Vom Sterben (eBook)

Zehn Meditationen zur spirituell-palliativen Praxis

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
237 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75095-3 (ISBN)
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ÜBER DIE KRAFT DER SPIRITUALITÄT AM LEBENSENDE
Menschen, die sich bewusst auf ihr Sterben vorbereiten wollen oder andere im Sterben begleiten, erhalten in diesem Buch Anregungen zum Denken und zu einer Praxis für Leben und Sterben, die auf dem jahrhundertealten Wissen der Menschheit in ganz unterschiedlichen Kulturen und Religionen aufbaut. Der bekannte Religionswissenschaftler sowie Zen- und Yoga-Lehrer Michael von Brück verknüpft dabei eigene Erfahrungen in der Hospiz-Praxis und in der Meditation mit den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Palliativmedizin und der Sozialpsychologie.
Michael von Brücks kundiges Buch belebt auf dem neuesten Stand des Wissens die alte Kultur der Kunst des Sterbens (ars moriendi) als Kunst des Lebens (ars vivendi). Diese hat im europäischen Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert hinein eine große Rolle gespielt. Wir alle werden sterben, und sich darauf vorzubereiten muss keineswegs traurige Lebensunlust erzeugen. Im Gegenteil, ein bewusster Umgang mit der eigenen Endlichkeit kann die Lebensqualität erhöhen, die Freude am Gegenwärtigen vertiefen und unseren Geist so formen, dass wir - so die Hoffnung - in Frieden sterben werden.
  • Was es heißen kann in Frieden zu sterben
  • Die Bedeutung der Spiritualität für die Lebensbilanz und ein gutes Sterben
  • Die Kunst des Sterbens als Kunst des Lebens


Michael von Brück ist Professor em. für Religionswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Honorarprofessor für Religionswissenschaft/ Religionsästhetik an der Katholischen Privat-Universität Linz sowie Rektor der Palliativ-Spirituellen Akademie Domicilium.

Einleitung


Sterben? Ist es nicht besser, das Thema zu vermeiden, solange wir leben? Denn das Sterben kommt ohnehin, warum sollen wir uns die Lebenslust nehmen lassen durch unsinniges Grübeln: Wie ist das Sterben? Kann der Verlauf des Sterbens beeinflusst werden? Was ist der Tod? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es einen Gott, der die Welt erschaffen hat und über Leben und Sterben wacht? Viele Menschen werden Antworten auf solche und ähnliche Fragen leidenschaftlich bejahen, und viele Menschen werden mit einem entschiedenen Nein jede Aussage zu einem möglichen Zustand über den Tod hinaus verweigern. Manche werden die Fragestellung ablehnen. Der Verstand zeigt uns: Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass Leben und Sterben ein Geheimnis sind, ein unergründliches Drama, das Freude bereitet und unvermeidlich auch erhebliche Schmerzen. Menschen wollen in Frieden sterben. Ist ein solcher Wunsch erfüllbar, oder unterliegt alles dem Schicksal beziehungsweise dem Zufall? Bestünde etwa die Weisheit darin zu lernen, mit und im Sterben zu leben?

Im Sterben leben? Ist das nicht ein Widerspruch? Seit unserer Geburt entwickelt sich in uns Leben, und gleichzeitig stirbt auch immer etwas ab. Sterben ist ein Prozess, kein abruptes Ereignis. Wie verhalten sich Sterben und Leben zueinander? Können wir im Sterben leben? In zehn meditativen Betrachtungen versuchen wir, uns diesem Thema anzunähern. Ich werde Erfahrungen und Reflexionen mitteilen, bestimmte Überlegungen werden in unterschiedlichen Kontexten wiederholt und variiert, um Verhalten und mögliche Verhaltensänderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkennen. Es geht um unsere Einstellungen zu Leben und Sterben, um die Regulation von Gedanken und Emotionen, um die Entwicklung von Körpersprache und angemessener Kommunikation. Die Überlegungen beziehen sich auf das eigene Sterben und richten sich auch an Sterbende, Sterbebegleiter und Angehörige. Wie geht man angemessen mit dieser Grenzsituation menschlicher Existenz um, vor der die meisten Menschen Angst und Unsicherheit empfinden? Wir alle sind irgendwann einmal Sterbebegleiter und auch Sterbende; so muss beides im Blick sein, ob wir als Ärzte, palliativ arbeitendes Pflegepersonal oder Psychotherapeuten eine professionelle Distanz haben, oder ob wir als Angehörige und Freunde von Sterbenden zutiefst betroffen sind und nicht weiterwissen.

