Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte (eBook)
384 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30940-9 (ISBN)
Ralph Giordano wurde 1923 in Hamburg geboren. Nach der Befreiung am 4. Mai 1945 durch britische Truppen arbeitete er als Journalist und Publizist, als Fernsehdokumentarist und Schriftsteller. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter »Die Bertinis« (1982), »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« (1987), »Ostpreußen ade« (1994), »Deutschlandreise« (1998), »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr« (2002) und »Erinnerungen eines Davon - gekommenen« (2007). Zuletzt erschien sein Buch »Mein Leben ist so sündhaft lang: Ein Tagebuch« (2010). Er starb am 10. Dezember 2014 in Köln.
Ralph Giordano wurde 1923 in Hamburg geboren. Nach der Befreiung am 4. Mai 1945 durch britische Truppen arbeitete er als Journalist und Publizist, als Fernsehdokumentarist und Schriftsteller. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter »Die Bertinis« (1982), »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« (1987), »Ostpreußen ade« (1994), »Deutschlandreise« (1998), »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr« (2002) und »Erinnerungen eines Davon – gekommenen« (2007). Zuletzt erschien sein Buch »Mein Leben ist so sündhaft lang: Ein Tagebuch« (2010). Er starb am 10. Dezember 2014 in Köln.
Der Adler über der Weltkugel
Von Rom bis zu den »Führerstädten«
Auf keinem Gebiet entblößen sich die Endziele der Nazis durch Selbstdarstellung so gründlich wie auf dem der Architektur des Dritten Reiches, sowohl der realisierten wie erst recht der geplanten. Nirgends sonst aber zeigt sich auch die unüberbrückbare Kluft zwischen der Wirklichkeit und der Vision, dieses Merkmal des ganzen Systems überhaupt, so unverbergbar.
Die Linie wird früh festgelegt, das große Vorbild beim Namen genannt: Rom! Das Bekenntnis Hitlers dazu enthält ein bezeichnendes Defizit:
»Wenn man die Größenverhältnisse der antiken Staatsbauten mit den gleichzeitigen Wohnhäusern vergleicht, so wird man erst die überragende Wucht und Gewalt dieser Betonung des Grundsatzes, den Werken der Öffentlichkeit die erste Stellung zuzuweisen, verstehen.«[107]
Also Monumental- und Kolossalarchitektur als oberster Leitsatz – Albert Speer, seit dem 30. Januar 1937 »Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt« (GBI), bestätigte ihn und den daraus resultierenden Mangel:
»Seine Leidenschaft für die Bauten der Ewigkeit ließ ihn völlig desinteressiert an Verkehrsstrukturen, Wohngebieten und Grünflächen: die soziale Dimension war ihm gleichgültig.«[108]
Kein Wunder also, dass, entgegen landläufigen Auffassungen, die Ziffern des Wohnungsbaus unter denen der Weimarer Republik lagen. Hitler bleibt bis zum Schluss auch auf diesem Gebiet Vordenker und Stratege, sein persönliches Interesse unermüdlich und – tief pathologisch. Einsicht in diese Sphäre gewähren die teils gehemmten, teils freimütigen Spätbekundungen Speers, eine Art »Liebling des Führers« mit enormen Vollmachten und außerordentlich Hitler-nahem Umgang, bis an den Rand der Intimsphäre. Darauf wird noch zu kommen sein. Aber es gibt frühere Beobachter als ihn, wie eine Tagebucheintragung von Joseph Goebbels aus dem Jahre 1926 zeigt. In ihr ist die Rede von dem »zukünftigen Architekturbild des Landes« und einem Hitler, der bei seinen Erläuterungen »ganz Baumeister« sei.[109] Und am 3. Februar 1932 vermerkt derselbe Autor, inzwischen zu einem der engsten Mitarbeiter Hitlers geworden:
»Der Führer beschäftigt sich in seinen Mußestunden mit Bauplänen sowohl für ein neues Parteihaus als auch für einen grandiosen Umbau der Reichshauptstadt. Er hat das Projekt fix und fertig, und man staunt immer wieder, mit wie vielen Fragen er sich fachmännisch auseinandersetzt.«[110]
Wie die politischen und die militärischen, so sind auch die architektonischen Pläne lange vor 1933 im Grundriss fertig, und jene Entwürfe, die in Hitlers Augen besonders dringlich waren, sind bis 1939 auf dem Reißbrett. Zwei Jahre zuvor war eine geradezu hysterische Bautätigkeit ausgebrochen, Ausdruck einer euphorischen Selbstgewissheit, die die Prägung vom »Tausendjährigen Reich« ganz wörtlich nimmt, aber schon im Jahre 1950 so weit sein will, dass die kommenden Generationen nichts weiter zu tun hätten, als die Laternenpfähle zu versetzen. Gesetzliche Grundlage war der sogenannte »Neugestaltungserlass« von 1937, der den Umbau von mehr als 50 deutschen Städten vorsah und der Bauwirtschaft ungeahnte Wachstumsraten bescherte. Branchenführer wird innerhalb kurzer Frist der SS-Konzern »Deutsche Erd- und Steinwerke« (DEST), und mit ihm wird das KZ-System in die Bauplanung einbezogen. Flossenbürg, Neuengamme, Mauthausen, nach 1940 auch das elsässische Natzweiler – wo es Natursteinvorkommen und große Ziegeleibetriebe gibt, werden Konzentrationslager errichtet und schuften Häftlinge bis aufs Blut. Der »Neugestaltungserlass« kostet Tausende von ihnen das Leben.
Die Architektur des Dritten Reiches ist sofort erkennbar als Herrschaftsausdruck mit vielen Funktionen: den Einzelnen und die Massen durch die Zeugnisse dauerhaftester Materie einzuschüchtern und zu individueller und kollektiver Bedeutungslosigkeit herabzustufen, sie aber zugleich in die Lage zu versetzen, sich mit den Schöpfern und Planern so gewaltiger Bauten zu solidarisieren und dadurch in das Stadium blinder Gefolgschaft zu geraten. Massenpsychologisch wird alles bis ins Kleinste vorbestimmt, um den vollständigsten Effekt zu erzielen. Im Zusammenhang mit der Feier zum 1. Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld Berlins gibt Albert Speer einen geradezu klassischen Einblick in die Organisationsstrukturen des Nationalsozialismus, schon wenige Wochen nach seiner Machtübernahme – ein Beweis überlegener Kenntnis propagandistischer Wirkungen im Sinne des Regimes.
Auf dem Riesenfeld von 400000 Quadratmetern terrassenförmige Tribünen, davor in rauschender Bewegung 1000 Fahnen und Banner der uniformierten und zivilen Aufmarschkolonnen und dahinter, bis zu einer Höhe von je 32 Metern und einer Breite von sechs Metern, drei gewaltige Gruppen von Fahnensegeln. Eine kaskadenhafte Anordnung irrationaler Symbole mit genau berechnetem Effekt:
»Die mit Absicht gewählte Zeit der Kundgebung bei hereinbrechender Dämmerung unterstützte die Wirkung der Konzentration auf diesen Mittelpunkt in vollendeter Weise, denn durch die Anstrahlung des Fahnenberges mit ungeheuren Lichtmengen stand dieser in leuchtendem Rot gegen den in dunklem Blau versinkenden Nachthimmel in starkem Kontrast, während alle nebensächlichen und störenden Beiwerke im Dämmerlicht des Abends verschwanden.«[111]
Gleichzeitig ist Rekordsucht selbstverständlich, geht es, ob Gebäude, Brücken, Türme, immer um das Höchste, Längste, Breiteste, sollen ständig übertroffen werden: Paris, London, New York. Auch ist kostbares und dauerhaftes Material Voraussetzung, Granit, Marmor, Travertin. Und all das, um das Selbstvertrauen des Volkes zu heben, natürliche Dialektik der Gewalt. Dieselben Bauten, die einschüchtern, klein machen, betäuben sollen nach innen, sie sollen nach dem Willen ihrer Planer die gegenteilige äußere Funktion haben: Sie sollen das Selbstbewusstsein der Deutschen gegenüber dem Ausland stärken – Architektur zur Bekämpfung nationaler Minderwertigkeitskomplexe! Das wird offen ausgesprochen, am offensten in einer Rede, auf die das Autoren-Trio Dülffer/Thies/Henke gestoßen ist, von Hitler offensichtlich frei gehalten oder doch höchstens nach Stichworten geordnet – in der Berliner Kroll-Oper vor Truppenkommandeuren am 10. Februar 1939. Nach Hinweis auf das starke Selbstvertrauen anderer, wenngleich zahlenmäßig – und natürlich auch rassisch – unterlegener Völker, heißt es darin:
»Wenn wir demgegenüber nun das Selbstvertrauen des deutschen Volkes, seinen eigenen Stolz in Erwägung ziehen, dann müssen wir hier leider eine ungeheure Diskrepanz feststellen. Dies sicherlich größte Volk hat ein Minimum an Selbstbewusstsein, ein Minimum an Stolz, ein Minimum an Selbstvertrauen. Und es scheint mir daher notwendig, dass eine Staatsführung auf allen Wegen versucht, dieses Selbstvertrauen als eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Geltendmachen der berechtigten Lebensansprüche herzustellen und zu steigern, und zwar mit allen Mitteln.«[112]
Zu diesen Mitteln gehörten, so der »Führer« weiter, die großen Bauten, seit Jahrtausenden immer die Quelle des Stolzes der Völker, grandiose Gemeinschaftsleistungen, die einem Volk das Gefühl der Ebenbürtigkeit verliehen. Solche Bauten aber ließe er nicht aus Großmannssucht errichten, sondern es geschähe »aus der kältesten Überlegung«, dass man nur durch solche gewaltigen Werke einem Volk das Selbstbewusstsein geben kann.[113]
Das mag mitbeabsichtigt gewesen sein, ohne dass die rhetorische Geste der Selbstlosigkeit dadurch glaubwürdiger wird. Auch hier kann Speer, der gespaltene Obergehilfe seines Bauherrn, als Kron- und Gegenzeuge zitiert werden. Ständig in nächster Umgebung des Allmächtigen, Zeuge von dessen manischen Monologen und ermüdenden Wiederholungen im Kreise hingebungsvoller, insgeheim aber durchaus gepeinigter Widerspruchslosigkeit, offenbart der »Generalbauinspektor« das Ziel der Hitler’schen Megalomanie, ihre Uridee und letzte Absicht so: »Vor seiner engsten Umgebung, die sich Nacht für Nacht belanglose Operettenfilme ansehen und endlose Tiraden über die katholische Kirche, Diätrezepte, griechische Tempel und Schäferhunde anhören musste, verbarg er, wie wörtlich er seinen Traum von der Weltherrschaft nahm.« Und weiter: »Überhaupt wäre es falsch, wenn man Hitlers Politik, deren Ziel in der Beherrschung zunächst Europas und dann der Welt lag, nicht mit den von ihm initiierten großen Bauten in Verbindung bringen würde.«[114]
Wer sich mit der Architektur des Dritten Reiches und ihres Mentors befasst, dem springt die Verzahnung zwischen steinerner Gigantomanie und kriegerischer Expansion förmlich ins Gesicht, da die Pläne offensichtlich mit den nationalen Reserven an Menschen und Material nie zu verwirklichen gewesen wären, sondern Raub, Eroberung, Ausplünderung und Millionen von Zwangsarbeitern zur Voraussetzung hatten. Wer so plante, der konnte und wollte nicht innerhalb seiner Grenzen bleiben, auch nicht derer »Großdeutschlands« mit den Annexionen Österreichs, Böhmens, Mährens und des Memellandes.
In dem Maße, in dem sich die Träume der Nazis in...
Erscheint lt. Verlag | 8.6.2015 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Deutschland-Geschichte • Drittes Reich • endsieg • Hitler-Regime • Kiepenheuer & Witsch • Krieg • Mein leben ist so sündhaft lang • Nationalsozialismus • Nazi-Pläne • Ralph Giordano • Sachbuch • Weltherrschaft • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-462-30940-4 / 3462309404 |
ISBN-13 | 978-3-462-30940-9 / 9783462309409 |
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