Der Liebesbegriff bei Augustin (eBook)

Versuch einer philosophischen Interpretation

(Autor)

Thomas Meyer (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
192 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99845-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Liebesbegriff bei Augustin -  HANNAH ARENDT
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Hannah Arendts 1929 als Dissertation veröffentlichte Schrift greift bereits grundlegende Figuren ihres Denkens auf: den Weltbegriff, das Dasein, die vita socialis, Verantwortung. Anhand des intersubjektiven Themas par excellence »Liebe« erörtert Arendt mit und gegen Augustinus die vielfältige »Doppeltheit« des Menschen zwischen Isolation und Gemeinschaft, Noch-nicht und Nicht-mehr, Gewohnheit und Bewusstsein. Arendt prüft kritisch die Fundamente abendländischen ethischen Denkens und nimmt dies mit Blick auf ein Personen-, Subjekt- und Liebesverständnis vor, das von andauerndem Interesse ist.

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York.

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York.

Einleitung.


Die Schwierigkeiten, die einer verstehenden Interpretation Augustins entgegenstehen, lassen sich der Eigentümlichkeit seines Werkes gemäß in drei prinzipiellen Punkten aufzeigen, durch die jede Darstellung entscheidend bestimmt und eingeengt wird: 1. das Nebeneinander verschiedenartigster Gedankengänge; 2. die im Alter immer stärker zunehmende dogmatische Gebundenheit; 3. die Tatsache einer biographisch aufzeigbaren Entwicklung, die einen sehr ausgeprägten Wandel seines Gedankenumkreises bedingt.

ad 1. Um dem Nebeneinander der Gedanken und Theorien, die man zumeist als Widersprüche aufgezeigt findet, gerecht zu werden, wird diese Arbeit in ihrem durch das Thema angezeigten Bereich in drei Teilen drei begriffliche Zusammenhänge, in denen das Liebesproblem eine entscheidende Rolle spielt, aufzuzeigen bemüht sein, und sie wird, immer geleitet von der Frage nach Sinn und Bedeutung gerade der Nächstenliebe, jeden dieser Zusammenhänge daraufhin pointieren. Da die Nächstenliebe als christliches Gebot abhängig ist von der im Glauben ergriffenen Liebe zu Gott und der daraus entsprungenen neuen Stellung zu dem eigenen Selbst, wird jeder der beiden ersten Teile von der Frage auszugehen haben, was besagt es, Gott und sich selbst zu lieben, und erst in einem kurzen Schluß wird die jedesmalige Anwendung gegeben werden, die getragen ist von der Frage nach der Relevanz des Nächsten für den der Welt und ihren Begierden entfremdeten Gläubigen. In jedem Verständnis, in jeder Äußerung über Liebe ist diese Nächstenliebe von Augustin zumindest mitgemeint, und so wird die Frage nach der Relevanz des Nächsten immer zugleich zu einer Kritik an dem herrschenden Begriff von Liebe, an der Stellung des Menschen zu sich und zu Gott (denn du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, heißt es, und diese Möglichkeit hast du nur als von Gott und seinem Gebot Ergriffener). Diese Kritik besagt nie eine absolute Kritik von irgendeinem festen philosophischen oder theologischen Standpunkt aus, sie ist nur Kritik, weil der jeweilige Liebesbegriff ein christlicher zu sein beansprucht. Christlich wieder besagt auch niemals mehr als paulinisch und dies deshalb, weil Augustins Leben und Denken, sofern es wirklich religiös und nicht von neuplatonisch-griechischen Einwirkungen bestimmt ist, sich vorwiegend an Paulus orientiert, wie er es selber in den Konfessionen zugesteht.

