, um das von ihnen in anderen Städten und Regionen Entdeckte zu beobachten, zu studieren und daraufhin zu überprüfen, ob es auch in andere urbane und regionale Kontexte überführt werden könnte. In diesem Prozess kam es zu zahlreichen interkulturellen Transfers von Objekten und Ideen, die Entwicklungen und Einrichtungen in deutschen Städten mit Prozessen und Institutionen in Städten in anderen Ländern verbanden. So erlebte etwa der amerikanische Student und Reisende George Ticknor in Göttingen und Dresden am Anfang des 19. Jahrhunderts die ihm unbekannte Einrichtung von familiären Weihnachtsfeiern mit einem Weihnachtsbaum und dem Austausch von Geschenken. Für Ticknor war dies eine völlig neue Erfahrung und er überlegte, inwieweit dieses Weihnachtsfest, das er als ein die deutsche Nation charakterisierendes Fest bezeichnete, eventuell auch in die amerikanische Gesellschaft integriert werden könnte. Er wollte damit auch dort die Konstruktion einer nationalen Identität vorantreiben. In den 1860er Jahren war es der Braunschweiger Gymnasiallehrer Konrad Koch, der in dem an englischen Privatschulen gespielten Fußball eine Freizeitaktivität entdeckte, die auch an deutschen Gymnasien eingesetzt werden könnte, um Schülern eine ansprechende physische Betätigung zu ermöglichen, die sie zu aktiven Partnern im Lernprozess machen würde. Koch konnte allerdings kaum ahnen, dass dieser Sport, der anfangs als undeutsch, gefährlich und...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Schlagworte 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • Bundesrepublik Deutschland • Deutsche Geschichte • Europäische Geschichte • Gegenwart • Globalgeschichte • Kaiserreich • Kulturgeschichte • Nationalkultur • Nationalsozialismus • Nationalstaat • Sozialgeschichte • Transfer • Transnationale Geschichte • Vormärz • Weimarer Republik
ISBN-10 3-593-44800-9 / 3593448009
ISBN-13 978-3-593-44800-8 / 9783593448008
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