Verdammt und vernichtet (eBook)

Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
368 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76485-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verdammt und vernichtet - Hermann Parzinger
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Fassungslos blickte 2015 die Weltöffentlichkeit nach Palmyra - die antike Ruinenstadt war der Terrororganisation IS in die Hände gefallen. Der uralte Baaltempel, das heilige Zentrum zahlloser Kulturen, wurde gesprengt. Doch ist Kulturzerstörung keine Erfindung der Gegenwart. Sie zieht sich wie ein blutiges Band durch die Jahrtausende. Hermann Parzinger schreitet die Horizonte der Barbarei ab, erzählt die Geschichte vernichteter Kulturschätze und hält ein fulminantes Plädoyer für den Schutz des Menschheitserbes und der künstlerischen Freiheit.
Seine Tour d´Horizont führt ihn von der Tilgung der Erinnerung im Alten Ägypten und den Großreichen Mesopotamiens über die Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. weiter durch die Bilderstürme der Reformation und der französischen Revolution bis hin zu den Verheerungen des europäischen Kolonialismus, dem Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus und darüber hinaus bis in unsere Tage. Immer wieder wird deutlich, dass gezielte Verwüstungen und Plünderungen von traditions- und identitätsstiftenden Kulturgütern auch Ausdruck eines neuen Deutungs- und Herrschaftsanspruchs waren. Doch waren jenseits machtpolitischer, ideologischer oder religiöser Beweggründe Bilderstürme häufig auch von handfesten finanziellen Interessen geleitet: Raub und Enteignungen erweisen sich bei näherem Hinsehen geradezu als systematische Vermögensumverteilung. So erwartet Leserinnen und Leser ein Buch von schmerzlicher Aktualität, das uns zugleich die Kostbarkeit der kulturellen Zeugnisse auf allen Kontinenten vor Augen führt.

Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und war einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt Forums im Berliner Schloss. Als international renommierter Archäologe und Prähistoriker wurde er mit zahlreichen Ehrungen und Preisen ausgezeichnet.

EINFÜHRUNG


Bewusste Kulturzerstörungen finden sich in nahezu allen Epochen vom Altertum bis in die Gegenwart. Einen solchen weiten zeitlichen Betrachtungsrahmen zu öffnen, birgt immer das Risiko der Unvollständigkeit. Denken wir an Ereignisse der Gegenwart, so ist von Syrien und Irak die Rede, nicht aber von Jemen und Libyen, wo sich ähnliche Beispiele finden ließen, auch wenn die Weltöffentlichkeit ihrer weniger gewahr wird. Sprechen wir von den Kulturzerstörungen im Zeitalter des Kolonialismus, so wird vom Boxeraufstand in China und vom Königreich Benin zu lesen sein, nicht jedoch vom Königreich Dahomey oder vom Maji-Maji-Krieg in ehemals Deutsch-Ostafrika. Thematisiert wird die römische Plünderung Korinths 146 v. Chr., nicht aber diejenige Athens 86 v. Chr., obwohl im Zuge beider Ereignisse bedeutende Zeugnisse griechischer Kunst nach Rom verschleppt wurden. Viele weitere Beispiele ließen sich nennen.

Doch hier geht es nicht um Vollständigkeit, angestrebt wird kein Handbuch der Kulturzerstörungen. Vielmehr ist das Ziel, in ihrer Wirkkraft bedeutende und exemplarisch ausgewählte Fälle von Ikonoklasmus genauer zu betrachten, in ihren jeweiligen historischen, politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Kontext einzuordnen, um sich auf diese Weise einem tieferen Verständnis des Phänomens anzunähern.

