Paulus in Ephesus (eBook)

Eine Expedition in die Entstehungszeit des Neuen Testaments
eBook Download: EPUB
2021
272 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-26345-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Paulus in Ephesus - Carsten Jochum-Bortfeld
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Auf Spurensuche in Ephesus
Ephesus - die antike Metropole in der heutigen Türkei war drei Jahre lang das Basislager, von dem aus Paulus seine Mission organisierte. Hier schrieb er Briefe an die Gemeinden in Korinth und Philippi. Der lange Aufenthalt in Ephesus wirkte sich auch auf weitere Briefe aus. Was machte diese Stadt mit dem Apostel?

Dieses Buch nimmt seine LeserInnen mit auf die Straßen und die Plätze, in die Häuser, Tempel und Werkstätten des alten Ephesus.

Carsten Jochum-Bortfeld lädt auf eine Zeit- und Entdeckungsreise ein, die zeigt, wie Sprache und Denken, Bildwelt und theologische Motive bei Paulus geprägt sind von der verrückten Welt, die ihn umgab.

  • Eine biblische Tour durch die Ruinen von Ephesus
  • Die Entstehung des Christentums - spannend wie nie
  • Paulus durch die Brille der Archäologie betrachtet


Dr. Carsten Jochum-Bortfeld, geboren 1968, apl. Professor für Neues Testament am Institut für Ev. Theologie der Universität Hildesheim. 1987 - 1995 Studium der Ev. Theologie in Wuppertal und Bochum, Promotion (1999) und Habilitation (2006) im Fach Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum.

1. DIE PAULINISCHEN BRIEFE LESEN – IM ALLTAG DES RÖMISCHEN REICHES

Die paulinischen Briefe sind Texte, von Menschen geschrieben, die in den antiken Metropolen des östlichen Mittelmeeres wohnten, in Antiochien, in Korinth oder in Ephesus. Sie wohnten nicht in den Luxuswohnungen wie den Hanghäusern in Ephesus. Die Mietskasernen der Großstädte waren ihr Zuhause. Die in diesem Buch vorgestellten Interpretationsversuche der paulinischen Briefe wagen ein Experiment: Wie lassen sich diese Texte lesen und verstehen, wenn man sie in eine antike Großstadt wie Ephesus hineinstellt? Was passiert, wenn man – vielleicht auch nur virtuell – die paulinischen Briefe in den Ruinen von Ephesus liest? Wie wirkt die antike Stadt mit ihren besonders gestalteten Räumen auf die Texte ein?

Um diesen Fragen nachgehen zu können, erlaubt sich dieses Buch ein fiktives Element. Es setzt mit der Ankunft von Paulus, Titus und Timotheus in Ephesus im Jahr 54 n. Chr. ein, dem Beginn eines längeren Aufenthaltes in Ephesus. In dieser Zeit entstehen der 1. Brief an die Messiasleute in Korinth, der Brief an Philemon und wahrscheinlich auch der an die Gruppe in Philippi. Nach dem längeren Aufenthalt machen sich Paulus und andere wieder nach Korinth auf. Auf dem Weg dorthin wird der 2. Brief nach Korinth geschrieben. Auch der Brief nach Galatien ist entweder in Ephesus oder auf dem Weg nach Korinth geschrieben. In Korinth kommt es dann zur Abfassung des so wirkmächtigen Briefes an die Messiasleute in Rom. Alle diese Schriften werden mehr oder weniger von der Zeit in der Hauptstadt der Provinz Asia geprägt. Ich gehe davon aus, dass die Eindrücke der Stadt, das soziale Miteinander der Menschen dort, die Architektur und Gestaltung der Stadt Spuren in den Briefen hinterlassen haben. Die paulinischen Briefe in den Ruinen von Ephesus lesen – das versucht dieses Buch auf der literarischen Ebene zu inszenieren. Die Gruppe von Messiasleuten, zu der Paulus gehört, erreicht Ephesus, sucht dort Kontakte, bewegt sich in den Straßen und auf den Plätzen dieser Stadt. Wie entsteht dort das, was heute die Theologie der paulinischen Briefe genannt wird?

