Philosophieren mit Filmen im Unterricht (eBook)

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2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-4558-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Philosophieren mit Filmen im Unterricht -
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Der Einsatz von Filmen im Unterricht ist angesichts der großen Popularität des Mediums so aktuell wie noch nie. Ob als Motivator oder Wissensvermittler - durch die cineastische Auseinandersetzung mit fachspezifischen Fragen können komplexe oder abstrakte Theorien intensiver vermittelt werden. Im Fokus des Bandes steht der gezielte Einsatz von Filmen bzw. Kurzfilmen zu relevanten Fragestellungen im Philosophie- und Ethikunterricht. Zahlreiche Beispiele erläutern, wie diese problem-, schüler- und kompetenzorientiert eingesetzt werden können. Eine Einleitung der Herausgeber, eine ausführliche Filmografie sowie eine Auswahlbibliographie bieten Anregungen für eine weiterführende Arbeit mit Filmen im Unterricht.

1


WIE FILME IM PHILOSOPHIE- UND ETHIKUNTERRICHT EINGESETZT WERDEN KÖNNEN


Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht


Jörg Peters und Bernd Rolf

Film und Philosophie – das ist im Grunde ein altes Thema. Wenn man so will, könnte man Platons Höhle als das erste Kino bezeichnen (so geschieht es jedenfalls im Düsseldorfer Filmmuseum, das eine eigene Abteilung zu diesem Thema eingerichtet hat). Auf der Projektionsfläche der Höhlenwand sieht der Gefesselte Schattenbilder, die ihm die Illusion der Realität vermitteln. Bekanntlich hat Platon diese Illusion negativ bewertet – wie er auch die Dichtkunst wegen ihrer Fiktionalität verurteilt – und mit der Forderung verbunden, den Blick vom Schein weg zur Wahrheit der Ideen hinzuwenden. Dagegen vertreten wir hier die Auffassung, dass die Illusion des Films ein brauchbares Instrument sein kann, um philosophische Einsichten zu vermitteln.

Damit ist schon angedeutet, dass es an dieser Stelle nicht darum geht, zu klären, was Film ist, ob »bewegtes Bild«, »fotografiertes Theater«, »Musik des Lichts« o. ä., sondern welche didaktischen Potentiale er birgt. Es soll untersucht werden, inwiefern dieses Medium im Philosophie- und Ethikunterricht sinnvoll eingesetzt werden kann. Dabei wollen wir uns – wohl wissend, dass noch andere Filmformate für den Philosophieunterricht relevant sein können1 – auf den so genannten Spielfilm (Filmroman) beschränken.

Von Alfred N. Whitehead stammt die Bemerkung, Heilmittel gegen die Abstraktheit, die sich unter dem Einfluss der Wissenschaft verbreite, sei die Erfahrung. »Wenn man alles über die Sonne und alles über die Atmosphäre und alles über die Erdumdrehung weiß«, weiß man noch nichts über »den Glanz des Sonnenuntergangs«. Abstraktes Wissen kann konkretes Erleben nicht ersetzen. »Es gibt keinen Ersatz für die unmittelbare Wahrnehmung des konkreten Sicherfüllens eines Dinges […] in seiner Wirklichkeit.«2

Davon ging auch Martha Nussbaum aus, als sie empfahl, Ethik aus Romanen zu lehren.3 Theoretische Erwägungen bleiben oft folgenlos für unser konkretes Handeln, weil sie nicht mit den konkreten Erfahrungen des Lebens verbunden werden können. Dagegen können die Erfahrungen, die wir auf dem Wege der Identifikation mit den Protagonisten von Romanen machen, unsere Einstellungen und unser Handeln nachhaltig prägen. Mit ihrer Forderung greift Nussbaum die aristotelische Einsicht auf, dass Moral keine Sache der Kenntnis abstrakter Regeln sei, sondern sich in der konkreten Entfaltung menschlicher Tugenden äußert. Der Bezug auf die Erfahrung oder Lebenswelt lässt sich didaktisch auch als phänomenologische Methode rechtfertigen. Unter diesem Aspekt gewinnt auch der Spielfilm Bedeutung für den Philosophie- und Ethikunterricht.

Didaktische Potentiale des Films


So wie Martha C. Nussbaum Literatur als Mittel gegen die Abstraktheit des Ethikunterrichts empfiehlt, kann man den Film als Mittel gegen die Abstraktheit des Philosophieunterrichts empfehlen. Wir möchten, um die Wirkung des Films zu charakterisieren, im Anschluss an Jan Marie Peters den Begriff des Perzeptes einführen.4 Unter einem Perzept versteht man – analog zum Konzept (Begriff) als der Einheit des Denkens – die Einheit der Wahrnehmung. Als Konstruktion von Perzepten ermöglicht der Film konkrete Erfahrungen. Diese können die »Arbeit am Begriff«, der für die Philosophie unverzichtbar ist, nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen. Insofern kann man nicht mit Filmen philosophieren; wohl aber können Filme zum Philosophieren hinführen bzw. Anschauungsmaterial für philosophische Probleme liefern.

