Gender - Sprache - Stereotype (eBook)

Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 2. Auflage
294 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-6180-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gender - Sprache - Stereotype -  Hilke Elsen
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Sprache wirkt sich auf das Denken und Handeln aus und transportiert Rollenbilder. Der Band erläutert die vielfältigen Ursachen von Geschlechterstereotypen und zeigt Möglichkeiten auf, in Lehr- und Lernsituationen oder bei der Beurteilung von Kindern gendersensibel zu agieren. Sein Fokus liegt auf der Sprache: Sie behandelt die Geschlechter nicht gleich, sondern transportiert Geschlechterstereotype, ihr Gebrauch beeinflusst unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Lehrkräften und Betreuungspersonen hilft der Band, diese Zusammenhänge zu erkennen und bietet Anregungen für einen gendersensiblen Umgang in Kita, Schule oder Universität. Die Neuauflage berücksichtigt neue Studien und Entwicklungen besonders zu gendersensibler Sprache sowie trans- und intersexuellen Lebensformen.

Prof. Dr. Hilke Elsen ist Professorin an der LMU München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Sprachvarietäten, Neologismen/Lexikologie, Wortbildung sowie Genderlinguistik.

Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur 2. Auflage
1 Einleitung
1.1 Einige Fakten
1.2 Verhalten von Frauen und Männern
1.3 Begriffe
1.4 Leitgedanken
1.5 Aufbau
2 Geschichte
2.1 Begriffe
2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte
2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache
2.4 Feministische Sprachkritik
3 Theorien
3.1 Anfänge
3.2 Defizit und Differenz – Feministische Linguistik
3.3 Diversität – Gender und doing gender
3.4 Dekonstruktion – undoing gender
3.5 Evolution, aber nicht Determiniertheit
3.6 Abgrenzungen
4 Sprache und Denken
4.1 Die Sapir-Whorf-Hypothese
4.2 Sprache, Macht, Manipulation
4.3 Sprachliche Diskriminierung
5 Gender und Sprachsystem
5.1 Geschichte
5.2 Markierung
5.3 Probleme
5.3.1 Asymmetrien
5.3.2 Genus und Sexus als unabhängige Kategorien
5.4 Alternativen
5.5 Strategien des Widerstands
6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln
6.1 Das Problem sprachlicher Asymmetrien
6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache
6.2.1 Generisches Maskulinum im Deutschen
6.2.2 Generisches Maskulinum in anderen Sprachen
6.2.3 Erste Veränderungen und Ergebnisse
6.3 Interaktion mit außersprachlichen Faktoren
6.4 Auswirkungen
6.4.1 Folgen auf kognitiver Ebene
6.4.2 Folgen für Verhalten und Gesellschaft
6.5 Deaktivierung von falschen Zuordnungen
7 Stereotype
7.1 Begriff
7.2 Beispiele
7.3 Wann treten Geschlechtsstereotype auf?
7.4 Wie entstehen Geschlechtsstereotype?
7.4.1 Die Rolle des Elternhauses
7.4.2 Die Rolle der Schule
7.4.3 Medien
7.5 Gefahren
7.5.1 Veränderte Wahrnehmungen und Erwartungen
7.5.2 Stereotypbedrohung
7.5.3 Welche Mechanismen liegen der Stereotypbedrohung zugrunde?
7.6 Abbau von Stereotypen
8 Neurobiologie
8.1 Hormone
8.2 Gehirn
8.3 Kognition
8.4 Evolutionärer Ansatz
8.4.1 Spielverhalten
8.4.2 Partnerwahl
8.4.3 Dominanz und Empathie
9 Linguistische Gesprächsforschung
9.1 Rolle der Interaktion
9.2 Gesprächsforschung
9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern
9.3.1 Erste Studien
9.3.2 Kritik
9.4 Fazit
10 Genderentwicklung
10.1 Geschlechtsidentität
10.2 Sprachliche Unterschiede der Kinder
10.3 Verhalten der Erwachsenen
10.4 Sprachliche und stilistische Unterschiede der Erwachsenen
10.5 Der Einfluss der Erwartungshaltungen der Erwachsenen
10.6 Der Einfluss Gleichaltriger
10.7 Weitere Faktoren
11 Medien
11.1 Wachsende Rolle der Massenmedien
11.2 Werbung
11.3 Fernsehen und Filme
11.4 Zeitung
11.4.1 Pronomina, Substantive, Kotext
11.4.2 Unklare Verwendung maskuliner Formen
11.5 Bilderbücher
12 Schulbücher
12.1 Kritische Analysen: Sprachlehrwerke
12.2 Weitere Fächer: Naturwissenschaften
12.3 Analyseaspekte
12.3.1 Stereotype
12.3.2 Beispielsätze
12.3.3 Dialoge
12.3.4 Textebene
12.3.5 Weitere Aspekte
13 Unterricht
13.1 Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer
13.2 Historischer Hintergrund
13.3 Verhalten im Gespräch
13.4 Verhalten im Unterricht
13.5 Entdramatisierung
13.6 Erste Schritte
14 Vorschläge für den Unterricht
14.1 Sprache und Geschlecht als Unterrichtsthema
14.2 Verfahrensplan
14.3 Checklisten und Fragebögen
14.4 Beispiele für den Unterricht
14.4.1 Grundschule
14.4.2 Ab der 5. Klassenstufe
14.4.3 Berufsschule
Literaturverzeichnis
Register

