Der Wille entscheidet (eBook)

Krisen bewältigen, Verhandlungen gewinnen - Ein Ex-Kommando-Offizier berichtet
eBook Download: EPUB
2021
192 Seiten
Ariston (Verlag)
978-3-641-26087-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Wille entscheidet - Oliver Schneider, Shirley Michaela Seul
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Krisen bewältigen, Verhandlungen gewinnen

Unlösbar? Gibt es nicht. Selbst aus schwierigen und ausweglos erscheinenden Situationen kann man als Sieger hervorgehen!

Oliver Schneider, ehemaliger KSK-Offizier und Berater für Sicherheits-, Risiko- und Krisenmanagement, weiß, wie wir uns aus Krisen befreien: Psychische Stabilität, fundierte Vorbereitung, strategische Planung und die richtige Taktik sind das A und O - die Grundsätze des KSK-Prinzips.

Anhand einiger seiner spektakulärsten Einsätze vermittelt Oliver Schneider die entscheidenden Faktoren - und zeigt, wie jeder seine Willenskraft und mentale Stärke entwickeln kann. Für eine optimierte Entscheidungsfähigkeit, Klarheit und Erfolg!

Oliver Schneider ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der RiskWorkers GmbH in München. Er startete seine berufliche Laufbahn als Offizier bei der Bundeswehr und diente u.a. bei den Fallschirmjägern, bevor er zum Kommando Spezialkräfte (KSK) wechselte. Hier war er an mehreren Spezialoperationen im Ausland beteiligt. Seit dem Jahr 2006 ist Schneider als Sicherheits-, Risiko- und Krisenmanagementberater tätig und hat als sogenannter »Kidnap for Ransom Consultant« mehrere Entführungsfälle erfolgreich gemanagt. Auslandserfahrung als Risk Consultant sammelte er u.a. in Afghanistan, Algerien, Brasilien, Irak, Iran, Jemen, Kolumbien, Mexiko, Pakistan und Russland (Kaukasus).

Schräglage

Bremen, 23. Oktober, 13:40 Uhr

Der Firmensitz der Reederei war eine architektonische Meisterleistung. Das historische Gebäude aus dem 18. Jahrhundert hatte man in den Neubau integriert. Frederik Olsen, der Geschäftsführer des Unternehmens, das sich seit über 200 Jahren in Familienbesitz befand, begrüßte mich auf der Brücke, sprich in seinem Büro in der obersten Etage. Es war stilecht eingerichtet mit schweren, dunklen Holzmöbeln und strahlte trotz der Geräumigkeit jene gewisse Gemütlichkeit aus, die man sich in einer Kapitänskajüte vorstellen mag. An den Wänden hingen historische Seekarten, in einer Glasvitrine waren nautische Instrumente aus längst vergangenen Zeiten ausgestellt wie auch die obligatorischen Gemälde der Ahnen an den Wänden – ehrwürdige Männer mit dichten Bärten, deren Blicke in die Ferne schweiften, steuerten sie doch das Unternehmen durch raue See. Hoffentlich nicht mit diesem altertümlichen Teil hier, schoss es mir durch den Kopf, als ich das riesige Steuerrad erblickte, das neben einer Schiffsglocke in einer Ecke prunkte.

Frederik Olsen zuckte bei unserem Händedruck nicht zusammen. Es ist schon besser geworden mit mir, doch noch immer ähnelt mein Willkommensgruß einem Bodycheck im Schraubstock, egal, wie oft ich mir Lockerung vornehme. Das sitzt einfach tief, wie so manches andere aus meiner Vergangenheit beim Kommando Spezialkräfte.

»Herr Schneider, es freut mich, dass Sie so schnell zu uns gekommen sind.« Herr Olsen klang erleichtert, wenngleich er wie ein Mann aussah, der auch sehr gut allein zurechtkommt. Doch er wusste, wann er Verstärkung brauchte – eine Voraussetzung, um erfolgreich zu sein. Gerade in der Krise, wenn kleinste Entscheidungen über Gedeih oder Verderb, Erfolg oder Misserfolg entscheiden, ist es sinnvoll, den Rat von Fachleuten einzuholen, die mit den jeweiligen Gegebenheiten vertraut sind. So gehen wir auch privat vor, wenn wir uns im Seelennebel verirrt haben und deshalb eine Psychologin aufsuchen – oder einen Eheberater, weil wir die kriselnde Beziehung vor dem Untergang retten möchten. Es gibt Situationen, in denen kommt man als Einzelkämpfer nicht weiter. Dennoch auf seinem Status zu beharren, wäre ein großer, vielleicht tödlicher Fehler. Und um Leben und Tod ging es bei dieser Entführung auch. Neun Mitarbeiter waren gekidnappt worden.

