Depressionen behandeln mit EMDR (eBook)

Techniken und Methoden für die psychotherapeutische Praxis

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12044-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Depressionen behandeln mit EMDR -  Arne Hofmann
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Das erste Buch zur Behandlung von Depression mit EMDR   - Neuer, effizienter und hoch wirksamer Ansatz - Für alle Fachrichtungen Praxisnah durch Fallbeispiele Depressionen stellen eine der häufigsten psychischen Störungen dar und gelten als schwer behandelbar. Neuere wissenschaftliche Studien belegen eine hohe Wirksamkeit des EMDR bei diesem Störungsbild. Die EMDR-Therapie verfolgt hierbei den Ansatz, belastende Erinnerungen, die depressive Episoden und negative Überzeugungen auslösen und aufrecht erhalten, direkt mit EMDR-Techniken zu bearbeiten. Das Praxishandbuch erläutert das diagnostische und therapeutische Vorgehen und wirft einen Blick auf häufig gleichzeitig mit depressiven Episoden auftretende schwere Traumafolgestörungen sowie spezielle damit verbundene klinische Situationen. Es verbindet eine theoretische Fundierung mit aktuellen Erkenntnissen aus der Forschung. Die LeserInnen werden mithilfe von praktischen Beispielen gut auf die Anwendung in Klinik und eigener Praxis vorbereitet. Dieses Buch richtet sich an: - VerhaltenstherapeutInnen - PsychoanalytikerInnen und tiefenpsychologisch fundierte PsychotherapeutInnen - PsychotherapieforscherInnen - Pflegepersonal, SozialarbeiterInnen

Arne Hofmann, Dr., ist Facharzt für Psychosomatische und Innere Medizin, Leiter des EMDR-Instituts Deutschland und ärztlicher Leiter Forschung & Weiterbildung in der Klinik für Psychosomatik, Psychotraumatologie und EMDR im Gezeiten Haus Schloss Eichholz (Wesseling).

Arne Hofmann, Dr., ist Facharzt für Psychosomatische und Innere Medizin, Leiter des EMDR-Instituts Deutschland und ärztlicher Leiter Forschung & Weiterbildung in der Klinik für Psychosomatik, Psychotraumatologie und EMDR im Gezeiten Haus Schloss Eichholz (Wesseling).

Kapitel 2

EMDR-Therapie als neuer Behandlungsansatz


Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut.

(Mark Twain)

EMDR ist eine neue Psychotherapiemethode, die 1987 durch Francine Shapiro entwickelt wurde. Shapiro, eine amerikanische Psychologin und Forscherin, machte die Entdeckung, dass das Fokussieren auf ein sehr belastendes Erlebnis, das sie immer noch sehr beschäftigte, und begleitende sakkadische Augenbewegungen ihr halfen, diese Belastung zu überwinden. Diese Entdeckung fand sie so bedeutsam, dass sie sie auch bei anderen ausprobierte. Als sie merkte, dass dieses Vorgehen die Belastung auch bei anderen Menschen senken kann, begann sie dies in einer ersten wissenschaftlichen Studie genauer zu untersuchen. Die Studie wurde u. a. mit psychisch traumatisierten Vietnam-Veteranen und Vergewaltigungsopfern durchgeführt. Tatsächlich berichteten die Klienten über eine deutliche Reduktion der Intensität traumaassoziierter Erinnerungsbilder und der subjektiv empfundenen Belastung durch entsprechende Erinnerungen. Diese Studie wurde 1989 im Journal of Traumatic Stress Studies veröffentlicht unter dem Titel »Efficacy of the Eye Movement Desensitization Procedure in the Treatment of Traumatic Memories« (Shapiro 1989). Der Artikel rief eine große Resonanz hervor und Shapiro entwickelte ihren Ansatz weiter. Es war der Beginn der Entwicklung der EMDR-Therapie. Entscheidend für die Entwicklung dieser Therapieform war, dass von Anfang an eine starke Betonung auf der wissenschaftlichen Begleitung und Erforschung der Methode, ihrer Wirksamkeit sowie der Wirkfaktoren lag.

Aber was ist EMDR eigentlich?

