Die innere Mauer (eBook)

Beziehungsangst überwinden, Nähe zulassen

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
122 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75554-5 (ISBN)
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Wenn das Kind in mir die Liebe zerstört: Auswege aus der Beziehungsangst.
Beziehungsangst kann viele Gründe haben: keine Lust auf Verpflichtungen, Angst vor Enttäuschungen, Schutz vor seelischen Verletzungen, Minderwertigkeitsgefühle, Horror vor Eifersucht. Die dänische Psychotherapeutin Ilse Sand beschreibt in ihrem neuen Buch, wie Beziehungsangst von negativen Bindungserfahrungen ausgelöst wird, wie sie aber auch guten, engen Beziehungen im Wege stehen kann und vor allem, wie sich unerwünschte Verhaltensmuster abbauen lassen, ohne gleich eine Psychotherapie zu machen.
Die meisten Selbstschutzstrategien entstehen bereits in der frühen Kindheit. Seinerzeit waren sie die beste Lösung für ein kleines Kind in einer schwierigen Lage. Später werden sie dann jedes Mal ausgelöst, wenn wir uns in einer Situation befinden, die an eine der ungelösten Krisen unserer Kindheit erinnert. Menschen etwa, die sich gefühlsmäßig nicht von den in ihrer Kindheit empfundenen Defiziten gelöst haben, werden gewöhnlich darauf bestehen, dass sie das Vermisste von ihrem Partner bekommen. Wahrscheinlich werden sie selbst diesen Mechanismus nicht erkennen, sondern stattdessen tiefe Frustration über ihren Partner empfinden und sich von ihm abwenden. In klarer Sprache und mit vielen anschaulichen Beispielen schreibt Ilse Sand über die Probleme und Konflikte, die Beziehungsangst verursachen und sich aus ihr ergeben. Für ihre Überwindung gibt es kein Patentrezept. Aber viele Wege, deren Gemeinsamkeit darin besteht, sich selbst und die eigenen Gefühle besser kennenzulernen.

Ilse Sand hat Theologie studiert, über C.G. Jung und Søren Kierkegaard geforscht und eine Ausbildung als Psychotherapeutin absolviert. Sie arbeitet in Dänemark als Supervisor, Coach und Therapeutin.

Kapitel 5

Die Idealisierung der Eltern


Einige Menschen haben eine sehr verklärte Erinnerung an ihre Kindheit und an ihre Eltern. Als Iris zur ersten Sitzung ihrer Psychotherapie kam, war sie überzeugt davon, dass es in ihrem Elternhaus keinerlei Probleme gegeben habe:

«Ich kann einfach nicht verstehen, warum mein Leben so dermaßen schwer war, denn ich hatte ja eine fantastische Kindheit. Meine Eltern liebten mich wirklich sehr. Meine Mutter war Hausfrau. Es war immer jemand zu Hause. Es war wirklich sicher. Ich hatte eine ausgesprochen behütete Kindheit. Mir ist es auch peinlich, jetzt hier bei Ihnen zu sitzen. Keiner weiß davon und besonders meine Eltern dürfen nie davon erfahren.»

Niemand hatte eine ausschließlich gute Kindheit. Es gibt keine perfekten Eltern, und wir alle haben mehr oder weniger schlimme Schrammen abbekommen. Trotzdem glauben manche, ihre Kindheit sei ausschließlich gut gewesen.

Meiner Erfahrung nach gibt es einen Zusammenhang zwischen der Menge der positiven Superlative, die eine Person benutzt, um ihre Kindheit und ihre Eltern zu beschreiben, und der tatsächlichen Schwere der Kindheit. In Iris’ Fall stellte sich im Verlauf der Therapie heraus, dass sie in ihrer Kindheit recht wenig Liebe und echtes Interesse erfahren hatte.

Diejenigen, die eine überwiegend gute Kindheit hatten, brauchen nicht zu betonen, wie gut alles war. Sie sprechen dankbar und voller Wärme über ihre Eltern. Unbeschwert können sie von den schönen wie auch von den schweren Aspekten erzählen.

