Allgemeine Psychologie: Denken und Lernen (eBook)

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2021 | 2. Auflage
233 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-5591-6 (ISBN)

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Allgemeine Psychologie: Denken und Lernen -  Andreas Hergovich
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Denken und Lernen in der Psychologie In diesem einführenden Psychologie-Lehrbuch stehen die Themenfelder Denken, Lernen und Volition im Vordergrund. Neben psychologischer Forschung werden auch philosophische Aspekte mitberücksichtigt. Themen sind u.a. Konditionieren, kognitive Wende, Gedächtnis, Gedächtnistäuschungen, deduktives und induktives Denken, Urteilsheuristiken und Problemlösen.

Ao. Univ.-Prof. Mag. DDr. Andreas Hergovich lehrt und forscht an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte sind Anomalistische Psychologie und Philosophie der Psychologie.

Vorwort7
1 Lernen9
1.1 Klassisches Konditionieren9
1.1.1 Die Arbeiten von Pawlow9
1.1.2 Praktische Anwendung der Konditionierung25
1.2 Operantes Konditionieren26
1.2.1 Der Problemkäfig von Thorndike26
1.2.2 Der Behaviorismus28
1.2.3 Die Arbeiten von Skinner zum Operanten Konditionieren31
1.2.4 Arten von Verstärkern38
1.2.5 Verstärkerpläne40
1.2.6 Die Konditionierung abergläubischen Verhaltens44
1.3 Kognitive Wende47
1.3.1 Kritik am behavioristischen Paradigma47
1.3.2 Die Lerntheorie von Bandura50
1.4 Gedächtnis53
1.4.1 Die Gedächtnisforschung von Ebbinghaus54
1.4.2 Die Studie von Bartlett (1932)60
1.4.3 Das Ultrakurzzeitgedächtnis62
1.4.4 Das Kurzzeitgedächtnis64
1.4.5 Das Arbeitsgedächtnis68
1.4.6 Das Langzeitgedächtnis70
1.4.7 Vergessen72
1.4.8 Gedächtnistäuschungen73
1.4.9 Altersabhängige Veränderungen des Gedächtnisses78
1.4.10 Was zeichnet Personen mit hervorragendem Gedächtnis aus?80
1.5 Praktische Lerntipps83
1.6 Die PQ4R-Technik88
2 Denken und Problemlösen89
2.1 Definitionen89
2.2 Deduktives Denken92
2.2.1 Einleitung92
2.2.2 Die Selektionsaufgabe95
2.2.3 Kategoriale Syllogismen98
2.3 Induktives Denken101
2.3.1 Verfügbarkeitsheuristik102
2.3.2 Repräsentativitätsheuristik105
2.3.3 Ankerheuristik126
2.3.4 Affektheuristik (Gefühlsheuristik)128
2.3.5 Simulationsheuristik131
2.3.6 Einfache Heuristiken133
2.3.7 Probabilistisches Denken135
2.4 Problemlösen139
2.5 Sind Menschen rational?142
2.5.1 Der Ansatz des reflektiven Equilibriums143
2.5.2 Zum Unterschied zwischen Kompetenz und Performanz145
2.5.3 Menschliche Rationalität aus psychologischer Sicht146
2.5.4 Optimisten und Pessimisten in Bezug auf menschliche Rationalität151
2.5.5 Fazit159
3 Volition und Willensfreiheit160
3.1 Definitionen160
3.2 Experimentelle Befunde zur Willensfreiheit163
3.2.1 Die unbewusste Initiierung intentionaler Handlungen163
3.2.2 Kritik an den aus den Libet-Experimenten gezogenen Schlussfolgerungen168
3.2.3 Subliminale Reize als Determinanten kontrollierter Handlungen174
3.2.4 Fehlattribution der Urheberschaft177
3.2.5 Fazit zu den experimentellen Befunden179
3.3 Der Determinismus als implizite Hintergrundüberzeugung für die Leugnung der Willensfreiheit179
3.4 Kritik am Determinismus184
3.5 Fazit zur Willensfreiheit194
3.6 Zur Phänomenologie der Entscheidung196
3.7 Psychologische Studien zu den Konsequenzen des Glaubens an den freien Willen197
3.8 Die Theorie der subjektiven Freiheit von Steiner200
4 Literatur203
Abbildungsverzeichnis221
Stichwortverzeichnis227

