Bindung und Geschwister (eBook)
344 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12048-6 (ISBN)
Karl Heinz Brisch, Univ.-Prof., Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie; Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen; Ausbildung in spezieller Psychotraumatologie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Er war bis 2020 Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für Early Life Care und leitete das gleichnamige Forschungsinstitut an der PMU in Salzburg. Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen. Brisch leitete über viele Jahre die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und entwickelte dort das MOSES®-Therapiemodell zur erfolgreichen Intensiv-Psychotherapie von früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Er entwickelte die Präventionsprogramme »SAFE® - Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E® - Babywatching«, die inzwischen in vielen Ländern Europas, aber etwa auch in Australien, Neuseeland und Russland Verbreitung gefunden haben. Brisch ist Gründungsmitglied der »Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit« (GAIMH e. V. - German-Speaking Association for Infant Mental Health) und war dort viele Jahre lang im Vorstand. Die GAIMH ist eine Tochtergesellschaft der WAIMH - World Association for Infant Mental Health. Bis 2022 organisierte er die jährlich stattfindende renommierte Internationale Bindungskonferenz (www.bindungskonferenz.de) so wie von 2018 bis 2021 die Internationale Early Life Care Konferenz in Salzburg (www.earlylifecare.at). Brisch verbreitet die Inhalte und Ergebnisse der Bindungs- und Traumaforschung und -psychotherapie auch durch viele Publikationen, Vorträge und die Teilnahme an zahlreichen Radio- und Fernsehsendungen (www.khbrisch.de).
Karl Heinz Brisch, Univ.-Prof., Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie; Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen; Ausbildung in spezieller Psychotraumatologie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Er war bis 2020 Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für Early Life Care und leitete das gleichnamige Forschungsinstitut an der PMU in Salzburg. Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen. Brisch leitete über viele Jahre die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und entwickelte dort das MOSES®-Therapiemodell zur erfolgreichen Intensiv-Psychotherapie von früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Er entwickelte die Präventionsprogramme »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E® – Babywatching«, die inzwischen in vielen Ländern Europas, aber etwa auch in Australien, Neuseeland und Russland Verbreitung gefunden haben. Brisch ist Gründungsmitglied der »Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit« (GAIMH e. V. – German-Speaking Association for Infant Mental Health) und war dort viele Jahre lang im Vorstand. Die GAIMH ist eine Tochtergesellschaft der WAIMH – World Association for Infant Mental Health. Bis 2022 organisierte er die jährlich stattfindende renommierte Internationale Bindungskonferenz (www.bindungskonferenz.de) so wie von 2018 bis 2021 die Internationale Early Life Care Konferenz in Salzburg (www.earlylifecare.at). Brisch verbreitet die Inhalte und Ergebnisse der Bindungs- und Traumaforschung und -psychotherapie auch durch viele Publikationen, Vorträge und die Teilnahme an zahlreichen Radio- und Fernsehsendungen (www.khbrisch.de).
Brenda L. Volling, Tianyi Yu, Richard Gonzalez, Denise E. Kennedy, Lauren Rosenberg und Wonjung Oh
Eifersucht oder Freude?
Reaktionen erstgeborener Kinder auf das Miteinander von Mutter und Vater mit einem neugeborenen Geschwister3
Einleitung
Im Rahmen einer Untersuchung, an der 224 Familien teilnahmen, wurden die Reaktionen erstgeborener Kinder auf den Umgang von Mutter und Vater mit einem neuen Geschwister beobachtet. Vor der Geburt des zweiten Kindes hatten die Eltern den Attachment Q-Sort (AQS) bearbeitet. Zu zwei Zeitpunkten – einen Monat und vier Monate nach der Geburt des zweiten Kindes – wurde die Interaktion beider Eltern mit dem neugeborenen und dem älteren Kind beobachtet. Zu beiden Zeitpunkten berichteten beide Eltern auch vom problematischen Verhalten des Erstgeborenen. Eine latente Profilanalyse (LPA) identifizierte vier latente »Klassen« der Reaktion der erstgeborenen Kinder auf die Interaktion jeweils der Mutter und des Vaters mit dem neugeborenen Geschwister: reguliert-erkundend, disruptiv-dysreguliert, annähernd-vermeidend und ängstlich-klammernd. Eine fünfte Klasse, aufmerksamkeitssuchend, wurde allein im Zusammenhang des Umgangs der Väter mit dem neugeborenen Geschwister gefunden. Die meisten Kinder fielen in die reguliert-erkundende Klasse (60 %); nur wenige Kinder fanden sich in der disruptiv-dysregulierten Klasse (2,7 %). Die annähernd-vermeidenden Kinder zeigten nach vier Monaten mehr Verhaltensprobleme als alle anderen; in Bezug auf Aggressivität und Aufmerksamkeitsstörungen wurden sie allerdings von den disruptiven Kindern noch übertroffen. Vor der Geburt des neuen Geschwisters waren die ängstlich-klammernden Kinder weniger sicher an ihre Väter, aber sicherer an ihre Mütter gebunden als die annähernd-vermeidenden Kinder.
