Geschichte der deutschen Sprache (eBook)
290 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-960874-7 (ISBN)
Jörg Riecke ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Heidelberg, Direktor des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften und Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte.
Jörg Riecke ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Heidelberg, Direktor des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften und Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte.
1. Einleitung
2. Wie alles anfing: Die althochdeutsche Zeit (ca. 750-1050)
2.1 Einige notwendige Vorbemerkungen
2.2 Frühmittelalterliche Sprachgeschichte
2.3 Konstanz und Wandel im 11. Jahrhundert
3. Eine Sprache findet sich: Die mittelhochdeutsche Zeit (ca. 1050-1350)
3.1 Hochmittelalterliche Sprachgeschichte
3.2 Mittelhochdeutsche Dichtersprache
3.3 Wandel und Neubeginn im 14. Jahrhundert
4. Zwischen Konsolidierung und Ausdifferenzierung: Die frühneuhochdeutsche Zeit (ca. 1350-1650)
4.1 Sprachgeschichte der frühen Neuzeit
4.2 Thesen und Fragen zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache
4.3 Von den Kanzleisprachen zum Luther-Deutsch
5. Der Weg zur Standardsprache: Das ältere Neuhochdeutsch (ca. 1650-1800)
5.1 Wandel und Neuansatz im 17. Jahrhundert
5.2 Von den barocken Sprachgesellschaften bis zur Kodifizierung der Norm
5.3 Zwischen Gottsched und Adelung
6. Im Zeichen bürgerlicher Sprachkultur: Das jüngere Neuhochdeutsch (ca. 1800-1950)
6.1 Literatursprache und bürgerliche Sprachkultur
6.2 Das Jahrhundert der Sprachwissenschaft
6.3 Von Weimar nach Buchenwald: Der Untergang der bürgerlichen Sprachkultur
7. Ein Ausblick zum Schluss
Abkürzungsverzeichnis
Karten
Literaturhinweise
Sachregister
Personenregister
Zum Autor
[11]2. Wie alles anfing:
Die althochdeutsche Zeit (ca. 750–1050)
2.1 Einige notwendige Vorbemerkungen
Die Geschichte der deutschen Sprache beginnt mit dem Einsetzen der ältesten Überlieferung. Sie markiert den Beginn eines langsamen, Jahrhunderte dauernden Prozesses der Ablösung des Lateinischen als erste Schriftsprache in Europa. Dabei werden nach und nach in den verschiedenen Regionen verschiedene Volkssprachen sichtbar, die fast alle gewisse Ähnlichkeiten im Bestand der Laute, Wörter und ihrer Grammatik aufweisen. Die Beschreibung solcher Gemeinsamkeiten, aber auch der Unterschiede, ermöglicht die Einteilung in Sprachgruppen, sogenannte Sprachfamilien, um die Nähe der Verwandtschaft darzustellen.
Das Deutsche zählt in dieser Einteilung zu den germanischen Sprachen, daneben kristallisieren sich in seiner Nachbarschaft Gruppen von romanischen, keltischen, slavischen und baltischen Sprachen heraus. Wie es scheint, sind es in Europa nur die Sprachen Ungarisch, Finnisch und Estnisch, Maltesisch sowie Türkisch, Baskisch und Georgisch, die ganz anders konstruiert und daher mit den übrigen Sprachfamilien nicht verwandt sind. Diese grundsätzlichen Unterschiede lassen sich noch sehr gut an den heutigen Ausprägungen dieser Sprachen beobachten. Geht es aber um die historische Entwicklung der Sprachen, haben wir es erwartungsgemäß mit der Auswertung schriftlicher Texte zu tun; über die gesprochene Sprache wissen wir fast nichts, allenfalls einige Reflexe des mündlichen Sprachgebrauchs lassen sich in vielfältig gebrochener Form aus den Texten herauslesen. Wichtiger als das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist für uns daher die Frage, welche Merkmale ein im Frühmittelalter verfasstes Schriftdenkmal – denn bis in diese Zeit reicht die Überlieferung der meisten heutigen mitteleuropäischen Einzelsprachen zurück – zu einem »deutschsprachigen« Text machen. Zwei Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein: 1. das lateinische Alphabet, in dem wir noch heute schreiben, und 2. das Vorhandensein bestimmter »neuer« Konsonanten, die so weder im Lateinischen noch in den übrigen altgermanischen Einzelsprachen wie Altenglisch, Altnordisch, Altfriesisch oder Altsächsisch vorhanden waren.