2 Denken und Problemlösen

1.2 Definitionen

Was versteht man eigentlich unter Denken? Einige Autoren bezweifeln, dass eine Definition des Denkens so einfach möglich ist: „Die Frage ‚Was heißt Denken?‘ lässt sich niemals dadurch beantworten, dass wir eine Begriffsbestimmung über das Denken, eine Definition, vorlegen und deren Inhalt fleißig ausbreiten“ (Heidegger, 1954, S. 9). Vielmehr gilt: „In das, was Denken heißt, gelangen wir, wenn wir selbst denken“ (Heidegger, 1954, S. 1). Rolf (2016) drückt das folgendermaßen aus: „Das buchstäblich Idiotische15 des Denkens liegt somit darin, dass es in seinem Sein nur mittels seiner selbst – eben durch Denken des Denkens – präsentierbar ist, während es aus Sicht des alltäglichen Erfahrens und Erlebens nahezu nichts ist“ (Rolf, 2016, S. 19).

Denken kann sich ereignen, wie der Gedanke, der einem einfällt. Denken kann aber auch etwas sein, das man tut, um ein Problem zu lösen, oder nichts von beidem, wenn man z. B. denkt, dass Karl Ove Knausgård ein lesenswerter Schriftsteller ist.

Wenn wir über das „Denken“ nachdenken, dann begegnet uns das Denken also in unterschiedlichen Zusammenhängen. Wenn wir z. B. an eine gute Freundin „denken“, d. h. uns einen ganz bestimmten Menschen vor unserem „inneren Auge“ vorstellen, wird der Begriff „Denken“ im Sinne von Gedenken oder Erinnern gebraucht. „Denken“ hängt aber nicht nur mit Vorstellungen zusammen, sondern vor allem mit dem Begreifen von etwas. Wir Menschen als Wesen, die sprechen können, verfügen über Begriffe. Das Wort Begriff beinhaltet, dass etwas „begriffen“, also verstanden wurde. Die kundige Verwendung von Begriffen setzt voraus, dass wir diese Begriffe von anderen zu unterscheiden wissen und dass wir ihre Bedeutungszusammenhänge kennen. Ohne Denken kann man keine Sprache lernen.

Die interessante und viel diskutierte Frage ist, ob es umgekehrt Denken ohne Sprache gibt. „Anti-Lingualisten“ vertreten diese Position, aus Sicht des „Lingualismus“ wird das verneint (Demmerling, 2016). Lingualisten meinen, dass Wesen (z. B. Tiere), die über keine Sprache verfügen, nicht denken, weil sie über keine Begriffe verfügen und Begriffe die maßgeblichen Bestandteile von Gedanken sind. Insbesondere könnten sprachlose Wesen keine sogenannten propositionalen Einstellungen haben. Unter Propositionen werden Aussagen verstanden. Propositionale Einstellungen sind Einstellungen zu Aussagen. Einer Aussage wie „Der Baum trägt Äpfel“ kann man zustimmen oder sie ablehnen, man kann sie für wahr oder falsch halten. Einen Wahrnehmungseindruck wie „ein Wolf “ kann man durch ein einzelnes Wort bezeichnen, Urteile wie „Die Birne ist reif “ sind hingegen auf eine Subjekt-Prädikat-Struktur angewiesen (das Prädikat „ist reif “ schreibt dem Subjekt eine bestimmte Eigenschaft zu). Sprachliche Fähigkeiten scheinen auch eine Voraussetzung dafür zu sein, Dinge klassifizieren zu können: „Wer über einen Begriff verfügt, kann die Welt in Dinge einteilen, die unter diesen Begriff fallen, und in solche, welche das nicht tun. Dass man eine Unterscheidung treffen kann, ist eine notwendige Bedingung dafür, über einen Begriff zu verfügen“ (Demmerling, 2016, S. 43).