2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte


Frauenbewegung und Frauenforschung sind eng mit dem Bestreben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie verknüpft und daher immer auch politisch und sozialkritisch motiviert. Sie erhalten wichtige Anstöße aus Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch Literaturwissenschaft und Philosophie.

Seit der Antike herrschte das Modell nur eines Geschlechts vor, in dem es verschiedene Ausprägungen des Menschen gab, die sich graduell unterschieden und bei dem die weibliche Variante die weniger gut gelungene war. Zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es einige neue medizinische Erkenntnisse über die grundlegenden biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die den bisherigen Blick auf rein Äußerliches erweiterten. Daraufhin etablierte sich im 18. Jahrhundert u.a. durch Rousseau die Vorstellung von der auf natürliche Bedingungen rückführbaren Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Diese waren tugendhaft, sittsam und fleißig und agierten nur zu Hause, zumindest im Bürgertum. Daraus entstanden vor allem die „natürliche“ Unterordnung der Frauen, für den Mann zu existieren, und die Autonomie der Männer. „Rousseau entfaltet in seinen Schriften dasjenige Geschlechtermodell, das bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Geltung besitzen wird und die Reichweite männlicher / weiblicher Aktivität definiert“ (Schößler 2012: 19). Die sich hieraus ergebende Arbeitsteilung sieht in dem Anteil der Frauen keine Leistung, denn ihre Arbeit ist unbezahlt und unsichtbar und auch „politisch nicht repräsentiert“ (Schößler 2012: 20). Dieses Modell führte dazu, dass die Hälfte der Bevölkerung die gleiche Tätigkeit (Haushalt und Pflege) zu übernehmen hatte. Diese Vorstellung der Geschlechtertrennung setzt sich im 19. Jahrhundert weiter durch. Unser heutiges binäres Geschlechtermodell, das beiden Geschlechtern klar unterschiedliche körperliche und psychische Eigenschaften zuspricht und damit eine gesellschaftspolitische Hierarchie schafft, ist also noch nicht so alt, es dürfte sich allerdings „um eine (gesellschaftlich-​kulturelle) Konstruktion handeln, die auch im Zusammenhang mit den sich professionalisierenden Wissenschaften gesehen werden muss“ (Schößler 2012: 20).