Zur Verdeutlichung begeben wir uns auf die Ebene der Wörter und betrachten einige Beispiele: Wir stehen dabei zwar wieder vor der Schwierigkeit, dass wir einen Wandel in der gesprochenen Sprache anhand des Schriftbildes nur ungefähr ablesen können. Solange wir uns darüber im Klaren sind, dass wir einen Lautwandel und nicht einen nur oberflächlichen »Buchstabenwandel« vor uns haben, lässt sich mit dem Problem jedoch leben. Als eng verwandte Vergleichssprachen, [12]die diese Veränderungen der Konsonanten nicht mitgemacht haben, wählen wir das Altenglische und das benachbarte Altsächsische, die Vorstufe des sog. Niederdeutschen:
ahd. apful ›Apfel‹ gegenüber as. appul, aengl. æppel; vgl. neuengl. apple;
ahd. skif ›Schiff‹ gegenüber as. skip, aengl. scip; vgl. neuengl. ship;
ahd. sitzen ›sitzen‹ gegenüber as. sittian, aengl. sittan; vgl. neuengl. to sit;
ahd. wazzar ›Wasser‹ gegenüber as. watar, aengl. wæter; vgl. neuengl. water;
ahd. daz ›das‹ gegenüber as. that, aengl. þæt; vgl. neuengl. that;
ahd. mahhôn ›machen‹ gegenüber as. makon, aengl. macian; vgl. neuengl. to make.
Die Zusammenstellung zeigt zunächst, dass sich die altgermanischen Einzelsprachen in vielen Bereichen sehr ähnlich sind. Da sich die Beispiele hundertfach vermehren ließen, dürfen wir davon ausgehen, dass diese Sprachen auf einen gemeinsamen, aber nicht erhaltenen Ausgangspunkt zurückgehen. Das Althochdeutsche hat sich von diesem Ausgangspunkt recht weit entfernt und unterscheidet sich von den übrigen altgermanischen Sprachen durch einen Lautwandel, der neue Konsonanten hervorbringt. Wann immer in den Wörtern bzw. in den Texten, in denen die Wörter auftreten, diese neuen Konsonanten im Schriftbild des lateinischen Alphabets erscheinen, können wir nun davon ausgehen, dass es sich um frühe deutsche Texte handelt. Demnach sind Konsonanten und Konsonantenverbindungen wie pf, f, tz, zz (stimmlos wie ss in Wasser), z (stimmhaft wie s in Rose) oder hh (Reibelaut wie ch in machen) die prägenden lautlichen Merkmale des frühen Deutsch. Stimmhafte und stimmlose Laute gab und gibt es in anderen Positionen auch in anderen europäischen Sprachen, die Affrikaten pf und tz sind dagegen typische Erscheinungen des deutschen Lautsystems. Wenn es um die bedeutungsunterscheidenden Laute der deutschen Sprache geht – wir nennen sie Phoneme –, notieren wir sie im Folgenden so: /pf/. Sind die Buchstaben selbst, also die sogenannten Grapheme gemeint, schreiben wir <pf>.
Es wurde allerdings nicht das ganze heute als »deutscher Sprachraum« geltende Gebiet von dem beschriebenen Konsonantenwandel erfasst. Nur die Landschaften südlich einer Linie, die ungefähr von Eupen über Aachen, Benrath, Siegen, Kassel, Dessau, Wittenberg und Frankfurt an der Oder verläuft, sind von den Neuerungen betroffen. Nördlich dieser sogenannten Benrather Linie blieben die Sprecher bei den alten Konsonanten, was dazu führte, dass zunächst nur in der südlichen Hälfte des heutigen Deutschlands tatsächlich »deutsch« gesprochen wurde. In nördlicher Nachbarschaft entwickelten sich das Altsächsische als Vorläufer des heutigen Niederdeutschen, weiter im Nordwesten das Altfriesische, das [13]Altenglische und in Skandinavien das Altnordische auf andere Weise weiter, und zwar vor allem eben ohne die aus der sog. hochdeutschen Lautverschiebung hervorgegangenen neuen Konsonanten.
