Nur Mut! (Fachratgeber Klett-Cotta, Bd.) (eBook)

Vom Umgang mit Ängsten
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
176 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11620-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nur Mut! (Fachratgeber Klett-Cotta, Bd.) -  Angelika Rohwetter
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Gleich, worauf sich die Ängste richten: Betroffene können selbst einen besseren Umgang mit Gefühlen der Panik, der sozialen oder phobischen Angst erreichen. Das Buch zeigt mit vielen Übungen, wie Auslösern und Hintergründen auf die Spur zu kommen ist und wie man wirksam gegensteuert. Von der Angst zum Mut ist es kein leichter Weg. Es braucht Phantasie, Kreativität und Klugheit. Ein neuer Ansatz dieses Selbsthilfebuches ist: Die Angst soll nicht im Mittelpunkt stehen. Die Angst vor der Angst kann verschwinden, wenn wir neue gedankliche Wege gehen. Auf diesem Weg unterstützt das Buch alle, die von diversen Ängsten geplagt sind und häufig mit »wandernden« Ängsten umgehen müssen. Was wir selbst tun können, um uns von den einschränkenden unangenehmen Gefühlen befreien zu können, zeigt die erfahrene Psychotherapeutin Angelika Rohwetter an zahlreichen Beispielen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Stärkung der Selbstwirksamkeit. Übungen zur Angstmilderung und Stärkung des Mutes entfalten ihre Effektivität auf der Basis eines wiederhergestellten Selbstwertgefühls. Ein wichtiges Fazit des Buches: Ich bin mehr als meine Angst.   Dieses Buch richtet sich an: - Menschen, die unter diversen Ängsten leiden - Angehörige von AngstpatientInnen - Alle Fachleute, die mit »AngstpatientInnen« arbeiten

Angelika Rohwetter war Diplom-Psychologin mit Fortbildungen in Körpertherapie, Therapie mit älter werdenden Menschen und Traumatherapie nach dem PITT-Ansatz von Luise Reddemann. Sie war Autorin von zahlreichen Veröffentlichungen und arbeitete zuletzt in eigener Praxis in Bremen. Frau Rohwetter starb am 11.12.2023 im Alter von 71 Jahren.

Angelika Rohwetter war Diplom-Psychologin mit Fortbildungen in Körpertherapie, Therapie mit älter werdenden Menschen und Traumatherapie nach dem PITT-Ansatz von Luise Reddemann. Sie war Autorin von zahlreichen Veröffentlichungen und arbeitete zuletzt in eigener Praxis in Bremen. Frau Rohwetter starb am 11.12.2023 im Alter von 71 Jahren.

1. Alle Menschen sind mutig


Alle Kinder werden mutig geboren. Das scheint Ihnen eine gewagte These? Das ist es nicht, wenn Sie sich die Etymologie des Wortes anschauen. Es geht um die Unerschrockenheit, ein Wagnis einzugehen. Welches Wagnis wäre größer als das Leben selbst? Vielleicht glauben Sie, das Neugeborene wisse nichts von einem Wagnis. Ich glaube, es weiß darum. Deshalb bemüht es sich früh, Kontakt aufzunehmen, die Mutter oder andere Bezugspersonen mit Blicken, Gesten und Lauten an sich zu binden. Es weiß auf einer ganz tiefen, archaischen Ebene, dass es Verbündete braucht. Das Kind spürt also nicht nur die Notwendigkeit, sich mit anderen zu verbinden, sondern es bringt auch den Mut auf, es immer wieder zu versuchen, wenn es einmal – oder auch über einige Zeit hinweg – nicht klappt. Genauso zeigt es ganz schnell den Mut, die Welt zu entdecken. Ich erzähle folgende Geschichte zur Erläuterung:

