Steuerungsprozesse in der Psychodynamischen Traumatherapie (eBook)
272 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12045-5 (ISBN)
Rosmarie Barwinski, Prof. em. Dr. phil. habil., ist Psychoanalytikerin, begründete und leitet das Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT) in Winterthur und lehrte bis 2022 als Privatdozentin an der Universität zu Köln. Außerdem ist sie als Dozentin und Supervisorin am AWI (Aus- und Weiterbildungsinstitut für Psychoanalytische und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) am Universitätsklinikum Freiburg sowie am Psychoanalytischen Seminar in Zürich tätig und arbeitet in eigener Praxis in Winterthur. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift »Trauma« (Asanger-Verlag) und Redaktionsmitglied der Zeitschrift »Psychotherapie-Wissenschaft« (Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ASP). Sie hat bereits zahlreiche Schriften im Bereich Traumatologie und Therapieforschung veröffentlicht. Homepage des Instituts (Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT) www.psychotraumatologie-sipt.ch
Rosmarie Barwinski, Prof. em. Dr. phil. habil., ist Psychoanalytikerin, begründete und leitet das Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT) in Winterthur und lehrte bis 2022 als Privatdozentin an der Universität zu Köln. Außerdem ist sie als Dozentin und Supervisorin am AWI (Aus- und Weiterbildungsinstitut für Psychoanalytische und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) am Universitätsklinikum Freiburg sowie am Psychoanalytischen Seminar in Zürich tätig und arbeitet in eigener Praxis in Winterthur. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift »Trauma« (Asanger-Verlag) und Redaktionsmitglied der Zeitschrift »Psychotherapie-Wissenschaft« (Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ASP). Sie hat bereits zahlreiche Schriften im Bereich Traumatologie und Therapieforschung veröffentlicht. Homepage des Instituts (Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT) www.psychotraumatologie-sipt.ch
Einleitung
In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von Techniken zur Behandlung von Trauma-Folgestörungen entwickelt, wie zum Beispiel PITT (Psychodynamisch-Imaginative Traumatherapie), NET (Narrative Expositionstherapie), EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder PE (Langzeit-Expositionstherapie). Die genannten Behandlungsmethoden und -techniken sind durchaus sinnvoll, vorausgesetzt sie sind den im Behandlungsverlauf notwendigen Zielen angepasst und vor allem, wenn ihre Wirkung auf die therapeutische Beziehung reflektiert wird. Diese beiden Bedingungen werden allerdings häufig nicht explizit berücksichtigt. Techniken werden in der Praxis ohne zugrunde liegendes Veränderungskonzept angewendet, und ihre Wirkung auf die therapeutische Beziehung wird nicht reflektiert. Traumafokussierende Techniken allein haben sich vor allem bei komplexen posttraumatischen Folgestörungen nicht als effektiv erwiesen (Ford & Kidd, 1998; Spinazolla et al., 2005), einiges spricht sogar dafür, dass die Anwendung von spezifischen traumabearbeitenden Techniken für dieses Klientel schädlich zu sein scheint. Diese Patientengruppe benötigt ein Behandlungsangebot, das sich überdies an ihre spezifischen Schwierigkeiten richtet, die aus ihrer Bindungs- und Entwicklungspathologie resultieren können. Ich möchte deshalb einem technikorientierten Vorgehen eine andere, beziehungsorientierte Sichtweise entgegenstellen. Ich gehe davon aus, dass der zur Genesung notwendige Wiederaufbau der durch Trauma zerstörten Selbststrukturen nur in der Beziehung möglich wird. Wie diese Beziehung gestaltet werden muss, ist abhängig davon, wo im Verarbeitungsprozess ein Traumabetroffener steht und welche Grundstörung bereits vor traumatischen Ereignissen vorlag.
