Mailen, chatten, zoomen: Digitale Beratungsformen in der Praxis (Leben Lernen, Bd. 323) (eBook)
304 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12129-2 (ISBN)
Birgit Knatz, Diplom-Sozialarbeiterin, ist Leiterin der Telefonseelsorge Hagen-Mark und Gründerin der TelefonSeelsorge im Internet. Sie ist Supervisorin, Trainerin und zertifizierte Ausbildungsleiterin.
Birgit Knatz, Diplom-Sozialarbeiterin, ist Leiterin der Telefonseelsorge Hagen-Mark und Gründerin der TelefonSeelsorge im Internet. Sie ist Supervisorin, Trainerin und zertifizierte Ausbildungsleiterin. Bernard Dodier, Diplom-Sozialarbeiter, ist Gründer der TelefonSeelsorge im Internet, zertifizierter Ausbilder und Supervisor in der Notfallseelsorge. Beide sind Gründungmitglieder der Deutschsprachigen Gesellschaft für psychosoziale Online-Beratung e.V..
Kapitel 1
Online-Beratung 2020
Als wir im November 2019 die Idee hatten, unsere seit dem Erscheinen des ersten Buches »Hilfe aus dem Netz« gemachten Erfahrungen zu veröffentlichen, war die Welt noch in Ordnung. Wir wollten die Kenntnisse aus unserer Beratungsarbeit, den durchgeführten Aus- und Fortbildungen und unsere Erfahrungen mit einer langsam, aber stetig wachsenden Zahl von Online-Beratungsstellen zusammenfassen und so einen Überblick über den Ende des Jahres 2019 festzustellenden Stand der Online-Beratung geben. Doch es kam anders als gedacht!
Am 31. Dezember 2019 wurde die WHO über Fälle von Lungenentzündung mit unbekannter Ursache in der chinesischen Stadt Wuhan informiert. Daraufhin identifizierten die chinesischen Behörden am 7. Januar 2020 als Ursache ein neuartiges Corona-Virus, das später die Bezeichnung »COVID-19-Virus« erhielt. Am 30. Januar 2020 wurde die Corona-Virus-Pandemie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur »Gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite« erklärt. Am 27. März 2020 trat das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft.
Damit beschlossen Bund und Länder Mitte März 2020 weitgehende Einschränkungen für das öffentliche Leben, wie gleichzeitig fast alle anderen Länder weltweit. Am 16. März wurden die Schulen geschlossen. Wir verzichten darauf, die Entwicklung der Pandemie und der darauffolgenden Maßnahmen näher zu beschreiben. Sie ist bekannt und in ihrem Einfluss täglich zu spüren. Mitte Dezember 2020, mit stetig steigenden Zahlen der Infizierten, wird sichtbar, dass angesichts des erneuten Lockdowns uns alle die Corona-Pandemie noch lange beschäftigen wird.
So können wir nicht anders, als auch in diesem Buch die Frage zu stellen, welche Auswirkungen dieses Ereignis auf die psychosoziale (Online-)Beratung und auch auf Beratungsleistungen insgesamt heute und in Zukunft hat. Egal wie diese weltweite Pandemie durch unsere Gesellschaften und ihre Verantwortlichen gemeistert werden wird, sind die Auswirkungen auf die Beratung schon jetzt deutlich zu erkennen und von weitreichender Tragweite.
1.1 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beratung
1.1.1 Auswirkungen auf die Beratungsstellen
Mitte März 2020 sind alle in der Beratung Tätigen, unabhängig ob psychosoziale Beratung oder eine andere Form der Beratung, von der unerwarteten, bisher undenkbaren, aber dadurch eben brutal ernüchternden Erkenntnis getroffen worden, dass nicht mehr in der persönlichen Begegnung gearbeitet werden konnte und durfte. Bestehende Termine wurden abgesagt und vielerorts die Beschäftigten ins Homeoffice geschickt.
COVID-19 hat von einem Tag auf den anderen die Beratungs- und Therapielandschaft gründlich verändert und die so selbstverständlich gehandhabten persönlichen Begegnungen, Beratungen und Therapiesitzungen weitgehend tabuisiert.
Dass in diesen Krisenzeiten, in denen Beratung und Beistand dringend notwendig sind, die Beratungsstellen und Psychotherapie-Angebote mit ihren an Face-to-Face gebundenen Methoden völlig bedeutungslos und außen vor sind, ist beispiellos. Das zurückbleibende Gefühl der Hilflosigkeit bei den handelnden Personen hat für manche ein traumatisches Erleben zur Folge. Ein Kriterium für potentiell traumatisierendes Erleben von professionell Helfenden ist die Hilflosigkeit angesichts einer Katastrophe, in der sie nicht handeln können, lahmgelegt sind, tatenlos zuschauen müssen. Dies trifft gleichermaßen auf alle Beratenden, gleich zu welchem Thema, zu. So konnten Banken und Versicherungen keine persönlichen Beratungen mehr durchführen, Ämter und Behörden duften nicht mehr aufgesucht werden und die Beratungsleistungen von Gesundheitseinrichtungen, Ärztinnen und Krankenhäusern, selbst Reha-Einrichtungen, wurden stark eingeschränkt.
Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) schreibt dazu: »Beratende und andere Fachkräfte erleben derzeit eine nie dagewesene Herausforderung, da ihre eigene Lebenssituation und zugleich die Lebenswelt ihrer Klienten sich von einem auf den anderen Tag grundlegend geändert hat. Dabei besteht eine doppelte Herausforderung, nämlich den eigenen Alltag jenseits früherer Routine zu meistern und zeitgleich in einer neuen beruflichen Situation den Fragen und Problemen oft sehr verunsicherter Klienten gerecht zu werden.« https://www.dgsf.org/ueber-uns/gruppen/fachgruppen/online-beratung/krisenberatung-am-telefon-und-per-video-in-zeiten-von-corona
Nicht nur, dass mit dem Lockdown die Beratungen im vertrauten Face-to-Face-Format nicht mehr möglich waren, auch die Erreichbarkeit der Stellen war nicht mehr gegeben, da sich Psychotherapeutinnen und Berater von jetzt auf gleich im Homeoffice wiederfanden.
Von dort aus konnten sie nur bedingt und oft auch nur zögerlich ihre Arbeitsfähigkeit auf technisch-organisatorischer Ebene wiederherstellen und sicherstellen.
Die Auswirkungen auf die Träger von Beratungsangeboten sind grundlegend. Ihre angebotenen Leistungen konnten in der bisherigen Komm-Struktur nicht mehr angeboten werden. Die verordneten Kontaktbeschränkungen und Hygienevorschriften erlaubten es nicht mehr, die Klientinnen und Klienten zu empfangen und für die Beratungen zu sehen. Was für die Beratungen zutrifft, gilt ebenso für Psychotherapie-Sitzungen im Einzelkontakt und natürlich erst recht für Gruppensitzungen und sich selbst organisierende Selbsthilfegruppen.
Die baulichen Gegebenheiten und Bedingungen in den Räumen erlauben nicht die Einhaltung der Abstandsgebote und entsprechen nicht den neu erlassenen Hygienevorschriften. Den beruflichen Alltag unterstützende kollegiale Zusammenkünfte wie Supervision, Intervision und auch Aus- und Fortbildungen konnten und können derzeit nicht mehr in Kopräsenz durchgeführt in werden.
Der von Beratungsträgern gestartete Versuch, alternativ zu persönlichen Treffen Telefonkonferenzen, Online-Supervisionen und auch Fortbildungen zu organisieren, scheiterten und scheitern immer noch an nicht vorhandenen technischen Voraussetzungen sowohl in der Hardware als auch in den Leitungskapazitäten. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, dass durch die von den jeweiligen IT-Sicherheitsbeauftragten implementierten Schutzfunktionen oft ein Arbeiten der Beratenden im Homeoffice unmöglich gemacht wurde. Was für fiktive Angreifende unüberwindlich und DGSVO-konform erdacht und konstruiert wurde, ist auch für Mitarbeitende aus dem Homeoffice unüberwindlich. Zugänge von außen waren nicht vorgesehen. Ein leitender Psychologe eines großen Trägers klagte, dass er eine Fortbildung in Online-Beratung technisch nicht realisieren könne, da ihre Technik veraltet und schon gar nicht auf Videokonferenzen ausgelegt sei. Die einzige Möglichkeit sei, dass die Mitarbeitenden von zu Hause mit ihrem privaten Notebook oder Rechner teilnehmen könnten. Das wiederum würde ihren Sicherheitsbeauftragten aber große Bauchschmerzen bereiten. Das generell bestehende Problem zwischen einem möglichst technisch niederschwelligen Beratungsangebot einerseits und den Wünschen und Vorstellungen der IT-Sicherheitsbeauftragten und der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) ist sehr deutlich.
Bernd Jacob, Geschäftsführer der Internetagentur für nachhaltige Digitalisierung AYGOnet (www.aygonet.de), die eine webbasierte Software für eine professionelle und individuelle Online-Beratung anbietet, antwortete auf unsere im Oktober 2020 gestellte Frage bezüglich neuer Erkenntnisse und Erwartungen an die zukünftigen Entwicklungen zum Thema Online-Beratung in technischer Hinsicht: »Insgesamt zeigt Corona aber auch die Rückständigkeit in der technischen Infrastruktur in Deutschland. Videokonferenzen gelingen technisch auf Grund geringer Bandbreite nicht reibungslos, die versprochenen Leitungskapazitäten der Netzbetreiber werden nicht annähernd konstant erreicht. Die Erfahrungen des Homeschoolings zeigen, dass es in unserer Gesellschaft einen Technologie-Gap gibt, der im starken Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation der Familien steht. Ich denke, dass wir ein neues Grundrecht benötigen, das den Privathaushalten freien Zugriff auf ein Mindestmaß an technischer ...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2021 |
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Reihe/Serie | Hilfe aus eigener Kraft |
Leben lernen | |
Leben Lernen | Leben Lernen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Chat • Corona-Krise • digitale Beratungsformate • Internetberatung • Psychologische Beratungsstelle • Voicemail |
ISBN-10 | 3-608-12129-3 / 3608121293 |
ISBN-13 | 978-3-608-12129-2 / 9783608121292 |
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Größe: 3,6 MB
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