Lange Zeit konzentrierte sich die Auslegung der Paulusbriefe auf die zentralen Glaubensaussagen in den Texten. Sie wurden isoliert für sich betrachtet. Die konkreten Lebensbedingungen der Menschen in den antiken Städten, die diese Briefe geschrieben und gelesen haben, waren nicht im Fokus der Auslegung. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen des römischen Reichs sah man für die Interpretation der Bibeltexte als völlige Nebensächlichkeit an. Allein die Theologie der Paulusbriefe interessierte.

Mit diesem Buch versuche ich, eine Perspektive einzunehmen, die mit Bert Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« vergleichbar ist:

»Wer baute das siebentorige Theben?

In den Büchern stehen die Namen von Königen.

Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?

Und das mehrmals zerstörte Babylon –

Wer baute es so viele Male auf?

Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer 

Siegte außer ihm? 

Jede Seite ein Sieg. 

Wer kochte den Siegesschmaus? 

Alle zehn Jahre ein großer Mann. 

Wer bezahlte die Spesen? 

So viele Berichte,

So viele Fragen.«

Diese Fragen lenken den Blick auf die Frauen und Männer, die mit ihren Händen und ihren Körpern den Aufbau und die Entwicklung von menschlichen Gesellschaften überhaupt erst möglich gemacht haben. Sie sind nicht das Werk einzelner mächtiger Männer.

In den paulinischen Briefen stehen nicht die Spitzen der Gesellschaft im Vordergrund. Hier kommt kein römischer Kaiser oder Feldherr zu Wort. Wir lesen davon, wie die Menschen aus den unteren sozialen Schichten ihren Alltag im römischen Reich bestreiten. Die Bibeltexte spiegeln das Erleben des Alltags und die andauernden Erfahrungen von Ungerechtigkeit und Gewalt wider. Es geht um das soziale Miteinander und den Kampf ums Leben und Überleben in prekären Situationen. Es ist damit eine Perspektive von unten. Gleichzeitig geht es um die Frage, ob sich Paulus mit der jeweiligen politischen und sozialen Situation arrangiert und abfindet, oder ob sich in den Briefen Formen von Widerstand und Versuche von Befreiung aus Unterdrückung und Ungerechtigkeit finden lassen.

Zwei weitere Fragerichtungen sind für die Textauslegungen in diesem Buch wichtig:

1. Menschliche Gesellschaften, das gesamte Zusammenleben von Menschen werden von Regelwerken bestimmt, deren Zustandekommen und normative Gültigkeit nicht immer wieder aufs Neue diskutiert und in Frage gestellt werden. Diese Regelwerke werden anerkannt und durch jede neue Anwendung immer wieder bestärkt. Ein Beispiel ist die naturgemäße Unterordnung der Frau unter den Mann. Diese Vorstellung wurde beinahe über Jahrtausende als wissenschaftlich fundierte Aussage angesehen. Antike Philosophen wie Plato und Aristoteles schrieben dazu Texte. Antike jüdische Autoren wie Jesus Sirach, Philo von Alexandrien und Flavius Josephus vertraten in ihren Werken ähnliche Positionen. Die Frau ist von Natur aus schwächer als der Mann. Deswegen muss sie sich ihm unterordnen. Damit war klar, wie das Verhältnis von Männern und Frauen in der Gesellschaft geregelt war. Die so vorgegebenen Geschlechterrollen wurden Jahrhunderte, eigentlich Jahrtausende lang mehr oder weniger bereitwillig ausgefüllt. Ein weiteres Beispiel sind die Bewertung von Armen als faule Menschen und die Qualifizierung von Armut als charakterlicher Mangel. Wie Paulus sich zu solchen Regelwerken der antiken Gesellschaft verhält, auch davon handelt dieses Buch.

2. Häuser, Straßen, Plätze und öffentliche Bauten sind keine natürlichen Gegebenheiten in einer Stadt, sondern Ergebnisse menschlicher Entscheidungen, das Produkt gesellschaftlicher Prozesse. Der Grundriss einer antiken Stadt wie Ephesus ist das Ergebnis solcher Prozesse. In der genauen Aufteilung der Stadt (Welche gesellschaftliche Gruppe wohnt wo? Welche hat wieviel Platz zur Verfügung? Wie ist der Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Wasser geregelt? usw.) werden die gesellschaftlichen Unterschiede und Machtverhältnisse greifbar. Sie sind in Stein gefasst. Ein Angehöriger der Oberschicht verfügt über mehr Platz als eine Handwerkerfamilie, er kann einfacher und in größerem Umfang auf Wasser zurückgreifen. Er hat eventuell die bessere Aussicht und atmet die bessere Luft ein, da keine Gerbereien oder Wäschereien in der Nähe seines Hauses sind. Diese Betriebe arbeiten mit Tierabfällen und menschlichem Urin. Diese Stein gewordenen Unterschiede mache ich für die Auslegung der Paulus-Briefe fruchtbar.