Der Wiederaufbau eines kohärenten Selbstgefühls, das bei traumatischen Erfahrungen verloren geht, geschieht in Stufen. Ich stelle ein Modell vor, in dem zwischen sechs Stufen unterschieden wird, die im Verlauf einer Traumaverarbeitung durchlaufen und integriert werden müssen. Auf Stufe 1 zeigen sich Erinnerungsspuren traumatischer Erfahrungen in Form von Körpersymptomen. Stufe 2 ist durch das Traumaschema (die Gefühle und das Schutzverhalten in traumatischen Situationen) gekennzeichnet. Stufe 3 beschreibt die Mitteilung traumatischer Affekte. Auf Stufe 4 zeigen sich Erinnerungen an traumatische Geschehnisse in unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen. Auf Stufe 5 werden Erinnerungen durch intrapsychische Konflikte selektioniert. Und auf Stufe 6 schließlich ist ein vollständiges Narrativ der eigenen Traumageschichte möglich geworden. Mit jeder Stufe sind unterschiedliche Abwehrmechanismen und andere Funktionsmodi verknüpft. Und mit jeder Stufe geht eine andere Form des Selbstbewusstseins bzw. der Selbstreflexion einher. In meinem Stufenmodell hebe ich die Bedeutung der Gegenübertragung hervor und führe aus, wie sie sich von Stufe zu Stufe im Verlauf einer Traumabearbeitung verändert.
Wie Heinrich Deserno gehe ich von der Prämisse aus, dass allgemein Symbolisieren Widersprüche aufhebt, bis neue entstanden sind und wieder aufgehoben werden müssen (Deserno, 2006). Die Lösung von Widersprüchen wird gemäß dem eigenen Modell als Anstoß für Entwicklung betrachtet, die zu höheren Symbolisierungsstufen führt. Mit Hilfe dieser dialektischen Sichtweise zeige ich auf, welche Bedeutung Symbolisieren beim Verständnis von Veränderungsprozessen in einer Traumatherapie zukommt und wie ein besseres Erfassen dieser Prozesse für die Behandlung von traumatisierten Menschen nutzbar gemacht werden kann. Ich möchte ein Beispiel dafür nennen.
Eine 42-jährige Ärztin, Frau A., wurde wegen Depressionen zur Behandlung überwiesen. Sie berichtete bereits im Erstgespräch über ihre traumatische Kindheit. Ihr Vater hatte sie und ihre Geschwister schwer körperlich misshandelt. Ihre Mutter starb, als sie fünfjährig war, infolge einer illegalen Abtreibung, bei der der Vater beteiligt war. Obwohl sie von der Mitschuld des Vaters am Tod der Mutter erfuhr und sie und ihre Geschwister massive Gewalt von ihrem Vater erlebt hatten, verleugnete Frau A. die Brutalität ihres Vaters. Frau A. erinnerte sich zwar an Misshandlungen durch ihren Vater, aber für sie blieb ihr Vater ein »guter Vater«, der durch das Fehlverhalten anderer zu Gewalt und kriminellen Akten getrieben worden war.
Als sie im Verlauf der Therapie bewusst zu realisieren begann, was der Vater ihr angetan hatte und wie gewalttätig der Vater wirklich war, erlebte die Patientin eine »überwältigende Wut und mörderischen Hass auf den Vater«. Diese Wut konnte sie nicht integrieren. In den Gesprächen mit ihrem Therapeuten zeigte sich eine oszillierende Bewegung: Sie schwankte zwischen Hass und Liebe gegenüber dem Vater. Zum Beispiel warf sie sich vor, dass sie Gewalt
provoziert habe, weil sie nicht aufgepasst habe. In diesen Momenten fühlte sie sich schlecht und böse. Wenig später äußerte sie: »Er war wirklich ein Sadist. Wenn ich an ihn denke, habe ich eine wahnsinnige Wut.« Sie selbst bemerkte die Widersprüche in ihren Aussagen nicht. Sie zeigte damit eine Spaltung im Selbst. Ein Teil von ihr wusste um das Geschehen, im anderen Teil blieb das Bild des »guten Vaters« unbeschadet bestehen.