In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher zum Thema erschienen. Meist geht es um die medizinischen, pflegerischen und juristischen Belange, um palliative Möglichkeiten und Patientenverfügung, um Informationen über Abläufe in Krankenhäusern, Palliativstationen, Hospizen und bei mobiler palliativer Pflege. Solche Bücher sind äußerst hilfreich, und es ist gut, dass das Schweigen um Sterben und Tod endlich aufgehoben wird. Die Erfahrungen, die sich aus dem medizinischen Wissen und der palliativen Praxis ergeben, fließen in unsere Erwägungen ein und werden aufgegriffen, wo es nützlich ist. Dieses Buch allerdings handelt vor allem vom inneren Weg, von der Vorbereitung auf das Sterben mitten im Leben. Es will zeigen, dass und wie sich die alte «Kunst des Sterbens» (ars moriendi), die seit der griechischen und römischen Antike über das Mittelalter bis in die Seelenkunde der Neuzeit hinein gepflegt wurde und sich auch in Poesie und Musik niedergeschlagen hat, gerade heute hilfreich sein kann. Der Blick auf indische, chinesische und tibetische Kulturen wird uns weitere lebenspraktische Anregungen und Impulse geben. Außerdem wird jedes Kapitel mit Empfehlungen zu praktischen Übungen ergänzt. Es geht darum, wie solche Impulse die Lebensqualität jetzt, mitten in der Blüte unserer Schaffenskraft, erheblich erhöhen. Wie wir dadurch eine «Kunst des Lebens» (ars vivendi) entwickeln und bewusster leben! Und wie wir uns so auf den Prozess des Sterbens vorbereiten können, damit auch dann, wenn es so weit ist, Leben und Lebendigkeit so lange wie möglich erlebt werden können: im Sterben leben.

Jeder stirbt für sich allein. Das ist kein Slogan der Verzweiflung des modernen Menschen, sondern eine biologische Tatsache und ein Aspekt des Sterbens seit alters. Martin Luther predigt: «Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert, und keiner wird für den andern sterben, sondern jeder in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeder muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes.»[1] Das ist die eine Seite. Anderseits wissen wir: Bis in die Neuzeit hinein gab es die Praxis des Sterbens und der Sterbebegleitung zu Hause im Familienkreis. Alle Religionen haben diesbezüglich je eigene Sterbekulturen entwickelt und praktiziert. Bis ins 19. Jahrhundert starb man im Kreis von Verwandten und Freunden. Aber zu allen Zeiten, wenn Seuchen ganze Landstriche entvölkerten oder auf den Schlachtfeldern ein Massensterben tobte, waren auch die Sterbenden mehr oder weniger auf sich allein gestellt, und die Einsamkeit des Sterbens erzeugte Angst. Als dann nach 1850 Großstädte emporwuchsen und viele, besonders Arme am Rande der Gesellschaft, anonym in «Hinterzimmern» und Spitälern lebten und starben, unbeachtet und von der Gesellschaft ignoriert, war dies auch ein Thema der Künstler, etwa von Rainer Maria Rilke, der einerseits vom je eigenen bewussten Tod dichtet, anderseits aber das Dahinsiechen und Sterben in dunklen Hinterzimmern, unbeachtet und einsam, beklagt.