Die jeweiligen Orte in einer Stadt erfüllen eine bestimmte Funktion in der Gesellschaft: Für den Handel werden Marktplätze gebaut, Speicher für Waren, Straßen für den Transport über Land, Häfen für den Seeweg. Das Rechtswesen erhält Räume zur Rechtsprechung, die Verehrung der Götter benötigt Tempel, der Rat muss genügend Raum für die Klärung der politischen Angelegenheiten haben. Gleichzeitig spiegeln öffentliche Räume die besondere Gestalt politischer Herrschaft wider: In diesem Buch werde ich zeigen, wie die äußere Gestaltung von Ephesus von der besonderen Form der römischen Herrschaft geprägt worden ist.

… geschrieben von Paulus, Phoebe, Sosthenes und all den anderen

Für dieses Buch ist ein weiterer Punkt zentral. Ich betrachte Paulus konsequent innerhalb eines verzweigten Beziehungsnetzes. Paulus ist unter mehreren anderen ein Botschafter des Messias Jesus. Schaut man sich die unterschiedlichen Bücher zu den paulinischen Briefen an, so kommt man beinahe unfreiwillig zu der Annahme: Innerhalb der Theologie gilt immer noch, dass allein große Männer Geschichte machen. Allein Persönlichkeiten wie Jesus, Paulus und Luther bringen die geschichtliche Entwicklung des Christentums voran und sind in der Lage, etwas Neues zu schaffen, was die Menschheit besser macht. Bücher über Paulus konzentrieren sich auf das Individuum Paulus. Dieser durchläuft eine Entwicklung und prägt damit die Geschichte des Christentums nachhaltig. Andere Menschen kommen hier zunächst nur unter den Überschriften ›Schüler‹ oder ›Gegner‹ in den Blick. Paulus wird hier als Gründer einer Schule mit dazugehörigem Sympathisantenkreis gesehen. Erst im Verlauf der jeweiligen Darstellung wird deutlich: Paulus agiert nicht allein, er wirkt mit anderen zusammen. Diese Personen werden als ›Mitarbeiter‹ betitelt. Dass von diesen Personen wichtige Impulse für die gemeinsame Arbeit ausgegangen sind, wird allerdings selten in Erwägung gezogen. Es ist zwar ein Fortschritt gewesen, dass die vielen unterschiedlichen Menschen im Umfeld von Paulus wahrgenommen wurden. Im Endeffekt blieben sie ›Mitarbeiter‹ – und Paulus war der Chef, der seinem Schreiber die Briefe diktiert. Das theologisch wirklich Wichtige kam natürlich vom Chef.

Es lohnt sich, an dieser Stelle die neutestamentlichen Texte genauer anzuschauen. Wie wird über diese ›Mitarbeiter‹ gesprochen? Wenige Jahre nach dem Aufenthalt in Ephesus wird die Gruppe um Paulus einen Brief an die Gemeinschaft in Rom schreiben. Dieses Schreiben wird, so Röm 16,1, von einer Frau überbracht – von Phoebe. Sie ist jedoch nicht einfach nur Botin. Sie ist die, die den Brief in der Versammlung der Messiasleute vorstellt. Sie ist da, wenn die Menschen in der römischen Gemeinschaft Fragen zum Brief haben. Sie steht für eine Diskussion zur Verfügung – in der Tradition jüdischer Schriftgelehrsamkeit stehend. Phoebe wird hier als Theologin vorgestellt, als gleichwertige Botin Christi neben Paulus. In...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2021
Zusatzinfo mit zahlreichen Abbildungen
Verlagsort Gütersloh
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Schlagworte Apostel • Archäologie • Bibel • Diskursanalyse • eBooks • Ephesus • Exegese • Geschichte • Neues Testament • Paulus • Reiseführer • Reisen • Reisen zu biblischen Stätten • Sozialgeschichtliche Bibelauslegung • Stätte des frühen Christentums • Terra X • Türkeireise
ISBN-10 3-641-26345-X / 364126345X
ISBN-13 978-3-641-26345-4 / 9783641263454
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