Notizen zur Idealistischen Metaphysik IX -  Marco Bormann

Notizen zur Idealistischen Metaphysik IX (eBook)

Band IX - Die Anfänge der arabischen Philosophie
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2020 | 1. Auflage
376 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-9580-9 (ISBN)
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In diesem Projekt, dessen neunter Band hier vorliegt, hat sich der Autor die Aufgabe gestellt, die Geschichte der Philosophie systematisch als eine Abfolge von Beiträgen zur Idealistischen Metaphysik aufzuarbeiten. Was aber kann die Idealistische Metaphysik, ein jahrtausendealtes Denken, für unser heutiges Weltverständnis noch bedeuten? Inmitten einer ökologischen Krise mag eine Rückbesinnung auf die Geisteshaltung der Antike und des Mittelalters, wo man solche Krisen zu vermeiden wußte, eine passendere Antwort sein, als der weitere technische Fortschritt. Will man diese Geisteshaltung aber wirklich verstehen, so muß man ins Detail gehen. Der vorliegende neunte Band beschäftigt sich mit den Anfängen der mittelalterlichen Philosophie. Während das Denken nach dem Verbot der klassischen griechischen Philosophie im griechischsprachigen öströmischen Reich ganz in eine starre Dogmatik verfiel, war das lateinische Abendland nach der Herrschaftsübernahme germanischer Barbaren durch einen Niedergang der Kultur bis hin zu einem Analphabetismus geprägt. Das philosophische Denken lebte in dieser Zeit im sich immer weiter ausbreitenden Herrschaftsgebiet der Araber neu auf. Die klassischen Philosophen wurden nach und nach ins Arabische übersetzt und die muslimischen Denker legten vor allem in den ersten Jahrhunderten einen sehr kreativen Umgang mit der griechischen Philosophie an den Tag. Vor allem mit dieser Neuschöpfung der uns aus den vorhergehenden Bänden bekannten Tradition wollen wir uns hier beschäftigen.

Marco Bormann wurde 1972 geboren. Seit 1992 studierte er Philosophie in Aachen und wurde dort 1996 Dozent. 2007 zog er nach Frankreich und seit 2016 lebt er in Andalusien. Sein 2007 erschienenes Buch zu Kierkegaard markiert den definitiven Bruch mit der immer mehr ins Analytische verschwindenden universitären Philosophie. Seine Hauptinteressen gelten der Philosophie der Postmoderne, dem Existentialismus und der antiken und mittelalterlichen Metaphysik.

Gregorius der Große (540-604)

Gregorius stammt aus einer römischen Patrizierfamilie und war zudem Urenkel von Papst Felix II. Er erhielt eine juristische Ausbildung und war zunächst Senator und Praefectus urbi von Rom. Im Jahre 575 gab er jedoch die politische Karriere auf und wurde Mönch. Er verwandelte die Villa seiner Eltern auf dem Monte Celio in ein Benediktinerkloster, welches bis heute besteht. Ab dem Jahre 579 sandte ihn der Papst Pelagius II. für sechs Jahre nach Konstantinopel. Nach seiner Rückkehr blieb er Berater des Papstes und wurde nach dessen Tod im Jahre 590 selbst zum Papst gewählt. Sein Pontifikat gilt als richtungsweisend für die katholische Kirche. Die Macht in Rom lag damals nominell in den Händen des oströmischen Kaisers. Doch war es Gregorius, der durch Verträge mit den Langobarden und Tributzahlungen an diese, die Macht erhielt. Er war es auch, der die bis dahin staatlich organisierte Getreideversorgung der Stadt Rom durch die kirchlichen Besitzungen sicherte. Innerkirchlich legte er die Mönchsregeln des Benedictus von Nursia als verbindlich für das gesamte christliche Mönchtum fest, so daß diese durch das ganze Mittelalter hindurch eine feste kulturelle Größe blieben. Zudem praktizierte er eine Intoleranzpolitik gegenüber Ungläubigen und Andersgläubigen, die ebenfalls dem Mittelalter als Maßstab galt.

