Vom Anfang und Ende der Welt – Deutsche Mythologie (eBook)
384 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2598-6 (ISBN)
Der Zauber der germanischen Sagen.
Woher stammen die Zwerge und Riesen, Walküren und Hexen, die unsere Kindermärchen bevölkern? Was hat Frau Holle mit dem alten Barbarossa im Kyffhäuser zu tun, und wer ist eigentlich der Klabautermann? Paul Herrmann erzählt von Zauberei, Göttern und Naturgeistern ebenso wie vom Ursprung des Seelenglaubens der Germanen und eröffnet einen Blick auf eine faszinierende, vergessene Welt.
Eintauchen in die vielschichtige Welt der germanischen Mythen.
Paul Herrmann, geboren 1866 in Burg bei Magdeburg, studierte an der Universität Straßburg Deutsche Altertumskunde und Alte Sprachen. Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem deutschen Altertum, dem Studium von Mythologie und Sagengeschichte der germanischen sowie altnordischen Völker veröffentlichte er eine große Anzahl Bücher, die heute als Klassiker gelten. Für seine Forschung erhielt Paul Herrmann einen Preis der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er starb 1930 in Torgau. Im Aufbau Taschenbuch liegt ebenfalls vor: 'Von der Finsternis ins Licht. Nordische Mythologie'.
2. Die Seele in Tiergestalt
Die Seele, die den Leib verlassen hat, ist zum Geist geworden. Menschen, denen die Rufe der Vierfüßler und Vögel wie menschliche Sprache erscheinen und ihre Handlungen, wie wenn sie von menschlichen Gedanken geleitet wären, schreiben ganz logisch den Tieren so gut wie den Menschen Seelen zu. Wie das Tier gleich dem Menschen von Mut, Kraft und Schlauheit beseelt ist, muß es auch von einer Seele belebt sein, die nach dem körperlichen Tode ihr Dasein fortsetzt. Diese Seele kann auch ein menschliches Wesen bewohnt haben, und somit kann das Geschöpf ihr eigner Ahne oder ein einst vertrauter Freund sein. Hierin beruht die Vorstellung, daß, da alles in der Welt lebendig ist, auch alles Lebendige seine Gestalt wechseln, sich verwandeln kann. Der Mensch kann auf einige Zeit zum Tiere werden, das Lebendige kann auch zum Steine oder Baume werden, scheinbar starr und leblos erscheinen, aber dennoch seine lebendige Menschheit im Innersten der unbeweglichen Masse bewahren. Die Märchen und die mythischen Sagen der kultiviertesten Völker bezeugen diesen Totemismus allerorten.
Unter den Tieren, in die sich die Seele verwandelt, nimmt die Schlange einen hervorragenden Platz ein. Ihr geräuschloses Gleiten, ihr stummes Züngeln, ihr plötzliches Erscheinen und Verschwinden, ihre stete Verjüngung, als welche die Ablegung der alten Haut und deren Ersetzung durch eine neue erschien, hatten etwas Geheimnisvolles und riefen die Vorstellung hervor, daß sie Alter und Tod nicht kenne, daß sie eine Art göttliches Wesen wäre. Ihr Leben in der Dunkelheit, das sie mit den spukhaften Seelen teilte, ihre Vorliebe für Schlupfwinkel, die sie in die Nähe der Gräber wie in die Wohnungen der Lebenden führte, konnte dazu führen, die Schlange als die endlich vom Leibe ganz entwichene Seele zu betrachten, sie als den Wohnsitz der Seele anzusehen.
Anstatt eines Kindes wird eine Schlange geboren, diese aber so lange mit Ruten gestrichen, bis sie sich in ein Kind verwandelt; es soll aber oft geschehen, daß die Schlange verschwindet, und alsdann findet sich kein Kind mehr. In einer adeligen Familie kamen alle Kinder mit einem Schlangengesicht oder in Schlangengestalt zur Welt. Sobald aber das Kind zum erstenmal gewaschen wurde, legte es das Schlangengesicht ab und entdeckte seine menschliche Gestalt. Denn solange das germanische Kind die heidnische Wassertaufe noch nicht erhalten hatte, mit der die Namensgebung verbunden war, galt es als Seele; der Körper wurde als Gewand erdacht, das die Seele anzieht; durch einen Ring oder ein Seil wird nach deutschen Sagen die Verbindung zwischen Körper und Seele hergestellt. Man darf eine Schlange nicht töten, das bringt Unglück und kann das Leben kosten. Der Zisterzienser-Prior CÄSARIUS VON HEISTERBACH (13. Jahrhundert) weiß, daß die Schlange als Schutzgeist mit dem Kinde zur Welt kommt und daß das Leben des Neugeborenen an das ihre geknüpft ist. Im Spreewalde sagt man: jedes Haus hat zwei Schlangen, eine männliche und eine weibliche; aber sie lassen sich nicht eher sehen, als bis der Hausvater oder die Hausmutter stirbt; dann teilen sie ihr Los.
