Mehr Hirn in die Politik (eBook)

Gegen Unzufriedenheit, Polarisierung und Spaltung - Mit den Erkenntnissen der Hirnforschung für eine bessere Politik
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Ariston (Verlag)
978-3-641-25981-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mehr Hirn in die Politik -  Hans-Otto Thomashoff
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Plädoyer für eine gehirngerechte Politik
Wutbürger, Populismus und Protest: Viele Menschen haben das Gefühl, dass »die da oben« sie nicht ernst nehmen. Doch welche Ursachen liegen diesem weit verbreiteten Empfinden zugrunde? Und was müssen wir konkret tun, um unsere Gesellschaft wieder auf Spur zu bringen?

Diese Fragen beantwortet der bekannte Psychiater und Autor Hans-Otto Thomashoff, indem er die Erkenntnisse der Neurowissenschaften mit der politischen Praxis verknüpft. Er belegt anschaulich, wie kurzfristige Planung ohne langfristige Perspektive zu Wut und Dauerstress im Gehirn führt. Die Politik schafft es nicht, konsequent zu handeln. Corona-Chaos, Flüchtlingskrise und Klimakatastrophe sind nur die Spitze des Eisbergs.

Für den erfolgreichen Staat der Zukunft fordert Thomashoff: direkte demokratische Mitbestimmung, Transparenz, regionale Eigenständigkeit, konstruktive Konfliktlösung. Wir haben es in der Hand, unsere Zukunft besser und glücklicher zu gestalten. Wir müssen »gehirngerecht« handeln, um uns verantwortungsvoll der Aufgabe zu stellen, eine Weltgemeinschaftmündiger Bürger zu schaffen.

Hans-Otto Thomashoff ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in eigener Praxis in Wien sowie promovierter Kunsthistoriker und Naturfotograf. Er ist Ehrenmitglied des Weltpsychiatrieverbandes, Aufsichtsratsmitglied in der Sigmund-Freud-Privatstiftung und Mitglied des internationalen P.E.N-Clubs. Außerdem ist er Autor zahlreicher Sachbücher und Fachpublikationen.

2. Wirkmächtigkeit/Selbstwirksamkeit: Für mehr Entfaltungsfreiheit

»Yes we can.« Dieser Slogan, mit dem Barack Obama 2008 die US-amerikanische Präsidentenwahl gewann, war zugkräftig, weil er das zweite existenzielle Bedürfnis unserer Psyche auf den Punkt bringt: Wir wollen etwas bewirken, aktiv und eigenständig selbst etwas schaffen. Auch dieses Grundbedürfnis verdanken wir der Arbeitsweise unseres Gehirns, und zwar seinem Motivations- und Belohnungssystem. Dieses neurobiologische System setzt spezielle Botenstoffe frei, die uns dazu antreiben, eigenständig ein Ziel zu erreichen. Wohlgemerkt eigenständig, also aus eigener Kraft.

Dazu zündet es in zwei Stufen. Am Anfang steht zur Motivation der Botenstoff Dopamin, der unsere Neugier und Aufmerksamkeit weckt, uns anstachelt, ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Dabei ist es völlig unerheblich, um was für ein Ziel es sich handelt – ein leckeres Stück Kuchen, ein neues Handy, ein Marathonlauf, ein Wahlsieg, Sex, Alkohol, Kokain. Wenig überraschend ist das Dopamin-System auch verantwortlich für die meisten Süchte ist, denn Suchtmittel verschaffen uns künstlich das Gefühl des beflügelnden Kicks auf der Suche nach Erfolg. Erreichen wir ein angestrebtes Ziel, belohnt uns die zweite Stufe, unser Belohnungssystem, mit einem natürlichen Cocktail der besonderen Art. Endorphine und körpereigenes Morphium verschaffen uns ein Hochgefühl und wohlige verdiente Entspannung.

Die Macht des Dopamins, die Motivation, ja der regelrechte Drang, eigenständig etwas zu bewirken, ist in unserem Gehirn früher und stärker angelegt als unser Streben nach Genuss. Das haben Versuche an Säuglingen bewiesen, die schon ganz früh damit beginnen, selbst etwas schaffen zu wollen. Gleich zweifach wurde diese psychische Kraft in der Psychologie entdeckt und deshalb mit zwei verschiedenen Namen versehen, die allerdings beide dasselbe bedeuten. Der Begriff »Wirkmächtigkeit« stammt von dem britischen Psychoanalytiker Donald Winnicott aus den Vierzigerjahren, der Ausdruck »Selbstwirksamkeit« hingegen geht auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura in den Siebzigern zurück.