Natur


§ 1 Gregorius präsentiert uns eine sehr eigenartige und stark vom Platonismus beeinflußte Sichtweise der Seele, die wir bei einem christlichen Denker in dieser Form nicht erwarten. Zunächst teilt er die Seele in drei verschiedene Seelenformen ein:

tres quippe vitales spiritus creavit omnipotens deus: unum qui carne non tegitur; alium qui carne tegitur, sed non cum carne moritur; tertium qui carne tegitur, et cum carne moritur. »Der allmächtige Gott schuf drei geistige Naturen: eine, die mit keinem Fleische bekleidet ist, eine zweite, die zwar mit dem Fleische bekleidet ist, aber mit dem Fleische nicht stirbt, und eine dritte, die mit dem Fleische bekleidet ist und mit dem Fleische auch stirbt.«1

Er geht wie die Platoniker davon aus, daß es neben der sterblichen Tierseele, die an ihren Körper gebunden ist, eine Seele des Menschen gibt, die den Tod des Körpers überlebt. Daneben gibt es aber dann auch noch eine reine Seele, die gar keinen Körper hat. Gregorius identifiziert diese mit den Engeln. Wir finden uns also hier ganz auf dem geistigen Boden des Platonismus. Uns interessiert hierbei vor allem, wie Gregorius das Verhältnis von Körper und Seele denkt.

§ 2 Nun kann aber nach Gregorius die menschliche Seele durch den Tod des Körpers auch zu einer solchen reinen Seele ohne Körper werden. Die spannende Frage, die er in seinen Dialogen ausgiebig diskutiert, ist die, wie denn dann die Seele belohnt oder bestraft werden kann. Zunächst einmal können wir feststellen, daß es bei den bisher diskutierten christlichen Autoren nicht nötig war, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, da die Seele nach dem jüngsten Gericht doch wieder ihren Körper annimmt. Wir haben diese Auffassung einer leiblichen Auferstehung bei jedem christlichem Denker seit dem im vierten Band diskutierten Athenagoras gefunden. Aber Gregorius macht sich die Aufgabe schwieriger, denn er geht davon aus, daß die Heiligen bereits sofort nach ihrem Tod und folglich vor einer leiblichen Auferstehung bei Gott seien. Er erklärt dann wie folgt, daß auch die Seelen der Heiligen dann noch belohnt werden:

Hoc eis nimirum crescit in iudicio, quod nunc animarum sola, postmodum vero etiam corporum beatitudine perfruuntur »Sie bekommen eben das noch als Steigerung hinzu, daß, wie jetzt ihre Seele, dann auch ihr Leib die Seligkeit genießt«.2

Hier gesteht Gregorius noch ein, daß das Hinzufügen des Körpers zur reinen Seele diesem eine Steigerung der Seligkeit gewährt. Letztlich besagt dies, daß man doch des Körpers bedarf, um seelische Eindrücke zu haben, daß also die Seele nur über den Körper affiziert werden kann.

§ 3 Dieses Problem verschärft sich nun aber, wenn Gregorius auf die Höllenstrafen zu sprechen kommt, die er eben auch bereits der reinen Seele zuteil werden lassen möchte. Die Möglichkeit einer Schmerzen erleidenden reinen Seele erklärt er wie folgt:

Si incorporeus spiritus, Petre, in hoc teneri potest quod vivificat, quare non poenaliter et ibi teneatur ubi mortificatur? »Wenn zu Lebzeiten des Menschen der unkörperliche Geist vom Körper umfaßt wird, warum sollte der Geist nicht nach dem Tode, wenn er auch körperlos ist, von einem körperlichen Feuer erfaßt werden können?«3

Gregorius geht also hier davon aus, daß die Seele einfach nur von etwas Körperlichem umfaßt sein kann, welches dann auf sie wirkt. Ebenso wie vorher die Dinge über den Körper auf die Seele wirkten, so sollen sie jetzt auch ohne diesen Umweg direkt auf die Seele wirken können. Alles Wissen um die Komplexität dieses Körpers, der auf den gesamten Formen der Natur aufbauend es diesem erst ermöglichst, eine seelische Tätigkeit aufzuweisen, scheint hier verloren gegangen zu sein. Der Körper ist einfach nur Körper, der in einem nivellierten Dualismus dem Seelischen entgegensteht.