Das Schlangenpaar, das als Schutzgeist im Hause wohnt, sind die Seelen des Ahnherrn und der Ahnfrau des Geschlechts, die in dem Hause der Familie geblieben sind. Darum ist die Schlange von der Schweiz bis Niederdeutschland ein erwünschter Gast im Hause, den man nicht töten darf, soll dem Hause nicht großes Unglück widerfahren; vielmehr muß man sie mit Spenden, besonders mit Milch und Brot gewinnen. Auf der Türschwelle darf man nach bayerischem und vogtländischem Aberglauben nicht Holz spalten, weil die Hausotter darunterliegt.
Als die Seele, die ihren Schatz nicht hergeben will, ist die Schlange die Hüterin des Grabschatzes; nach süddeutschem Glauben trägt sie daher ein Schlüsselbund am Halse, im deutschen Märchen kehrt als ähnliches Symbol die Krone des Otternkönigs wieder. Gelingt es, der Schlange dieses Krönchen zu entwenden, so hat man entweder an diesem selbst einen unerschöpflichen Schatz, oder man zwingt den Schatzwächter zur Auslieferung eines solchen.
Aus dem Seelenglauben ist also ein Teil der Schatzsagen zu erklären. Dem Toten werden reiche Schätze mit in sein Grab gegeben; bei späteren Geschlechtern erwacht die Gier nach den nutzlos vermodernden Kleinodien; der Mensch überwindet das Grauen, steigt in das Grab hinab und holt sich den Schatz. Die gewaltige Scheu vor der lebhaft gebliebenen Vorstellung, durch das Eindringen in sein Haus und in seinen Frieden die Seele des mächtigen Toten zu beleidigen, war es, die in Wirklichkeit den Schatz hütete; aber ihr mit menschlichen Waffen entgegenzutreten war das Verwegenste, das die Phantasie erfinden konnte. Die Seele bewacht als Schlange oder in jeder anderen Tiergestalt den Hort, wie schon die alte Sage von König Guntram erzählt; um das ungeheure Wagnis hervorzuheben, werden die grellsten Farben aufgetragen, das Tier verwandelt sich in Drachen, Bären und andere Spukgestalten, und nur selten gelingt das Abenteuer. Nach jüngerer Sagenform erscheint die Seele selbst dem Menschen im Traume, nennt ihm den Ort im alten »verwünschten« Schlosse, wo der Schatz liegt, sagt ihm voraus, wie alles kommen werde, und bittet ihn, sich nicht zu fürchten. Sie werde als Schlange unter dem grauen Steine hervorkriechen, sich um ihn ringeln und ihn küssen wollen, und wenn er das ruhig ertrüge, so werde sie erlöst sein, ihm aber solle der Schatz gehören. Der Mensch verspricht alles, aber wenn der kalte Kuß nach ihm züngelt, schreit er laut auf; dann bleibt der Schatz ungehoben, und die Seele wartet auf einen anderen Erlöser. Auch hier klingt noch das natürliche Schaudergefühl vor dem Toten nach. Besteht aber der Mensch die Probe, so daß die Seele erlöst wird, dann erhält er zum Danke den Schatz, und oft beschenkt ihn die schöne Jungfrau, die in die Schlange verwandelt war, auch mit ihrer Hand. Diese Sagen, in denen die Erlösungssehnsucht einer Seele so scharf ausgeprägt ist, verraten deutlich christlichen Ursprung, gehen aber wohl in die Zeit zurück, wo die Lehre vom Erlöser den heidnischen Deutschen zuerst bekannt wurde. Von einem zweiten Teile der Schatzsagen, der im Traumleben seine Erklärung findet, wird später die Rede sein.
Dieselbe Rolle wie die Schlange spielt auch wegen ihres Aufenthaltes in der Erde die Kröte. Noch vor hundert Jahren wurde ein Knabe, als er eine solche Kröte erschlagen wollte, mit den Worten zurückgehalten: Du kannst nicht wissen, ob es nicht deine Großmutter ist. Zu Silvester haben die armen Seelen Erlaubnis, zur Erde zu kommen, man darf dann keine Kröten und Frösche töten, weil es »verwunschene« Seelen sind.