Die Ergebnisse beleuchten die individuellen Unterschiede in der Reaktion erstgeborener Kinder auf den Umgang der Eltern mit dem neuen Geschwister; sie unterstreichen zudem den großen Wert eines personenzentrierten Ansatzes, wenn es darum geht, die Eifersucht erstgeborener Kinder zu verstehen.
Die Geburt eines Geschwisters kann ein belastendes Geschehen für ein seinerseits noch sehr junges erstgeborenes Kind und seine Eltern sein. Mütter berichteten, dass ihre erstgeborenen Kinder sich drei Wochen nach der Geburt eines Geschwisters sehr häufig oppositionell, also vorsätzlich ungebärdig, fordernd und widerspenstig zeigten und ihnen damit erheblichen Stress bereiteten (Dunn & Kendrick 1980, 1982). Andererseits waren die Erstgeborenen an dem neuen Geschwister interessiert, wollten unbedingt bei seiner Pflege behilflich sein und reagierten in den ersten Tagen und Wochen nach seiner Geburt zärtlich auf das Baby (Anderberg 1988; Dunn & Kendrick 1982; Marecki et al. 1985; Gottlieb & Mendelson 1990).
Es ist also eine Mischung aus Eifersucht und Freude, die Erstgeborene bei der Geburt des kleinen Geschwisters zeigen. Bei der hier zu besprechenden Studie ging es in erster Linie darum, den individuellen Unterschieden in den Reaktionen der Kinder auf den Umgang von Mutter und Vater mit dem Neugeborenen nachzugehen. Im Folgenden werden wir die Erstgeborenen grundsätzlich als die »Kinder«, die Zweitgeborenen als die »Geschwister« bzw. die »Babys« bezeichnen.
Es gibt gute Gründe dafür, die Reaktionen von Kindern auf den Umgang der Eltern mit dem neuen Geschwister in dessen ersten Lebenswochen genau zu beobachten: Erstens liefern uns diese anfänglichen Reaktionen ein Maß für die Akzeptanz gegenüber dem neuen Baby und einen guten Anhaltspunkt dafür, wie die Kinder sich in die neue Situation – dass sie nun den Status von Geschwistern haben – fügen. Zweitens erwiesen sich die Reaktionen der Erstgeborenen drei Wochen nach der Geburt des Geschwisters als Prädiktoren der Reaktionen, die sie 14 Monate später auf die Mutter-Geschwister-Interaktion zeigten (Kendrick & Dunn 1982): Ihr Protest gegen die Mutter-Geschwister-Interaktion war zu diesem Zeitpunkt stärker, auch wenn die Kinder schon gleich nach der Geburt des Geschwisters fordernd und schwierig gewesen waren, anstatt sich dem Neugeborenen positiv zuzuwenden und es eventuell zu imitieren. Als besonders schwierig erwiesen sich Kinder, die sich von Anfang an zurückgezogen hatten, denn bei ihnen war eher damit zu rechnen, dass sie nur dürftige Geschwisterbeziehungen entwickeln würden (Dunn & Kendrick 1982).
Eifersucht als soziales Gefühl
Eifersucht ist ein komplexes soziales Gefühl – komplex deshalb, weil es keine einzelne emotionale Äußerung, sondern eher eine Konstellation von Verhaltensweisen und affektiven Reaktionen ist, und sozial deshalb, weil es sich in einem sehr spezifischen interpersonalen Kontext ereignet – im sozialen Dreieck, welches das eifersüchtige Individuum, eine geliebte Person und einen Rivalen umfasst (siehe Volling et al. 2010). Es handelt sich um eine strukturierte Reaktion aus intrapersonalen Affekten, Verhaltensmustern und kognitiven Einschätzungen, die miteinander das Profil der Eifersucht bilden. So kann ein Kind das neugeborene Geschwister als eine Bedrohung der Beziehung ansehen, die zwischen ihm und der Mutter besteht, deshalb Angst empfinden und sich folglich störend in das Miteinander von Mutter und Baby einmischen. Oder es empfindet die Mutter als unzugänglich, reagiert entsprechend traurig und zieht sich aus der Interaktion mit ihr zurück.