Laura und das Pferd


Laura ist ein neugieriges und dabei sehr zurückhaltendes sechsjähriges Kind. Sie ist sehr zart und ängstlich und beobachtet die Welt gern vom sicheren Platz bei der Mutter aus. Bei einem Besuch bei der Schwester der Mutter, die Laura bisher nur dreimal gesehen hatte, wich sie nicht von Mutters Seite. Tante Greta war entzückt von ihrer kleinen Nichte mit dem rotblonden Wuschelkopf. Und sie ist eine begeisterte Reiterin. So nahm sie die ganze Familie mit in den Reitstall, um ihr Pferd vorzuführen. Laura war erschrocken, ein so großes Tier hatte sie noch nie aus der Nähe gesehen. Greta streichelte das Pferd, putzte und sattelte es und ritt eine kleine Runde in der Halle. Bei allem schaute Laura neugierig zu. Als Greta zurückkam, fragte sie Laura, ob sie das Pferd streicheln wolle. Greta bejahte und strich kurz über den Bauch des Tieres. Schnell und fast erschrocken zog sie die Hand zurück. Das Pferd schnaubte leise, und Greta erklärte, es habe »Danke« gesagt. Eine Woche blieb die Familie zu Besuch – fünf Besuche im Reitstall. Am zweiten Tag streichelte Laura auf dem Arm der Mutter den Hals des Tieres, am dritten ließ sie sich für einen Augenblick in den Sattel heben. Am vierten Tag saß sie für eine winzige Runde vor Greta im Sattel. Am fünften Tag durfte die Runde größer werden, und als sie zu Ende war, strahlte Laura und sagte: »Morgen wieder!« Als Laura am letzten Tag ihre kleine Runde ritt, sang sie dabei.

Auch Laura hatte den Mut, die Welt zu entdecken. Sie brauchte ein kleines bisschen Unterstützung dazu. Manchmal geben Erwachsene zu schnell auf in der guten Meinung, den Willen des Kindes respektieren zu müssen. Manchmal zwingen sie auch ein Kind, etwas zu tun, was es nicht will, von dem aber die Erwachsenen meinen, es müsse das können, wie zum Beispiel fremden Menschen die Hand zu geben. Laura bekam genau die richtige sanfte Unterstützung, damit sie ihren Mut entwickeln konnte, sich auf ein so großes Abenteuer einzulassen.

Bei der Entdeckung der Welt ist das Kind sehr schnell mit Frustrationen konfrontiert: Allein beim Laufenlernen fällt es unzählige Male um, stößt irgendwo an, verletzt sich sogar. Und doch gibt es kein Kind, das den Mut verliert, das Laufen zu lernen. Niemals! Es will all die fremden Dinge verstehen, begreifen, die es umgeben. Da ist es mit manchem Nein konfrontiert. Wenn es dann trotzdem weitermacht, ist das Mut. Später, wenn es immer wieder daran gehindert wird, das zu tun, wonach ihm der Sinn steht, reagiert es mit Trotz. Die frühe Bedeutung des Wortes Trotz ist Unerschrockenheit, Mut. Diese Bedeutung finden wir noch, wenn wir zum Beispiel sagen: »Trotz seiner schweren Erkrankung kann er herzhaft lachen«, oder: »Trotz ihrer Versagensängste hat sie sich für diese Arbeitsstelle beworben.«

Immer weiter geht das Kind durch diesen Prozess: Es entdeckt etwas, stößt auf Grenzen, ist frustriert und macht dann nach einem kleinen oder größeren Weinen wieder neue Entdeckungen. Langsam lernt das Kind zu unterscheiden, was es kann und was nicht. Wichtig ist es auch, dass es die Unterscheidung lernt, was es darf und was es nicht darf. Der eigentliche Erfolg dieses Prozesses ist aber nicht, diese Unterscheidung treffen zu können, noch der, gehorsam zu sein. Wunderbar für das Kind ist es, wenn es gelernt hat, mit dem, was verboten war, sachgemäß umzugehen, weil es das jetzt kann.

Auch in vielen anderen Lebensbereichen braucht und hat ein kleines Kind Mut; wenn es zum Beispiel Kontakt zu anderen Menschen aufnimmt, mit ihnen spielt, ohne dass die Mutter anwesend ist. Später wird es immer längere Zeit ohne die primären Bezugspersonen verbringen und dabei schon eine Erfahrung eines unabhängigen, eigenen Lebens machen. Innerhalb neuer Gruppen wie im Spielkreis oder im Kindergarten braucht das Kind viel Mut, verschiedene Abenteuer zu bestehen: Zusammenspiel und Konkurrenz, Freundschaft und Feindseligkeit, Leistung und Versagen. Und es gehört immer wieder Mut dazu, neu anzufangen. Glauben Sie nun, dass alle Menschen mutig zur Welt kommen?

Das gilt auch für Sie, ganz gleich, wie viele Ängste Sie jetzt plagen!