EMDR, die Abkürzung für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, ist ein Behandlungsverfahren zur Verarbeitung belastender Erinnerungen, die psychische und psychosomatische Störungen verursachen. Die EMDR-Therapie bezieht sich auf ein eigenes Krankheits- und Veränderungsmodell: das Modell der adaptiven Informationsverarbeitung. Dieses besagt, dass Menschen auch schwere und belastende Ereignisse adaptiv verarbeiten können. Dennoch kann es aus unterschiedlichen Gründen dazu kommen, dass dieser natürliche Verarbeitungsprozess gestört wird. Dann wird das Ereignis dysfunktional und in Fragmenten abgespeichert. Das Vorgehen beim EMDR kann nun helfen, dieses adaptive Informationsverarbeitungssystem, im Prinzip das Selbstheilungssystem des Menschen, wieder in Gang zu setzen, so dass der Mensch das belastende Erlebnis trotzdem noch verarbeiten kann. Damit verbunden ist ein Heilungsprozess, der dazu führt, dass sich die Symptomatik, unter der der Patient zuvor litt, auflöst. Eine bestimmte Art der Fokussierung auf das belastende Ereignis sowie alternierende bilaterale Stimulation bilden die zentralen Elemente des Vorgehens.

Das AIP-Modell der EMDR-Therapie


Das AIP-Modell, das hinter dem Vorgehen der EMDR-Therapie steht, nimmt an, dass ein traumatisches oder belastendes Erlebnis, das in der Vergangenheit passiert ist, nicht als normale, explizite Erinnerung integriert wird, sondern anders, als implizites, dysfunktionelles Traumanetzwerk, abgespeichert wird. Tatsächlich konnte die neurobiologische Forschung zeigen, dass sehr viele Befunde dazu passen. So konnten Jatzko und Ruf (2007) zeigen, dass beim Abrufen einer unverarbeiteten, traumatischen Erinnerung nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, kortikale Strukturen des Langzeitgedächtnisses aktiviert wurden, sondern überwiegend limbische Strukturen. Als er eine Patientin nach einem schweren, traumatisch erlebten Verkehrsunfall ins fMRT legte und sie währenddessen mit ein paar kurzen Sätzen vom Tonband mit dem Unfall konfrontierte, aktivierte dies Bereiche im Gyrus cinguli sowie im tertiären visuellen Kortex. Frontale Areale waren während dieser Zeit deaktiviert. Diese Beobachtung, dass traumatische Erinnerung nicht dort abgespeichert ist, wo sich alte Erinnerung normalerweise befindet, wurde auch von anderen Forschern gemacht (van der Kolk et al. 2003, Pagani et al. 2012).

In der EMDR-Therapie geht es daher darum, diese impliziten, dysfunktionellen Traumanetzwerke, in denen die pathogenen Erinnerungen festsitzen, so zu verarbeiten, dass die Erinnerung integriert und die Pathologie aufgelöst werden kann. Tatsächlich konnte auch dies neurobiologisch nachgewiesen werden. In der soeben erwähnten Studie von Jatzko und Ruf (2007) wurden die Patienten mit EMDR behandelt. Nach der Behandlung wurden sie wiederum im fMRT untersucht. Die zuvor nachweisbaren biologischen Spuren im limbischen System sowie im tertiären visuellen Cortex waren nun verschwunden. Die Erinnerung war in dieser Weise nicht mehr biologisch dysfunktional aktiv. Sie war integriert. Ein ähnliches Ergebnis fand Pagani in seiner EEG-Studie (Pagani et al. 2012).