Ich schätzte den Reeder Olsen auf Anfang 60. Der dunkelblaue Anzug, der die breiten Schultern betonte, passte hervorragend zu den leicht ausgewaschenen hellblauen Augen. Eisgraue Haare erschienen als letzter Pinselstrich am Klischee des korrekten Nordländers. Der Reihe nach stellte mir Frederik Olsen die anwesenden Personen vor. Den Justiziar Herrn Dr. Jansen, der wie eine jüngere Kopie seines Chefs auftrat, aber durch seine schlaffe Körperhaltung lange nicht so drahtig und charismatisch wirkte. Kein Training vernachlässigte hingegen Stefan Krüger, der Chief Security Officer (CSO); ich schätzte ihn auf Mitte 30. Diese Position muss in jeder Reederei besetzt sein, die in internationalen Gewässern verkehrt, um die Häfen ansteuern zu dürfen. Zwei Frauen komplettierten die Runde, und beide waren etwas aufgeregter als die Herren, zumal die Entführung unmittelbar ihr Aufgabengebiet betraf. Frau Sommer, die Personalleiterin, sorgte sich um die entführten Seeleute, und Frau von Sternberg, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, um das Image der Reederei.

Schon die Titel der versammelten Mannschaft zeigten mir, dass ich es mit sehr verschiedenen Interessen zu tun hatte. Um erfolgreich gegen die Entführer vorzugehen, mussten sie gebündelt werden in einem gemeinsamen Ziel. Das war mein erster Job. Wie sagte schon Generalfeldmarschall Graf Moltke: »Getrennt marschieren, vereint schlagen.« Die Truppe ist nur schlagkräftig, wenn sie einig ist. Klare Entscheidungen mussten gefällt werden – und sie mussten gemeinschaftlich für gut befunden werden, um nicht abzusaufen. Würden die hier versammelten Menschen dazu in der Lage sein?

Wir sind ja keine Maschinen. Die Persönlichkeit gibt den Ausschlag. Wie krisenfest ein Mensch ist, hängt von vielen Faktoren ab, auch von körperlichen. Wenn wir kränkeln oder uns gerade schwach fühlen, bringen uns Probleme ins Straucheln, die wir zu anderen Zeiten kaum als solche wahrnehmen würden. Doch natürlich steht über der Tagesform die prinzipielle Haltung eines Menschen. Der Optimist reagiert anders als der Pessimist, der Choleriker anders als der Sanguiniker. Unterm Strich sind die Herausforderungen gleich. Die Frage ist: Was macht jeder Mensch für sich daraus – oder ein Unternehmen, das letztlich mit einer Stimme sprechen sollte? Wie balancieren wir die Krise aus? Je reifer und kritikfähiger ein Mensch ist, desto besser kann er seine eigenen Befindlich- und Eitelkeiten zurückstellen; je führungsstärker er ist, desto leichter fällt es ihm, seine Position zu verlassen. Wie flexibel waren die Versammelten? Natürlich hatte ich sie längst gescannt und auch eine Ahnung, wie sie sich verhalten würden – ob ich recht hatte, würde das folgende Gespräch zeigen. Keinesfalls würde ich meinem ersten Eindruck folgen. Gerade in einer Krise muss man offen bleiben. Nicht selten liegt die Lösung in einer Ecke, die man zuerst übersehen hat.

In einer Ecke nahmen wir auch Platz: auf zwei harten Ledersofas. Frederik Olsen war der einzige Stuhl vorbehalten, ich vermutete, dass es sich um ein Erbstück seines Vaters und womöglich Großvaters handelte. Erfrischungen waren vorbereitet: Getränke, Obst, Schnittchen. Sinnigerweise war in den massiven Holztisch ein alter Schiffskompass eingepasst. Er zeigte nach Norden. Das war schon mal die falsche Richtung, um das Problem anzusteuern, das im Süden lag und sich folgendermaßen darstellte, wie der Justiziar Jansen berichtete:

»Heute Morgen gegen 5:30 Uhr deutscher Zeit wurde unser Tanker, die MS Viktoria, im Golf von Guinea circa 60 Seemeilen vor der Küste Nigerias von drei Piraten-Schnellbooten mit circa 20 Mann angegriffen. Aufgrund der geringen Bordwandhöhe unseres Tankers war es für die Angreifer relativ einfach, mit Waffen an Bord zu gelangen und neun Mitglieder der Besatzung zu kidnappen. Sie meldeten sich vom Schiff aus über Satellitentelefon bei unserem CSO, dem Chief Security Officer. Der nahm das Gespräch geistesgegenwärtig auf.« Jansen nickte dem CSO zu; Krüger startete die Aufnahme.