Eifersucht kommt also auf, wenn das Individuum die rivalisierende Beziehung zwischen der geliebten Person und einer dritten Figur als eine Bedrohung der eigenen primären Beziehung zu der geliebten Person wahrnimmt. Wenn ein Geschwister zur Welt kommt, findet das Erstgeborene sich als Teil eines sozialen Dreiecks wieder, das der »Eifersuchtsschablone« entspricht. Die Bindungsbeziehung zwischen Mutter/Vater und Erstgeborenem wird durch die als rivalisierend empfundene Beziehung bedroht, die sich zwischen der Mutter und dem Baby bzw. dem Vater und dem Baby entwickelt. Die zunehmende Konfrontation zwischen Mutter und erstgeborenem Kind und dessen laut Dunn & Kendrick (1982) vorsätzlich ungebärdiges Verhalten in Augenblicken, in denen die Mutter mit dem neugeborenen Geschwister umgeht, sprechen dafür, dass ein solches Kind in der Tat in einem von Eifersucht geprägten Dreieck der Beziehungen gefangen ist.
Inzwischen sind etliche Untersuchungen den verhaltensmäßigen Reaktionen von Kindern in diversen triadischen Situationen nachgegangen, in denen die Mutter mit einem Rivalen umging – sei es, dass dieser »Rivale« ein neues Geschwister war (Teti & Ablard 1989; Volling et al. 2002, 2010), dass es sich um eine Babypuppe handelte (Hart et al. 2004; Mize & Jones 2012) oder dass irgendein gleichaltriges Kind diese Rolle innehatte (Masciuch & Kienapple 1993). Sie alle kamen zu dem Schluss, dass es sich sowohl bei den von den Kindern gezeigten Formen der sozialen Annäherung (z. B. Beobachten der Interaktion von Mutter und »Rivalen«, Wahren von Nähe, Suchen von Trost oder Zuspruch) als auch bei der Manifestation von Kummer und negativen Affekten (Protestverhalten, Stören der Interaktion, Aggressivität gegenüber der Mutter) um Eifersuchtsreaktionen handelte. Folglich entschieden wir uns – im Gegensatz zur Vielzahl der variablenzentrierten Studien, die jedes Verhalten separat untersuchen – für einen personenzentrierten Ansatz, um die unterschiedlichen Verhaltens- und Reaktionsmuster der Kinder herauszuarbeiten und kenntlich zu machen.
Ein weiterer Aspekt, durch den unser Vorgehen sich von allen anderen Ansätzen unterscheidet, ist die Einbeziehung der Väter. Auch wenn die Väter in dieser Übergangszeit als wichtige Stütze ihrer erstgeborenen Kinder gelten (Kreppner et al. 1982; Legg et al. 1974), hat sich bisher noch keine Studie direkt mit den Reaktionen dieser Kinder auf den Umgang des Vaters mit dem neuen Geschwister befasst, und dies, obwohl laut Dunn & Kendrick (1982) von Mütterseite berichtet wurde, dass Erstgeborene auf die Vater-Baby-Interaktion eifersüchtiger reagierten als auf die Mutter-Baby-Interaktion. Das heißt also: Kinder zeigen beim Anblick des Umgangs von Vater und Baby unter Umständen mehr Kummer und mehr Störverhalten als beim Anblick des Umgangs der Mutter mit dem Baby, und damit könnten unterschiedliche Profile auftauchen, je...
Erscheint lt. Verlag | 12.9.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Adoptiveltern • Adoptivgeschwister • Beratung • Bindung • Bindungsstörungen • Coaching • Geschwisterbeziehung • Geschwisterbindung • Geschwisterhass • Geschwisterkonflikte • Geschwisterliebe • Geschwisterrivalität • Halbgeschwister • Jugendhilfe • Patchworkfamilie • Pflegeeltern • Pflegegeschwister • Psyche • Psychiatrie • Psychologie • Psychotherapeut • Psychotherapie • Soziale Arbeit • Stiefgeschwister • Zwillinge |
ISBN-10 | 3-608-12048-3 / 3608120483 |
ISBN-13 | 978-3-608-12048-6 / 9783608120486 |
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