Interpersonelle Psychotherapie (eBook)
339 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11525-3 (ISBN)
Elisabeth Schramm, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych., klinische Psychologin und Psychotherapeutin, Sektionsleiterin Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie; Trainerin und Supervisorin für KVT, IPT und CBASP.
Elisabeth Schramm, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych., klinische Psychologin und Psychotherapeutin, Sektionsleiterin Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie; Trainerin und Supervisorin für KVT, IPT und CBASP. Elisabeth Schramm, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych., klinische Psychologin und Psychotherapeutin, Sektionsleiterin Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie; Trainerin und Supervisorin für KVT, IPT und CBASP.
1 Der interpersonelle Ansatz bei depressiven Störungen
Elisabeth Schramm
1.1 Sind depressive Störungen Beziehungsstörungen?
»Regardless of what other factors may be involved, the interpersonal context affects greatly whether a person becomes depressed, the person’s subjective experience while depressed, and the behavioral manifestations and resolution of the disorder.« (Joiner et al. 1999, S. 3)
»Relationships matter – in health, disease, coping with stress, and recovering from illness. This is the rationale for interpersonal psychotherapy!« (Ravitz und Watson 2014, S. 275)
Frau N. liegt schon seit fünf Uhr wach. Jetzt ist es schon kurz vor Acht, und sie kann sich einfach nicht überwinden aufzustehen. Sie müsste sich krankmelden, so wie letzte Woche, aber sie schafft es nicht. Man wird sich fragen, was mit ihr los ist. Ihr Mann hat das Haus bereits verlassen und die Kinder zur Schule gebracht. Er wird ärgerlich sein, wenn er hört, dass sie weder bei der Arbeit noch beim Arzt war. Es wird Streit geben, denn er war dagegen, dass sie wieder in den Beruf einsteigt, solange die Kinder klein sind. Ihre Söhne werden um 13 Uhr nach Hause kommen und enttäuscht sein, dass nichts gekocht ist. Frau N. hat keine Energie, um ihre Arbeit und den Haushalt zu bewältigen. Sie fühlt sich niedergeschlagen, unzulänglich und wertlos. Manchmal ist ihr aber alles einfach egal, dann fühlt sie gar nichts. Vielleicht sollte sie heute doch zum Arzt gehen. Sie glaubt kaum, dass irgendjemand sie verstehen kann. Sie versteht sich ja selbst nicht mehr.
Frau N. ist an einer Depression erkrankt. Depressive Störungen müssen in ihrem interpersonellen Kontext verstanden werden, denn sie sind damit untrennbar verknüpft. Wie das Beispiel deutlich macht, beeinträchtigt die Depression zwangsläufig die zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Rollen des Betroffenen. Der Depressive leidet also nicht alleine, sondern sein Umfeld ist ebenso von der Depression betroffen. Umgekehrt haben Beziehungskonflikte und Schwierigkeiten, Rollenerwartungen zu entsprechen, einen entscheidenden Einfluss auf den psychischen Zustand eines Menschen. So entstehen negative Rückkopplungen zwischen depressivem Verhalten und sozialen Interaktionen (▶ Abb. 1-1). Insofern ist diese Sichtweise nicht nur als interpersonell, sondern als interaktionell zu bezeichnen. Dabei wird von einem fundamentalen, psychobiologisch basierten Grundbedürfnis nach Bindung ausgegangen (Bowlby 1969), ebenso wie von einer zugrunde liegenden Vulnerabilität des Betroffenen für depressive Störungen.
Abb. 1-1 Wechselwirkung zwischen interpersonellen Belastungen und Depressionen.
Eines der typischsten Kennzeichen einer Depression ist der interpersonelle Rückzug. Depressive Menschen meiden den Kontakt mit anderen und bleiben auf diese Weise in ihren depressiven Wahrnehmungen und in ihrer eigenen negativ gefärbten Welt gefangen. Während ein intrapsychisches Behandlungsmodell den Fokus eben dort (in der eigenen Wahrnehmung und den inneren Prozessen eines Individuums) ansiedelt, wird bei interpersonellen Verfahren gezielt versucht, die Verbindung zwischen dem Individuum und der Umwelt wiederherzustellen bzw. den Patienten »aus seinem Kopf«, seiner »abgeschotteten depressiven Welt«, herauszubekommen. Der Fokus liegt dabei auf den zwischenmenschlichen Interaktionen des Patienten.
