Meistere den Stress (eBook)
308 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-1740-5 (ISBN)
Inke Jochims, Jahrgang 1963, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Berlin. Sie hat viele Jahre als Coach und Therapeutin gearbeitet und gibt nun ihr Wissen in Form von Online-Kursen und Büchern weiter. Zudem ist sie auf YouTube mit ihrem Kanal "Jochims-Methode" aktiv. www.jochims-methode.de, www.jochims-buecher.de, www.jochims-entspannung.de
3 Homöostase
„Homöostase“ ist ein griechischer Begriff (altgriechisch homoiostásis) und bedeutet so viel wie „Gleichstand“ oder auch „Waage“.
Ziel eines homöostatischen Systems ist es, eine Balance herzustellen. Um diese zu erreichen, werden solange Abweichungen korrigiert ist, bis wieder eine stabile Ausgangslage, genauer gesagt ein bestimmter Sollwert erreicht ist.
Egal wie heiß oder kalt es draußen ist, der Körper strebt immer an, unsere Körpertemperatur in einem für unser Leben und Gedeihen optimalen Bereich konstant zu halten. Er pendelt die Temperatur zwischen 36,3 und 37,4 °C ein.
Weitere Beispiele sind der Blutzuckerspiegel, der wenn irgend möglich konstant gehalten wird, und der Blutdruck, den der Körper ebenfalls versucht, konstant zu halten.
Es gibt für diese – und sehr viele weitere Prozesse im Körper – einen Sollwert und diesen Sollwert versucht der Körper immer wieder zu erreichen.
Abbildung 11: Homöopathischer Regelkreis (Fink, 2013)
Damit ein Sollwert erreicht wird, und wenn er erreicht ist, auch erhalten bleibt, muss der Körper ständig ein „Feintuning“ betreiben, die Waage ständig austarieren.
Wenn man an einem heißen Tag joggen geht, wird der Körper sehr heiß. Das Gehirn merkt, dass die Temperatur vom Sollwert für die für den Körper optimale Temperatur abweicht. Über die Aktivierung der Schweißdrüsen mittels des Sympathikus sorgt es für eine Abkühlung. Jetzt wird der Sympathikus etwas mehr aktiviert als der Parasympathikus. Es fließt mehr Schweiß.
Ein anderes Beispiel:Wenn man zu wenig trinkt, fehlt dem Körper Wasser. Er meldet Durst, damit man wieder etwas trinkt. Oder man trinkt zu viel und der Körper zwingt uns zu urinieren, damit das Wassergleichgewicht im Körper wieder in eine Homöostase eintritt.
Die Voraussetzung für die Herstellung einer Homöostase ist, dass die verschiedenen Komponenten eines Systems sich wechselseitig beeinflussen, sich auch hemmen können, denn wenn das nicht der Fall wäre, würde ein System „überschießen“, zu aktiv werden und ein oder mehrere Zielorgane zu stark beeinflussen.
3.1 Homöostase und ANS
Sympathikus und Parasympathikus arbeiten immer gleichzeitig. Sie wirken gleichzeitig auf das Zielorgan ein und beeinflussen es wie ein Zügelsystem. (Planet, 2012) Ihre Aufgabe ist das Herstellen einer Homöostase.
Das ANS hat also einen Sollwert. Wenn das soziale System (SNS) aktiv ist, reguliert es die beiden Zweige des ANS so, dass der Organismus möglichst gesund, leistungsfähig und in sozialer Verbindung mit anderen Menschen lebt.
Diese Situation ist gegeben, wenn – und das war eine wichtige Erkenntnis von Stephen W. Porges − der ventrale Vagus (VVC) aktiv ist und die beiden anderen Komponenten SNS und DVC aussteuert.
Im Falle der Reaktion auf Stress lässt der Einfluss des VVC auf die wahrgenommenen Signale von Bedrohung hin nach. Das macht den Weg frei für eine Aussteuerung, bei der eine der beiden anderen Komponenten, SNS oder DVC, im Tonus überwiegt. Das wiederum ermöglicht die entsprechenden Stressreaktionen.
3.2 Homöostase uns Stressreaktion
Abbildung 12: Sicherheit ist die Ausgangslage, die möglichst schnell wieder erreicht werden sollte.
Unser Nervensystem ist so konstruiert, dass die angestrebte Homöostase der vom ventralen Vagus (VVC) dominierte Zustand sein sollte. Dies ist aber nur im Falle faktisch gegebener oder psychologisch erlebter Sicherheit der Fall.
Das bedeutet nicht, dass Sympathikus (SNS) oder Parasympathikus (DVC) in diesem Moment inaktiv sind, ihr Einfluss ist nur unter Kontrolle des VVC.
Das ist die homöostatische Ausgangslage, in die wir nach Meinung unseres Organismus nach einer überstandenen Gefahr oder Bedrohung möglichst schnell wieder zurückkehren sollten. Weder unser Körper noch unser Nervensystem noch unser Gesamtorganismus sind für eine chronische Stresssituation konstruiert.
Um in den Zustand der heilenden Homöostase zurückkehren zu können, braucht das Nervensystem aber ein Signal − und das ist das wahrgenommene und verarbeitete Signal für „Sicherheit“. Chronische Stressreaktionen entstehen, wenn dieses Signal nicht kommt oder nicht angemessen verarbeitet wird.