Nicht alle Denkvorgänge umfassen propositionale Einstellungen. Wenn Peter zu schlafen gedenkt, dann bezieht er sich in seiner Absicht (Intention) nicht auf eine Aussage, sondern auf eine Handlung. Es scheint durchaus plausibel, dass wir über gewisse Begriffe auch verfügen können, ohne sprachliche Fähigkeiten zu besitzen. Elementare Unterscheidungsfähigkeiten wie die unterschiedliche Reaktion von Eisen auf trockene oder feuchte Luft sind aber sicherlich zu wenig, um dem Eisen einen Begriff vom Trockenen und Feuchten zuzuschreiben (Demmerling, 2016). Niemand würde sagen, dass Eisen begreift, was trocken und feucht bedeuten. Es geht also um Kriterien für das Denken bzw. Begreifen (das Verfügen von Begriffen), die unterhalb der Sprachkompetenz, aber oberhalb der einfachen Diskriminierungsfähigkeit liegen. In Anlehnung an Heidegger (1927/2006) geht Demmerling (2016) davon aus, dass nur Lebewesen, die auch Bedeutungszusammenhänge verstehen, über nichtsprachliche Begriffe verfügen können. Auch wenn diese die Bedeutungszusammenhänge nicht artikulieren können, können sie doch Sachverhalte als bedeutsam erfahren, als zuträglich oder abträglich. Heidegger hat bereits darauf hingewiesen, dass im alltäglichen Handeln (beim Umgang mit Werkzeug, Schreibzeug, Nähzeug etc.) etwas implizit verstanden wird, das sich nicht sprachlich ausdrücken lässt:

Das Hämmern […] hat sich dieses Zeug so zugeeignet, wie es angemessener nicht möglich ist. […] je weniger das Hammerding nur begafft wird, je zugreifender es gebraucht wird, umso ursprünglicher wird das Verhältnis zu ihm, umso unverhüllter begegnet es als das, was es ist, als Zeug. Das Hämmern selbst entdeckt die spezifische „Handlichkeit“ des Hammers. Die Seinsart des Zeugs, in der es sich von ihm selbst her offenbart, nennen wir die Zuhandenheit. (Heidegger, 1927/2006, S. 69)

In diesem Sinn wird man auch dem Schimpansen, der die Kisten stapelt, um die Banane zu erreichen, Denkfähigkeit zusprechen müssen (s. Abbildung 54).

Demmerling (2016) spricht in dem Zusammenhang vom Verfügen über praktische Begriffe. Über praktische Begriffe verfügt man, wenn man den Aufforderungscharakter der Umwelt versteht und angemessen auf Angebote und Anforderungen reagieren kann (s. Gibson, 1966). Und das können nur Lebewesen, für die etwas bedeutsam ist (Computer denken daher nicht, selbst wenn sie ein Programm vollziehen, mit dem sie jeden Menschen im Schach schlagen).

Abbildung 54: Versuche zum Problemlösen von Schimpansen von Wolfgang Köhler (1887–1967) auf Teneriffa (zw. 1914 und 1920 durchgeführt).

Es gibt neben dem sprachlichen Denken auch ein nichtsprachliches Begreifen. Für sprachfähige Wesen wird allerdings der Weltund Selbstbezug durch die Sprache komplett modifiziert (Demmerling, 2016), das heißt, auch die sprachunabhängigen Schichten des Begreifens werden davon berührt. Demmerling (2016) bringt dafür folgendes Beispiel:

Angstgefühle sind kein sprachliches Phänomen. Die Voraussetzungen dafür, Angst empfinden zu können, liegen in der Organisationsform des Organismus. Wenn wir uns ein sprachloses Wesen vorstellen, dass auf biologischer Ebene sehr eng mit uns verwandt ist, dessen Organismus dem unsrigen vergleichbar ist, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass sich beispielsweise die Angst dieses Wesens in qualitativer Hinsicht von der Angst unterscheidet, die wir verspüren. Auch wenn Angst kein begriffliches oder sprachliches Phänomen ist, wird sie allerdings von Wesen, die über eine Sprache verfügen, als etwas erfahren, was immer schon in sprachliche Umgebungen eingebettet ist. Wesen, die über eine Sprache verfügen, verspüren nicht einfach Angst. Die Angst wird identifiziert und klassifiziert, beobachtet, verglichen, zieht Fragen auf sich, geht mit Sorgen einher, wird Gegenstand von Gesprächen und taucht im Kontext vielfältiger propositionaler Einstellungen auf. Man wünscht sich, dass die Angst aufhört, hofft, dass man einer Bedrohung entrinnt oder eine schwierige Situation meistert. Obwohl die Angst kein sprachliches Phänomen ist, steht sie […] in einem Zusammenhang mit artikulierten Bezügen. (Demmerling, 2016, S. 57)

Denken ist keine Hirnfunktion, wie aus materialistischer Sicht vermeint (s. Gazzaniga & Heatherton, 2003) und wie es in populärwissenschaftlichen Publikationen gegenwärtig verbreitet wird. Beim Subjekt des Denkens handelt es sich nicht um das Gehirn, sondern um das menschliche Wesen, das mittels des Gehirns denkt:

Nicht das Gehirn konzentriert sich darauf, eine Operation mit der nötigen Sorgfalt und Konzentration auszuführen, sondern der Chirurg. Nicht das Gehirn spielt eine ausgebluffte Partie Tennis oder führt die ‚Hammerklavier-Sonate‘ glänzend auf, sondern der Tennisspieler bzw. Pianist. […] Gehirne fassen etwas nicht als dies oder das auf, weil Gehirne gar nichts auffassen, und Gehirne können nicht darlegen, an wen sie gedacht haben, indem sie etwas sagen, oder woran sie dachten, als sie etwas sagten, weil Gehirne nichts sagen und weil sie nichts meinen können, indem sie etwas sagen. (Bennett & Hacker, 2010, S. 238)

Gleichzeitig ist aber darauf hinzuweisen, dass das Denkvermögen im Laufe der Evolution mit einer Abnahme angeborener Mechanismen und einer Zunahme von Lernprozessen einhergeht. Diese Entwicklung ist begleitet von einer starken Volumenzunahme der Anteile des Zentralnervensystems.

In der Psychologie wird Denken oftmals mit logischem Denken oder auch mit Problemlösen (Dörner, 1976) gleichgesetzt. Funke z. B. definiert problemlösendes Denken folgendermaßen: „Problemlösendes Denken erfolgt, um Lücken in einem Handlungsplan zu füllen, der nicht routinemäßig eingesetzt werden kann. Dazu wird eine gedankliche Repräsentation erstellt, die den Weg vom Ausgangszum Zielzustand überbrückt“ (Funke, 2003, S. 25).

2.2 Deduktives Denken

2.2.1 Einleitung

Unter deduktivem Denken versteht man das Schließen vom Allgemeinen auf das Besondere oder den Übergang von einer oder mehreren Aussagen (Prämissen) zu einer Schlussfolgerung, die Konklusion (Conclusio) genannt wird.

Dabei ist es wichtig, zwischen der logischen Korrektheit (oder Gültigkeit) und der Schlüssigkeit eines Schlusses (Syllogismus) zu unterscheiden. Logisch korrekt (oder gültig) ist ein Schluss dann, wenn aus der Wahrheit der Prämissen...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Schlagworte Denken • Gedächtnis • Gedächtnistäuschungen • Heuristik • induktives Denken • Kognition • kognitive Wende • Konditionierung • Lehrbuch • Operantes Konditionieren • Problemlösen • Psychologie studieren • Psychologiestudium • Rationalität • Urteilsheuristik • Volition • Willensfreiheit
ISBN-10 3-8463-5591-7 / 3846355917
ISBN-13 978-3-8463-5591-6 / 9783846355916
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