Eine andere Geschichte, wie ein Kind mutig mit seiner Angst umgeht, verdanke ich einer persönlichen Mitteilung von Theo Schoenaker, der auch das lesenswerte Buch Mut tut gut geschrieben hat:

Kleiner Musikant


»Ich habe eine Kindheitserinnerung: Ich stehe bei geschlossenem Vorhang auf der Bühne vor meinem Xylophon. Die Vorhänge gehen auf, jemand schiebt mich mit dem Tischchen nach vorne, die Vorhänge fallen hinter mir zu. Ich stehe im Rampenlicht und habe plötzlich große Angst. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich weglaufen oder anfangen kann. – Dieser Moment ist der wichtigste in der Erinnerung. – Ich fange an mit meinem Spiel, mache meine Sache gut und bekomme Applaus.«

Am Ende fragt sich Theo: »War das mutig?« Meine Antwort darauf ist: »Was für ein mutiger kleiner Junge!« Blitzschnell entscheidet er sich, etwas zu tun, was ihm gerade noch Angst gemacht hat.

Nun möchte ich Sie zu einer kleinen Übung einladen.

Übung: Erinnerungen an den Mut, 1. Teil

Schließen Sie die Augen und denken Sie an so viele mutige Kinder und ihr Handeln, wie Ihnen einfallen, große und kleine Kinder, reale und fiktive. Lassen Sie die allerkleinsten Zeichen von Mut gelten. Dazu gehört es, Nein gesagt zu haben, wenn Sie etwas nicht essen wollten. Oder denken Sie an Ihren ersten Brötchenkauf im Alleingang. Fündig werden können Sie auch bei vielen Kinderbuchgestalten. Pipi Langstrumpf ist da eines der bekanntesten mutigen Kinder. Aktuell können wir auch gerade an die vielen jungen Menschen denken, die freitags trotzig nicht zur Schule gehen.

Erinnerungen an den Mut, 2. Teil

Gehen Sie nun einen Schritt weiter und erinnern sich an Ihre eigenen Mutgeschichten. Alles zählt, vor allem, wenn Sie etwas trotz oder mit der Angst getan haben. Diese Übung ist besonders wichtig, weil ängstliche Menschen wenig Selbstwirksamkeitserwartung haben. Sie sagen oft: »Ich kann das sowieso nicht.« Die Erinnerung an den Mut in der Vergangenheit stärkt den Mut für die Zukunft: Ich habe das gekonnt, ich war schon einmal mutig. Wieso sollte ich das nicht wieder sein?

Sie können sich an Theo Schoenakers Beispiel orientieren. Zum Mutigsein gehört es auch, zum ersten Mal etwas allein zu machen. So erzählte mir eine Patientin, sie habe schon am zweiten Tag nach ihrer Einschulung den Schulweg allein bewältigen sollen und sich auf dem Rückweg sehr verlaufen. Ein ihr zufällig begegneter Nachbar habe sie mit nach Hause genommen (gutes Ende!). Das sei ihrer Mutter sehr peinlich gewesen. Trotzdem – und mit ein wenig Angst, den Weg noch einmal zu verpassen, machte sich das kleine Mädchen am nächsten Tag wieder allein auf. Von da an hat sie sich nicht mehr verlaufen. Gleichzeitig entwickelte sie eine Sicherheit, dass, wenn es noch einmal geschähe, wohl eine Hilfe zu finden sei.

Wie Ängste entstehen


Keine kindliche Entwicklung geschieht, ohne dass sich Ängste einstellen. Da kann zuallererst, noch in einem Alter, an das wir uns nicht erinnern, aus verschiedenen Gründen eine Verlassenheitsangst entstehen. Eine wichtige Sicherheit, die wir in frühester Kindheit erwerben (oder eben nicht), ist die Objektkonstanz. Das bedeutet, dass wir die Sicherheit haben, dass das Objekt, also die uns versorgende Person, noch existiert, auch wenn wir sie gerade nicht sehen. Sie wird auf jeden Fall kommen, wenn wir sie brauchen. Sollte das in den ersten...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2020
Reihe/Serie Fachratgeber Klett-Cotta
Fachratgeber Klett-Cotta
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Angst • Ängste • Angststörung • Fallbeispiele • Generalisierte Angststörung • getriggerte Ängste • irreale Ängste • konkrete Ängste • Lebenshilfe • Panik • Panikattacke • Performanzängste • Phobien • phobische Angst • Prüfungsangst • Prüfungsängste • Psychische Störung • Psychologie • Psychologische Beratung • Psychotherapie • Ratgeber • ratgeber buch • Ressourcen • Selbstakzeptanz • Selbsthilfe • Selbstsicherheit • Selbstsicherheitstraining • Selbstvertrauen • Selbstwert • Selbstwertgefühl • Selbstwertproblem • selbstwirksam • Selbstwirksamkeit • Selbstzuwendung • soziale Angst • Soziale Phobie • traumatische Angst • Übungen • Zukunftsangst
ISBN-10 3-608-11620-6 / 3608116206
ISBN-13 978-3-608-11620-5 / 9783608116205
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