Wie schon der Stressforscher Robert Sapolsky schrieb, bekommen wir Menschen unsere Magengeschwüre nicht etwa deshalb, weil wir von einem Säbelzahntiger gejagt werden, sondern weil wir sozialen Stressoren ausgesetzt sind. (Sapolsky, 2004) Das wiederum bedeutet sehr häufig, dass das Signal für „Sicherheit“ nicht oder zu selten kommt.
Im Kontakt mit einem Säbelzahntiger gilt: Er ist entweder der Sieger im Nahkampf oder er trollt sich, aber die Stresssituation hat ein definitives und als solches auch erkennbares Ende. Für solche Stresssituationen sind wir gemacht. Für ein klares Signal: „Die Gefahr ist vorbei. Du bist wieder in Sicherheit.“
Der An-Aus-Schalter für den Wechsel zwischen der Dominanz des Sympathikus (Gefahr) und der Dominanz des Parasympathikus (Sicherheit, Heilung, Erholung, soziales Miteinander) ist der ventrale Vagus (VVC). Das ist der Nerv, der auf die Erkenntnis: „Sicherheit ist gegeben“ reagiert und den Organismus vom Gefahrenmodus auf den Sicherheitsmodus umschaltet. (Cohen, 2020)
Das Problem moderner Stresssituationen ist, dass wir auf sie mit einem biologischen Erbe reagieren, das für einen vollkommen anderen Kontext gemacht wurde. Millionen von Jahren waren die Stressreaktionen, die der Körper auswählte, diejenigen, die am besten das physische Überleben gewährleisteten. Für diese Aufgabe haben sie sich entwickelt.
Aber diesen Kontext gibt es nicht mehr. Für die Bewältigung heutiger Aufgaben sind diese biologischen Reaktionen häufig nicht mehr optimal, sondern manchmal sogar eher hinderlich.
Wir müssen folglich lernen, mit unserem biologischen Erbe in einer zivilisierten, industrialisierten Gesellschaft zu leben. Wir müssen reflektieren, dass sich der Kontext unseres Daseins gravierend von dem Kontext unterscheidet, innerhalb dessen wir uns entwickelt haben.
Was vor allem in diesem Kontext häufig missglückt, ist der natürliche Zyklus von Aktivierung und Deaktivierung, von Stressreaktion einerseits und Ruhe und Erholung andererseits. Diese Zyklen werden nicht oder nicht mehr vollständig abgeschlossen, es kommt folglich zu chronischen Stressreaktionen.
Abbildung 13: Aktivierung und Deaktivierung
Hier der natürliche Zyklus von Aktivierung und Deaktivierung am Beispiel von Fluchttieren (Impalas, Gazellen u. a.):
Abbildung 14: Erregungszyklus am Beispiel eines Fluchttiers
3.2.1 Die Jagd der Gazelle
Stellen wir uns vor, eine Herde Gazellen (oder Impalas) grast friedlich in der Savanne. Die einzelnen Tiere sind ruhig, entspannt und Teil der Herde. Sie grasen gemeinsam und sie verdauen. Das ist möglich durch die Dominanz ihres ventralen Vagus (VVC).
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Herde auf der ganz linken Seite der Kurve in Abbildung 13. Sie sind ruhig, entspannt und in der Herde verbunden. Das ist ihre aktuelle Situation, ihr aktueller psycho-physiologischer Zustand. Aber nun taucht eine Großkatze auf und beobachtet die Herde, in die Welt der Gazellen ist also ein Stressor eingetreten. Das Erste, was sie tun, ist: Sie beginnen sich zu orientieren. Die Frage, die sie sich unbewusst stellen, ist: „Was geht gerade vor? Ist das Geräusch, das ich gehört habe, ein Anzeichen für eine Gefahr oder nicht?“
Es ist wichtig, dass die Gazellen nicht bei jedem Geräusch fliehen. Auch wenn in freier Natur das Überlebensmotto lautet „Lieber einmal zu viel fliehen als einmal zu wenig“, würden sie zu viele Energiereserven vergeuden, wenn sie wirklich bei jedem Geräusch, das sie wahrnehmen, sofort losrennen.
Also versuchen die Gazellen zuerst herauszufinden, ob die energiezehrende Flucht wirklich notwendig ist. Diese Reaktion nennt man die Orientierungsreaktion.
Die Gazellen hören auf zu grasen, wenden sich ihrer Umgebung zu und versuchen herauszufinden, was die (zu diesem Zeitpunkt noch milde) Stressreaktion in ihnen ausgelöst hat.
Sie stellen die Ohren auf, die Sinne werden wacher. Woher kommt das Geräusch? Woher kommt der Geruch? Was bedeutet das Geräusch und was bedeutet der Geruch? Oder was bedeutet die Vibration, die ich unter meinen Hufen fühle?
Die Gazellen versuchen also herauszufinden, ob sie noch sicher sind. Noch befinden sie sich, wenn man Abbildung 13 betrachtet, auf der linken Seite der Kurve, aber ihre Nebenniere hat bereits begonnen, etwas Adrenalin für eine mögliche Flucht auszuschütten und ihr Herz schlägt bereits etwas schneller.
Wenn die Gazellen begreifen: Es ist nicht nur ein gebrochener Zweig gewesen oder der Wind, die Gefahr ist vorhanden, sie ist real gegeben und sie verschwindet auch nicht wieder, dann wird ihr Körper mit Adrenalin geflutet und der Einfluss des ventralen Vagus (VVC) wird...
Erscheint lt. Verlag | 18.11.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
ISBN-10 | 3-7526-1740-3 / 3752617403 |
ISBN-13 | 978-3-7526-1740-5 / 9783752617405 |
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