Lebenspraktisch hat Wirkmächtigkeit/Selbstwirksamkeit zur Folge, dass es eben beglückender und berauschender ist, eine Goldmedaille zu gewinnen, als sie einfach geschenkt zu bekommen. Eine Konsequenz für die politische Praxis daraus liegt auf der Hand: Den eigenen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten ist aus Sicht des hirneigenen Belohnungssystems erfüllender als eine staatliche Grundsicherung ohne jede Gegenleistung.

Auf welcher Spielwiese jeder von uns sein Streben nach Erfolg austobt, entscheiden unsere Vorbilder, unser kulturelles Umfeld und oft auch der Zufall. Ob wir Hochhäuser bauen, Höchstleistungen im Sport erbringen, etwas erfinden, Kunst erschaffen, Länder oder Menschenherzen erobern oder eine bis dahin unbekannte Pflanzenart entdecken – die Liste ist so endlos wie unser kreatives Potenzial. Wobei es bei allem Streben eine entscheidende Gemeinsamkeit gibt: Uns ist lieber, wir scheitern, als dass wir es gar nicht erst versuchen.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem, auf dem wir unsere soziale Marktwirtschaft aufgebaut haben, ist ganz auf unser schnelles Motivationssystem abgestimmt, reitet auf der Welle des Dopamins von mehr zu immer noch mehr. Damit verlangt es pausenlos nach dem nächsten Kick. Einmal angefacht, kann es sich in permanenter Selbstverstärkung zu einem grenzenlosen Streben nach Mehr steigern. Jeder Einkauf befriedigt nur kurz, schon bald verlangt das Motivationssystem nach dem nächsten Shoppingevent. Auch jeder Wachstumsrekord ist nur von kurzer Dauer, will von der nächsten Umsatzsteigerung überflügelt werden. Die beschleunigte Informationsverbreitung unserer Tage heizt diesen permanenten Wettlauf zusätzlich an. Wer zuerst auf die neueste Nachricht reagiert, verschafft sich den entscheidenden Vorteil. Trachteten früher Kaiser und Könige danach, ihre Reiche immer weiter auszudehnen, sind es heute die Lenker weltumspannender Konzerne, die ihre Wirkmächtigkeit im Streben nach Mehr entfalten und darin nicht selten unreflektiert zu Süchtigen werden. Es gibt keine Grenze: »The sky is the limit.« Erst unlängst durchbrach der Google-Mutterkonzern Alphabet eine weitere Schallmauer, er wurde im Januar 2020 erstmals an der Börse mit mehr als einer Billion US-Dollar bewertet.

Damit nicht alles dem Ziel der Profitmaximierung untergeordnet wird und gesellschaftliche Werte wie Menschenwürde oder Umwelt bedroht werden, sind äußere Rahmenbedingungen notwendig, Gesetze, die von der Politik definiert und vom Staat durchgesetzt werden müssen. Das Modell der sozialen und zunehmend auch sozial-ökologischen Marktwirtschaft orientiert sich daran, wenngleich sich die Frage stellt, wie weit der Staat noch frei ist in seinen wirtschaftlichen Entscheidungen, ob er nicht längst erpressbar geworden ist.

Und doch werden Verbote und Beschränkungen allein kaum das rein wirtschaftlich motivierte Streben nach einem Mehr begrenzen können. Vielmehr müssten in der Gesellschaft Werte für das hirneigene Belohnungssystem reizvoll werden, bei denen es nicht oder nicht nur um das Anhäufen von Geld geht. Es stellt sich also die Frage: Wie kann die Dynamik des Motivationssystems zu Leistungen angefacht werden, die der Allgemeinheit zugutekommen? Was für Leistungen könnten das sein, und wie ließe sich ein Erfolg hier messen und honorieren? Hier ist eine Wertediskussion gefordert.

Während die Wirtschaft das Befeuern des Motivationssystems als Antriebsmotor nutzt, um die Leistungsbereitschaft der Menschen anzufachen, suchen die Bürger eine solche Motivation in der Politik vergeblich. Lediglich die Politiker laufen heiß, wenn ihnen ein Wahlerfolg winkt, doch die Bürger werden zum Zuschauer dieses Schaulaufs degradiert. Einmal an der Macht, tun sich Politiker oft schwer damit, ihren gewonnenen Einfluss und ihre Privilegien wieder ziehen zu lassen. Zugleich ist augenscheinlich einer Mehrzahl von ihnen nicht wohl bei der Vorstellung, ihre Macht mit den Bürgern teilen zu müssen. Die Forderung, dass die Bürger direkt in die Entscheidungsprozesse der Politik eingebunden sein könnten, weil ihr Streben nach aktivem Bewirken genau das wünscht, wird als Provokation empfunden. Reflexartig wird die Angst vor populistischen Agitatoren beschworen, denen die Menschen scharenweise zulaufen würden, wenn man sie ließe. Und so sehen sich die Bürger entmündigt und reagieren darauf mit Unverständnis und Wut.