Das Nebeneinander der dargestellten Gedankenreihen systematisch zu verbinden, und sei es auch in antithetischer Form, verbietet sich von selber, will man Augustin nicht eine Systematik und logische Korrektheit aufzwingen, die er nie gehabt hat. Zusammengehalten werden die einzelnen Teile nur durch die Frage nach der – für Augustin ohne weiteres selbstverständlichen – Relevanz des Anderen. Nur der Glaube an die Wichtigkeit jeder der dargestellten Gedankenreihen, der sich nur in der Darstellung selbst verifizieren läßt, gibt der scheinbaren Uneinheitlichkeit der Untersuchung ihre Berechtigung. Scheinbar ist diese Uneinheitlichkeit deshalb, weil sie einmal durch eine einheitliche Frage der Verfasserin zusammengehalten ist, und weil sie ferner im Grunde von der Uneinheitlichkeit des augustinischen Werkes selber abhängig ist, welche zugleich seinen eigentümlichen Reichtum und Reiz ausmacht.

Daß in drei Abschnitten drei voneinander unabhängige Grundintentionen abgehandelt werden, besagt nun aber nicht, daß man etwa Augustins Schriften in drei Klassen teilen könnte, in denen er jeweils ausführlich seine Position dargelegt hätte, sondern jede seiner Äußerungen ist u. E. auf eine der drei herausgestellten Intentionen hin zu interpretieren. Damit aber verstehen wir unter Interpretieren, das explizit zu machen, was Augustin selber nur implizite gesagt hat, und in diesem Explizieren zu zeigen, wie in ein und demselben Zusammenhang verschiedene Intentionen zusammengehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Untersuchung ist durchgängig Analyse, und zwar eine Analyse, die durchzustoßen sucht zu den Hintergründen, die Augustin selber gerade nicht mehr deutlich macht. Daraus ergibt sich eine Systematik, die nicht etwa Augustin in eine ihm unbekannte Folgerichtigkeit einspannen will, sondern die lediglich versucht, auch scheinbar heterogene Aussagen und Gedankenfolgen auf ein sachlich gemeinsames Fundament hin zu interpretieren. Dabei kann sich herausstellen, daß das sachliche Fundament selbst heterogene Intentionen aufweist – wie etwa in dem doppelten Weltbegriff des zweiten Teils. Wie diese Fundamentalintentionen in einem explizit nicht mehr durchsichtigen Zusammenhang jede einzelne Aussage wieder bestimmen und evtl. abbiegen, will die Analyse zeigen. Damit aber zeigt sie trotz der Systematik im Einzelnen gerade die Uneinheitlichkeit des Ganzen.

ad 2. Der dogmatischen Gebundenheit Augustins an die Autorität von Schrift und Kirche werden unsere Analysen großenteils fremd gegenüberstehen, weil sie ihrem Wesen und Sinn nach gerade prinzipiell nicht dogmatisch gebunden sind. Aber diese beabsichtigte Fremdheit allem Dogmatischen gegenüber, die einer Interpretation eines religiösen Autors zum Verhängnis werden kann, ist bei Augustin relativ leicht sachlich zu rechtfertigen. Er sagt de doctr. christ. III, 22: Non intellexerunt […] »Quod tibi fieri non vis alii ne feceris«, nullo modo posse ulla eorum gentili diversitate variari.Quae sententia cum refertur ad dilectionem Dei omnia flagitia moriuntur; cum ad proximi omnia facinora (vgl. auch En. in Ps. LVII, 1). Dem ausdrücklichen Gebot der Nächstenliebe geht also noch ein anderes voraus, unabhängig von jeder expliziten Offenbarung Gottes, wie sie in Christus wirklich geworden ist, jene lex scripta in cordibus nostris (passim, für unsere Frage vor allem Conf. II, 9, wo diese lex ausdrücklich von der lex Dei geschieden ist). Das christliche Gebot verschärft dieses »natürliche« Gesetz und bringt dadurch erst das Miteinander der Menschen zu seiner höchstmöglichen Eigentlichkeit, in der alle facinora getilgt sind. Wir werden also undogmatisch den Raum unserer Interpretation nach zwei Seiten hin begrenzen können, indem wir einmal nach jener vortheologischen Sphäre fragen, und indem wir andererseits zu erfassen suchen, was in der christlichen Ausgestaltung die Deutung Augustins für das spezifisch Neue hält, worin die verlangte und behauptete Eigentlichkeit des menschlichen Lebens, gesetzt nicht mehr nur unter die lex scripta in cordibus nostris, sondern unter das von außen befehlende Gesetz Gottes liegt, und warum diese lex Dei überhaupt für das menschliche Dasein, sofern es sich auf sich selbst besinnt (quaestio mihi factus sum), der einzige Weg zu seiner eigenen Wahrheit ist, die ihm in der conscientia vorgezeichnet ist. So zu fragen und zu interpretieren gibt Augustin selber uns ein Recht, wenn er aller Autorität nur vorbereitende und erziehende Funktion zugesteht. (Conf. VI, 8: ideoque cum essemus infirmi ad inveniendam liquida ratione veritatem et ob hoc nobis opus esset auctoritate sanctarum Litterarum […] De Ord. II, 26: ad discendum item necessario dupliciter ducimur, auctoritate atque ratione. Tempore auctoritas, re autem ratio prior est.) Kein radikaler Bruch zwischen auctoritas und ratio zwingt uns in der Interpretation, uns in die ewig paradoxe Problematik des Glaubenden einzulassen, wie ihn Paulus und Luther verstanden haben. Die Autorität befiehlt bei Augustin von außen, was die lex interna, die conscientia uns auch sagen würde, wenn wir nicht durch consuetudo schon immer in die Sünde verstrickt wären.