Ende des 19. Jahrhunderts stellten einige Frauen diese „natürliche“ Ordnung infrage. Sie prangerten vor allem die schlechten finanziellen Verhältnisse, fehlende Erwerbsmöglichkeiten und die katastrophale Bildungssituation vieler Frauen an. Die erste Welle der Frauenbewegung ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts forderte, Frauen und Männer in Staat und Gesellschaft gleichzustellen, sie als gleichwertig zu betrachten und ihnen die grundlegenden Rechte zuzuerkennen: das Wahlrecht, das Recht auf Bildung und das Recht auf bezahlte Arbeit. Es ging hier also zunächst um entscheidende Bürgerrechte. Dabei hatte die Französische Revolution (1789–1799) einen wesentlichen Anteil. Die Forderung nach Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Demokratie und Menschenrechten auch für Frauen brachte einige Vorreiterinnen für Frauenrechte hervor.

Frühe Frauenforschung war sozialwissenschaftlich und empirisch ausgerichtet und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die beteiligten Forscherinnen keinen Zugang zu öffentlicher Bildung hatten und sich in der Regel über individuelle Wege und autodidaktisch fortbilden mussten; entsprechend zäh war die Akzeptanz in Akademikerkreisen. Sie wurde höchstens wohlwollend geduldet, aber nicht als ebenbürtig mit den Arbeiten der Männer erachtet, daher nicht diskutiert und weitgehend ignoriert.

In Deutschland initiierte Louise Otto-​Peters die Frauenbewegung im Zusammenhang mit der 1848er Revolution mit ihren Forderungen, dass Frauen an Staatsinteressen zu beteiligen seien, und gründete 1849 eine eigene politische Frauen-​Zeitung (Nave-​Herz 1997: 11). Das Recht auf Arbeit und Bildung sollte als kulturelle Bereicherung, aber auch als Grundlage für eine selbstständige Existenz zu verstehen sein, wobei sich hier die bürgerliche von der proletarischen Frauenbewegung unterschied, da die Arbeiterinnen bereits, meist in Fabriken, arbeiteten, jedoch nicht unbedingt freiwillig und für viel zu wenig Lohn. Für sie ging es weniger um Bildung, sondern dringlicher um faire Bezahlung und Mutterschutz. Neben verschiedenen Organisationen und Vereinen sind es vor allem die Schriftstellerinnen, die aktiv und kritisch ihre Unzufriedenheit äußern, u.a. Virginia Woolf oder Simone de Beauvoir. Diese führte in Le deuxième sexe (1949) bereits aus, dass Frauen und Männer „gemacht“ werden, denn welche Bedeutung den biologischen Unterschieden tatsächlich beigemessen wird, entscheiden die Menschen.

Seit Anfang des letzten Jahrhunderts kam es ganz langsam zu einigen Verbesserungen bei der Gleichstellung. Zum ersten Mal durften sich Frauen zwischen 1900 (Baden) und 1909 (Mecklenburg) an den Landesuniversitäten immatrikulieren. 1918 erhielten Frauen in Deutschland und Österreich das aktive und passive Wahlrecht, in der Schweiz erst 1971. Im Dritten Reich wurden dann die wesentlichen Zugeständnisse an Frauen wieder zurückgenommen, was Berufswahl und Studienmöglichkeiten betraf. Außerdem wurde das passive Wahlrecht wieder abgeschafft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligten sich deutsche Frauen bewusst am Demokratisierungsprozess. Die mit dem Beginn des Nationalsozialismus aufgelösten verschiedenen Frauengruppierungen formierten sich neu. Für sie waren die Frauenrechte ein wesentlicher Pfeiler einer Demokratie. Im Grundgesetz der BRD wurden so gleich zu Beginn (1949) Frauen und Männer offiziell gleichberechtigt, ohne dass es jedoch sofort zu einer Umsetzung kam. Die väterliche Gewalt etwa wurde erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts durch die elterliche Sorge bzw. Erziehung ersetzt (1965 DDR, 1957/80 BRD, 1970 Österreich, 1978 in der Schweiz, vgl. Guentherodt 1983/84: 277). Vorher hatte der Vater das alleinige Recht, über die Kinder zu verfügen. In Deutschland dürfen verheiratete Frauen erst seit 1962 ein Bankkonto eröffnen, ohne ihren Mann zu fragen. Seit 1969 gelten sie als geschäftsfähig, und erst seit 1977 dürfen sie ohne Erlaubnis des Mannes erwerbstätig werden – das heißt, vorher war Haushalt Verpflichtung gewesen, wenn nicht Bedienstete die wesentlichen Aufgaben übernahmen, und einen Anspruch auf eigenes Geld gab es nicht. Die Frauen bewegten sich gezwungenermaßen zu Hause. Der Aufgabenbereich war eindimensional, eine Ausbildung individueller (intellektueller) Fähigkeiten oder gar des Selbstbewusstseins schwierig. Sie hatten somit wenig Chancen, eine eigene Identität zu entfalten. Da dies auch an kommunikative bzw. sprachliche Möglichkeiten gebunden ist, galt es, hier mögliche Ungleichgewichte aufzuspüren, was sich zu einer der Hauptrichtungen der feministischen Sprachkritik weiterentwickelte. Die Unzufriedenheit mit der sozialen und politischen Situation erwies sich als auslösendes Moment für Frauenbewegungen, den Feminismus und letztendlich die gesamten Gender-​Debatten.

