Kannst Du mir die Deutsch lernen -  Elke Hangebrauck

Kannst Du mir die Deutsch lernen (eBook)

Kreatives Lernen mit Flüchtlingskindern in der Grundschule
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
116 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-8928-5 (ISBN)
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Was passiert, wenn eine kreative Grundschullehrerin auf Flüchtlingskinder trifft? Es entsteht ein eigenwilliges Unterrichtskonzept für Erstklässler. Elke Hangebrauck lenkt den Blick der Kamera weg von abgebrannten Flüchtlingsunterkünften und überfüllten Rettungsbooten hin zu den Einzelschicksalen der Kinder. Ihr humorvoller Erfahrungsbericht begleitet die 6-7Jährigen auf ihrem Weg der Integration in die Schule.

Überraschung!! Endlich mal wieder ein neues Kind


Vier Wochen Schule sind ins Land gegangen. Ein wenig kenne ich die neuen Kinder jetzt schon. Die wichtigen Regeln sind eingeführt, die Namen für die Gegenstände im Schulranzen werden den Kindern immer vertrauter. Wenn ich jetzt möchte, dass sie den roten Ordner herausnehmen (*schulinterner Name für das, was auch als Schnellhefter bekannt ist), dann liegen an acht von zehn Plätzen tatsächlich die roten Ordner auf dem Tisch. Bei einem Kind liegt der blaue Ordner da – immerhin ein Erfolg, es liegt kein Heft dort. Das letzte Kind hat gar nicht mitbekommen, dass eine Arbeitsanweisung erfolgte.

Wir wollen Arbeitsblätter aus dem Deutschunterricht abheften, die sich bei mir zwecks Korrektur angesammelt haben. Da klopft es an der Tür.

Ich gehe um zu öffnen. »Haben sie mal grad einen Augenblick Zeit?« Unsere Sekretärin steht dort. Sie ist nicht allein. Ein schwarzhäutiger Mann, eine Frau mit Baby auf dem Arm und ein kleiner Junge, der sich schüchtern hinter beiden versteckt stehen mit ihr dort. Ich ahne und weiß was kommt. So geht das oft, wenn die Vorbereitungsklasse Nachwuchs bekommt.

Andere Eltern in der Schule würden wir mit einem Gesprächstermin wieder fortschicken oder bitten, nach dem Unterricht noch einmal vorbeizukommen. Aber bei den ausländischen Eltern funktioniert das oft nicht. Sie verstehen meisten schon die Sprache nur mangelhaft und wenn sogar beide Elternteile gleichzeitig auftauchen muss die Gelegenheit beim Schopf gefasst werden. Deshalb klopft unsere Sekretärin in diesen Ausnahmefällen auch mitten im Unterricht an, damit ich Eltern persönlich begrüßen und mich kurz vorstellen kann. Für ihre Kinder und auch für sie selbst ist es ein Sprung ins Ungewisse, mitten im Schuljahr mal eben so an einem fremden Ort in eine fremde Schule zu springen und das eigene Kind dort vertrauensvoll zurückzulassen.

Kurz drehe ich mich zur Klasse. »Das schafft ihr grad allein«, regle ich den Auftrag für die nächsten Minuten. »Elvis, du verteilst die Blätter auf den Bänken, jeder schaut, welches ihm gehört. Wenn ihr fertig seid mit Abheften, dürft ihr ein Bild malen. Ich bin gespannt, wie leise ihr sein könnt.«

Vorsichtshalber lasse ich die Tür einen spaltbreit offen und trete auf den Flur hinaus. Hände werden geschüttelt, der kleine Junge mag gar nicht hervorkommen. Seine Mutter stupst ihn an, sein Vater ermuntert ihn auf Englisch, mich zu begrüßen und seinen Namen zu nennen. Doch er flüstert so leise, dass ich mich ratsuchend an den Vater wende. »Omar, er heißt Omar.« »Herzlich willkommen bei uns«, sage ich. Ein paar organisatorische Fragen werden geklärt: wann Omar heute Schule aus hat, wann es morgen losgeht, wie der Stundenplan aussieht, welche Materialien er benötigt. Zum Glück habe ich Stundenplan und Materialliste immer griffbereit in der Schublade – für genau solche Gelegenheiten. Omars Vater spricht ein gut verständliches Deutsch. Von ihm erfahre ich, dass Omar so gut wie kein Wort dieser Sprache spricht, ein wenig Englisch, ja, damit könnte man sich am Anfang vielleicht helfen.

Während unsere Sekretärin die Eltern wieder mitnimmt, um die Formalitäten der Anmeldung zu klären, kehre ich in die Klasse zurück und bereite die Kinder darauf vor, dass morgen jemand Neues zu ihnen gehört.

Zwei Tage später tauchen wieder zwei neue Kinder auf – diesmal aus Rumänien. Sie standen schon zu Beginn auf der Klassenliste, aber ihre Eltern hatten noch wichtige Angelegenheiten im Heimatland zu klären, Urlaub war noch zu machen, so kommen sie erst jetzt nach Deutschland.

Und für mich geht mit diesen Kindern wieder alles von vorn los: An Regeln gewöhnen, wichtige Orte zeigen und als größte Herausforderung: Ihnen die Sprache beibringen. Der kleine Südafrikaner und die beiden Rumänen sind nämlich nicht in Deutschland geboren und auch ihre Eltern leben nicht schon eine Weile hier. Aus Gründen, die sie mir vielleicht nie erzählen werden, sind sie jetzt plötzlich in das Einzugsgebiet der Vorbereitungsklasse gezogen und sollen bei mir so viel lernen, dass sie bald in die normale Klasse wechseln können. Zumindest für die Eltern ist das das größte Ziel.