Das Sterben in Gemeinschaft ist ein Wunsch der meisten Menschen und eine allen Kulturen bekannte Praxis. Aber auch im engeren Kreis von Familie und Freunden stirbt letztlich jeder Mensch allein, mit und in sich selbst. «Das letzte Hemd hat keine Taschen», man kann nichts mitnehmen außer – vielleicht – einem klaren Geist. Aber die Umstände des Sterbens können Trost oder Schrecken, Geborgenheit oder nacktes Ausgesetztsein bedeuten. Und die Reaktion des Sterbenden auf diese Umstände und Gefühle beeinflusst wiederum den Prozess des Sterbens. Wir alle – Angehörige, Pflegekräfte, Ärzte – wissen das. Aber häufig werden diese Tatsachen verdrängt.

Doch ein humaner Umgang mit dem Tod, der jedem seine Würde lässt, muss eingeübt werden, individuell wie gesellschaftlich. Angesichts der sozialen Not an vielen Sterbebetten auch in Mitteleuropa, in Anbetracht der mangelhaften institutionellen Versorgung von Alten und Kranken, aber auch im Blick auf die Hightech-Medizin, die das biologische Leben durch Technik erheblich verlängern kann, geht es um bewusst wahrzunehmende Verantwortung und Entscheidungen in Bezug auf das eigene Lebensende.

Niemand weiß seinen Tod voraus, und wir wissen nicht, was uns erwartet. Aber wir können Willensentscheidungen lange im Voraus treffen und uns vorbereiten, so gut es geht, damit wir uns den letzten Jahren, Monaten, Tagen und Stunden des Lebens anvertrauen können. Dass dann das Streben des Menschen zur Erfüllung des Lebens werden kann, hat bereits der griechische Philosoph Platon (428–​348 v. Chr.) erhofft.[2] Die lateinischen Schriftsteller der Stoa, allen voran Seneca und Mark Aurel, haben der Kunst des Sterbens (ars moriendi) große Aufmerksamkeit gewidmet. Und der französische Philosoph Michel de Montaigne (1533–​1592) hat in seiner berühmten Abhandlung über den Tod geschrieben: «Philosophieren heißt Sterben lernen.»

***

Dieses Buch möchte dazu einen Beitrag leisten. Es geht nicht in erster Linie um Religion, auch nicht darum, ob religiös Gläubige leichter sterben als nichtgläubige Menschen. Diese Frage lässt sich empirisch nicht entscheiden, und zwar schon deshalb nicht, weil unklar ist, was denn eine geistige Haltung als «religiös» qualifiziert. Geht es eher um Spiritualität, und wenn ja, was ist das? Spiritualität ist von Religion zu unterscheiden; ich verstehe darunter den bewussten Umgang des Bewusstseins mit sich selbst. Religion hingegen ist das Leben in und aus traditionellen Erzählungen und Ritualen, die das Leben nach einem letztgültigen Prinzip ordnen. Religiöse Erfahrungen, Überzeugungen und Rituale können ein Fundament für Vertrauen legen, im Leben wie im Sterben. Religiöse Überzeugungen und Erwartungen können aber auch Urteile und Selbstverurteilungen auslösen, wenn man sich selbst an der Norm misst und für gescheitert hält. Wir wissen, dass Nahtoderfahrungen Menschen ein tiefes Vertrauen geben können, eine Gewissheit, die Angst überwindet. Aber das lässt sich nicht verallgemeinern oder gar zu einem Dogma stilisieren.

Hier geht es also um eine meditativ-spirituelle Betrachtung des Sterbens, ein Thema, dem das Geheimnisvolle und letztlich nicht Ergründbare bleibt. Dabei werden wir durchaus auch rationale Argumente zu den einzelnen Aspekten und auch...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2020
Reihe/Serie Beck Paperback
Beck Paperback
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Ars moriendi • bewusst • Hospiz • Kunst des Sterbens • Meditation • Palliativmedizin • Palliativpflege • Sachbuch • Sozialpsychologie • Sterbebegleitung • Tod • Vorbereiten • Vorbereitung
ISBN-10 3-406-75095-8 / 3406750958
ISBN-13 978-3-406-75095-3 / 9783406750953
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