Die Hauskröte, Unke, auch Muhme genannt, wohnt im Hauskeller und hält die hier verwahrten Lebensmittel in gutem Zustande. Dadurch kommt Wohlstand ins Haus, sie heißt daher auch Schatzkröte und wird darum als schützender Hausgeist mit Milch gefüttert.
In einer hessischen Sage ist die Gestalt der ausfahrenden Seele ein weißes Wiesel; in einer niedersächsischen schwebt die Seele als schattenhafte Maus umher. In Thüringen bei Saalfeld auf einem vornehmen Edelsitze zu Wirbach hat sich anfangs des 17. Jahrhunderts folgendes begeben: Das Gesinde schälte Obst in der Stube, einer Magd kam der Schlaf an, sie ging von den anderen weg und legte sich abseits, doch nicht weit davon, auf eine Bank nieder, um zu ruhen. Wie sie eine Weile still gelegen, kroch ihr zum offenen Maule heraus ein rotes Mäuselein. Die Leute sahen es meistenteils und zeigten es sich untereinander. Das Mäuslein lief eilig nach dem gerade geklefften Fenster, schlich hinaus und blieb eine Zeitlang aus. Dadurch wurde eine vorwitzige Zofe neugierig gemacht, so sehr es ihr die anderen verboten, ging hin zu der entseelten Magd, rüttelte und schüttelte an ihr, bewegte sie auch an eine andere Stelle etwas fürder, ging dann wieder davon. Bald danach kam das Mäuselein wieder, lief nach der vorigen bekannten Stelle, da es aus der Magd Maul gekrochen war, lief hin und her, und wie es nicht ankommen konnte, noch sich zurechtfinden, verschwand es. Die Magd aber war tot und blieb »mausetot«. Jene Vorwitzige bereute es vergebens. Im übrigen war auf demselben Hof ein Knecht vorhermals oft von der Trud gedrückt worden und konnte keinen Frieden haben, dies hörte mit dem Tode der Magd auf.
Ein Mädchen, das viel unter dem Alpdruck zu leiden hatte, beschloß, den Gegenstand zu fangen, der sie immer quälte. Sie legte sich daher jede Nacht so hin, daß sie die Hände über dem Kopf zusammen hatte; ihre Mutter hielt im Nebenzimmer Wache. Als sie ihre Tochter ächzen hörte, ging sie mit einem Lichte in ihr Zimmer; das Mädchen, von dem Lichte erschreckt, ließ die Hände niedersinken und griff in der Gegend der Herzgrube ein kleines Tier. Ohne es zu besehen, steckte sie es in einen Strumpf und verschloß diesen. Bald darauf erfuhr sie, daß ihr Bräutigam gestorben wäre. In der Kirche, während der Leichenrede, wo der offene Sarg stand, zog sie zufällig den Strumpf aus der Tasche, den sie aus Versehen eingesteckt hatte, und aus demselben sprang eine weiße Maus; die lief hurtig in den Mund des Toten, und dieser wurde wieder lebendig. – Nach alemannischem Aberglauben muß man, wenn ein Kind mit offenem Munde schläft, ihn schließen, sonst möchte die Seele in Gestalt einer weißen Maus entschlüpfen. Jedem steht der Tod bevor, der von weißen Mäusen träumt; läßt sich eine weiße Maus im Wohnhause blicken, kündet sie hier einen Sterbefall an.
In der Sage vom Binger Mäuseturme sind die Mäuse, die Tag und Nacht über Bischof Hatto laufen und an ihm zehren, die durch den Rhein schwimmen, den Turm erklimmen und den Bischof lebendig...
Erscheint lt. Verlag | 10.11.2020 |
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Vorwort | Thomas Jung |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Vor- und Frühgeschichte / Antike |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Vor- und Frühgeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Aberglaube • Circe • deutsche Mythologie • Fabelwesen • Geister • Glaube • Götter • Klabautermann • Kultur • Legenden • Mythologie • Mythos • Religion • Riesen • Ritual • Sagen • Sagenwelt • Spiritualismus • Symbole • Tradition • Volksglaube • Zwerge |
ISBN-10 | 3-8412-2598-5 / 3841225985 |
ISBN-13 | 978-3-8412-2598-6 / 9783841225986 |
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