Spürte sie nur Hass und erlebte sie den Vater als nur böse, geriet sie in eine für sie unerträgliche Einsamkeit. Die Wut versuchte sie dann abzuwehren, indem sie Vorwürfe an den Vater gegen sich richtete. Dann fühlte sie sich dem Vater zwar nahe und erlebte nicht mehr das Gefühl der Verlassenheit, aber war in ihren Augen schlecht und böse.
Bei genauer Betrachtung zeigte die Patientin eine Vermischung verschiedener Symbolisierungsstufen: Die Erinnerung an Gewalt wurde gleichgesetzt mit der Repräsentanz des »guten Vaters«. Diese Stufenvermischung macht auch den beschriebenen Wechsel verständlich: Der Vater wird als Täter erkannt, wenn sie sich an die Gewalt durch ihn erinnert, aber im nächsten Moment verehrt, wenn die Repräsentanz des Vaters als liebender Beschützer wirksam wird. Wird die Symbolisierung von Gewalterfahrungen – die Erinnerung an das Geschehene – gleichgesetzt mit der höheren Stufe der Repräsentanzen, muss die Angst vor innerem Beziehungsverlust überwältigend werden. Erst die Unterscheidung zwischen diesen beiden Stufen ermöglicht die übergeordnete Stufe, auf der die Spaltung im Selbst aufgelöst ist. Erst dann kann der Vater als Täter erkannt werden.
Um Behandlungstechniken sinnvoll einzusetzen, braucht es Wissen, wie Veränderung möglich wird. Das eigene Stufenmodell beschreibt, wie die Transformation eines äußeren Geschehens in innerseelische Repräsentation möglich wird und welche Veränderungsschritte den Übergang von einer zur nächsthöheren Symbolisierungsstufe möglich machen. Ausgehend vom Stufenmodell kann dann, theoretisch begründet, der Einsatz unterschiedlicher Techniken bestimmt und gesteuert werden, um unterschiedliche Behandlungsmethoden beziehungsorientiert und dem Trauma-Verarbeitungsstand entsprechend einzusetzen.
Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Teile, die jeweils drei bis vier Kapitel umfassen. Im ersten Teil geht es um die Frage, wie Traumata innerseelisch repräsentiert werden. Im ersten Kapitel des ersten Teils wird diese Frage im Rahmen gedächtnispsychologischer Konzepte diskutiert. Folgend wird die Repräsentation traumatischer Erfahrungen aus entwicklungspsychologischer Sicht beschrieben. Dabei gehe ich von der Hypothese aus, dass die Repräsentation traumatischer Erlebnisse ähnliche Stufen durchläuft, wie wir sie bei der Repräsentanzenbildung in der kindlichen Entwicklung finden. Den Stufen der Repräsentanzenbildung werden schließlich Ausdrucksformen von Erinnerungen an traumatische Erlebnisse zugeordnet. Dieses erste Stufenmodell wird im dritten Kapitel mittels psychoanalytischer Symbolisierungstheorien und Theorien aus der Semiotik differenziert und erweitert. Im vierten, abschließenden Kapitel des ersten Teils steht die Rolle des/der TherapeutIn für Prozesse des Symbolisierens im Vordergrund. Es wird aufgezeigt, dass neben der angewendeten Behandlungstechnik es die/der TherapeutIn als emotional resonantes Subjekt ist, durch den/die Veränderungen beim Patienten ermöglicht werden. Zentral ist dabei ...
Erscheint lt. Verlag | 17.7.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Traumatherapie | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Dissoziationen • dissoziativen Störungen • Persönlichkeitsstörung • Psyche • Psychiatrie • Psychische Störung • psychodynamisch • Psychologie • Psychotherapeut • Psychotherapie • Resilienz • Selbstgefühl • Selbststrukturen • Therapiesteuerung • Therapiestrategie • Trauma • Traumafolgestörungen • Traumatherapie • Traumatisierung |
ISBN-10 | 3-608-12045-9 / 3608120459 |
ISBN-13 | 978-3-608-12045-5 / 9783608120455 |
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