§ 4 Gregorius verteidigt seine Position nun, indem er einige Zwischenstufen des Unkörperlichen aufzeigt, welche die Wirkung des Körpers auf die Seele vermitteln sollen:

ignem namque eo ipso patitur, quo videt; et quiq concremari se aspicit, concrematur. sicque fit ut recorporea incorpoream exurat, dum ex igne visibili ardor ac dolor invisibilis trahitur ut per ignem corporeum mens incorporea etiam incorporea flamma crucietur. »Denn schon dadurch duldet er das Feuer, daß er es sieht, und er wird gebrannt, wenn er sich brennen sieht. So kommt es, daß etwas Körperliches ein geistiges Wesen brennt, in dem das sichtbare Feuer eine unsichtbare Hitze und einen unsichtbaren Schmerz erzeugt, so daß das körperliche Feuer den körperlosen Geist auch mit körperloser Flamme peinigt.«4

Als Zwischenstufen präsentiert uns Gregorios zunächst die Hitzeempfindung. Die Hitze sei etwas Unsichtbares und würde dennoch von uns wahrgenommen werden. Im Hintergrund steht hier die irrige Annahme, daß die Hitze als Unsichtbare auch etwas Unkörperliches sei. Wir wissen nun aber, daß Hitze als Energie durchaus einen materiellen Charakter hat. Eine weitere Zwischenstufe ist der Schmerz. Der Schmerz ist nicht nur etwas Unsichtbares, sondern natürlich auch unkörperlich. Zwar liegen ihm Nervenreizungen zugrunde, aber das Phänomen des Phantomschmerzes zeigt, daß hier keine materielle Einwirkung von Nöten ist. Das Nervensystem kann durchaus aus sich heraus Schmerzempfindungen erzeugen. Diese sind daher wesentlich Systemzustände des Nervensystems. Der Schmerz läßt sich aber auch nicht auf das Nervensystem reduzieren. Er ist vielmehr eine Selbstempfindung und somit – hier stimmen wir Gregorius zu – etwas Immaterielles.

Die Überlegung von Gregorius ist nun aber, daß diese immaterielle Schmerzempfindung uns erklärt, wie die für ihn ebenfalls immaterielle Hitze des Höllenfeuers eben vermittelt über den Schmerz auf die menschliche Seele wirkt. Dabei präsentiert er uns aber eine Seele, die wie Hilary Putnams »Brains in a vat« an einen beliebigen Generator zur Erzeugung von Empfindungen angeschlossen werden kann. Er verkennt vollkommen, daß es eine natürliche Stufenordnung gibt, deren höchste Stufe zwar die Seele ist, die aber dennoch der anderen Stufen in ihrer Gesamtheit bedarf um Schmerzempfindungen und Bedeutungen haben zu können.

Geist


§ 5 Im Bereich des Geistes ist es vor allem die Frage nach dem Glauben und seinem Verhältnis zum Wissen, welche Gregorius auf eine für uns sehr interessante Art beleuchtet. Zunächst einmal ist das wirkliche Wissen um das Göttliche für ihn etwas, was nur den reinen Seelen zugänglich ist. Uns Menschen vergleicht er mit den Bewohnern der Höhle aus dem platonischen Höhlengleichnis:

Ac si enim praegnans mulier mittatur in carcerem, ibique pariat puerum, qui natus puer in carcere nutriatur et crescat; cui si fortasse mater quae nunc genuit, solem, lunam, stellas, montes et campos, volantes aves, currentes equos nominet, ille vero qui est in carcere natus et nutritus nihil aliud quam tenebras carceris sciai, et haec quidem esse audiat, sed quia ea per experimentum non novit, veraciter esse diffidat »Nehmen wir an, ein Weib in gesegneten Umständen würde in einen finsteren Kerker geworfen und würde dort ein Kind zur Welt bringen, das im Kerker aufgezogen und heranwachsen würde. Wenn ihm seine Mutter vielleicht von der Sonne, dem Mond und den Sternen, von...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
ISBN-10 3-7526-9580-3 / 3752695803
ISBN-13 978-3-7526-9580-9 / 9783752695809
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