Um die unanfechtbare Vortrefflichkeit ihrer Eltern zu verteidigen, bringen Klienten, die darauf bestehen, dass sie eine ausschließlich gute Kindheit hatten, oft das Argument: «Sie haben sich immer sehr für mich interessiert» – Anlass genug, darüber zu sprechen, was «Interesse» für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern eigentlich bedeutet.

Es gibt zwei Formen von Interesse: Man kann Interesse daran haben, dass es jemandem gut geht. Ich kann beispielsweise ein Interesse daran haben, dass es meinem Partner gut geht, weil das meine Laune, meine wirtschaftliche Situation und meinen sozialen Status beeinflusst. Und alle Eltern haben ein Interesse daran, dass es ihren Kindern gut geht. So können sie sich nämlich als gute Eltern fühlen, genießen die Freude ihrer Kinder und sind stolz auf ihren Nachwuchs. Man kann also ein Interesse an anderen Menschen wie an Dingen haben, die man für den einen oder anderen Zweck braucht.

Echtes Interesse am Gefühlsleben seines Kindes (oder seines Partners) ist etwas anderes. Sich dafür zu interessieren, den anderen so gut wie nur möglich zu verstehen, Freude daran zu haben, zu entdecken, welch einzigartige Persönlichkeit in dem anderen steckt, und um des anderen willen und mit Rücksicht auf seine Prämissen an seinem Innenleben interessiert zu sein, ist etwas ganz anderes als oberflächliches und im Grunde eigennütziges Interesse. Eine Klientin erzählte mir im Rahmen einer bereits fortgeschrittenen Therapie:

«Jetzt erkenne ich, dass ich einfach als Ding aufgewachsen bin. Niemand hatte Interesse daran, mein Inneres kennenzulernen, keiner fragte mich, wonach ich mich sehnte und was ich mir erhoffte. Meine Eltern taten so, als wüssten sie von vornherein, wer ich war – ohne das wirklich herausgefunden zu haben. Und ich versuchte, die zu sein, als die sie mich von Anfang an sehen wollten.»

An die Einsamkeit ihrer Kindheit konnte sie sich im Nachhinein erinnern und ihr nachspüren. So konnte sie auch anerkennen, was für eine immense Leistung die Bearbeitung des Ganzen war; zunächst das Bemühen, so zu sein, wie ihre Eltern sie sahen, und später die allmähliche Entdeckung, wie sie selbst eigentlich wirklich war.

Interesse am anderen haben oder sich für ihn interessieren


Einer Frau wurde im Verlauf einer Therapie schmerzhaft bewusst, in welch starkem Ausmaß sie als Mutter eher oberflächliches Interesse für ihre Kinder gezeigt hatte, ohne sich wirklich für sie zu interessieren. Sie erzählte:

«Als junge Mutter hatte ich große Angst davor, nicht zu genügen. Wenn ich meinen Sohn betrachtete, suchte ich immer nach Anzeichen dafür, ob ich es gut genug machte oder nicht. Wenn er weinte, betrachtete ich das als Zeichen dafür, dass ich nichts taugte. Ich konnte es dann kaum aushalten, einfach nur mit ihm zusammen zu sein, sondern dachte mir tausend Sachen aus, um ihn wieder fröhlich zu stimmen. Ich hatte einfach zu wenig Energie dafür, mich um seiner selbst willen für sein Inneres zu interessieren.»

Wenn ich mit Patienten über ihre Kindheit spreche, bleiben sie oft an der Frage nach ihrer Kompetenz als Eltern hängen und werden sehr traurig, wenn sie ihre eigenen Mängel entdecken. Oft ist auch das ein Selbstschutz, eine Verteidigung dagegen, sich den Fehlern der Eltern stellen zu müssen – es scheint trotz allem besser zu sein, sich mit den eigenen Fehlern zu beschäftigen, was sie typischerweise sowieso schon ihr ganzes Leben lang gemacht haben. Auf diese Weise schützen sie das innere Bild von Papa und Mama noch ein bisschen länger. Selbst wenn sie gerade entdecken, dass ihre Eltern nicht ganz so perfekt waren wie gedacht, sind deren Fehler doch, verglichen mit ihren eigenen, ganz und gar zu vernachlässigen!