Vor meinem geistigen Auge spielte sich das Kidnapping ab. Man kann so etwas mit einem Angriff auf eine Burg in der Ritterzeit vergleichen. Nachdem sich die Kidnapper ein Lagebild gemacht hatten – dieselbe Strategie würden wir auch verfolgen –, waren sie mit Schnellbooten von hinten an das Schiff herangefahren. Diese Boote waren zu klein, als dass sie vom Radar erfasst werden konnten. Die Aktion ist nicht ungefährlich, die Piraten sind mit hohem Tempo unterwegs und werfen dann die Seile mit den Haken auf die Reling. Daran klettern sie hoch und entern das Schiff, wobei sie ihr Leben riskieren. Es ist eine Herausforderung, die Mut und Geschick verlangt, bei voller Fahrt an einem solchen Seil hochzuklettern, und viele der Angreifer können nicht schwimmen oder nur mäßig. In Somalia verhindern Sicherheitskräfte an Bord häufig ein solches Eindringen. In den nigerianischen Küstengewässern ist es verboten, private bewaffnete Sicherheitsleute zu engagieren; solche Aktionen sollen dem Militär vorbehalten bleiben. Und weiter draußen ist es vielen Reedern zu teuer und zu umständlich, private Sicherheitsdienste zu nutzen, die von Bord gehen müssen, sobald sie nigerianische Gewässer erreichen.

Ich hörte ein Rauschen, dann sprach jemand enorm aufgeregt. Es klang wie ein Maschinengewehr: »If you do anything stupid, we kill your team. We want … million. Otherwise we kill them.«

Obwohl die Anwesenden diese Aufzeichnung sicher schon öfter gehört hatten, schwiegen sie betreten. Frederik Olsen fragte mich: »Haben Sie die Höhe der Summe gehört?«

»Nein. Die Zahl vor million war unverständlich.«

»Ja, so ging es uns auch.«

Der Justiziar fuhr fort: »Keiner weiß, wo die Geiseln sich jetzt aufhalten. Das Schiff selbst ist mit der in etwa halbierten Besatzung auf dem Weg in den Hafen von Port Harcourt. Mehr wissen wir nicht.«

Frau Sommer mischte sich ein: »Doch. Wir wissen, dass es eine Schießerei gegeben hat.«

»Es hat wohl ein bisschen geknallt«, bestätigte der CSO. »Aber wir haben keine Verletzten.«

»Was heißt hier keine Verletzten?«, empörte sich Frau Sommer. »Der Zweite Offizier hat einen Schock und ein Matrose hat sich vermutlich das Bein gebrochen, als er sich in Sicherheit bringen wollte und gestolpert ist. Und wer weiß, wie es den Geiseln geht!«

»Das alles darf unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit«, erklärte die PR-Frau mit Nachdruck.

»Ja, wissen Sie denn, ob diese Information nicht schon längst in der Öffentlichkeit ist?«, fragte ich. »Piraten surfen auch auf Social-Media-Kanälen, das gehört zu ihrer Strategie, um den Druck auf ein Unternehmen zu erhöhen.«

»Um Gottes willen!«, rief Frau von Sternberg.

»Das ist ja ein geradezu abstoßender Versuch, sich selbst reinzuwaschen«, entfuhr es dem Reeder. »Der Pirat klagt öffentlich das Unternehmen an und stellt es so dar, als wäre es nicht an einer Befreiung der Geiseln interessiert!«

Anerkennend nickte ich. Olsen begriff schnell. Ich ergänzte: »Es könnte auch sein, dass einer der entführten Seeleute zwischenzeitlich mit seiner Familie, seiner Ehefrau telefoniert...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Bundeswehr • eBooks • echte Fälle • Eliteeinheit • Ermittler • Insider • Kommando Spezialkräfte • Kommunikation • Körpersprache • Menschenkenntnis • Menschen lesen • Navy SEALs • Spezialkommando • Verhandlungstaktiken • Wirtschaft
ISBN-10 3-641-26087-6 / 3641260876
ISBN-13 978-3-641-26087-3 / 9783641260873
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