Im Zusammenhang mit Kulturzerstörung spricht man meist von «Ikonoklasmus», «Bildersturm» oder «Vandalismus». Diese Begriffe werden teils unterschiedlich, teils aber auch synonym angewendet. Für beides gibt es gute Gründe. Nach meinem Verständnis sind lediglich Ikonoklasmus und Bildersturm synonym zu gebrauchen, beide Begriffe lassen sich jedoch nicht mit Vandalismus gleichsetzen,[1] obwohl es auch dafür Beispiele gibt.[2]

Das Wort «Ikonoklasmus» kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt «das Zerbrechen von Abbildern», wobei Bildersturm eine besondere Form von Ikonoklasmus sein kann. Immer handelt es sich um eine – aus unterschiedlichen Gründen – bewusste Beseitigung oder Zerstörung von Bildern bzw. Symbolen. In besonderen Fällen spricht man auch von Denkmalsturz, zu dem es in der Regel kommt, wenn ein damit verbundenes politisches, ideologisches, religiöses, ökonomisches oder kulturelles System beseitigt wird. Solche Umbrüche werden häufig durch symbolische Zerstörungsakte sichtbar gemacht, oder es wird jegliche Erinnerung an ein gestürztes System für immer getilgt. Die Vernichtung kann dann Statuen und Bilder treffen, aber auch Gebäude, Grabmäler und andere Monumente. Doch jeder eruptive Systemwechsel, ob mit Kulturzerstörung verbunden oder nicht, schafft sich auch wieder seine eigenen neuen Bilder und Symbole. Ikonoklasmus bzw. Bildersturm sind immer wiederkehrende Phänomene, die aber stets eine ganz spezifische Entstehungsgeschichte besitzen, und um diese geht es uns hier.

Vandalismus stellt dagegen einen eher willkürlichen Vernichtungsakt dar, wodurch er sich fundamental von Ikonoklasmus oder Bildersturm unterscheidet. Er ist gleichbedeutend mit blinder Zerstörungswut, die zwar eine bestimmte Zielsetzung verfolgen kann, aber nicht muss. Daher gilt Vandalismus allgemein als zwecklos, irrational und bisweilen auch nihilistisch, er kann Zerstörung aus purem Zeitvertreib oder aus aggressiver Lust sein, ein Abreagieren von Wut oder eine Form von Imponiergehabe. In diesem Kontext sind höchstwahrscheinlich auch die jüngsten Anschläge mit einer ölhaltigen Flüssigkeit auf Kunstwerke in Häusern der Berliner Museumsinsel (Oktober 2020) sowie in Schloss Cecilienhof in Potsdam (September 2020) zu sehen, über deren Hintergründe man noch nichts Näheres weiß. Die gezielte Beschädigung oder Beseitigung von Kunstwerken, Denkmälern oder anderen Symbolen in einem größeren politischen, ideologischen, religiösen oder ökonomischen Kontext muss aber nicht zwangsläufig Vandalismus sein.

Eingeführt wurde der Begriff «vandalisme» im Jahre 1794 von Henri Grégoire, der sich dabei auf die Verwüstung und Plünderung der Königsgräber von Saint-Denis im Zuge der Französischen Revolution bezog.[3] Später wurde der Ausdruck dann ins Deutsche übernommen. Da die Zerstörung dieser Königsgräber eindeutig politisch motiviert war und keinen reinen Willkürakt darstellte, würden wir nach unserer Definition von Ikonoklasmus sprechen, und zwar von revolutionärem Ikonoklasmus. Die historische Herleitung des Begriffs Vandalismus von dem germanischen Volksstamm der Vandalen, die 455 Rom überfielen, ist im Übrigen weitgehend unbegründet, denn die Plünderung der Ewigen Stadt soll – soweit wir wissen – für damalige Verhältnisse durchaus gesittet vor sich gegangen sein, nachdem Papst Leo I. zugesichert hatte, dass es keinen Widerstand der Römer geben würde.

Hinzu kommt, dass die Begriffe in den unterschiedlichen Wissenschaftssprachen auch abweichende Anwendung finden, oder bestimmte Termini kehren bevorzugt in spezifischen historischen Kontexten wieder: Ikonoklasmus in Byzanz, Bildersturm in der Reformation und Vandalismus in der Französischen Revolution. Wie dem auch sei, auch wenn es eine einheitliche, allgemein anerkannte und verbindliche Terminologie nicht wirklich gibt, wollen wir die Begriffe im Kontext dieses Buches doch klar voneinander trennen und konsequent verwenden.