Das soll keineswegs heißen, dass es nicht gut sein kann, die eigene Elternrolle zu reflektieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um das Verhältnis zu den eigenen Kindern zu verbessern. Ehe man hier jedoch ganz in Schuldgefühlen versinkt, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass kein Elternteil perfekt ist und kein Kind ohne Schrammen durchs Leben kommt. Und das ist auch gut so. Schrammen stellen oft Wachstumsmöglichkeiten dar. Und ein gewisser Widerstand tut Kindern und Jugendlichen gut. Er hilft ihnen, zu reifen, sodass sie Teile ihrer Persönlichkeit entwickeln, die sonst womöglich verborgen geblieben wären.

Wenn wir es schaffen, unseren Kindern auch nur einen Hauch mehr mitzugeben, als wir selbst empfangen haben, ist das eine Heldentat: Es ist sehr schwer, etwas weiterzugeben, das man selbst nicht bekommen hat. Wenn das gelingt, bringen wir unser soziales Erbe in die richtige Richtung. Zu glauben, man könne als Eltern alles richtig machen, führt zu Niederlagen und zu Krisen, sobald die Wirklichkeit zutage tritt.

Wenn ich meinen Klienten die Frage nach dem Bild stelle, das sie sich von ihren Eltern gemacht haben, reagieren sie oft hektisch oder gereizt. Schon das Reden darüber kann sich sehr unangenehm anfühlen. «Ich fühle mich so treulos», höre ich in diesem Zusammenhang öfter. Hier befinden wir uns auf gefährlichem Terrain. Die Idealisierung der Eltern ist oft ein Grundpfeiler der Selbstschutzstruktur.

Warum also nicht einfach die Idealisierung der Eltern auf sich beruhen lassen? Weil sie einen hohen Preis fordert. Wer seine Eltern nicht so sehen kann, wie sie wirklich sind, kann sich auch nicht selbst erkennen.

Ein idealisiertes Bild von den Eltern kann auf zweifache Weise Einfluss auf unser Selbstbild nehmen. Mehr darüber im folgenden Abschnitt.

Die Idealisierung der Eltern und die Selbstidealisierung


Die Eltern als großartig zu erleben, kann eng mit der Vorstellung verknüpft sein, selbst ebenfalls toll zu sein. Jemand mit einem solchen Selbstverständnis neigt möglicherweise zu der Überzeugung, die Schwierigkeiten, die ihm im Leben begegnen, seien anderen Menschen oder äußeren Umständen geschuldet. Vielleicht nimmt er andere als neidisch wahr oder denkt, er habe Pech bei der Partnerwahl gehabt oder habe halt einen unsympathischen Chef, der ihn nicht so sieht, wie er ist.

Er selbst vertritt womöglich die Auffassung, dass er durchaus glücklich sein und ein gutes Leben führen könnte, wenn nur seine Frau nicht so viele Probleme hätte oder sein Chef nicht so verständnislos wäre oder welches Problem auch immer er an seinen äußeren Umständen festgemacht hat.

Seine wichtigste Selbstschutzstrategie ist Projektion. Anstatt seine eigenen problematischen Seiten anzuerkennen, sieht er alles Negative bei den anderen.

Klienten mit einer derart stark verzerrten Selbstwahrnehmung begegnen mir in der Psychotherapie allerdings selten. Es gehört schlicht nicht zu ihrem Erleben, dass sie Hilfe nötig haben könnten. Ihre engeren Angehörigen hingegen, also Frauen, Männer oder Kinder, sehe ich recht häufig. Sie haben es schwer und leiden unter niedrigem Selbstwertgefühl. Oft tragen sie, ohne es zu wissen, die Last der dunklen Seite der sich...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2020
Reihe/Serie Beck Paperback
Übersetzer Anja Lerz
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Angst • Beziehungen • Beziehungsangst • Beziehungsratgeber • Bindungen • Gefühle • Kindheit • Konflikte • Probleme • überwinden • Überwindung
ISBN-10 3-406-75554-2 / 3406755542
ISBN-13 978-3-406-75554-5 / 9783406755545
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