Wieder einmal gilt es den Stoffverteilungsplan zu ändern und anzupassen an die Klassensituation. Das Erlernen der Buchstaben wird normal weiterlaufen, das ist klar. Die neuen Kinder steigen einfach ein, wo wir sind und lernen von dort aus weiter. Aber viele andere Dinge gilt es zu erklären und einzuführen, was die Kinder an Regeln und Grundlagen für den Schulalltag brauchen und was die anderen schon stückweise gelernt haben. Zum Teil werde ich in Arbeitsphasen mit Einzelnen differenziert arbeiten und versuchen, Versäumtes in diesem Bereich mit ihnen nachzuholen.

Doch vorrangig ist jetzt der Einstieg in den Schulalltag. Die wichtigsten Gegenstände und Handlungen müssen erlernt werden. Und da auch die Kinder, die schon ein paar Wochen in der Schule sind immer wieder Regeln vergessen und Schwierigkeiten im Arbeitsverhalten zeigen, wird die Einführung für die Neuen eine gute Wiederholung für die anderen sein.

Wieder einmal arbeitet meine Fantasie auf Hochtouren, denn den Luxus einer Doppelbesetzung haben wir in der Schule selten und wenn, dann nur für wenige Stunden. Auch sind die Kinder so verhaltensauffällig und unselbstständig, dass es wenig gelingt, einen Großteil mit Stillarbeit zu beschäftigen und mit dem Rest Neues einzuführen. Okay, was also tun?

Meine Fantasie arbeitet am besten kurz nach dem Aufwachen, wenn ich noch im Bett liege. So ist es auch diesmal. Mir fällt ein ganz besonderes Spiel ein, das meine Kinder auf den verschiedensten Ebenen abholen und fördern wird. Beim Aufstehen greife ich nach Blatt und Stift und zeichne so gut ich kann meine Piktogramme auf. Professionell wirkt das nicht, aber es wird seinen Zweck erfüllen

Ein Spiel sollte es auf jeden Fall sein, da war ich mir sicher. Trockenen Unterrichtsstoff gibt es genug, Sprachlerntraining muss Spaß machen.

Und weil meine Schüler gerade auch trainieren müssen, Würfelbilder richtig zu erkennen, ohne dass sie die Punkte zählen müssen, besteht die erste Spalte meines Blattes aus den sechs Würfelseiten. Später wird ein Kind mit dem großen Schaumgummiwürfel werfen dürfen, der Zufall entscheidet dann, welche Aufgabe zu erfüllen ist. Ich träume davon, dass die Kinder dieses Spiel nach einer gründlichen Probephase dann auch ohne mich in der Kleingruppe spielen können, was mir den Freiraum verschaffen würde, mich intensiv um einzelne zu kümmern.

In der dritten Spalte des Blattes notiere ich in Druckbuchstaben meine Anweisungen. Sie sind eine Kombination aus den wichtigsten Unterrichtsmaterialien und Tätigkeiten. Sie hier aufzuschreiben wird eine Hilfe für mich, immer wieder dieselben Wörter zu gebrauchen, damit sich Anweisungen auch festigen können. Nebenbei sind sie für das ältere Kind der Klasse, das schon lesen kann, eine gute Übung und Anreiz, vielleicht selbst Spielleiter zu sein. Dann brauche nicht ich die Anweisung sprechen, sondern Cameron kann sie lesen.

Die freigebliebene mittlere Spalte nun wird die Brücke für die Kinder, die nicht lesen, bzw. meine deutschen Wörter noch nicht verstehen. Dort landen Piktogramme, die zeigen was zu tun ist. Das sieht dann jetzt ungefähr so aus

1. male einen Kreis mit dem Buntstift

2. schreibe drei große A mit dem Bleistift

3. Trinke Wasser aus dem Becher

4. Renne um den Tisch herum

5. Schneide mit der Schere einen Streifen Papier ab

6. Stehe auf und setz dich wieder auf den Stuhl

In der praktischen Umsetzung mit der Klasse stehe ich vor ungeahnten Hürden. Zunächst einmal müssen die Voraussetzungen für das Spiel geschaffen werden. Jedes Kind braucht einen Bleistift, einen Buntstift, eine Schere und einen Becher mit Wasser auf seinem Tisch. Die Neuen schauen bei den alten Kindern ab, was aus dem Ranzen zu holen ist. Bis das jeder geschafft hat, ist schon viel Zeit vergangen. Wörtertraining Teil 1 geschafft.

Nun teile ich die Blätter aus und hole den großen Würfel. Es fällt die 2. »Schreibe drei große A mit dem Bleistift!« spreche ich langsam und deutlich. Große Augen blicken mich an. Da beginnt Cameron zu schreiben, sein Nachbar zieht nach und die anderen ahnen, dass auch sie jetzt tun sollen, was sie auf dem Bild sehen. Die nächste Zahl ist die 5. Die Kinder greifen zur Schere – aber o weh. Anweisung verstanden: Prima. Schneidevermögen: mangelhaft. Vielen fällt es deutlich schwer, auf der Linie am unteren Blattende entlang zu schneiden. Wieder ein Defizit entdeckt. Es braucht viel Zeit, bis der Würfel wieder fallen kann. Die Lieblingszahl wird die 4 – hier kann man endlich mal aufstehen und sich bewegen nach all dem Zuhören und anstrengenden Tun. Was als kleines Zehn-Minuten-Spiel zwischendurch geplant war, wird zum Projekt der Woche. Am ersten Tag war alles noch mühsam und neu, doch von Tag zu Tag...

Erscheint lt. Verlag 19.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-7534-8928-X / 375348928X
ISBN-13 978-3-7534-8928-5 / 9783753489285
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