Das AIP-Modell ist grundsätzlich ein ressourcenorientiertes Modell. Es geht davon aus, dass der Mensch durch ein in ihm angelegtes System der Informationsverarbeitung, das sicherlich überwiegend im zentralen Nervensystem zu verorten sein dürfte, in der Lage ist, die von ihm gemachten Erfahrungen zu verarbeiten. In einem solchen Verarbeitungsprozess wird Wichtiges erinnert und Unwichtiges gelöscht (vergessen). Die vordem in kortikalen Langzeitspeichern abgelegten Informationen werden in diesem Prozess der »Informationsverarbeitung« durch aktuelle Informationen verändert, wie auch die Aktualerfahrung durch das umfangreiche, im Leben erworbene Wissen verändert und damit oftmals entaktualisiert wird. Es ist anzunehmen, dass die Informationsverarbeitung auch im Tagesverlauf geschieht, aber zu erheblichen Anteilen in den REM- und Non-REM-Phasen des Schlafes stattfindet (Stickgold et al. 2001). Unter bestimmten Bedingungen wird das Informationsverarbeitungssystem in seiner Funktion gestört bis blockiert. Dann bleiben diese Erinnerungen in einer rohen, zustandsspezifischen Form, unverarbeitet, gespeichert. Diese dysfunktionell gespeicherten Erinnerungen sind die Ursache von psychischen und psychosomatischen Störungen. Sie werden auch als pathogene Erinnerungen (Centonze et al. 2005) bezeichnet.

Diese Erinnerungen sind häufig in Netzwerken organisiert, wobei die Organisationskriterien Ähnlichkeiten bzgl. verschiedener Kriterien – wie dem leitenden Affekt, beteiligten Personen o. Ä. – sind. Shapiro geht davon aus, dass eine solche unverarbeitete Erinnerung, wenn sie nicht in der Zeit kurz nach dem Erlebnis spontan verarbeitet wird, wie eingefroren und isoliert von adaptiver Information gespeichert ist und sich daher ohne therapeutische Einwirkung nicht oder nur gering verändert (Shapiro 2018).

Wird eine solche dysfunktionell gespeicherte, unverarbeitete Erinnerung aktiviert, dann äußert sich dies in einem sehr wirklichkeitsnahen Erleben. Bei der klassischen PTBS sind dies die typischen PTBS-Symptome, wie z. B. die Intrusionen. Jedoch können sich auch andere dysfunktionell gespeicherte Erinnerungen – z. B. als Schmerzsymptomatik oder auch als intrusive Emotion im Bereich der affektiven Störungen oder kognitive Intrusion – als eine dysfunktionale Überzeugung zeigen. Wir gehen davon aus, dass innerhalb des EMDR-Prozesses durch die Fokussierung und Stimulation, überwiegend mittels Augenbewegungen, das Informationsverarbeitungssystem aktiviert wird und die Erinnerung folgend verarbeitet werden kann. Klinisch können wir dann ein Ende der Symptomatik und eine Normalisierung des Verhaltens beobachten.

Pathogene Erinnerungen

EMDR hat seinen Wirkungsnachweis bisher in der Behandlung der PTBS (WHO 2013, Schulz et al. 2015, Khan et al. 2018). Allerdings gibt es mehrere Veröffentlichungen, die die Wirksamkeit der EMDR-Methode beim Prozessieren anderen Erinnerungsmaterials zeigen. Wir möchten hier aus der Vielzahl der Literatur vorerst nur auf die Studien von Cvetek (2008) und Frustaci et al. (2010) eingehen. Beide zeigten, dass die Bearbeitung von Lebensereignissen unterhalb der Traumaschwelle des A-Kriteriums der PTBS (»Lebensgefahr«) bei Patienten zu einer klinischen und mit geeigneten Messinstrumenten abbildbaren Verbesserung führte. So konnte Frustaci über die Bestimmung der Herzratenvariabilität zeigen, dass die durch EMDR ausgelösten Veränderungen weit über die rein psychischen Veränderungen hinaus das ...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2020
Zusatzinfo mit zahlreichen Abbildungen
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Geisteswissenschaften Psychologie Angst / Depression / Zwang
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Behandlungsmanual • Behandlungsmanual DeprEnd • DeprEnd • Depression • Dissoziationen • dissoziativen Störungen • EMDR • komplexe Traumafolgestörungen • Psyche • Psychiatrie • Psychische Störung • Psychologie • Psychotherapeut • Psychotherapie • Suizidalität • Trauma • Traumafolgestörungen • Traumatherapie • Traumatisierung
ISBN-10 3-608-12044-0 / 3608120440
ISBN-13 978-3-608-12044-8 / 9783608120448
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