Perzepte haben gegenüber Konzepten den Verzug, dass sie in der Lage sind, unmittelbar unsere Gefühle anzusprechen. Dass emotional gefärbte Erlebnisse besser als neutrale erinnert werden, erkannte schon vor über 300 Jahren der Verfasser der Didactica Magna, Jan Amos. Die neurophysiologische Forschung hat dies inzwischen empirisch bestätigen können. Lernen geschieht – neurophysiologisch betrachtet – unter Beteiligung des Limbischen Systems. Dort sind die emotionalen Reaktionen des Menschen verankert. Untersuchungen von Antonio R. Damasio und anderen haben gezeigt, dass Lernprozesse erst dadurch möglich sind, dass unsere Erfahrungen im limbischen System mit Emotionen in Verbindung gebracht werden.5

Im Blick auf die spezifische Leistung der Filmkunst im Unterschied zu anderen Künsten eröffnen sich weitere Vorzüge dieses Mediums. Literatur selbst hat gegenüber anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten den Vorzug einer uneingeschränkten Repräsentation der Realität. Während die Malerei auf das Sichtbare beschränkt ist, aber nicht dessen Bewegung und Entwicklung in der Zeit darstellen kann, und die Musik auf die Darstellung unmittelbarer Empfindung in ihrer zeitlichen Ausdehnung beschränkt bleibt, hat das Theater die Möglichkeit, Sichtbares in zeitlichen Entwicklung darzustellen, und zwar in lebendiger Sprache. Das Theater bleibt jedoch beschränkt auf die räumlich begrenzte Repräsentation, die die Bühne ermöglicht. Erzählende Literatur kennt solche Grenzen nicht, hat aber ihrerseits den Nachteil, dass sie nicht unmittelbar auf die Sinne einwirkt, nur durch Worte beschreiben kann, was der Leser in seiner Vorstellung erst als Bild selbst erzeugen muss. Demgegenüber hat der Film als »synthetische Kunst«, die alle bisher geschaffenen Künste in sich vereinigt6, die Möglichkeit einer nahezu unbegrenzten Darstellung der Wirklichkeit, und zwar durch unmittelbare Einwirkung auf Auge und Ohr, in quasi »physischer Realität«7. Stärker als alle anderen Künste vermag er die Illusion unmittelbaren sinnlichen Erlebens zu erwecken.

Eben wegen dieser Fähigkeit eignet sich der Film insbesondere als Medium des Lernens. Unterricht leidet oft daran, dass er zu sehr vom Lehrervortrag dominiert wird oder zu textlastig ist. In diesen Fehlformen wird einseitig Auge bzw. Ohr angesprochen. Schon vor über 20 Jahren hat eine Studie der American Audiovisual Society empirisch belegt, dass eine Person von dem, was sie liest, nur ca. 10 % im Gedächtnis behält, von dem, was sie hört, immerhin ca. 20 %. Das, was sie sieht, bleibt zu ca. 30 % in Erinnerung, aber das, was sie sieht und hört, zu 50 %.8 Diese Werte werden nur noch übertroffen durch das, worüber man selbst spricht und was man selber ausführt (vgl. Grafik). Filme eignen sich als Medium des Lernens vor allem dadurch, dass sie das Gehirn über zwei »Eingangskanäle« intensiv stimulieren.

Filme sprechen nicht nur unseren Gesichts- und Gehörssinn an, sondern sie lassen uns das Gesehene und Gehörte auch aus der Perspektive der Filmfiguren erleben. Das Auge der Kamera ist fähig, uns nicht nur bestimmte Dinge sehen zu lassen, sondern sie uns so sehen zu lassen, wie diese sie sehen. Wir sehen die Welt mit ihren Augen. Das fördert die Identifikation mit den Figuren des Films. Stärker noch als im Roman erleben wir das Dargestellte, als wären es unsere eigenen Erlebnisse. So lässt uns der Film Gattaca (Andrew Niccol, USA 1997) zum Beispiel mit allen Emotionen durchleben, wie es ist, als natürlich Geborener in einer Welt zu leben, in denen die meisten Menschen genetisch optimiert wurden. Die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft von Validen und Invaliden und die damit verbundene Diskriminierung wird nicht nur abstrakt beschrieben, sondern mit allen dazugehörigen Emotionen durchlebt. Das kann die Einstellung einer Schülerin bzw. eines Schülers zu Fragen der Eugenik nachhaltiger prägen als eine bloß theoretische Erörterung.

Probleme beim Einsatz von Filmen im Unterricht


Es versteht sich von selbst, dass der Einsatz von Filmen im Unterricht nicht unproblematisch ist. Zunächst besteht die Gefahr, die im Alltag bestehende Überflutung der Jugendlichen mit visuellen Reizen noch zu verstärken. Klar ist auch, dass die Mehrzahl der kommerziell produzierten Filme unter didaktischen Gesichtspunkten abzulehnen ist. Dennoch gibt es Spielfilme, die für den Unterricht in Philosophie, Praktischer Philosophie und Ethik von Belang sein könnten, weil sie Konflikte aufzeigen, Gedankenexperimente vorführen etc. Hier kommt es auf eine sinnvolle Auswahl an9.

Das nächste Problem ergibt sich daraus, dass der Film ein ephemeres Medium darstellt. In Texten, die gedruckt vorliegen, kann man vor- und zurückblättern, Sätze mehrfach lesen, Bedeutsames anstreichen usw. Filme erlauben dergleichen nicht; die durch bloßes Anschauen und Zuhören vermittelten Eindrücke lassen sich ungleich schwerer festhalten und analysieren. Dieser Flüchtigkeit des Mediums kann man allerdings im Zeitalter...

Erscheint lt. Verlag 22.1.2024
Reihe/Serie Methoden im Philosophie- und Ethikunterricht
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Didaktik der Philosophie • Filmanalyse • Filminterpretation • Originaltexte • Pädagogik • Schulunterricht
ISBN-10 3-7873-4558-2 / 3787345582
ISBN-13 978-3-7873-4558-8 / 9783787345588
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