Erst in der frühen Neuzeit rückt der alte sächsische Sprachraum zwischen Nord- und Ostseeküste und der Benrather Linie wieder in das Blickfeld der deutschen Sprachgeschichtsschreibung, weil sich das im südlichen Teil beheimatete Deutsche jetzt im Gefolge der hochdeutschen Bibelübersetzung Martin Luthers ausbreitet und die sächsische Sprache des kontinentalen Nordens verdrängt. Wenn wir heute von »Hochdeutsch« sprechen, so ist damit oft die Vorstellung von einer stilistisch besonders gut ausgebildeten Sprachvariante des Deutschen verbunden. Gemeint war aber ursprünglich einfach nur der Sprachraum mit den neuen Konsonanten südlich der Benrather-Linie, der in geographischer Hinsicht in besonders markanter Weise durch die Mittelgebirge und die hohen Gebirge am Südrand geprägt wird. Den Sprachraum nördlich der Benrather-Linie nennt man heute oft »Nieder-« oder »Plattdeutsch«, weil es sich scheinbar um einen weniger wertvollen Dialekt des Deutschen handelt, der es nicht zu einer Schriftsprache gebracht habe. Aber auch hier diente »nieder« ursprünglich ganz wertneutral als Kennzeichnung der flachen Landschaften Norddeutschlands. Aus Gründen der Vereinfachung wird dieser Sprachraum oft auch als »Alt- bzw. Mittelniederdeutsch« bezeichnet. Aber das ist sachlich nicht ganz korrekt, denn genau genommen handelte es sich ja im Mittelalter bei der nördlich der Benrather-Linie gesprochenen Sprache ohne Lautverschiebung noch gar nicht um eine Variante des Deutschen, sondern um die eigenständige Sprache Sächsisch. Auch wenn die politische Geschichte des Mittelalters seit der Zeit Karls des Großen die Nordhälfte und die Südhälfte des heutigen deutschen Sprachraums eher als Einheit begreift, überwiegen für Sprachhistoriker doch die Unterschiede. Einheitsstiftend ist in sprachlicher Hinsicht zunächst vor allem das Latein, kaum die noch jungen Volkssprachen.
Weil also die neuen Konsonanten den großen Unterschied ausmachen, durch den sich das frühe Deutsch von allen anderen germanischen Sprachen erkennbar unterscheidet, und weil diese neuen Konsonanten zunächst nur südlich der Benrather-Linie gesprochen werden, gilt für uns nur dieses südliche Gebiet als der Sprachraum des Alt- und Mittelhochdeutschen. Nur jene Texte, die diese neuen Konsonanten enthalten, sind deutsche Texte. Da die Konsonantenveränderung in ihren wesentlichen Bestandteilen bereits in den ältesten Texten um die Mitte des 8. Jahrhunderts durchgeführt und abgeschlossen ist, gilt sie als Merkmal für den gesamten Überlieferungszeitraum des Deutschen. Wir dürfen gleichzeitig annehmen, dass der Beginn dieses Veränderungsprozesses, der nicht von heute auf morgen stattgefunden haben kann, schon sehr viel älter ist als die älteste Überlieferung. Wir erkennen das auch daran, dass sogar einige alte Runeninschriften des [14]7. Jahrhunderts bereits Spuren der hochdeutschen Lautverschiebung zeigen. Besonders auffällig ist darüber hinaus, dass die ältesten aus dem Lateinischen stammenden Lehnwörter, die von den Germanen im Verlauf des kulturellen Neben- und Miteinanders in den ersten Jahrhunderten nach Christus aufgenommen wurden, schon in den frühesten Texten ebenfalls die Lautverschiebung zeigen: so etwa in ahd. champf ›Kampf‹ aus lat. campus; in pfunt ›Pfund‹ aus lat. pondō; in munizza ›Münze‹ aus lat. monēta; in ziegala ›Dachziegel‹ aus lat. tēgula oder in koufen ›kaufen‹ zu lat. caupo ›Schankwirt, Händler‹. Sie müssen also schon vor Beginn der Lautverschiebung entlehnt worden sein und haben dann mit allen einheimischen Wörtern gemeinsam die...
Erscheint lt. Verlag | 10.2.2016 |
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Reihe/Serie | Reclams Studienbuch Germanistik | Reclams Studienbuch Germanistik |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Sprachwissenschaft |
Schlagworte | althochdeutsch • Altniederdeutsch • Benrather Linie • Frühneuhochdeutsch • germanisch • Germanistik • Germanistik Studium • Geschichte der deutschen Sprache • Historischer Wandel • Indogermanisch • Lautverschiebung • Literaturstudium • Literaturwissenschaft • Mittelniederdeutsch • Sprachgeschichte • Sprachgrenze • Sprachwandel • Studienbuch • Studium Germanistik |
ISBN-10 | 3-15-960874-3 / 3159608743 |
ISBN-13 | 978-3-15-960874-7 / 9783159608747 |
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