Dieser interpretierenden Tendenz nach zwei Seiten hin entsprechen in den beiden ersten Teilen die beiden ersten Abschnitte (während der letzte, wie schon gesagt, immer nur die jeweilige Probe aufs Exempel darstellt), von denen der erste die vortheologische Sphäre sich zu vergegenwärtigen sucht, aus der Definitionen wie amor appetitus quidam est oder das Verhältnis der creatura zum creator als ihrem Ursprung überhaupt erst verständlich sein können. In einem zweiten Abschnitt wird dann der spezifische Umschlag ins Christliche zu erfassen gesucht, in den trotz aller entscheidenden Differenz (vor allem im zweiten Kapitel) die Grundintentionen, die vor aller spezifisch theologischen Deutung liegen, eingehen. Die begriffliche Grundlegung gibt das Fundament her für die Kriterien einer möglichen Eigentlichkeit oder Uneigentlichkeit des menschlichen Daseins coram Deo, so wie Augustin dieses verstand. (Mit diesen Ausführungen ist selbstverständlich weder etwas darüber ausgemacht, ob sachlich solch eine vortheologische Sphäre überhaupt zu rechtfertigen ist, noch ob mögliche Eigentlichkeit oder Uneigentlichkeit menschlichen Daseins wirklich coram Deo entschieden wird.)

ad 3. Die Uneinheitlichkeit der augustinischen Schriften ist zumeist erklärt – und dies bis zu einem gewissen Grade mit Recht – durch die Tatsache, daß Aug., herkommend aus der spätantiken Bildungswelt und von fast all ihren Tendenzen irgendwann einmal entscheidend bestimmt, nach seiner Bekehrung in einem langen, biographisch datenhaft aufzeigbaren Prozeß immer mehr unter die Einwirkung christlicher Vorstellungen und religiöser Glaubensartikel kommt, immer mehr aus dem antiken Rhetor und begabten Schriftsteller zu dem »Kirchenvater« wird, als der er in der Geschichte weitergelebt und gewirkt hat, und dies so sehr, daß er am Ende seines Lebens sein gesamtes Schriftwerk in den Retraktationen einer ausdrücklichen Revision daraufhin unterzieht. Auf diese Entwicklung keine Rücksicht zu nehmen, wie wir es in unseren Analysen tun, scheint zunächst schlechthin unverantwortlich. Einer Darstellung der Entwicklung Augustins gegenüber (wie sie am besten meines Wissens in dem Buch von Prosper Alfaric,...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2021
Co-Autor Thomas Meyer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Augustinus von Hippo • Bibel • Dissertation • Evangelien • Humanismus • Jüdin • Karl Jaspers • Martin Heidegger • Paulusbriefe • Rahel Varnhagen
ISBN-10 3-492-99845-3 / 3492998453
ISBN-13 978-3-492-99845-1 / 9783492998451
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