Wenn Zeit nicht alle Wunden heilt (eBook)
306 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11615-1 (ISBN)
Jutta Baumann, Dipl.-Psych., ist Psychoanalytikerin (DPG, DGPT) und Dozentin am DPG-Institut Hamburg.
Jutta Baumann, Dipl.-Psych., ist Psychoanalytikerin (DPG, DGPT) und Dozentin am DPG-Institut Hamburg. Klaus Grabska, Dipl.-Psych., ist Psychoanalytiker und Lehranalytiker (DPG, IPV, DGPT). Er ist außerdem Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Gudrun Wolber, Dipl.-Psych., ist Psychoanalytikerin und Lehranalytikerin (DPG, IPV, DGPT) und Dozentin am DPG-Institut Hamburg.
Vorwort
»Wenn Zeit nicht alle Wunden heilt …«, diese nahezu poetische Formulierung verweist darauf, dass seelischen Verletzungen und Beschädigungen etwas Unvergängliches anhaften kann. Selbst wenn sie oberflächlich vergangen und verheilt erscheinen, können sie doch weiterhin in der Tiefe unserer Seele wirken.
Wir haben Angst vor ihrer Wiederkehr und bauen deswegen ganze Abwehrorganisationen dagegen auf, die unsere Persönlichkeit und unseren Charakter weitgehend prägen können. Insbesondere gilt dies für Verletzungen und Beschädigungen, die in der frühen Kindheit erfahren wurden, wenn sich unser Ich erst entwickelt und organisiert, aber es gilt auch für spätere Verletzungen und Beschädigungen als Erwachsener.
Einerseits sollen diese psychischen Abwehrorganisationen uns vor erneuter Verwundung und Ich-Schädigung schützen, uns psychisch weiter funktionieren lassen und emotional beim Lieben, Hassen und Arbeiten im Gleichgewicht halten. Andererseits können sie uns in unserem persönlichen Leben erheblich einschränken und durch innere Gefühlskonflikte oder äußere Belastungs- und Versagungssituationen wieder aufbrechen und uns erneut mit der Gefahr von Verwundung und Beschädigung konfrontieren.
Wenn sich auf diese Weise frühe, meist in der Kindheit erfahrene Verwundungen und Beschädigungen mit späteren als Jugendlicher und Erwachsener verbinden, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir in persönliche Krisen und Ängste vor Zusammenbruch geraten und psychotherapeutischer Hilfe bedürfen, wie sie zum Beispiel die Psychoanalyse bietet.
Dies ist besonders dann der Fall, wenn den seelischen Verwundungen und Beschädigungen eine traumatische Qualität zu eigen ist. Bei einer akuten Traumatisierung braucht es erst einmal eine psychotherapeutische Nothilfe, die das geschockte, zusammengebrochene oder beschädigte Ich stützen und stabilisieren kann. Danach braucht es die psychische Verarbeitung des Traumatischen. Hier kann die Psychoanalyse helfen.
Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker versuchen, das Traumatische der erlittenen Schädigung und Verletzung sowie die tiefsitzenden Ängste vor Zusammenbruch in etwas zu transformieren, das das Ich als traumatische Erfahrung so weit wie möglich integrieren kann. Das Traumatische muss dann nicht mehr aus Angst vor seiner desaströsen Wiederkehr abgespaltet, verleugnet, in sich abgekapselt oder gegen andere ausagiert und weitergegeben werden. Das ergibt die Chance, aus retraumatisierenden Wiederholungen und transgenerationeller Weitergabe herauszukommen und mit dem Traumatischen zu leben. In diesem Sinne sind »Trauma und Transformation« für die Psychoanalyse eng miteinander verbunden.
Das vorliegende Buch »Wenn Zeit nicht alle Wunden heilt. Trauma und Transformation« umfasst Beiträge, die auf überarbeiteten Vorträgen der gleichnamigen Jahrestagung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) 2018 in Hamburg beruhen. Es verfolgt die Absicht, in vier Abschnitten das psychoanalytische Verständnis von psychischem Trauma erneut zu befragen und aufzuzeigen, wie Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker mit dem klinischen Konzept des psychischen Traumas heutzutage therapeutisch arbeiten und wie sie es auch dafür gebrauchen, um traumatische Erfahrungen im Kulturellen und im Gesellschaftlichen sowie in der Psychoanalyse als Institution tiefer gehend zu verstehen und darüber aufzuklären.
Der erste Abschnitt »Der Traumabegriff – Zur traumatheoretischen Perspektive in der Psychoanalyse« wird durch Klaus Grabska mit seinem Beitrag Trauma und Transformation. Zur traumatischen Verfassung des Ichs eingeleitet.
Wenn über Traumatisches mithilfe von Konzepten der psychoanalytischen Wissenschaft nachgedacht wird, dann besteht die Gefahr, den leibhaftigen Bezug zum persönlichen Erleben des Traumatisierten zu verlieren. Daher beginnt der Autor mit der exemplarischen Darstellung der subjektiven Erfahrung von Traumatisierung am Beispiel einer Vergewaltigungserfahrung, die Édouard Louis in seinem autobiographischen Roman »Im Herzen der Gewalt« darzustellen und damit auch zu verarbeiten versuchte.
