Politische Theologie der Modernen Welt (eBook)

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2021 | 1. Auflage
256 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-27980-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Politische Theologie der Modernen Welt -  Jürgen Moltmann
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Hoffnungstheologie gegen die Verzagtheit
Propheten blicken nicht in die Zukunft voraus, sie sagen vielmehr an, was in einer bestimmten Zeit zu erinnern, zu fordern und zu tun ist. So geben Propheten Orientierung in der Gegenwart. In diesem Sinne ist die Theologie Jürgen Moltmanns immer auch eine prophetische Theologie gewesen. Eine Rede von Gott, die in der Gegenwart gründet und auf das Handeln für eine bessere Zukunft hin gerichtet ist, eine politische Theologie der Hoffnung.

Dieses Buch führt wesentliche Beiträge des theologisch-politischen Denkens Moltmanns in einem Band zusammen. Nüchterne Bestandsaufnahmen von Wirklichkeit, die aus der Botschaft biblischer Verheißung Kraft gegen Verzagtheit gewinnen und Mut für Zukunft schöpfen.

Dr. Jürgen Moltmann (1926-2024), studierte Theologie während der Kriegsgefangenschaft in England und nach seiner Rückkehr nach Deutschland in Göttingen. Von 1953 bis 1958 war er Pfarrer und Studentenpfarrer in Bremen, von 1958 bis 1964 Professor an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal. Von Bonn, wo er von 1964 bis 1967 lebte, kam er 1967 nach Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte. Seitdem hat er international zahlreiche Gastprofessuren und Vortragsreisen wahrgenommen. Seine besondere Liebe gilt Nicaragua und Korea. Jürgen Moltmann erhielt zahlreiche Preise und 19 Ehrendoktorate.

EINFÜHRUNG: WISSENSCHAFT UND RELIGION IN DER CORONA-PANDEMIE 2020

1. VORBEMERKUNG

Ich beginne, dieses Buch in den Zeiten der Corona-Pandemie zu schreiben. Es wurden alle meine Vortragseinladungen bis Jahresende abgesagt. Am 3. März 2020 war ich noch in Westminster Abbey für die Charles Gore Lecture, aber danach war ich im Haus. Die Epidemie hat die besten und die schlechten Seiten der betroffenen Menschen öffentlich gemacht. Die Epidemie hat die Spaltungen unserer Gesellschaft in arm und reich sowie in alt und jung offenbart. Doch die Epidemie hat auch gezeigt, was die Wissenschaft, in diesem Fall die Virologie, kann und was der Glaube vermag.

Ich steige mit einem Gutachten ein, das ich in der ersten Phase der Pandemie im März 2020 für die evangelische Kirche in Württemberg geschrieben habe. Danach beurteile ich die öffentlichen Reaktionen der Menschen in der zweiten Phase, der Lockerung der staatlichen Maßnahmen.

Ich setze mich mit dem Wissenschaftsoptimismus von Noah Harari in seinem SPIEGEL-Artikel »Das Virus und der Tod« (25. 04. 2020) auseinander, sozusagen als Auftakt zu dem ersten Kapitel über »Die Politische Religion des wissenschaftlich-technischen Zeitalters«.

2. HOFFNUNG ZU ZEITEN DER CORONA-PANDEMIE 2020

Die Corona-Katastrophe ist wie das »finstere Tal« von Psalm 23: Niemand übersieht sie, niemand weiß, wie lange sie dauert, niemand weiß, wann sie jemanden trifft. Gott erspart uns nicht das »Tal des Todes«, aber Gott ist bei uns in unseren Ängsten. Gott geht mit uns in die Dunkelheit. Er erspart sich selbst nicht das »finstere Tal«. Gott durchleidet unsere Ängste mit uns und weiß doch den Weg für uns. Darum fürchte ich kein Unglück, denn seine Treue ist da in meinem Unglück. »Nah ist und schwer zu fassen der Gott«, dichtete Hölderlin. Gott ist uns näher, als wir wissen können. Darum ist er so schwer zu fassen, aber man kann auf seine Nähe vertrauen. Gottvertrauen trägt das Selbstvertrauen, wenn es angegriffen wird. Alle wissenschaftlichen Zukunftsprognosen sind unsicher geworden, und die Zukunftsgewissheit der Modernen Welt ist gebrochen, jetzt kommt es auf die Hoffnung an.