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Abgrenzung und Besonderheiten: »Welche Psychotherapie ist eigentlich nicht interpersonell?«, ist eine Frage, die auf das Besondere der Interpersonellen Psychotherapie (IPT) gegenüber anderen Therapieverfahren abzielt. Die Frage ist durchaus berechtigt, denn die Bedeutung der Beziehungsperspektive für die Entstehung und Behandlung psychischer und insbesondere depressiver Störungen wurde schon vor langer Zeit erkannt (Überblick bei Hames et al. 2013; Hammen und Smith 2014; Santini et al. 2015) und auch bei anderen Therapieverfahren in besonderem Maße berücksichtigt, z. B. in der Systemischen Therapie oder in paartherapeutischen Ansätzen. Auch das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP; McCullough 2000), ein speziell für chronisch depressive Patienten entwickeltes Verfahren, konzeptualisiert die depressive Störung unter der »Person × Umwelt«-Perspektive (▶ Abschn. 3.6), es wird jedoch zu den verhaltenstherapeutischen Ansätzen gezählt.
Die Frage, was an einem psychotherapeutischen Verfahren spezifisch ist, lässt sich ebenso im Hinblick auf andere kognitive oder verhaltenstherapeutische Ansätze stellen. In welcher Psychotherapie wird nicht auch auf die Gedanken, Einstellungen oder Verhaltensweisen des Klienten eingegangen? Selbst innerhalb der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren stehen bei der Behandlung verschiedener Störungen mal kognitive Aspekte (z. B. kognitive Umstrukturierung bei depressiven Störungen), mal verhaltensbezogene Aspekte (z. B. Exposition bei Zwangsstörungen) im Vordergrund.
Merke
Die IPT legt ihren Schwerpunkt des Verstehens und Behandelns psychischer Erkrankungen vor allem auf die Beziehungen des Patienten mit anderen Menschen und nicht primär auf innerpsychische Vorgänge oder Kognitionen, weil Depressionen immer in einem zwischenmenschlichen Kontext stattfinden. Sie betreffen nicht nur den Einzelnen, sondern sein gesamtes Bezugssystem. Auch zahlreiche andere Variablen (z. B. Haltungen) werden berücksichtigt.
Es werden vier Wirkmechanismen bei der IPT angenommen (Lipsitz und Markowitz 2013):
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soziale Unterstützung zugänglich zu machen,
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interpersonellen Stress zu vermindern,
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emotionales Verarbeiten zu begünstigen,
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interpersonelle Fertigkeiten zu verbessern.
Das Spezifische an der IPT liegt darin, dass all diese Wirkmechanismen innerhalb eines pragmatischen und affektiv besetzten Fokus auf einen interpersonellen Hauptproblembereich im Kontext der Depression aktiviert werden. Diese Zusammenhänge sind in (▶ Abb. 1-2) dargestellt.
Abb. 1-2 Wirkmechanismen bei der IPT (modifiziert nach Lipsitz und Markowitz 2013).
Selbst als störungsorientierter Ansatz erwies sich die IPT als »transdiagnostisch« anwendbar, insofern als die Kernelemente der Methode (z. B. medizinisches Modell/Krankenrolle, Beziehungsanalyse [Interpersonal Inventory]; ▶ Abschn. 4.3) zwar zur Behandlung depressiver Patienten entwickelt wurden, sich aber auch diagnoseübergreifend bei sozialen Angststörungen, Bulimie, bipolarer Störung oder posttraumatischer Belasungsstörung als wirksam erwiesen, wenn auch in geringerem Ausmaß als bei einer Depression (Weissman et al. 2018).
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Theoretische Vorläufer: Wie entstand die interpersonelle Sichtweise? Sie geht auf Harry Stack Sullivan (1953) zurück, der sie bereits in den 30er-Jahren als neuen klinischen Blickwinkel in die Psychiatrie einbrachte. Diese neue Sichtweise führte in den USA zur Gründung der »interpersonellen Schule«. Die Ursprünge dieser Denkweise sind bei dem Psychiater Adolf Meyer zu finden. Ihm gelang es mithilfe seines Konzepts der Psychobiologie (Meyer 1957), das psychosoziale und interpersonelle Umfeld des Patienten ins Blickfeld des psychiatrischen ...
Erscheint lt. Verlag | 15.6.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Familien- / Systemische Therapie | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Affektive Störungen • Chevron • Depression • Deutschen Gesellschaft für Interpersonelle Psychotherapie • DGIPT • Elisabeth Schramm • Essstörung • Expertenrolle Psychotherapeut • Gruppentherapie • Gruppentherapie Interpersonelle Psychotherapie • Gruppentherapie IPT • International Society of Interpersonal Psychotherapie • Interpersonelle Psychotherapie • Interpersonelle Psychotherpie bei alten Menschen • IPT • IPT im Alter • ISIPT • Jugendliche Interpersonelle Psychotherapie • Jugendliche IPT • Klerman • Posttraumatische Belastungsstörung • PTBS • Rounsaville • Suizid • Suozidalität • Weissman |
ISBN-10 | 3-608-11525-0 / 3608115250 |
ISBN-13 | 978-3-608-11525-3 / 9783608115253 |
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