Ende der 1960er Jahre kam es zur Neuen Frauenbewegung (2. Welle) im Zusammenhang mit der Außerparlamentarischen Opposition (ab 1967), der Studentenbewegung (1967/68) und in den USA auch mit Rassenunruhen und den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Zu den Themen gehörten Diskriminierung, Missbrauch und Vergewaltigung, faire Bezahlung und Schwangerschaftsabbruch. Nachdem es Anfang des letzten Jahrhunderts bereits erste empirische Studien zur Lage der Frau gegeben hatte, entstanden in den 1960er Jahren in Deutschland und den USA die Women’s Studies. Gleichzeitig erschienen erste kritische Schriften zur Behandlung von Frauen in der und durch die Sprache. Aus den Feminist Studies entwickelten sich die Gender Studies, aus den Gay / Lesbian Studies die Queer Theory (Frey Steffen 2017: 85).

Viele der ursprünglichen Forderungen waren umgesetzt. Die Wahrnehmung richtete sich langsam auf individuelles Wohlempfinden, so traten Frauenthemen etwas in den Hintergrund. Die Jüngeren nahmen vieles als selbstverständlich wahr und erkannten dann oft erst bei Eintritt in das Berufsleben die immer noch unfaire Chancenverteilung. Zudem erlitten in Deutschland mit der Vereinigung der zwei deutschen Staaten die Frauenbewegungen einen Rückschlag, da ihre Interessen bei der Neuorganisation untergingen (Gerhard 2009: 120ff.). In den 90ern formierte sich trotzdem weltweit die dritte Welle ausgehend von den USA, auch aufgrund antifeministischer Bewegungen. Es gab internationale Frauenkonferenzen und Initiativen, die die Anerkennung der Rechte der Frauen als Menschenrechte und Schutz vor Diskriminierung überall auf der Welt forderten. Zu den Themen gehörte zunehmend auch Homosexualität. Als Auslöser gilt unter anderem Gender Trouble der Philosophin Judith Butler von 1990 mit der These, dass auch das biologische Geschlecht gesellschaftlich beeinflusst zu sehen ist. Das Werk stieß die Queer Theory mit an. Damit wurde die grundsätzliche Zweiteilung der Geschlechter hinterfragt. Der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem Sichtbarmachen der Frauen, sondern mehr auf der Dekonstruktion von Geschlecht. Eine gesellschaftliche und politische Gleichbehandlung sollte...

Erscheint lt. Verlag 11.12.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Sprachwissenschaft
Schlagworte Biologie • Feminismus • Feministische Linguistik • feministische Sprachkritik • gendersensibler Unterricht • Gender-Studien • Genus und Sexus • Germanistik • Geschlechterforschung • Geschlechtergerechtigkeit • Geschlechtersensibilität • Geschlechterstereotype • Lehrbuch • Linguistik • Neurologie • Psycholinguistik • Queer Studies • Rollenbilder • Schule • sprachliche Asymmetrien • Sprachwissenschaft • Unterricht
ISBN-10 3-8463-6180-1 / 3846361801
ISBN-13 978-3-8463-6180-1 / 9783846361801
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