Christliche Hoffnung ist Reich-Gottes-Hoffnung für die Zukunft der Welt »wie im Himmel so auf Erden«, und wir erwarten »die Auferstehung der Toten in das Leben der kommenden Welt«. Lange Zeit hat diese Ewigkeitshoffnung in den Kirchen die Vorwärtshoffnung auf das Reich Gottes verdrängt. In der Modernen Welt hat der Fortschrittsglaube die Ewigkeitshoffnung verdrängt. Beides ist falsch: Jesu Botschaft vom »nahen Reich« für die Armen, Kranken und Kinder wird von seiner Auferstehung vergegenwärtigt. Die Auferstehungshoffnung gegen den Tod und die Mächte der Vernichtung wird zum Beweggrund für die geschichtliche Hoffnung auf das Reich Gottes.

Im Ende – der neue Anfang: Das ist christliche Hoffnung. Sie gründet in der Erinnerung an das Ende Christi – es war sein wahrer Anfang – und richtet sich auf was immer wir als »Ende« erfahren. Der Gott der Hoffnung schafft immer neu einen Anfang im Leben, und im Tode weckt er uns auf zum neuen Leben in seiner kommenden Welt.

Warum lässt Gott das zu?, ist eine nachträgliche Frage oder eine Zuschauerfrage, nicht die Frage der unmittelbar Betroffenen. Sie fragen nach Heilung und Trost. Sie wollen, dass ihre Leiden aufhören, nicht, dass sie ihnen erklärt werden. Jene alte Warumfrage ist damit nicht abgetan. Sie sucht nach einer Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens ohne Ende. Das ist die Theodizeefrage. Die Antwort lautet: Entweder ist Gott allmächtig oder gut: Gott kann nicht beides zugleich sein. Eine andere Möglichkeit aber ist: »Nur der leidende Gott kann helfen«, wie Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle geschrieben hat. Im gekreuzigten Christus erleidet Gott auch unsere Leiden und nimmt auf sich unsere Schmerzen, um bei uns zu sein in unseren Ängsten. Der gekreuzigte Christus ist der göttliche Trost im Leiden und der göttliche Protest gegen das Leiden, denn Christus ist auferstanden. Übrigens: Wir leben nicht in einer »heilen Welt«. Die Schöpfung ist auch erlösungsbedürftig.

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes für die Menschheit? Manche amerikanischen Evangelikale behaupten das. Die alten heidnischen Opferkulte wollten den Zorn der Götter besänftigen: Die Götter segnen das Wohlverhalten der Menschen und bestrafen ihr Fehlverhalten. Die alte Werkgerechtigkeit sollte die Strafe Gottes abwenden und wollte den Himmel verdienen. Die »Strafe« Gottes mit dem Corona-Virus ist die Kehrseite des evangelikalen »Gospel of Prosperity«.

»Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hatten, und durch seine Wunden sind wir geheilt« (Jes 53,5). Die frühe Christenheit hat den »leidenden Gottesknecht« von Jesaja auf das stellvertretende Leiden Christi am Kreuz bezogen. Wer nach dem Kreuzestod Christi noch von »Strafen Gottes« in der Menschheitsgeschichte spricht, kennt Christus nicht und macht aus der Frohbotschaft der Vergebung der Sünden eine Drohbotschaft vom »strafenden Gott«.

Wer gewinnt in diesen Zeiten der Corona-Pandemie? Die Menschen: Der tägliche Konkurrenzkampf ist stillgelegt. Da alle betroffen sind, lernen wir jetzt, was Solidarität ist. Solidarität gegen einen gemeinsamen Feind wie das Corona-Virus ist gut, Solidarität aus Freude an der gemeinsamen Menschlichkeit – ohne einen Feind – ist besser.

Die Natur: Die Natur der Erde durchlebt eine »Verschnaufpause« von der menschengemachten Umweltkatastrophe: Der Frühling ist in diesem Jahr besonders schön. Die naturgemachte Corona-Katastrophe hat auf die Menschenwelt zu Solidarität und einschneidenden sozialen Maßnahmen geführt. Die Umweltkatastrophe sollte eine ähnliche Solidarität und ähnliche Maßnahmen der Staatengemeinschaft hervorrufen.

Wer verliert in der Corona-Katastrophe? Das Selbstbewusstsein der modernen Menschen: Wir haben die Krise nicht »im Griff«. Die Covid-19-Viren stellen unsere »Machbarkeit aller Dinge« durch Wissenschaft und Technik in Frage. Wir kommen an unsere Grenze. Der Virus wird in den USA zum »Feind« erklärt und seine Bekämpfung wird als »Krieg« gewertet. Ist die Natur wieder der »Feind« des Menschen?

