Geleitwort für die deutsche Ausgabe

Nidotherapie kann aus folgenden Gründen als eine therapeutisch und wissenschaftlich sinnvolle, notwendige Bereicherung des bestehenden Psychotherapieangebots gesehen werden:

Sinnvoll Nicht die Symptomreduktion und Steigerung des Funktionsniveaus stehen im Vordergrund, sondern die Veränderung von Umweltbedingungen entsprechend den Bedürfnissen des Patienten, weswegen die Therapieform auch als Umwelttherapie oder bedürfnisorientierte Therapie bezeichnet wird.

Notwendig In erster Linie wurde Nidotherapie für Patienten mit schweren chronischen psychischen Erkrankungen entwickelt, die auf herkömmliche Methoden nicht oder nur partiell respondiert haben. Angesichts steigender Prävalenz bei gleichzeitig für diese Patientengruppe kaum vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten wird Nidotherapie interessant und schafft Zuversicht.

Theoretisch fundiert Theoretisches Fundament der Nidotherapie ist die Adaptationstheorie. Eine erfolgreiche Nidotherapie kann dazu führen, dass chronisch psychisch Erkrankte nicht immer wieder im Wettkampf mit anderen, funktionsfähigeren Menschen scheitern. Stattdessen wird versucht, eine passende Umwelt zu generieren, welche die Stärken des Patienten fördert und nicht weiter von dessen Schwächen gestört wird.

Wissenschaftlich Neben Fallstudien wurden bereits eine qualitative Untersuchung und zwei randomisiert-kontrollierte Studien veröffentlicht. Auch wenn sich die klinische Erprobung von Nidotherapie insbesondere auf Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie, geistiger Behinderung und Demenz bezieht, ist ihr Kernmerkmal, dass sie auf eine Vielzahl psychischer Erkrankungen anwendbar ist.

Zeitgemäß Vernetzung und multiprofessionelles Vorgehen bedeuten im Rahmen der in Deutschland seit 2017 zunehmend erfolgten Aufhebung von Befugniseinschränkungen für Psychotherapeuten zeitgemäße, hochaktuelle psychotherapeutische Herausforderungen. Nidotherapie könnte eine Methode zur Arbeit in bzw. mit einem psychosozialen Netzwerk darstellen.

Ökonomisch Angesichts steigenden Zeit- und Kostendrucks im Gesundheitswesen bietet die Anwendung von Nidotherapie mögliche ökonomische Vorteile sowie eine Verbesserung der Allokation von Ressourcen, zumal chronische Störungsbilder die höchsten direkten und indirekten Krankheitskosten verursachen.

Laut Dr. Peter Carter (ehemaliger Chefarzt und Generalsekretär des Royal College of Nursing), der das Vorwort zur englischen zweiten Auflage verfasst hat, kann das Buch als Grundlagenlektüre der Nidotherapie verstanden werden, da es eine Definition der Therapieform sowie deren grundlegende Prinzipien vermittelt. Anlässlich des ersten Erscheinens 2009 prognostizierte er, dass die Nidotherapie bald nicht nur ein allgemein anerkannter Therapieansatz sein wird, sondern insbesondere bei der Behandlung schwerer und chronisch psychisch Kranker zum Einsatz kommen kann. Daten, die das Interesse und die Verbreitung von Nidotherapie belegen, stammen vorwiegend aus England und seit der Übersetzung der Erstauflage 2013 ins Schwedische auch von dort.

In der deutschen Übersetzung des Buches in seiner zweiten Auflage werden Nidotherapie und bedürfnisorientierte Therapie synonym gebraucht. Dies erscheint passend, da die Nidotherapie ganz gezielt versucht, die Bedürfnisse des Patienten zu eruieren und zu erfüllen, und zwar in jedem Lebens- bzw. Umweltbereich. Beispiele dafür sind etwa persönliche (finanzielle und soziale Dienstleistungen, Wohnmöglichkeit), soziale (Freizeit, Stigmatisierung, Schikane durch Dritte) und physische Umweltbedürfnisse (Isolation, Sicherheit, persönliche Kontrolle).

Mithilfe der durchgängig äußerst anschaulichen Beschreibungen zahlreicher Einzelfallberichte werden die Flexibilität des Ansatzes und die Einfachheit in der Umsetzung bedürfnisorientierter Therapie für zahlreiche klinische Situationen sehr gut und ganz konkret deutlich.

Die Einleitung und das erste Kapitel setzen sich vor allem mit den Hintergründen und Startbedingungen bedürfnisorientierter Therapie auseinander. So werden zehn allgemeine Prinzipien der Nidotherapie vorgestellt, die zeigen, dass Nidotherapie eine außergewöhnliche und keine typische Therapie ist. Denn Ziel ist nicht, eine psychische Erkrankung zu verbessern oder gar zu heilen. Ziel ist, die mit der psychischen Erkrankung einhergehenden Folgen durch passende Umweltveränderungen zu beseitigen. In diesem Zusammenhang legt die Nidotherapie den Fokus auf persönliche Stärken der Patienten und deren Förderung. Ferner handelt es sich um keine diagnosebezogene und insbesondere um keine manualisierte Psychotherapieform.

Danach folgen in Kapitel 2 Überlegungen zur Indikation für bedürfnisorientierte Therapie. Hier werden neben einer kritischen Betrachtung des Begriffs der Therapieresistenz Gründe aufgeführt, warum Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (dabei insbesondere Patienten mit dem behandlungsresistenten Typus) besonders für Nidotherapie geeignet sind. Hierbei wird dem Expertenstatus der Autoren gemäß selbstverständlich eine dimensionale Betrachtung des Störungsbildes verfolgt. Schließlich wird erklärt, wann mit Nidotherapie begonnen werden sollte und welches die Grundvoraussetzungen auf Patientenseite für Nidotherapie sind.

Im darauffolgenden Kapitel 3 wird beschrieben, wie die Nidotherapie genau durchgeführt wird. Hervorgehoben wird dabei die Flexibilität des Therapeuten, sich auf unterschiedliche kollaborative Fähigkeiten einzustellen, und dadurch dem Patienten und nicht sich selbst zu erlauben, die Agenda für die Therapie zu bestimmen. Der Methode liegen aktuelle und wissenschaftlich fundierte Behandlungsstandards zugrunde, die in vier Phasen stringent zum Ausdruck gebracht werden. Im Rahmen der ersten Phase einer bedürfnisorientierten Therapie muss erarbeitet werden, warum der Patient genau »in schier grenzenloser Inaktivität verweilt und nicht genau das tut, was allen anderen so unglaublich offensichtlich erscheint«. Die zweite Phase führt eine detaillierte Umweltanalyse in sechs Stufen durch und bezieht dabei Verhaltensbeobachtung, Hausbesuche, Fremdanamnesen und Dritte ein. Die Entwicklung des nidotherapeutischen Pfades kennzeichnet die dritte Phase der Methode; hier erfolgt die konkrete, schriftlich in Teilschritten fixierte Planung in einem Intervall von acht bis zehn Wochen. In der vierten Phase schließlich werden Fortschritte überprüft sowie der Therapieerfolg und Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe eingeschätzt.

Im Kapitel 4 über...