Als Legitimation für die Angst vor einem direkten Einbinden von Bürgern in den politischen Entscheidungsprozess wird die Weimarer Republik beschworen. Doch ist der logische Schluss, dass bürgerliche Mitbestimmung oder Selbstverwaltung in einen enthemmten Populismus münden müsse, unhaltbar. Denn nicht die Mitsprache des Volkes war der Grund für den Aufstieg der Nationalsozialisten, sondern die damalige Anfälligkeit der Bevölkerung für Massenphänomene, wie ich noch im Detail darlegen werde. Aktuell macht die partielle Entmündigung, die zum Schutz des Systems gedacht ist, die Bürger wütend und verkehrt dadurch die Absicht hinter der Entmündigung ins Gegenteil, denn Wut ist der entscheidende Nährboden für Massenphänomene. Umgekehrt würde eine aktive Teilhabe der Bürger ihr Streben nach Wirkmächtigkeit anerkennen und dadurch einen systemimmanenten Schutz vor Radikalisierung bieten.

Anstatt also die Bürger aus Angst vor Radikalisierung weitgehend jeder direkten Mitsprache zu berauben, wäre es stabilitätsfördernder für unsere Gesellschaft, die Bürger in die Verantwortung zu nehmen, sie einzubinden in Entscheidungsprozesse und ihnen so die Chance zu geben, sich einschließlich der damit verbundenen Rechte und Pflichten als aktive Teilhaber des Gemeinwesens zu erleben. Hierdurch würde der Frustration vieler Bürger, die für das Erstarken radikaler Gruppierungen verantwortlich ist, wirksam begegnet. Scheuen die Politiker diesen Weg, wird der Unmut der Bürger weiterwachsen. Doch sind die Bürger auch zu mehr direkter Mitbestimmung bereit?

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei Wohlstand der entscheidende Faktor dafür, ob Bürgern direkte demokratische Entscheidungen gefahrlos anvertraut werden können. Schließlich ist das direktdemokratische Musterland Schweiz ein Hort des Wohlstands. Doch wie vergleichende politische Analysen belegen, ist es nicht der Wohlstand an sich, sondern das mit ihm einhergehende Bildungsniveau, das zu politischer Mündigkeit führt, also bei Bürgern das Bewusstsein schafft für die eigene Verantwortung. Für die Weiterentwicklung unserer Demokratie gilt damit, was der spätere Premierminister Tony Blair im britischen Wahlkampf 1997 als entscheidende Ziele für eine zukunftsweisende Politik formulierte: »Fragen Sie mich nach den drei Prioritäten für jede Regierung, dann nenne ich sie Ihnen: Bildung, Bildung und Bildung.« Viele Politiker und auch Manager haben sich seither seiner Einschätzung angeschlossen.

Den Worten Tony Blairs folgend, wird sich an den Inhalten und an der Breitenwirksamkeit von Bildung entscheiden, ob es uns gelingen wird, unsere Demokratie in eine langfristig stabile, bürgergerechte Gesellschaftsform weiterzuentwickeln. Mehr noch wird es vom breiten Bildungsniveau der gesamten Weltbevölkerung abhängen, ob die Menschheit die notwendigen Schritte für die Zukunftsplanung und damit womöglich für die Rettung unseres Planeten setzt. Die jahrzehntelange Entwicklungshilfe des Westens hat gezeigt, wie jede finanzielle Zuwendung verpufft, wenn sie nicht Bildung und damit letztlich evolutionäre Weiterentwicklung der Bevölkerung zum Inhalt hat. Weiterentwicklung bedeutet aus neurobiologischer Sicht, die Hirnreifung der Menschen so weit zu...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Baerbock Plagiat • Bürgerbegehren • Bürgerbeteiligung • Bürgerinnenbegehren • BürgerInnenbeteiligung • bürgerversammlung • Demarchie • Demokratie durch Losverfahren • Direkte Demokratie • eBooks • Europa der Regionen • Föderalismus • Gehirnforschung • Gehirn und Psyche • Gummistiefel Politik • Kommunalpolitik • Laschet lacht • Neuropsychologie • Politische Bildung • politische Entscheidungen • Populismus • psychische Bildung • Psychologie • Volksentscheid • Wahlkampf • Was macht Politik falsch • Weichen stellen • Wiederwahl • Zukunft
ISBN-10 3-641-25981-9 / 3641259819
ISBN-13 978-3-641-25981-5 / 9783641259815
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