Die Virologen des Robert-Koch-Instituts erschienen in jeder Tagesschau im deutschen Fernsehen und sagten jedes Mal etwas Anderes über ihren wissenschaftlichen Befund über das Virus und seine Verbreitung. Der Befund hatte sich geändert, aber die Zuschauer wollten stabile Ergebnisse haben, und die kann die exakte Wissenschaft in diesem Fall nicht liefern: Einmal sieht die Kurve der Neuinfektionen so aus, als wäre die Epidemie Ende August 2020 in Deutschland zu Ende, dann sieht sie wieder so aus, als zöge sie sich noch bis Jahresende dahin. Auf die Wissenschaft, als Prophetie genommen, ist auch kein Verlass.

Die Sterbenden werden nur in Zahlen erwähnt. Sie sterben aber auf den Intensivstationen in äußerster Isolation und ohne menschliche Nähe. Um die Gesunden zu retten, lassen wir sie allein. Keiner kann sagen, ihn oder sie betreffe solches Sterben nicht. Der modern verdrängte Tod ist wieder ins Zentrum getreten. Das ist für das moderne Selbstbewusstsein schlecht. Statt Arroganz ist Demut gefragt. Die christlichen Kirchen sollten einen Volkstrauertag ausrufen und die Gottesklage über die Corona-Toten öffentlich machen.

3. DAS VIRUS UND DER TOD (MAI 2020)

Der Menschheitshistoriker Yuval Noah Harari1 hat in seinem SPIEGEL-Artikel »Das Virus und der Tod«2 recht: In der gegenwärtigen Corona-Krise rufen die Menschen nach Wissenschaft und Technik, um das Covid-19-Virus »in den Griff« zu bekommen, und nicht nach Religion und Trost, um es zu ertragen. Der Deutschlandfunk hatte zeitweise seine halbe Stunde »Aus Religion und Gesellschaft« von 9:30 bis 10:00 morgens umfunktioniert in »Aus Wissenschaft und Technik«.

Die am Virus Gestorbenen werden nur noch in Zahlen gemessen, und die um sie Trauernden werden auf Abstand gehalten. Es gibt nur das krankmachende Virus, nach dem Wissenschaft und Technik fahnden; die kranken Menschen sind aus der Öffentlichkeit in die Krankenhäuser verschwunden.

Das Gesundheitssystem moderner Gesellschaften ist der Virus-Pandemie nicht gewachsen. Die Ökonomisierung des Medizinalwesens, die Profitorientierung der Krankenhäuser und die Privatisierung der Pflegeheime sind die Ursachen. Die Globalisierung hat internationale Lieferketten für Medizin hervorgebracht. Die Grundstoffe unserer deutschen Medikamente werden in China und Indien hergestellt, weil das billiger ist, so als sei der Schutz der Gesundheit des Volkes nicht Staatsziel, sondern dem freien Markt überlassen.

Harari vertritt eine selbstbewusste, aber nicht selbstkritische Aufklärung und erklärt Religion, ihre Mythen und Rituale einfach zur Vergangenheit der Menschheit und Wissenschaft und Technik zu ihrer Zukunft. Sakralität bestimmte die Vergangenheit und Säkularität bestimme die Zukunft. Wissenschaft und Technik bezögen sich auf »das Leben vor dem Tod«, Religion auf »das Leben nach dem Tod«, darum müsse die Wissenschaft auch noch den Tod abschaffen, wenn sie an die Stelle der Religion treten wolle.

»Für Wissenschaftler ist der Tod kein göttliches Dekret, sondern ein technisches Problem. Menschen sterben nicht, weil Gott es gesagt hat, sondern wegen einer technischen Panne. Das Herz hört auf, Blut zu pumpen, Krebs hat die Leber zerstört, Viren vermehren sich in der Lunge … nichts Metaphysisches. Und die Wissenschaft...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Auferstanden in das ewige Leben • Chiliasmus • Christentum in Europa • eBooks • Endzeit • Gotthold Ephraim Lessing • Immanuel Kant • Neuzeit • Pico de la Mirandola • Theologie der Hoffnung • Versöhnung
ISBN-10 3-641-27980-1 / 3641279801
ISBN-13 978-3-641-27980-6 / 9783641279806
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