Als Kern des Traumatischen wird eine in Sprache und Vorstellung kaum übersetzbare, unerträgliche ›pure‹ Vernichtungsangst bestimmt. Danach beschreibt der Autor sechs Dimensionen der traumatischen Verfassung des Ichs. Diese Dimensionen kennzeichnen potentielle Bruchstellen des Ichs. Es wird angenommen, dass sie die Art und Weise, wie spätere Traumatisierungen psychisch verarbeitet werden können, wesentlich prägen.
Ilka Quindeau nimmt in ihrer Arbeit Trauma als Übersetzung eine etwas anders zentrierte Perspektive ein. Sie betont, dass die Erfahrung des Traumatischen nicht ohne eine damit verbundene und nachträglich ausgestaltete psychische Übersetzung – man könnte auch sagen: ohne eine subjektive Antwort auf das traumatische Ereignis – verstanden werden kann. Begründet wird diese Perspektive mit einem Rückgriff auf die Allgemeine Verführungstheorie des französischen Psychoanalytikers Jean Laplanche und seiner kritischen Rekonstruktion des Freud’schen Werkes unter dem Primat des Anderen und der unbewussten Botschaft.
Damit bringt die Autorin die Konzepte von Trauma, Konflikt und Trieb bzw. Begehren wieder zusammen, die in der gegenwärtigen Traumaforschung und Traumatherapie oft auseinander fallen, und rückt die psychische Verarbeitung ins Zentrum des Verständnisses von Trauma. Eine Fallvignette aus der eigenen psychoanalytischen Praxis der Autorin verdeutlicht diese Perspektive.
Eine weitere Perspektive entwickelt Joachim Küchenhoff mit seiner Arbeit Trauma der Sprache, Sprache des Traumas. Repräsentationstheoretische Gedanken zu Trauma und Traumatherapie. Ihm geht es darum, das Paradox genauer zu erforschen, dass, wo im Trauma die Sprache versagt, das Trauma gleichwohl ›spricht‹ – oder anders ausgedrückt: Wie kann das Nicht-Repräsentierbare und Nicht-Mitteilbare des Traumas sich gleichwohl repräsentieren und anderen mitteilen?
Zur Beantwortung dieser Fragen verknüpft der Autor repräsentationstheoretische und psychoanalytische Gedanken mit klinischen Fallvignetten. Darin zeigt er auf, wie das Traumatische durch körperliche Somatisierungen, durch die Induktion unerträglicher Affekte im Gegenüber, durch interaktionelle Inszenierung und Externalisierung von Traumatischem in aktuellen Beziehungen mit anderen als Sprache des Traumas ›mitgeteilt‹ wird.
Diese Sprache des Traumas sieht er als kreative Leistung der Traumatisierten. Sie bedarf allerdings eines anderen, zum Beispiel einer Psychoanalytikerin oder eines Pychoanalytikers, der diese Sprache des Traumas verstehen und dabei helfen kann, das Traumatische in die Sprache der Worte und ins Feld des Erzählbaren zu überführen – bei gleichzeitiger Anerkennung, dass nicht alles am Trauma sprachlich darstellbar und psychisch bearbeitbar sein kann.
Im zweiten Abschnitt, »Zur Transformation traumatischer Erfahrungen. Einzelfall und klinischer Prozess«, stellt Joshua Durban in seinem Beitrag »Dolor Perpetua« und die Zerstörung des Jetzt: Trauma, Zeitlosigkeit und Unmögliche Objekte in der frühen Kindheit die langjährige, im Alter von zweieinhalb Jahren begonnene Analyse eines Jungen vor, der frühen Traumatisierungen ausgesetzt war. Er fokussiert dabei das repetitive Zeiterleben des Patienten und sein Festhalten an inneren mörderischen Objekten, das Lernen durch Erfahrung und Entwicklung verhindert. Der Autor konzipiert den Aufbau von Zeit-Wahrnehmung, indem er zwischen Körper-Zeit, Selbst-Objekt-Zeit und Historischer Entwicklungszeit differenziert, und stellt dar, wie ein Trauma das Zeiterleben beeinträchtigt und bei zu großer Todesgefahr zum Erleben von »Nicht-Zeit« führt. Er beschreibt, wie im psychoanalytischen Prozess »Zeit erschaffen wird«, wie Kontinuität, Gleichzeitigkeit und Gemeinsamkeit hergestellt werden und wie sein Patient Lebendigkeit und Zeiterleben erlangen kann. Dabei muss anerkannt und betrauert werden, dass Zeit wie auch Objekte nie ganz wiedergewonnen oder rekonstruiert werden können, es Wunden gibt, die nicht heilen werden.
Mit dem Film Manchester-by-the-Sea veranschaulichen Luise Bringmann...
Erscheint lt. Verlag | 17.3.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Psychoanalyse / Tiefenpsychologie | |
Schlagworte | DGP • DGPT • Gesellschaft • Gewalt • Hilke Lorenz • IPV • Luise Reddemann • Missbrauch • Posttraumatische Belastungsstörung • Psyche Gesellschaft • Psychoanalyse • Psychodynamische Therapie • Psychologie • Psychologische Beratung • Psychotherapie • Psychotraumatologie • PTBS • Resilienz • Sabine Bode • Seelische Verletzung • Selbsterfahrung • Trauerarbeit • Trauma • trauma symptome • Traumatherapie • Traumatische Erfahrungen • Traumatisiert • Traumatisierung |
ISBN-10 | 3-608-11615-X / 360811615X |
ISBN-13 | 978-3-608-11615-1 / 9783608116151 |
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