Was außerhalb der Betrachtung bleibt, sind die sogenannten Kollateralschäden, also Zerstörungen von Kunst- und Kulturgütern im Zuge militärischer Konflikte, die nicht gezielt herbeigeführt wurden, sondern vielmehr die Folge von Unachtsamkeit, vermeintlicher militärischer Notwendigkeit, von sich massiv auswirkenden Angriffen oder vielleicht auch von Missachtung waren, nicht jedoch Teil eines politischen, religiösen oder wie auch immer gearteten Programms gegen Kunst und Kultur.

Doch nicht immer sind die Grenzen scharf zu ziehen. Das gilt auch für absichtliche Kulturzerstörungen infolge von Plünderungen, auf die wir in unterschiedlichen Epochen immer wieder stoßen. Allen Landkriegsordnungen zum Trotz war das Plündern von der Antike bis heute fester Bestandteil kriegerischer Konflikte und konnte durch völkerrechtliche Konventionen allenfalls eingeschränkt, nicht jedoch völlig beseitigt werden. Schon gar nicht gelang dies in der jüngsten Vergangenheit, als im Kontext von failing states Terrorgruppen und andere kriminelle Banden das Geschehen bestimmten und sogenannte Schattenökonomien entstehen ließen. Wir beziehen solche Fälle nur dann ein, wenn sie Teil eines ikonoklastischen Programms waren.

Eine besondere Form der Plünderung bildet der systematische Kunstraub, dessen Anfänge ebenfalls bis in die Antike zurückreichen.[4] Der napoleonische Kunstraub, jener der Nationalsozialisten oder die Aktivitäten der sowjetischen Trophäenkommissionen am Ende des Zweiten Weltkriegs und andere Beispiele sind teilweise bereits sehr gut erforscht und nicht Thema dieses Buches, auch wenn wir sie vereinzelt streifen. Schließlich geht es in diesen Fällen nicht um die intentionelle Vernichtung von Kulturgut, sondern zunächst einmal darum, Werte möglichst unbeschadet an einen anderen Ort zu verbringen. Selbstverständlich ist dem Autor bewusst, dass das Entfernen von Objekten aus einem spezifischen Kontext, in dem sie ihre wahre Bedeutung besitzen, auch eine Art von Zerstörung sein kann.

Zwei große Bereiche der gezielten und programmatischen Kulturvernichtung werden nicht ausführlicher als eigene Stränge verfolgt, sondern lediglich fallweise im Kontext der jeweiligen Epochenereignisse erörtert: Denkmälersturz und Bücherverbrennung. Für beides finden sich zahlreiche Beispiele von der Antike bis in die Gegenwart. Sei es die Beseitigung von Königsdarstellungen auf assyrischen Reliefs, die Zerstörung von Bildnissen des französischen Königs Ludwigs XIV. oder der Sturz von Lenin-Denkmälern,[5] seien es die Verbrennung widerstreitender philosophischer Schriften unter dem chinesischen Kaiser Qin in vorchristlicher Zeit, die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz 1933 oder Koran-Verbrennungen durch US-amerikanische GIs 2012 in Afghanistan;[6] beide Phänomene ziehen sich wie rote Fäden durch nahezu alle Epochen unserer Geschichte.

Kulturerbe bildet in gewisser Weise materialisierte Geschichte und ist seit jeher eng mit kollektiver Erinnerung verbunden, für die Schaffung von Identität und deren Fortbestehen hatte es zu allen Zeiten eine besondere Bedeutung. Dadurch war es immer wieder vehementen Angriffen ausgesetzt, denen wir uns im Folgenden zuwenden wollen. Die Art und Weise dieser Attacken und deren Motivation konnten sehr unterschiedlich sein, sie sagen jedoch sehr viel...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Zusatzinfo mit 47 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Barbarei • Bildersturm • Bürgerkrieg • Denkmal • Enteignung • Geschichte • Ideologie • Krieg • Kulturgut • Kulturgüter • Kulturschutz • Kulturzerstörung • Materielles Erbe • Menschheitserbe • Plünderung • Raub • Religion • Terrorisimus • Vermögensumverteilung • Verwüstung
ISBN-10 3-406-76485-1 / 3406764851
ISBN-13 978-3-406-76485-1 / 9783406764851
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